Pablo José Miralles, genannt »Balu«, ist faul, politisch unkorrekt, Haschraucher, Mittdreißiger ohne erkennbare Ambitionen. Seine Lieblingsbeschäftigung: sich die Nächte um die Ohren schlagen. Im Hauptberuf ist er Sohn betuchter Eltern aus bester katalanischer Bourgeoisie. Als sein älterer Bruder, genannt »The First«, Chef der prosperierenden Firma »Miralles und Miralles«, eines Tages spurlos verschwindet, gerät Pablos Leben aus den Fugen. Eine absurde, groteske, zum Schreien komische Geschichte beginnt, eine höllische Reise voller abgefahrener Erlebnisse und unmöglicher Verstrickungen, die sich atemlos bis zum Ende in immer rasenderem Tempo aneinander reihen.ndwie ein realistisches Abbild unserer Zeit.
Pablo Tusset zieht mit seinem unvergleichlichen Antihelden alle Register eines Detektivromans und erfindet dabei mit einem Augenzwinkern das klassische Genre neu, indem er dem Leser, der das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, in seinen schnellen Rhythmus hineinzieht und ihm diesen atemberaubenden Roman über "Die Stadt der Wunder", über das wundervolle Barcelona schenkt.
Frédéric Beigbeder:
"Tusset ist das Beste, was einem Kritiker passieren kann. Manchmal bekomme ich ein Buch in die Hand, das ich nicht mehr weglegen kann. Dann wird meine Arbeit als Kritiker zum Vergnügen. Dann blättere ich schnurrend durch die Seiten (ja, ich bin wohl der einzige Literaturkritiker, der schnurrt, wenn er glücklich ist, das ist meine Katzenseele) ... Wie soll man die Abenteuer des Helden dieses Romans, dieses Riesenbabys beschreiben, dem keine Abenteuer passieren. Sein Spitzname ist Balu, so wie der Bär aus dem Dschungelbuch, ein harmloser Alkoholiker in den Dreißigern, ein Nichtsnutz, sexuell besessen und ansonsten Sohn von Papa. Einer wie Dude aus dem Film "The Big Lebowski" von den Brüdern Coen, mit etwas mehr Geld allerdings. Unser Held nimmt uns mit auf eine Reise durch die Nacht in Barcelona, wo wir auf geizige Barmänner, müde Prostituierte und seinen älteren Bruder treffen, genannt: The First. Genauer gesagt ist der Bruder gerade verschwunden. Ich beneide Pablo Tusset, diesen jungen Autor aus Barcelona, wie gern hätte ich selbst so ein obskures und abgedrehtes Buch geschrieben, so urkomisch und völlig daneben. Wie Bukowski, wenn er seinen Jack Daniels gegen Joints eingetauscht hätte."
Pablo Tusset zieht mit seinem unvergleichlichen Antihelden alle Register eines Detektivromans und erfindet dabei mit einem Augenzwinkern das klassische Genre neu, indem er dem Leser, der das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann, in seinen schnellen Rhythmus hineinzieht und ihm diesen atemberaubenden Roman über "Die Stadt der Wunder", über das wundervolle Barcelona schenkt.
Frédéric Beigbeder:
"Tusset ist das Beste, was einem Kritiker passieren kann. Manchmal bekomme ich ein Buch in die Hand, das ich nicht mehr weglegen kann. Dann wird meine Arbeit als Kritiker zum Vergnügen. Dann blättere ich schnurrend durch die Seiten (ja, ich bin wohl der einzige Literaturkritiker, der schnurrt, wenn er glücklich ist, das ist meine Katzenseele) ... Wie soll man die Abenteuer des Helden dieses Romans, dieses Riesenbabys beschreiben, dem keine Abenteuer passieren. Sein Spitzname ist Balu, so wie der Bär aus dem Dschungelbuch, ein harmloser Alkoholiker in den Dreißigern, ein Nichtsnutz, sexuell besessen und ansonsten Sohn von Papa. Einer wie Dude aus dem Film "The Big Lebowski" von den Brüdern Coen, mit etwas mehr Geld allerdings. Unser Held nimmt uns mit auf eine Reise durch die Nacht in Barcelona, wo wir auf geizige Barmänner, müde Prostituierte und seinen älteren Bruder treffen, genannt: The First. Genauer gesagt ist der Bruder gerade verschwunden. Ich beneide Pablo Tusset, diesen jungen Autor aus Barcelona, wie gern hätte ich selbst so ein obskures und abgedrehtes Buch geschrieben, so urkomisch und völlig daneben. Wie Bukowski, wenn er seinen Jack Daniels gegen Joints eingetauscht hätte."
