Zwei Jahre und acht Monate ist es her, seit sich die Wege von Bartimäus und Nathanel zuletzt gekreuzt haben. Der ehrgeizige Nathanel hat inzwischen Karriere im Zaubereiministerium gemacht und soll Informationen über den »Widerstand« beschaffen: Eine Gruppe nichtmagischer Gewöhnlicher stiehlt immer wieder magische Gegenstände und setzt sie für Anschläge gegen die Zauberer ein. Zur Widerstandsbewegung gehört auch die 15-jährige Kitty, die mit einer seltenen Gabe geboren wurde: außergewöhnlicher Abwehrkraft gegen Magie! Als eines Nachts eine ganze Reihe Luxusgeschäfte für Magier bei einem Anschlag zerstört wird, erhält Nathanael den Auftrag, die Widerständler dingfest zu machen. Er weiß, dass dies seine große Bewährungsprobe sein wird … Und er setzt alles daran, Kitty und ihre Verbündeten aufzuspüren. Als diese entkommen, weiß sich Nathanael keinen anderen Rat mehr. Bartimäus muss wieder her – doch wie nicht anders zu erwarten, ist der nicht gerade beglückt, als er schon wieder in die Dienste dieses grässlichen Ehrgeizlings treten muss.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Unhygienische Magie
Einfallsreich und doppelbödig: Der zweite "Bartimäus"-Band
Bartimäus ist zurück. Was uns freut, macht ihn selbst fuchsteufelswild. Eigentlich hätte es der Dschinn ja besser wissen müssen mit seiner Lebenserfahrung von einigen tausend Jahren: Zauberern ist nicht zu trauen, niemals. Wenn sie deinen Namen kennen, bist du geliefert. Sie rufen dich wieder und wieder, denn ohne Beistand aus höheren Dimensionen sind sie genauso hilflos wie gewöhnliche Menschen. Der Nachwuchsmagier Nathanael ist kein Stück besser. Nach der heiklen Sache mit dem "Amulett von Samarkand" hat er Bartimäus zwar sein Wort gegeben, ihn nunmehr in Ruhe zu lassen. Dabei mag geholfen haben, daß der Dschinn als einziger nicht nur sein magisches Pseudonym, sondern auch seinen echten Vornamen kennt. Dadurch kann er sich rächen, sobald Nat bei einer Beschwörung den kleinsten Fehler macht.
Aber der junge Karrierist ist nicht umsonst ein allseits mißgünstig beobachteter Protegé der intriganten Zaubererelite, die ein britisches Empire regiert, in der es Mobiltelefone, Autos und eben Magie gibt. Er ist begabt, extrem ehrgeizig und schafft sich als Assistent der Sicherheitsministerin eine Menge Feinde. Als die Anschläge der Untergrundbewegung der rechtlosen "Gewöhnlichen" - Menschen ohne magische Fähigkeiten - große Zerstörung anrichten und von einer unbekannten magischen Kraft unterstützt zu werden scheinen, hofft mehr als ein Regierungsmitglied, daß die Leitung der Untersuchung Nathanael politisch und physisch den Kopf kostet. Er zögert nicht: Jetzt muß Bartimäus ran.
Erwartungsdruck lastet nicht nur auf Nat, sondern nach dem enormen Erfolg des ersten Bandes der Trilogie auch auf Autor Jonathan Stroud. Doch der begegnet ihm ohne magischen Beistand, britisch cool und pragmatisch. Zum Schreiben, erzählte er kürzlich bei einer Berliner Lesung, habe er ein kleines Büro gemietet und schwört auf übersichtliche Pläne zum Notieren von Fakten und Handlungssträngen. Nach getaner Arbeit hakt er sie dann ab, "very pleased with myself".
Die akribische Vorarbeit hat dem "Auge des Golem" gutgetan. Trotz der Erweiterung des Fokus von zwei auf drei Charaktere - Bartimäus, Nathanael und die "Gewöhnliche" Kitty, mit der Nat schon im ersten Band einen kurzen Zusammenstoß hatte - zerfasert die spannende Handlung nicht. Kittys Perspektive erlaubt es, noch genauer hinter die Kulissen des Zaubererstaats zu blicken als durch Bartimäus' Augen. Während er in seinen Kapiteln die bissige Abgeklärtheit eines Dschinn an den Tag legt, der schon alles gesehen hat, leidet Kitty unter genau jenem Kastensystem und Opportunismus, dessen Nutznießer Nathanael ist. Sie wird zur moralischen Instanz, mit der die Leser sich identifizieren können. Trotzdem läßt Stroud sie hilflos zusehen, wie die gerechte Verschwörung ihrer Gruppe scheitert, weniger an den Umständen als durch menschliche Schwächen. Es ist also noch lange nicht alles gut, und man darf bezweifeln, daß es das am Ende des dritten Bandes sein wird.
