Vom Hand- bis zum Hubble-Teleskop 1996 ist es nur ein kosmischer Wimpernschlag, aber in diesem Augenblick befreit sich die Menschheit von Mythen und Märchen. Der Mensch hat sich ein göttliches Instrument gebaut, mit dem er die Sterne und, ohne es zu ahnen, sich selbst erforscht. Er erkennt sich selbst als genauen Beobachter, modernen Forscher, abenteuerlichen Revolutionär und gedemütigten Prometheus. Augenblicklich ist er sich seiner Winzigkeit, seiner unaufhebbaren Nichtigkeit bewußt. Ohne es zu wollen, entthront sich der Mensch durch seine Erfindung. Er ist nicht mehr die Krone, sondern höchstens noch ein Staubkörnchen der Schöpfung. Er entdeckt seine Anfänge und die Anfänge von allem, und er weiß bislang nur, daß er allein im Weltraum ist. Und doch, je tiefer wir heute in diese schiere Unendlichkeit blicken, und je mehr wir wissen, desto geheimnisvoller, desto magischer und unheimlicher wird das Weltall und seine Geschichte, die hier so pointiert wie noch nie erzählt wird.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.06.2001 Lesetipp zum Wochenende
Schnitzer im All
Ein Blick durchs Teleskop
auf die Geschichte der Welt
Das Weltall kann einen überfordern: Als Albert Einstein bei der Ausarbeitung seiner Allgemeinen Relativitätstheorie darauf kam, dass sich das Universum ausdehnt, da kam ihm das so absurd vor, dass er sich weigerte, an seine Resultate zu glauben. Und als der junge Alvy Singer in Woody Allens „Annie Hall” von der Expansion des Alls erfährt, wird er depressiv und sagt zum Kinderpsychologen: „Wozu denn dann noch Hausaufgaben?” Albert Einstein fügte nach längerem Grübeln in seine ansonsten recht stringenten Berechnungen einen frei erfundenen Faktor ein, die „kosmologische Konstante”, die das All wieder ins Lot, das heißt auf eine ewig gleiche Größe brachte. Das Universum scherte sich nicht drum, expandierte zügig weiter, und Einstein bezeichnete später seine anfänglichen Widerstände gegen die Schlussfolgerungen seiner eigenen Berechnung als „größten Schnitzer meines Lebens”. Aus Alvy Singer wurde der weltbekannte „Stadtneurotiker”.
Im 17. Jahrhundert verordnete man ‘kosmologische Konstanten’ noch per Dekret. Damals glich das Modell der Welt einer riesigen Babuschkapuppe, 50 Sphärenkugeln, in deren Mitte die Erde lag. Was aber seit Ptolemäus’ „Syntaxis mathematike” aus dem 2. Jahrhundert Geltung hatte, fiel plötzlich in sich zusammen, als Galileo Galilei am 30. November 1609 eine dieser Bleiröhren mit doppelter Linse, die seit einigen Monaten in Europa im Umlauf waren, in den Himmel richtete: Der Garten des florentinischen Mathematikers war der archimedische Punkt, von dem aus die Erde aus dem Zentrum der Welt gehebelt wurde. Und das Teleskop war der Hebel dazu. Die Kirche aber sagte, der Kosmos sei konstant geozentrisch und damit Amen.
Aus den Bleiröhren, mit denen Galilei die Monde des Jupiters entdeckte, wurden computergesteuerte Empfangsanlagen, und mit der Verfeinerung der Teleskope wurde aus dem heimeligen ptolemäischen Kugellager ein brodelndes, chaotisches Universum, ein All, das alleine im Januar 1996 um vierzig Milliarden Galaxien wuchs: Das Hubble-Teleskop wurde damals zehn Tage hintereinander auf ein und dieselbe Stelle im Weltall gerichtet um dort soviel Licht wie irgend möglich einzufangen. Die Astronomen der Hubble Deep Field - Forschungsgruppe verglichen ihr Vorgehen mit einer geologischen Bohrung: Wie in einem Bohrkern zeigte diese Aufnahme Schicht für Schicht einen winzigen Ausschnitt des Universums. Das winzige Loch, das Hubble in den Himmel gebohrt hatte, enthielt an die 2000 Galaxien – woraus geschlossen wurde, dass wir es nicht, wie bisher angenommen, nur mit 10 sondern mit etwa 50 Milliarden Galaxien zu tun haben.
