Eine Auswahl aus dem Werk Anlässlich des 125. Geburtstags von Gottfried Benn erscheinen fünf Paperbacks, die einen guten Einstieg und Überblick in und über sein Werk ermöglichen.
Sie beinhalten die Gedichtbände "Trunkene Flut" und "Statische Gedichte", die späten Reden und Vorträge zu den "Problemen der Lyrik", die unter dem Titel "Doppelleben" erschienenen Selbstdarstellungen sowie die Novelle "Der Ptolemäer".
Mit Vorworten von Michael Lentz, Durs Grünbein, Uwe Tellkamp, Gerhard Falkner und Ulrike Draesner.
Sie beinhalten die Gedichtbände "Trunkene Flut" und "Statische Gedichte", die späten Reden und Vorträge zu den "Problemen der Lyrik", die unter dem Titel "Doppelleben" erschienenen Selbstdarstellungen sowie die Novelle "Der Ptolemäer".
Mit Vorworten von Michael Lentz, Durs Grünbein, Uwe Tellkamp, Gerhard Falkner und Ulrike Draesner.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2011Artist mit der kleinen Hand
Eine fünfbändige Kassette zum 125. Geburtstag des Dichters verspricht „Das Beste von Benn“
Am 2. Mai 1886 wurde Gottfried Benn geboren. Seinen 125. Geburtstag wollte sein gegenwärtiger Verlag, Klett-Cotta, nicht ungenutzt verstreichen lassen. So hat er aus den Benn-Beständen eine neue Auswahl zusammengestellt: „Das Beste von Benn“. Es ist Mai, aber das „Das Beste von Benn“ erinnert an die Vorweihnachtszeit, wenn auf den Speisekarten „Das Beste von der Ente“ (oder Gans) angeboten wird. Da weiß man, was kommt. Aber was ist das Beste von Benn? Und ist „das Beste“ in diesem Fall eine Empfehlung? Das Reklamehafte des Titels ist nicht das Problem, Benn hatte nichts gegen Reklame. Eher stört die „Erwirb es, um es zu besitzen“-Geste, die Abgeschlossenheits-Behauptung. Das Beste von Benn – mehr braucht man nicht!
Aber so ist es nicht, ganz entschieden nicht. Die jüngste Ausgabe hat sich entschlossen, Publikationen aus Benns Lebzeiten zu folgen. Zwei Gedicht-Bände, die „Statischen Gedichte“ (1948) und die Auswahl „Trunkene Flut“ von 1952 werden geboten. Die späten Gedichte aus den „Destillationen“ und „Aprèslude“ fehlen. Aber wer will darauf verzichten?
Warum hat man sich nicht für die große, von Benn selbst getroffene Auswahl (1956) entschieden? Und dürfen die Gedichte aus dem Nachlass ihrem mit realistisch-saloppen Ton fehlen, etwas wie „Alter Kellner“, „Was meinte Luther mit dem Apfelbaum?“, „Hör zu“? Will man nicht wenigstens die Gedichte vollständig beisammen haben?
Die Auswahl setzt auf einen Werkbegriff, der Benn fremd war. Neben den erwähnten Lyrikbänden bringt sie die erzählenden Texte „Weinhaus Wolf“, „Roman des Phänotyps“, „Der Polemäer“, die autobiographischen Texte „Lebensweg eines Intellektualisten“ und „Doppelleben“ und schließlich „Probleme der Lyrik“, „Altern als Problem für Künstler“, „Soll die Dichtung das Leben bessern?“ Alles von Bedeutung, aber nicht alles, was von Bedeutung ist. Was soll eine Benn-Ausgabe ohne die Rönne-Texte, ohne „Kunst und Drittes Reich“, ohne „Zum Thema Geschichte“?