Doppelbödigkeit und Komplexität machen das "Auge des Golem" wie schon den ersten Band erst für Leser jenseits des Grundschulalters verdaulich. Dazu tragen makabere Szenen wie jene bei, in der sich ein durchgeknalltes, mordlüsternes Gerippe an Kittys Fersen heftet. Komische Szenen entstehen selbstverständlich auch wieder in Fülle, wenn Jonathan Stroud Hokuspokus und aufgeblasene moderne Regierungsstrukturen kombiniert. Zum Beispiel bei einer generalstabsmäßig organisierten, leider völlig aus dem Ruder laufenden Gruppenbeschwörung im Ministerium, während deren Bartimäus feststellt, daß auch er gegen Irrtümer nicht gefeit ist. Manchmal ist ein Schemel eben nur ein Schemel und kein Kollege, der eine exzentrische Erscheinungsform gewählt hat. Oder bei einem Ausflug ins ehemals verfeindete Prag, der in einer Golem-Geschichte natürlich nicht fehlt. Hier tritt ein naturalisierter britischer Untercover-Agent namens Harlekin auf, dessen unhygienische Ideen von Magie Nathanael naserümpfend ziemlich albern findet.
Wie bei Kollege Harry macht sich auch bei ihm die Pubertät bemerkbar, allerdings in erster Linie in Gestalt exaltierter Garderobe. Bartimäus mutmaßt boshaft in einer seiner berühmten Fußnoten, daß "trotz Rüschenhemden und wallender Mähne (oder vielleicht gerade deswegen)" noch keine nähere Bekanntschaft mit Mädchen stattgefunden habe - von dem blauen Auge, das ihm Kitty verpaßt, einmal abgesehen. Auf die Idee, ausführliche, gar realistische Beschreibungen der Pubertät eines Zauberers zu fordern, kommt man angesichts der dichtgepackten Handlung in Strouds Trilogie gar nicht erst. Auf der politischen Bühne ist zumindest in jener Welt doch mehr los als im Mikrokosmos eines Internats. Auch wenn Nathanael Kitty "eigentlich gar nicht so übel" findet.
ANNETTE ZERPNER
Jonathan Stroud: "Bartimäus - Das Auge des Golem". Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Orgaß und Gerald Jung. cbj Verlag, München 2004. 672 S., geb., 19,90 [Euro]. Ab 10 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einfallsreich und doppelbödig: Der zweite "Bartimäus"-Band
Bartimäus ist zurück. Was uns freut, macht ihn selbst fuchsteufelswild. Eigentlich hätte es der Dschinn ja besser wissen müssen mit seiner Lebenserfahrung von einigen tausend Jahren: Zauberern ist nicht zu trauen, niemals. Wenn sie deinen Namen kennen, bist du geliefert. Sie rufen dich wieder und wieder, denn ohne Beistand aus höheren Dimensionen sind sie genauso hilflos wie gewöhnliche Menschen. Der Nachwuchsmagier Nathanael ist kein Stück besser. Nach der heiklen Sache mit dem "Amulett von Samarkand" hat er Bartimäus zwar sein Wort gegeben, ihn nunmehr in Ruhe zu lassen. Dabei mag geholfen haben, daß der Dschinn als einziger nicht nur sein magisches Pseudonym, sondern auch seinen echten Vornamen kennt. Dadurch kann er sich rächen, sobald Nat bei einer Beschwörung den kleinsten Fehler macht.
Aber der junge Karrierist ist nicht umsonst ein allseits mißgünstig beobachteter Protegé der intriganten Zaubererelite, die ein britisches Empire regiert, in der es Mobiltelefone, Autos und eben Magie gibt. Er ist begabt, extrem ehrgeizig und schafft sich als Assistent der Sicherheitsministerin eine Menge Feinde. Als die Anschläge der Untergrundbewegung der rechtlosen "Gewöhnlichen" - Menschen ohne magische Fähigkeiten - große Zerstörung anrichten und von einer unbekannten magischen Kraft unterstützt zu werden scheinen, hofft mehr als ein Regierungsmitglied, daß die Leitung der Untersuchung Nathanael politisch und physisch den Kopf kostet. Er zögert nicht: Jetzt muß Bartimäus ran.
Erwartungsdruck lastet nicht nur auf Nat, sondern nach dem enormen Erfolg des ersten Bandes der Trilogie auch auf Autor Jonathan Stroud. Doch der begegnet ihm ohne magischen Beistand, britisch cool und pragmatisch. Zum Schreiben, erzählte er kürzlich bei einer Berliner Lesung, habe er ein kleines Büro gemietet und schwört auf übersichtliche Pläne zum Notieren von Fakten und Handlungssträngen. Nach getaner Arbeit hakt er sie dann ab, "very pleased with myself".