Vielleicht wurde der amerikanische Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist Richard Panek ja von diesem Experiment zu seinem Buch über das Teleskop angeregt: Panek legt eine Tiefenbohrung durch die Wissenschaftsgeschichte, indem er anhand der Entwicklungsgeschichte eines Instruments die Geschichte des Alls und all der Weltmodelle erzählt, die einander seit der Antike abgelöst haben.Panek schafft es, diese Geschichte und die Rätsel der Astronomie selbst Lesern, die Quarks für etwas Essbares halten und bei Pulsaren eher auf Bluthochdruck als auf kollabierte Sterne tippen würden, fesselnd zu erklären.
Galilei, Einstein, Ptolemäus – Panek erzählt die Geschichte unseres Welt-Wissens anhand einiger Personen und ihrer Entdeckungen und bindet so die Geschehnisse in fernen Galaxien an die hermeneutischen Probleme, die den Astronomen durch ihr jeweiliges Weltbild Probleme bereiteten. Durch diese wissenschaftliche Innenperspektive staunt man mit, wenn Ende des 18. Jahrhunderts William Herschel plötzlich klar wird, dass er mit seinem Teleskop nicht nur in die Ferne, sondern auch in die Vergangenheit schaut. Und es wird verständlich, dass sich Einstein noch 150 Jahre später weigert, das Ende des Alls nicht im Raum sondern in der Zeit zu suchen.
alex
Richard Panek: Das Auge Gottes. Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit. Aus dem Amerikanischen von Dieter Zimmer. Klett-Cotta, Stuttgart, 2001. 197 Seiten, 31.50 Mark
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Schnitzer im All
Ein Blick durchs Teleskop
auf die Geschichte der Welt
Das Weltall kann einen überfordern: Als Albert Einstein bei der Ausarbeitung seiner Allgemeinen Relativitätstheorie darauf kam, dass sich das Universum ausdehnt, da kam ihm das so absurd vor, dass er sich weigerte, an seine Resultate zu glauben. Und als der junge Alvy Singer in Woody Allens „Annie Hall” von der Expansion des Alls erfährt, wird er depressiv und sagt zum Kinderpsychologen: „Wozu denn dann noch Hausaufgaben?” Albert Einstein fügte nach längerem Grübeln in seine ansonsten recht stringenten Berechnungen einen frei erfundenen Faktor ein, die „kosmologische Konstante”, die das All wieder ins Lot, das heißt auf eine ewig gleiche Größe brachte. Das Universum scherte sich nicht drum, expandierte zügig weiter, und Einstein bezeichnete später seine anfänglichen Widerstände gegen die Schlussfolgerungen seiner eigenen Berechnung als „größten Schnitzer meines Lebens”. Aus Alvy Singer wurde der weltbekannte „Stadtneurotiker”.
Im 17. Jahrhundert verordnete man ‘kosmologische Konstanten’ noch per Dekret. Damals glich das Modell der Welt einer riesigen Babuschkapuppe, 50 Sphärenkugeln, in deren Mitte die Erde lag. Was aber seit Ptolemäus’ „Syntaxis mathematike” aus dem 2. Jahrhundert Geltung hatte, fiel plötzlich in sich zusammen, als Galileo Galilei am 30. November 1609 eine dieser Bleiröhren mit doppelter Linse, die seit einigen Monaten in Europa im Umlauf waren, in den Himmel richtete: Der Garten des florentinischen Mathematikers war der archimedische Punkt, von dem aus die Erde aus dem Zentrum der Welt gehebelt wurde. Und das Teleskop war der Hebel dazu. Die Kirche aber sagte, der Kosmos sei konstant geozentrisch und damit Amen.
