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Produktdetails
  • Verlag: Spohr
  • ISBN-13: 9783927606302
  • Artikelnr.: 12937703
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2015

Der Mann, den sie für Jesus hielten und ans Kreuz schlugen
Muslimen ist es teuer, Christen gilt es als Fälschung: Das Barnabas-Evangelium gibt immer noch Rätsel auf, aber reizvoll ist die Lektüre jedenfalls

Die apokryphen Evangelien, überhaupt religiöse Zeugnisse der Antike - beispielsweise die Schriftrollen von Qumran -, genießen eine große Popularität. Nicht nur Wissenschaftler, auch gläubige und ungläubige Laien sind fasziniert von den religionsgeschichtlichen Zusammenhängen, die durch die Erforschung von Urkunden erhellt werden, die von der Kirche nicht wie die vier klassischen Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes kanonisiert wurden.

Freilich bieten sowohl die Qumran-Texte und ihr Umfeld wie auch die apokryphen gnostischen Evangelien, die ziemlich genau zur selben Zeit in Ägypten in Nag Hammadi entdeckt wurden, immer wieder Anlass für sensationsheischende Verschwörungstheorien; sie sind ein Tummelplatz für all jene, die Jesus unbedingt zum Essener machen wollen oder die als Kirchen- und Religionskritiker überall "Verschwörungen" und "Verschlusssachen" wittern. So hat der Romancier Dan Brown einen Weltbestseller ("Das Sakrileg") geschrieben mit der Behauptung, Maria Magdalena sei Jesu Ehefrau gewesen und habe mit ihm Nachkommen gehabt, die Kirche verschweige das "natürlich". Hundert Millionen Leser und Käufer können nicht irren, wohl aber die Bibel-Fachleute, die Browns Thesen als haltlos erwiesen haben.

Die wissenschaftliche Erforschung heiliger Schriften ergibt aber oft faszinierende Einblicke in die Landschaft der nicht selten auch subjektiven religiösen Überlieferungen. Religionen, gerade auch in ihren frühen Phasen, haben eine Geschichte, in der sich theologische Diskussionen, doch auch recht weltliche Bestrebungen widerspiegeln können.

Zum dritten Mal neu aufgelegt wurde jetzt vom Spohr-Verlag, der vornehmlich muslimische Autoren publiziert, das erstmals im Jahre 1994 auf Deutsch erschienene Barnabas-Evangelium. Es bezieht sich auf den Apostel Barnabas, dessen Grab man in der Nähe der antiken Stadt Salamis im Norden Zyperns, nur wenige Schritte vom Barnabas-Kloster entfernt, besuchen kann.

Um es vorweg zu sagen: In der Wissenschaft ist die Authentizität dieses apokryphen Evangeliums bis heute umstritten. Auch die der jetzigen Ausgabe vom Verlag beigegebene Einführung, in der Autoritäten wie Henri Corbin, Hans-Joachim Schoeps und andere angeführt werden, schafft keine endgültige Klarheit. Die dort vorgelegte "Spurensuche" beruft sich insgesamt doch auf ziemlich unsicher zu interpretierende Überlieferungen wie die Barnabasakten, den Codex Barocci 39 und andere "Hinweise", auf das Hebräer-Evangelium (Ebioniten- und Nazaräer-Evangelium), die zwar nach Auffassung etlicher Forscher vielleicht eine "reale Möglichkeit", doch keinen zwingenden Beleg für ein authentisches Barnabas-Evangelium geben.

Von einer antiken Fassung etwa aus dem ersten oder dem Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts in einer der Sprachen des antiken Vorderasiens, Aramäisch etwa oder Griechisch, ist nichts wirklich Verlässliches bekannt. Freilich heißt dies nicht, dass nicht eines Tages von der Archäologie oder Bibelforschung etwas Grundstürzendes entdeckt werden könnte. Tabus sollte es nicht geben. Die Behauptung aber, dass sich die vier kanonischen Evangelien (das früheste, Markus, entstand schon 70 nach Christus) am Barnabas-Evangelium messen müssten, ist und bleibt kühn.