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003Im Club des Rotgelichters
Sex, Crime, Metaphysik in Pablo Tussets Croissant-Groteske
Kann es zotige Eleganz geben? Charmanten Machismo? Dumme Detektive? Sind diese äußerst seltenen Kreuzungen einmal geglückt, hat man eine literarische Multifunktionsmaschine vor sich, die Kriminalroman, Gesellschaftssatire und philosophische Kalauer mit stilistischem Schwung zu verbinden weiß. Dem spanischen Schriftsteller Pablo Tusset ist mit seinem ersten Roman eine Kombination gelungen, an der viele Debütanten scheitern, denn oft erweist sich das derb-rustikale Register als formale und inhaltliche Notlösung. „Das Beste was einem Croissant passieren kann” dagegen macht die Schnoddrigkeit seines Antihelden zu einem Programm, das sich nach und nach als philosophisches Regelwerk, als Lob der inneren Gelassenheit in hedonistischer Tradition entpuppt.
Das Beste, was einem Croissant passieren kann, steht im ersten Satz dieses rasanten Romans und wird nicht verraten. Nur so viel: Es hat etwas mit dem Unterschied zwischen Butter und Margarine zu tun, lässt aber auch Rückschlüsse auf den Icherzähler zu. Pablo Miralles ist eine Art Ganzkörpercroissant, allzeit bereit für die Genüsse des Lebens und politisch so unkorrekt wie möglich. Als Sohn aus bester katalanischer Bourgeoisie vertreibt er sich die Zeit mit Kneipentouren durch Barcelona, täglichem Haschkonsum und dem „Metaphysical Club”, einem philosophischen Internetforum, in dem Probleme wie das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit diskutiert werden. Zu Frauen hat der Pummel mit der bärenhaften Statur offensichtlich ein gestörtes Verhältnis, das er mit Großmäuligkeit zu überspielen versucht. Seine Wohnung verlässt er deshalb nicht nur, um die Alkohol- und Drogenbestände zu sichern, sondern auch, um Prostituierte auf dem Straßenstrich aufzugabeln: „Hier findet man immer noch Besseres als in den Saunas von Ensanche, dem Territorium teurer Philologinnen, die fettarme Milch trinken und Fellatio sagen.”
Doch Pablos Stecherdasein wird jäh unterbrochen, als sein großer Bruder, genannt „The First”, unter rätselhaften Umständen verschwindet. Der Chef der Finanzberatung „Miralles & Miralles”, bei der Pablo als stiller Teilhaber firmiert, scheint zunächst mit seiner Sekretärin durchgebrannt zu sein. Aber viele Details legen nahe, dass „The First” in mafiöse Mauscheleien verwickelt ist, die sich um ein verfallenes Gebäude in Barcelona zentrieren. Bei seinen Ermittlungen gerät Pablo nicht nur in ein Luxusbordell, das wie Dantes „Göttliche Komödie” aufgebaut ist, sondern stößt auch auf eine Geheimgesellschaft, deren weit gespanntes Netzwerk verschwörungstheoretische Dimensionen annimmt.
Gefräßiger Dude
Ironische Verweise auf die Altmeister des Noir gehören zu jedem Detektivroman, der beansprucht, das Genre neu zu erfinden. Pablo Tusset zollt diesem Ritual Tribut, indem er den dilettantischen Miralles selbst zugeben lässt, dass er es mit Ermittlungsgenies wie Dashiell Hammetts Sam Spade nicht aufnehmen kann. Manuel Vázquez Montalbán und Eduardo Mendoza, Ikonen des modernen spanischen Erzählens, sind die literarischen Größen, mit denen Pablo Tussets Debüt in Spanien verglichen wurde. Doch der Roman aktiviert in viel stärkerem Maße das filmische Gedächtnis seiner Leser. Die Stärke Tussets liegt eher in überspitzten, am Film orientierten Dialogen als in klassisch literarischer Handlungsführung. Seine Kriminalgroteske findet ein reichlich überstürztes Ende, kann aber mit unzähligen Slapstickminiaturen aufwarten, die an den Dude aus „The Big Lebowski” der Coen-Brüder erinnern.