Aus den Bleiröhren, mit denen Galilei die Monde des Jupiters entdeckte, wurden computergesteuerte Empfangsanlagen, und mit der Verfeinerung der Teleskope wurde aus dem heimeligen ptolemäischen Kugellager ein brodelndes, chaotisches Universum, ein All, das alleine im Januar 1996 um vierzig Milliarden Galaxien wuchs: Das Hubble-Teleskop wurde damals zehn Tage hintereinander auf ein und dieselbe Stelle im Weltall gerichtet um dort soviel Licht wie irgend möglich einzufangen. Die Astronomen der Hubble Deep Field - Forschungsgruppe verglichen ihr Vorgehen mit einer geologischen Bohrung: Wie in einem Bohrkern zeigte diese Aufnahme Schicht für Schicht einen winzigen Ausschnitt des Universums. Das winzige Loch, das Hubble in den Himmel gebohrt hatte, enthielt an die 2000 Galaxien – woraus geschlossen wurde, dass wir es nicht, wie bisher angenommen, nur mit 10 sondern mit etwa 50 Milliarden Galaxien zu tun haben.
Vielleicht wurde der amerikanische Schriftsteller und Wissenschaftsjournalist Richard Panek ja von diesem Experiment zu seinem Buch über das Teleskop angeregt: Panek legt eine Tiefenbohrung durch die Wissenschaftsgeschichte, indem er anhand der Entwicklungsgeschichte eines Instruments die Geschichte des Alls und all der Weltmodelle erzählt, die einander seit der Antike abgelöst haben.Panek schafft es, diese Geschichte und die Rätsel der Astronomie selbst Lesern, die Quarks für etwas Essbares halten und bei Pulsaren eher auf Bluthochdruck als auf kollabierte Sterne tippen würden, fesselnd zu erklären.
Galilei, Einstein, Ptolemäus – Panek erzählt die Geschichte unseres Welt-Wissens anhand einiger Personen und ihrer Entdeckungen und bindet so die Geschehnisse in fernen Galaxien an die hermeneutischen Probleme, die den Astronomen durch ihr jeweiliges Weltbild Probleme bereiteten. Durch diese wissenschaftliche Innenperspektive staunt man mit, wenn Ende des 18. Jahrhunderts William Herschel plötzlich klar wird, dass er mit seinem Teleskop nicht nur in die Ferne, sondern auch in die Vergangenheit schaut. Und es wird verständlich, dass sich Einstein noch 150 Jahre später weigert, das Ende des Alls nicht im Raum sondern in der Zeit zu suchen.
alex
Richard Panek: Das Auge Gottes. Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit. Aus dem Amerikanischen von Dieter Zimmer. Klett-Cotta, Stuttgart, 2001. 197 Seiten, 31.50 Mark
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.05.2002Auch weiße Wollfädchen haben klein angefangen
Richard Panek erzählt die Geschichte des Teleskops als Geschichte des Universums
Alle Rezensenten sind Lügner. Sie flunkern aus Höflichkeit, aus Unsicherheit oder vielleicht auch mal, weil sie zum gleichen Klub wie der besprochene Autor gehören. Ein Leser mit ein wenig Lebenserfahrung weiß das natürlich und denkt sich seinen Teil. Manchmal, wenn die Sterne günstig stehen, kommt aber auch ein Buch mit der Post, bei dem der Rezensent nicht lügen muß. Das ist, wie wenn man völlig unerwartet am Bahnhof von Gösselstadt eine wunderbare Eisdiele entdeckt. Die Schlagsahne ist perfekt, im Hintergrund läuft "Twilight Time" von den Platters und die Bedienung hat genau die richtige Oberweite.