Der hier publizierte Text ist auf Italienisch überliefert, erstmals 1907 von zwei Mitgliedern der anglikanischen Kirche, also Christen, ins Englische übersetzt worden, es soll auch zwei spanische Fassungen aus dem achtzehnten Jahrhundert geben; manche nichtmuslimische Forscher wie die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher gehen davon aus, dass es sich möglicherweise um ein Werk allenfalls aus der Zeit zwischen dem vierzehnten und sechzehnten Jahrhundert handelt. Die Hintergründe sind hochspekulativ. Der gelehrte Streit wird weitergehen.

Am entschiedensten wird die Authentizität dieses Evangeliums von muslimischen Gelehrten oder Apologeten des Islams verteidigt - mit gutem Grund. Es wurde schon 1908 ins Arabische übersetzt. Denn es enthält neben jüdischen/judenchristlichen und christlichen auch "muslimische" Elemente. Mohammed, der Prophet des Islams, trat unter anderem mit der Rechtfertigung auf, Juden und Christen hätten ihre Schriften verfälscht, so dass der wahre Monotheismus durch die koranische Offenbarung, in der Gott selbst über den Erzengel Gabriel gesprochen habe, wiederhergestellt werde.

Und früh beschäftigten sich Muslime mit Fragen der Christologie: Was christliche und islamische Monotheisten am meisten voneinander trennt, sind die christliche Lehre von der Trinität (Dreifaltigkeit) und die christliche Auffassung von Jesu Gottessohnschaft (Inkarnation). In diesem Barnabas-Evangelium bekennt Jesus seine "Menschennatur" nach Art der frühchristlichen Gruppe der Arianer (und nach dem Koran, Sure 112, Verse 3/4 "zeugt Gott nicht und wurde nicht gezeugt, und keiner ist Ihm gleich"). Auch Jesu Kreuzigung und Auferstehung, die nach dem bekannten Wort des heiligen Paulus den Kern des christlichen Glaubens ausmachen, werden anders gedeutet.

Im Barnabas-Evangelium steht zu lesen, dass man Jesus gar nicht gekreuzigt habe, sondern den Judas Ischariot, "den man für Jesus gehalten habe". Das ist Sprengstoff, denn der Koran leugnet in Sure 4, 157-158 ebenfalls Jesu Kreuzigung. Es heißt dort: "Sie töteten ihn nicht, sondern es erschien ihnen nur so." Religionswissenschaftler stellen da unter anderem auf die in der Spätantike verbreitete Lehre des Doketismus ab, der spirituellen Vorstellung von einem "Scheinleib", den jemand annehmen kann.

So versteht man, dass Muslime dazu neigen, geraden in diesem Barnabas-Evangelium das "wahre Evangelium" (indschil) zu sehen, und es immer wieder für antichristliche Polemiken herangezogen haben. Die christliche, antiislamische Polemik ließ nicht auf sich warten. Der Vorwurf der Fälschung konnte nicht ausbleiben. So hieß es, möglicherweise habe ein konvertierter Muslim es im Ausgang des Mittelalters verfasst, um der spanischen Inquisition, der er entronnen war, zu schaden.

Ursprung und Hintergründe dieses Textes bleiben also letztlich unklar, was die Lektüre nicht weniger reizvoll macht - als Ausdruck des religiösen Bedürfnisses der Menschen, das um Fragen eines höchsten Sinns der Welt und der Erlösung durch einen Retter kreist. Wenn solche Publikationen in diesem Geist gelesen werden, können sie als Bereicherung religiösen Suchens angesehen werden; leider sind sie allzu häufig Ausgangspunkt von Rechthaberei und Polemik. Von Letzterer ist dieses Buch Gott sei Dank frei.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Safiyya M. Linges (Hrsg.): "Das Barnabas Evangelium". Spohr Publishers, Lympia Lefkosia 2014. 319 S., geb., 24,90 [Euro].

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