Die akribische Vorarbeit hat dem "Auge des Golem" gutgetan. Trotz der Erweiterung des Fokus von zwei auf drei Charaktere - Bartimäus, Nathanael und die "Gewöhnliche" Kitty, mit der Nat schon im ersten Band einen kurzen Zusammenstoß hatte - zerfasert die spannende Handlung nicht. Kittys Perspektive erlaubt es, noch genauer hinter die Kulissen des Zaubererstaats zu blicken als durch Bartimäus' Augen. Während er in seinen Kapiteln die bissige Abgeklärtheit eines Dschinn an den Tag legt, der schon alles gesehen hat, leidet Kitty unter genau jenem Kastensystem und Opportunismus, dessen Nutznießer Nathanael ist. Sie wird zur moralischen Instanz, mit der die Leser sich identifizieren können. Trotzdem läßt Stroud sie hilflos zusehen, wie die gerechte Verschwörung ihrer Gruppe scheitert, weniger an den Umständen als durch menschliche Schwächen. Es ist also noch lange nicht alles gut, und man darf bezweifeln, daß es das am Ende des dritten Bandes sein wird.
Doppelbödigkeit und Komplexität machen das "Auge des Golem" wie schon den ersten Band erst für Leser jenseits des Grundschulalters verdaulich. Dazu tragen makabere Szenen wie jene bei, in der sich ein durchgeknalltes, mordlüsternes Gerippe an Kittys Fersen heftet. Komische Szenen entstehen selbstverständlich auch wieder in Fülle, wenn Jonathan Stroud Hokuspokus und aufgeblasene moderne Regierungsstrukturen kombiniert. Zum Beispiel bei einer generalstabsmäßig organisierten, leider völlig aus dem Ruder laufenden Gruppenbeschwörung im Ministerium, während deren Bartimäus feststellt, daß auch er gegen Irrtümer nicht gefeit ist. Manchmal ist ein Schemel eben nur ein Schemel und kein Kollege, der eine exzentrische Erscheinungsform gewählt hat. Oder bei einem Ausflug ins ehemals verfeindete Prag, der in einer Golem-Geschichte natürlich nicht fehlt. Hier tritt ein naturalisierter britischer Untercover-Agent namens Harlekin auf, dessen unhygienische Ideen von Magie Nathanael naserümpfend ziemlich albern findet.
Wie bei Kollege Harry macht sich auch bei ihm die Pubertät bemerkbar, allerdings in erster Linie in Gestalt exaltierter Garderobe. Bartimäus mutmaßt boshaft in einer seiner berühmten Fußnoten, daß "trotz Rüschenhemden und wallender Mähne (oder vielleicht gerade deswegen)" noch keine nähere Bekanntschaft mit Mädchen stattgefunden habe - von dem blauen Auge, das ihm Kitty verpaßt, einmal abgesehen. Auf die Idee, ausführliche, gar realistische Beschreibungen der Pubertät eines Zauberers zu fordern, kommt man angesichts der dichtgepackten Handlung in Strouds Trilogie gar nicht erst. Auf der politischen Bühne ist zumindest in jener Welt doch mehr los als im Mikrokosmos eines Internats. Auch wenn Nathanael Kitty "eigentlich gar nicht so übel" findet.
ANNETTE ZERPNER
Jonathan Stroud: "Bartimäus - Das Auge des Golem". Aus dem Englischen übersetzt von Katharina Orgaß und Gerald Jung. cbj Verlag, München 2004. 672 S., geb., 19,90 [Euro]. Ab 10 J.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Gut unterhalten fühlt sich Rezensentin Sieglinde Geisel von diesem zweiten Buch der Bartimäus-Trilogie, die man als Gegenentwurf zu Harry Potter lesen könnte. Der ambitionierte Zauberlehrling Nathanael hat mittlerweile ein wenig Karriere gemacht und wird zunehmend unsympathischer. Diesmal wird er mit der Aufklärung einer Reihe von mysteriösen Terrorakten beauftragt. Zuweilen vermisst Geisel eine positiv besetzte Figur, mit der sich die jugendliche Leserschaft vergleichen könnte. Jonathan Stroud schenke seinen Lesern "keine bequeme Identifikationslektüre", sondern beschäftige sie mit "Ironie und Ambivalenz". Quasi als Entschädigung enthalte das Buch aber laut Geisel einen interessanten Subtext - und eine Menge Action: Und "wer will, kann die Bartimäus-Trilogie auch als Politthriller lesen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein unschlagbar liebenswert-böses Team. Stroud lässt auf jeder Seite Funken sprühen.« Bild am Sonntag
»Harry ist nicht mehr allein!« Bunte
"Mit Witz, Ironie und Tempo erzählt."