Anzuzeigen ist ein eher altmodisches Buch. Es hat einen schönen Schutzumschlag, das Papier hat genau den richtigen gelblichen Ton und man wird nicht von irritierenden Druckfehlern genervt. Im Impressum steht "Gesetzt aus der Minion von Offizin Wissenbach . . .". Nicht daß man wirklich wüßte, was die Minion ist, geschweige denn eine Offizin, aber schön ist sie schon, die Minion. Und zu einem Verlag, der auf seine Typographie stolz ist, faßt man gleich ein gewisses Vertrauen.
"Das Auge Gottes" von Richard Panek beschäftigt sich mit der Geschichte des Teleskops und wie es dazu beitrug, unser Wissen über das Universum zu mehren. Es richtet sich eher an den Durchschnittsleser, der sich nicht brennend für dieses Thema interessiert. Hinterher hat man das Gefühl, ordentlich informiert zu sein, und ärgert sich höchstens, daß man so lange ohne diese Kenntnisse auskommen mußte.
Die ersten Fernrohre waren wie die ersten Digitaluhren: mehr Anstrengung als Genuß. Ob das Fernrohr einen wohldefinierten Erfinder hat oder ob es durch graduelle Verbesserung entstand, weiß man wohl nicht so genau. Irgendwann am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war es in Holland plötzlich da. Galileo Galilei verwendete es für Beobachtungen des Sternenhimmels. Was er dabei sah, war nicht nur eine quantitative Verbesserung des bisher Bekannten. Er sah die Berge auf dem Mond. Die Planeten waren keine Lichtpunkte mehr wie die Fixsterne, sie waren massive Kugeln wie die Erde. Ein Mond war nicht mehr etwas Besonderes. Der Jupiter hatte auch einen. Damit war die Richtigkeit des heliozentrischen Systems von Kopernikus noch nicht bewiesen, aber doch wesentlich plausibler.
Johannes Kepler erfand das astronomische Fernrohr. Es vergrößerte besser, aber es stellte das Bild auf den Kopf. Man beobachtete damit sehr gut den Mond, doch für Voyeure eignete es sich weniger. 1655 konnte Huygens mit einem sieben Meter langen Exemplar die Ringe des Saturns erkennen. Im keplerschen Fernrohr konnte man auch ein Fadenkreuz einbauen und erstmalig präzise Messungen vornehmen. Kombiniert mit Isaak Newtons theoretischen Überlegungen zur Himmelsmechanik (1667), lieferte das bereits ein ganz brauchbares Bild unseres Sonnensystems.
Um unsere Milchstraße zu begreifen, brauchte man bessere Instrumente. 1721 stellte James Bradley das Spiegelteleskop vor. Noch nicht einmal damit konnte er die Entfernung eines Fixsternes bestimmen. Über hundert Jahre später fand endlich Friedrich Wilhelm Bessel mit einem verbesserten Linsenteleskop heraus, daß der Stern Nr. 61 des Sternbildes Schwan (61 Cygni) siebenundneunzig Billionen Kilometer von uns entfernt ist. Dazu beobachtete er ihn zweimal im Abstand von sechs Monaten. Da die Erde sich in dieser Zeit um den Durchmesser der Erdbahn bewegt hatte, konnte er eine winzige Verschiebung des Himmelskörpers messen.
Der nächste Schritt war die Kombination des Teleskops mit zwei weiteren Erfindungen. Die Fotografie half, die Beobachtungen des Himmels zu dokumentieren. Außerdem konnte man eine Platte sehr lange belichten und deshalb darauf auch feinste Einzelheiten entdecken. Mit einem Spektroskop ließ sich das Licht eines Objekts am Sternenhimmel in seine Bestandteile zerlegen. So unterschied man zum Beispiel Sternenhaufen von leuchtenden Gaswolken.
Um 1900 kannte man nur eine einzige Galaxis, die vor unserer Haustür. Theorien, daß die sogenannten Nebel weitere Galaxien waren, ernteten zunächst Spott und setzten sich nur langsam durch. Erst 1923/24 konnte Edwin Hubble nachweisen, daß der Andromeda-Nebel eine Million Lichtjahre von unserer Milchstraße entfernt ist.