Es ist immer misslich, einer Anthologie das Fehlende vorzurechnen. Hier aber liegen die Dinge anders. Benn ist nicht der Mann abgeschlossener Werke. „Dort wie hier Bruchstücke, Reflexe; wer Synthese sagt, ist schon gebrochen“, heißt es im „Ptolemäer“; und im „Roman des Phänotyps“: „Wer Dauer wünscht, stilisiere nicht auf Ewig, sondern auf à propos“. Das Unbehangen an seinen größeren Texten, das Benn dem Brieffreund Oelze gegenüber äußerte, muss mehr gewesen sein als affektierte Bescheidenheit. Die Form lag ihm nicht: er war kein „prima Epiker“. Das Gedicht „Chopin“ endet: „Nie eine Oper komponiert,/ keine Symphonie,/ nur diese tragischen Progressionen/ aus artistischer Überzeugung/ und mit einer kleinen Hand.“ Auch bei Benn muss man darauf achten, was aus der kleinen Hand kommt. Mit Benns Bestem kommt man nicht weit.
Und was bieten die Essays, die jeden der fünf schmalen Bände eröffnen? Der Verlag hat junge prominente Autoren gefunden, aber nur zwei von ihnen haben sich die Sache geistig etwas kosten lassen. Michael Lentz ist in der Einleitung zur „Trunkene Flut“ in die Details gegangen, Gerhard Falkner hat sich ernsthaft mit Benns poetologischem Denken und seinen vielen Inkonsequenzen befasst, er hat aus eigener dichterischer Arbeit etwas zu sagen. Uwe Tellkamp zu den erzählenden Texten und vor allem Ulrike Draesner zu den autobiographischen Schriften wirken nur sehr flüchtig orientiert. Und Durs Grünbein zu den „Statischen Gedichten“ ist, übrigens auch im Ausdruck, weniger lässig als nachlässig. Er trägt vor, was im Kommentar der Stuttgarter Ausgabe längst griffbereit ist. Und was er aus Eigenem hinzufügt, sind Einsichten wie diese: „Einen Dichter liest man am besten Zeile für Zeile.“
STEPHAN SPEICHER
DAS BESTE VON BENN. Fünf Bände, mit Vorworten von Michael Lentz, Durs Grünbein, Uwe Tellkamp, Gerhard Falkner und Ulrike Draesner. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2011. Zusammen 792 Seiten, 35 Euro.
„Wer Dauer wünscht,
stilisiere nicht auf Ewig,
sondern auf à propos“
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Eine fünfbändige Kassette zum 125. Geburtstag des Dichters verspricht „Das Beste von Benn“
Am 2. Mai 1886 wurde Gottfried Benn geboren. Seinen 125. Geburtstag wollte sein gegenwärtiger Verlag, Klett-Cotta, nicht ungenutzt verstreichen lassen. So hat er aus den Benn-Beständen eine neue Auswahl zusammengestellt: „Das Beste von Benn“. Es ist Mai, aber das „Das Beste von Benn“ erinnert an die Vorweihnachtszeit, wenn auf den Speisekarten „Das Beste von der Ente“ (oder Gans) angeboten wird. Da weiß man, was kommt. Aber was ist das Beste von Benn? Und ist „das Beste“ in diesem Fall eine Empfehlung? Das Reklamehafte des Titels ist nicht das Problem, Benn hatte nichts gegen Reklame. Eher stört die „Erwirb es, um es zu besitzen“-Geste, die Abgeschlossenheits-Behauptung. Das Beste von Benn – mehr braucht man nicht!
Aber so ist es nicht, ganz entschieden nicht. Die jüngste Ausgabe hat sich entschlossen, Publikationen aus Benns Lebzeiten zu folgen. Zwei Gedicht-Bände, die „Statischen Gedichte“ (1948) und die Auswahl „Trunkene Flut“ von 1952 werden geboten. Die späten Gedichte aus den „Destillationen“ und „Aprèslude“ fehlen. Aber wer will darauf verzichten?
Warum hat man sich nicht für die große, von Benn selbst getroffene Auswahl (1956) entschieden? Und dürfen die Gedichte aus dem Nachlass ihrem mit realistisch-saloppen Ton fehlen, etwas wie „Alter Kellner“, „Was meinte Luther mit dem Apfelbaum?“, „Hör zu“? Will man nicht wenigstens die Gedichte vollständig beisammen haben?