Dass die Hauptfigur zudem die Gefräßigkeit eines modernen Gargantua an den Tag legt, lässt das Verbrechen immer wieder in den Hintergrund treten: „Als Vorspeise nahm ich Karottencremesuppe, Rühreier mit Garnelen und Ackerbohnen à la catalana; als Hauptgericht gebratene Paprika, gegrillten Schwertfisch und Frikandeau; als Nachtisch Trockenfrüchte und Zitronensorbet; Wein, Kaffee, ein Schlückchen eisgekühlten Wodka und einen Rosolio. Vierzehntausendzweihundert. Die waren so begeistert von meinem Appetit, dass der Koch kam, um mich zu begrüßen.” Seine Nachforschungen betreibt der Gourmand mit kalkulierter Unüberlegtheit. Er lässt sich vom Essen, von prophetischen Kifferträumen und von sprachlichen Assoziationen inspirieren, wobei die konstruktivistischen Grundsätze des „Metaphysical Club” diskret Pate stehen. Auch der Autor folgt ihnen, denn die gesamte Handlung wird von absurden Zufällen vorangetrieben: Miralles’ Zeichentheorien tauchen in einem angeblich mittelalterlichen Traktat wieder auf, das auf Russell und Wittgenstein anspielt.
Nackte Notwendigkeiten
Doch Tussets Trick besteht darin, den Protagonisten mit einer ganz simplen Lebensphilosophie auszustatten. Nicht umsonst trägt Pablo den Spitznamen Balu wie der Bär aus dem Dschungelbuch. Während es der deutsche Dschungelbuchsong mit „Ruhe und Gemütlichkeit” probiert, lässt das englische Original, das dem Roman als Motto vorangestellt ist, beinharten Darwinismus erahnen: „I mean the bare necessities / Are Mother Nature’s recipies / That bring the bare necessities of life.” Diese nackten Notwendigkeiten des Lebens formuliert niemand komischer als der bekennende „Egotheist” Pablo Balu Miralles. Die Pose vom Bürgerschreck widerlegt er immer wieder selbst, besonders dann, wenn die gesamte Verwandtschaft sich auf die Suche nach einer passenden Frau für ihn macht. Der Einzelgänger rennt keineswegs dagegen an, sondern richtet sich in einer familiären Hängematte ein, die zwar eine unübertreffliche Nahsicht auf die Verhältnisse gestattet, aber vom Gesetz der Trägheit regiert wird.
„Das Beste was einem Croissant passieren kann” stand in Spanien auf Platz 1 der Bestsellerlisten, hat den „Premio Tigre Juan” für das beste literarische Debüt gewonnen und wurde in neun Sprachen übersetzt. Pablo Tusset, Jahrgang 1965, weiß seine Autorrolle medial zu inszenieren. Er schreibt unter einem Pseudonym und kommuniziert, wie im Epilog des Romans angekündigt, über die Email-Adresse pablomiralles@hotmail.com mit seinen Lesern. Tusset reiht sich in jene jüngere Generation von Schriftstellern ein, die aus dem Angriff auf die Political Correctness Gewinn zu schlagen versteht und der revolutionären Geste ebenso misstraut wie der ästhetischen. Typologisch gesehen lassen sich die desillusionierten Mitdreißiger bis Mitvierziger in eine zynische und eine humoristische Fraktion unterteilen. Während erstere aus enttäuschten Romantikern besteht, sind die wirklich hartgekochten Misanthropen unter den Humoristen zu finden, die sich längst einen fröhlichen Reim auf den schlechten Zustand der Welt gemacht haben. Tussets Beschreibungen der besseren Barceloneser Gesellschaft sind treffsicher und unterhaltsam, weil er den Elementarteilchen des Lebens nicht mit Wut, sondern mit gehässiger Beschwingtheit begegnet, oder, um im Ton zu bleiben: „Und wenn du stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist, / greif zu, denn später ist es vielleicht fort.”