Ein mysteriöses Rauschen störte 1932 die neueröffnete Fernsprechverbindung über den Atlantik. Karl Jansky fand heraus, daß die Intensität dieser Störungen im Sternbild des Schützen besonders groß war. In dieser Richtung liegt das Zentrum unserer Milchstraße. Diese Entdeckung war die Geburtsstunde der Radioastronomie. Wenn eine pfeifende Dampflokomotive an uns vorbeifährt, können wir mit geschlossenen Augen nur anhand der Tonhöhe entscheiden, wann sie beginnt, sich von uns zu entfernen. Mit einer analogen Überlegung kann man zeigen, daß die Sterne im Universum auseinanderfliegen. Eine mögliche Erklärung dafür bietet die Urknall-Theorie: Das Universum war winzig, als es entstand, und vergrößerte sich dann explosionsartig. Wenn man genauer nachrechnet, stellt man fest, daß von diesem Ereignis noch eine gewisse Hintergrundstrahlung übriggeblieben sein muß. Und genau diese Hintergrundstrahlung wurde 1964 von den Radio-Ingenieuren Arno Penzias und Robert Wilson gemessen.
Mit dem nach Edwin Hubble benannten Weltraumteleskop Hubble hat man 1996 Beobachtungen gemacht, die zu der Schätzung Anlaß gaben, daß das Universum 100 Milliarden Galaxien enthält. Zwei Jahre später behauptete ein Astronom, er habe an einer bestimmten Stelle des Himmels nichts gesehen. Vielleicht wäre das die größte Entdeckung in der Geschichte der Astronomie: nichts. Wenn seit dem Urknall x Jahre vergangen sind, dann kann man höchstens x Lichtjahre weit blicken. Die entferntesten Galaxien sehen wir nur als Babys. Das Teleskop ist eigentlich eine Zeitmaschine. Irgendwann beziehungsweise irgendwo ist Sense.
Soweit eine kleine Zusammenfassung des Buchs. Panek beschreibt die Geschichte des Teleskops ruhig, sachlich, einleuchtend wie der gute Lehrer, den man auf dem Gymnasium nicht hatte. Was will man mehr? Es gibt keine Illustrationen. Um ehrlich zu sein, vermißt man sie nicht sehr. Sterne sehen für uns Laien alle gleich aus. Eine Supernova im Andromeda-Nebel ist nur ein verwaschener Punkt. Eridanus gleicht einem Wollfädchen, das ein Kind verloren hat. Wichtiger wären vielleicht ein paar Schemazeichnungen von Teleskopen unterschiedlicher Bauart gewesen. Für Fotos von bärtigen Männern neben ziselierten Messingrohren ist das Kaffeetisch-Format eh besser geeignet.
ERNST HORST
Richard Panek: "Das Auge Gottes". Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit. Aus dem Amerikanischen von Dieter Zimmer. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 196 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richard Panek erzählt die Geschichte des Teleskops als Geschichte des Universums
Alle Rezensenten sind Lügner. Sie flunkern aus Höflichkeit, aus Unsicherheit oder vielleicht auch mal, weil sie zum gleichen Klub wie der besprochene Autor gehören. Ein Leser mit ein wenig Lebenserfahrung weiß das natürlich und denkt sich seinen Teil. Manchmal, wenn die Sterne günstig stehen, kommt aber auch ein Buch mit der Post, bei dem der Rezensent nicht lügen muß. Das ist, wie wenn man völlig unerwartet am Bahnhof von Gösselstadt eine wunderbare Eisdiele entdeckt. Die Schlagsahne ist perfekt, im Hintergrund läuft "Twilight Time" von den Platters und die Bedienung hat genau die richtige Oberweite.