Die Auswahl setzt auf einen Werkbegriff, der Benn fremd war. Neben den erwähnten Lyrikbänden bringt sie die erzählenden Texte „Weinhaus Wolf“, „Roman des Phänotyps“, „Der Polemäer“, die autobiographischen Texte „Lebensweg eines Intellektualisten“ und „Doppelleben“ und schließlich „Probleme der Lyrik“, „Altern als Problem für Künstler“, „Soll die Dichtung das Leben bessern?“ Alles von Bedeutung, aber nicht alles, was von Bedeutung ist. Was soll eine Benn-Ausgabe ohne die Rönne-Texte, ohne „Kunst und Drittes Reich“, ohne „Zum Thema Geschichte“?
Es ist immer misslich, einer Anthologie das Fehlende vorzurechnen. Hier aber liegen die Dinge anders. Benn ist nicht der Mann abgeschlossener Werke. „Dort wie hier Bruchstücke, Reflexe; wer Synthese sagt, ist schon gebrochen“, heißt es im „Ptolemäer“; und im „Roman des Phänotyps“: „Wer Dauer wünscht, stilisiere nicht auf Ewig, sondern auf à propos“. Das Unbehangen an seinen größeren Texten, das Benn dem Brieffreund Oelze gegenüber äußerte, muss mehr gewesen sein als affektierte Bescheidenheit. Die Form lag ihm nicht: er war kein „prima Epiker“. Das Gedicht „Chopin“ endet: „Nie eine Oper komponiert,/ keine Symphonie,/ nur diese tragischen Progressionen/ aus artistischer Überzeugung/ und mit einer kleinen Hand.“ Auch bei Benn muss man darauf achten, was aus der kleinen Hand kommt. Mit Benns Bestem kommt man nicht weit.
Und was bieten die Essays, die jeden der fünf schmalen Bände eröffnen? Der Verlag hat junge prominente Autoren gefunden, aber nur zwei von ihnen haben sich die Sache geistig etwas kosten lassen. Michael Lentz ist in der Einleitung zur „Trunkene Flut“ in die Details gegangen, Gerhard Falkner hat sich ernsthaft mit Benns poetologischem Denken und seinen vielen Inkonsequenzen befasst, er hat aus eigener dichterischer Arbeit etwas zu sagen. Uwe Tellkamp zu den erzählenden Texten und vor allem Ulrike Draesner zu den autobiographischen Schriften wirken nur sehr flüchtig orientiert. Und Durs Grünbein zu den „Statischen Gedichten“ ist, übrigens auch im Ausdruck, weniger lässig als nachlässig. Er trägt vor, was im Kommentar der Stuttgarter Ausgabe längst griffbereit ist. Und was er aus Eigenem hinzufügt, sind Einsichten wie diese: „Einen Dichter liest man am besten Zeile für Zeile.“
STEPHAN SPEICHER
DAS BESTE VON BENN. Fünf Bände, mit Vorworten von Michael Lentz, Durs Grünbein, Uwe Tellkamp, Gerhard Falkner und Ulrike Draesner. Klett Cotta Verlag, Stuttgart 2011. Zusammen 792 Seiten, 35 Euro.
„Wer Dauer wünscht,
stilisiere nicht auf Ewig,
sondern auf à propos“
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nein, so geht das nicht, meint Stephan Speicher. Ein "Best of Benn", wie ihn der Verlag uns zum 125. Geburtstag des Dichters vorgaukeln will, ist für ihn ein Widerspruch in sich, schlicht unmöglich. Speicher kann die Abgeschlossenheitsbehauptung nicht ausstehen, nicht bei Benn, nicht so. Soll er auf die späten Gedichte aus den "Destillationen" verzichten, auf jene aus dem Nachlass und die Rönne-Texte? Niemals. Und dann die einleitenden Dichter-Essays. Speicher nimmt ihnen ihr Engagement nicht ab. Nur Michael Lentz und Gerhard Falkner bescheinigt er eine ernsthafte Beschäftigung mit ihrem Thema. Ulrike Draesner, Uwe Tellkamp und Durs Grünbein wirft er Nachlässigkeit vor. Der Rezensent hätte Benn sicher eine andere Geburtstagssammlung gewünscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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