JUTTA PERSON
PABLO TUSSET: Das Beste was einem Croissant passieren kann. Roman. Aus dem Spanischen von Susanna Mende. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003. 384 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Sex, Crime, Metaphysik in Pablo Tussets Croissant-Groteske
Kann es zotige Eleganz geben? Charmanten Machismo? Dumme Detektive? Sind diese äußerst seltenen Kreuzungen einmal geglückt, hat man eine literarische Multifunktionsmaschine vor sich, die Kriminalroman, Gesellschaftssatire und philosophische Kalauer mit stilistischem Schwung zu verbinden weiß. Dem spanischen Schriftsteller Pablo Tusset ist mit seinem ersten Roman eine Kombination gelungen, an der viele Debütanten scheitern, denn oft erweist sich das derb-rustikale Register als formale und inhaltliche Notlösung. „Das Beste was einem Croissant passieren kann” dagegen macht die Schnoddrigkeit seines Antihelden zu einem Programm, das sich nach und nach als philosophisches Regelwerk, als Lob der inneren Gelassenheit in hedonistischer Tradition entpuppt.
Das Beste, was einem Croissant passieren kann, steht im ersten Satz dieses rasanten Romans und wird nicht verraten. Nur so viel: Es hat etwas mit dem Unterschied zwischen Butter und Margarine zu tun, lässt aber auch Rückschlüsse auf den Icherzähler zu. Pablo Miralles ist eine Art Ganzkörpercroissant, allzeit bereit für die Genüsse des Lebens und politisch so unkorrekt wie möglich. Als Sohn aus bester katalanischer Bourgeoisie vertreibt er sich die Zeit mit Kneipentouren durch Barcelona, täglichem Haschkonsum und dem „Metaphysical Club”, einem philosophischen Internetforum, in dem Probleme wie das Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit diskutiert werden. Zu Frauen hat der Pummel mit der bärenhaften Statur offensichtlich ein gestörtes Verhältnis, das er mit Großmäuligkeit zu überspielen versucht. Seine Wohnung verlässt er deshalb nicht nur, um die Alkohol- und Drogenbestände zu sichern, sondern auch, um Prostituierte auf dem Straßenstrich aufzugabeln: „Hier findet man immer noch Besseres als in den Saunas von Ensanche, dem Territorium teurer Philologinnen, die fettarme Milch trinken und Fellatio sagen.”
Doch Pablos Stecherdasein wird jäh unterbrochen, als sein großer Bruder, genannt „The First”, unter rätselhaften Umständen verschwindet. Der Chef der Finanzberatung „Miralles & Miralles”, bei der Pablo als stiller Teilhaber firmiert, scheint zunächst mit seiner Sekretärin durchgebrannt zu sein. Aber viele Details legen nahe, dass „The First” in mafiöse Mauscheleien verwickelt ist, die sich um ein verfallenes Gebäude in Barcelona zentrieren. Bei seinen Ermittlungen gerät Pablo nicht nur in ein Luxusbordell, das wie Dantes „Göttliche Komödie” aufgebaut ist, sondern stößt auch auf eine Geheimgesellschaft, deren weit gespanntes Netzwerk verschwörungstheoretische Dimensionen annimmt.
Gefräßiger Dude
Ironische Verweise auf die Altmeister des Noir gehören zu jedem Detektivroman, der beansprucht, das Genre neu zu erfinden. Pablo Tusset zollt diesem Ritual Tribut, indem er den dilettantischen Miralles selbst zugeben lässt, dass er es mit Ermittlungsgenies wie Dashiell Hammetts Sam Spade nicht aufnehmen kann. Manuel Vázquez Montalbán und Eduardo Mendoza, Ikonen des modernen spanischen Erzählens, sind die literarischen Größen, mit denen Pablo Tussets Debüt in Spanien verglichen wurde. Doch der Roman aktiviert in viel stärkerem Maße das filmische Gedächtnis seiner Leser. Die Stärke Tussets liegt eher in überspitzten, am Film orientierten Dialogen als in klassisch literarischer Handlungsführung. Seine Kriminalgroteske findet ein reichlich überstürztes Ende, kann aber mit unzähligen Slapstickminiaturen aufwarten, die an den Dude aus „The Big Lebowski” der Coen-Brüder erinnern.