Anzuzeigen ist ein eher altmodisches Buch. Es hat einen schönen Schutzumschlag, das Papier hat genau den richtigen gelblichen Ton und man wird nicht von irritierenden Druckfehlern genervt. Im Impressum steht "Gesetzt aus der Minion von Offizin Wissenbach . . .". Nicht daß man wirklich wüßte, was die Minion ist, geschweige denn eine Offizin, aber schön ist sie schon, die Minion. Und zu einem Verlag, der auf seine Typographie stolz ist, faßt man gleich ein gewisses Vertrauen.
"Das Auge Gottes" von Richard Panek beschäftigt sich mit der Geschichte des Teleskops und wie es dazu beitrug, unser Wissen über das Universum zu mehren. Es richtet sich eher an den Durchschnittsleser, der sich nicht brennend für dieses Thema interessiert. Hinterher hat man das Gefühl, ordentlich informiert zu sein, und ärgert sich höchstens, daß man so lange ohne diese Kenntnisse auskommen mußte.
Die ersten Fernrohre waren wie die ersten Digitaluhren: mehr Anstrengung als Genuß. Ob das Fernrohr einen wohldefinierten Erfinder hat oder ob es durch graduelle Verbesserung entstand, weiß man wohl nicht so genau. Irgendwann am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts war es in Holland plötzlich da. Galileo Galilei verwendete es für Beobachtungen des Sternenhimmels. Was er dabei sah, war nicht nur eine quantitative Verbesserung des bisher Bekannten. Er sah die Berge auf dem Mond. Die Planeten waren keine Lichtpunkte mehr wie die Fixsterne, sie waren massive Kugeln wie die Erde. Ein Mond war nicht mehr etwas Besonderes. Der Jupiter hatte auch einen. Damit war die Richtigkeit des heliozentrischen Systems von Kopernikus noch nicht bewiesen, aber doch wesentlich plausibler.
Johannes Kepler erfand das astronomische Fernrohr. Es vergrößerte besser, aber es stellte das Bild auf den Kopf. Man beobachtete damit sehr gut den Mond, doch für Voyeure eignete es sich weniger. 1655 konnte Huygens mit einem sieben Meter langen Exemplar die Ringe des Saturns erkennen. Im keplerschen Fernrohr konnte man auch ein Fadenkreuz einbauen und erstmalig präzise Messungen vornehmen. Kombiniert mit Isaak Newtons theoretischen Überlegungen zur Himmelsmechanik (1667), lieferte das bereits ein ganz brauchbares Bild unseres Sonnensystems.
Um unsere Milchstraße zu begreifen, brauchte man bessere Instrumente. 1721 stellte James Bradley das Spiegelteleskop vor. Noch nicht einmal damit konnte er die Entfernung eines Fixsternes bestimmen. Über hundert Jahre später fand endlich Friedrich Wilhelm Bessel mit einem verbesserten Linsenteleskop heraus, daß der Stern Nr. 61 des Sternbildes Schwan (61 Cygni) siebenundneunzig Billionen Kilometer von uns entfernt ist. Dazu beobachtete er ihn zweimal im Abstand von sechs Monaten. Da die Erde sich in dieser Zeit um den Durchmesser der Erdbahn bewegt hatte, konnte er eine winzige Verschiebung des Himmelskörpers messen.
Der nächste Schritt war die Kombination des Teleskops mit zwei weiteren Erfindungen. Die Fotografie half, die Beobachtungen des Himmels zu dokumentieren. Außerdem konnte man eine Platte sehr lange belichten und deshalb darauf auch feinste Einzelheiten entdecken. Mit einem Spektroskop ließ sich das Licht eines Objekts am Sternenhimmel in seine Bestandteile zerlegen. So unterschied man zum Beispiel Sternenhaufen von leuchtenden Gaswolken.
Um 1900 kannte man nur eine einzige Galaxis, die vor unserer Haustür. Theorien, daß die sogenannten Nebel weitere Galaxien waren, ernteten zunächst Spott und setzten sich nur langsam durch. Erst 1923/24 konnte Edwin Hubble nachweisen, daß der Andromeda-Nebel eine Million Lichtjahre von unserer Milchstraße entfernt ist.
Ein mysteriöses Rauschen störte 1932 die neueröffnete Fernsprechverbindung über den Atlantik. Karl Jansky fand heraus, daß die Intensität dieser Störungen im Sternbild des Schützen besonders groß war. In dieser Richtung liegt das Zentrum unserer Milchstraße. Diese Entdeckung war die Geburtsstunde der Radioastronomie. Wenn eine pfeifende Dampflokomotive an uns vorbeifährt, können wir mit geschlossenen Augen nur anhand der Tonhöhe entscheiden, wann sie beginnt, sich von uns zu entfernen. Mit einer analogen Überlegung kann man zeigen, daß die Sterne im Universum auseinanderfliegen. Eine mögliche Erklärung dafür bietet die Urknall-Theorie: Das Universum war winzig, als es entstand, und vergrößerte sich dann explosionsartig. Wenn man genauer nachrechnet, stellt man fest, daß von diesem Ereignis noch eine gewisse Hintergrundstrahlung übriggeblieben sein muß. Und genau diese Hintergrundstrahlung wurde 1964 von den Radio-Ingenieuren Arno Penzias und Robert Wilson gemessen.
Mit dem nach Edwin Hubble benannten Weltraumteleskop Hubble hat man 1996 Beobachtungen gemacht, die zu der Schätzung Anlaß gaben, daß das Universum 100 Milliarden Galaxien enthält. Zwei Jahre später behauptete ein Astronom, er habe an einer bestimmten Stelle des Himmels nichts gesehen. Vielleicht wäre das die größte Entdeckung in der Geschichte der Astronomie: nichts. Wenn seit dem Urknall x Jahre vergangen sind, dann kann man höchstens x Lichtjahre weit blicken. Die entferntesten Galaxien sehen wir nur als Babys. Das Teleskop ist eigentlich eine Zeitmaschine. Irgendwann beziehungsweise irgendwo ist Sense.
Soweit eine kleine Zusammenfassung des Buchs. Panek beschreibt die Geschichte des Teleskops ruhig, sachlich, einleuchtend wie der gute Lehrer, den man auf dem Gymnasium nicht hatte. Was will man mehr? Es gibt keine Illustrationen. Um ehrlich zu sein, vermißt man sie nicht sehr. Sterne sehen für uns Laien alle gleich aus. Eine Supernova im Andromeda-Nebel ist nur ein verwaschener Punkt. Eridanus gleicht einem Wollfädchen, das ein Kind verloren hat. Wichtiger wären vielleicht ein paar Schemazeichnungen von Teleskopen unterschiedlicher Bauart gewesen. Für Fotos von bärtigen Männern neben ziselierten Messingrohren ist das Kaffeetisch-Format eh besser geeignet.
ERNST HORST
Richard Panek: "Das Auge Gottes". Das Teleskop und die lange Entdeckung der Unendlichkeit. Aus dem Amerikanischen von Dieter Zimmer. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2001. 196 S., geb., 16,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Fasziniert ist der Rezensent mit dem Kürzel alex von diesem Buch, das sich der Geschichte des Teleskops und der unterschiedlichen Welt- und Weltraummodelle widmet, die es in den verschiedenen Erkenntnisstadien gab. Das Ergebnis nennt er "eine Tiefenbohrung durch die Wissenschaftsgeschichte". Dabei bleibt der Autor Richard Panek allgemeinverständlich und schafft es, selbst Lesern, die von Astronomie keine Ahnung haben, einen spannenden Einblick zu verschaffen, findet der Rezensent. Darüber hinaus streife Panek noch auf interessante Weise die Wissenschaftstheorien und Weltbilder, die Forschern wie Galilei und Einstein zu ihrer Zeit Probleme bereiteten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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