Dass die Hauptfigur zudem die Gefräßigkeit eines modernen Gargantua an den Tag legt, lässt das Verbrechen immer wieder in den Hintergrund treten: „Als Vorspeise nahm ich Karottencremesuppe, Rühreier mit Garnelen und Ackerbohnen à la catalana; als Hauptgericht gebratene Paprika, gegrillten Schwertfisch und Frikandeau; als Nachtisch Trockenfrüchte und Zitronensorbet; Wein, Kaffee, ein Schlückchen eisgekühlten Wodka und einen Rosolio. Vierzehntausendzweihundert. Die waren so begeistert von meinem Appetit, dass der Koch kam, um mich zu begrüßen.” Seine Nachforschungen betreibt der Gourmand mit kalkulierter Unüberlegtheit. Er lässt sich vom Essen, von prophetischen Kifferträumen und von sprachlichen Assoziationen inspirieren, wobei die konstruktivistischen Grundsätze des „Metaphysical Club” diskret Pate stehen. Auch der Autor folgt ihnen, denn die gesamte Handlung wird von absurden Zufällen vorangetrieben: Miralles’ Zeichentheorien tauchen in einem angeblich mittelalterlichen Traktat wieder auf, das auf Russell und Wittgenstein anspielt.
Nackte Notwendigkeiten
Doch Tussets Trick besteht darin, den Protagonisten mit einer ganz simplen Lebensphilosophie auszustatten. Nicht umsonst trägt Pablo den Spitznamen Balu wie der Bär aus dem Dschungelbuch. Während es der deutsche Dschungelbuchsong mit „Ruhe und Gemütlichkeit” probiert, lässt das englische Original, das dem Roman als Motto vorangestellt ist, beinharten Darwinismus erahnen: „I mean the bare necessities / Are Mother Nature’s recipies / That bring the bare necessities of life.” Diese nackten Notwendigkeiten des Lebens formuliert niemand komischer als der bekennende „Egotheist” Pablo Balu Miralles. Die Pose vom Bürgerschreck widerlegt er immer wieder selbst, besonders dann, wenn die gesamte Verwandtschaft sich auf die Suche nach einer passenden Frau für ihn macht. Der Einzelgänger rennt keineswegs dagegen an, sondern richtet sich in einer familiären Hängematte ein, die zwar eine unübertreffliche Nahsicht auf die Verhältnisse gestattet, aber vom Gesetz der Trägheit regiert wird.
„Das Beste was einem Croissant passieren kann” stand in Spanien auf Platz 1 der Bestsellerlisten, hat den „Premio Tigre Juan” für das beste literarische Debüt gewonnen und wurde in neun Sprachen übersetzt. Pablo Tusset, Jahrgang 1965, weiß seine Autorrolle medial zu inszenieren. Er schreibt unter einem Pseudonym und kommuniziert, wie im Epilog des Romans angekündigt, über die Email-Adresse pablomiralles@hotmail.com mit seinen Lesern. Tusset reiht sich in jene jüngere Generation von Schriftstellern ein, die aus dem Angriff auf die Political Correctness Gewinn zu schlagen versteht und der revolutionären Geste ebenso misstraut wie der ästhetischen. Typologisch gesehen lassen sich die desillusionierten Mitdreißiger bis Mitvierziger in eine zynische und eine humoristische Fraktion unterteilen. Während erstere aus enttäuschten Romantikern besteht, sind die wirklich hartgekochten Misanthropen unter den Humoristen zu finden, die sich längst einen fröhlichen Reim auf den schlechten Zustand der Welt gemacht haben. Tussets Beschreibungen der besseren Barceloneser Gesellschaft sind treffsicher und unterhaltsam, weil er den Elementarteilchen des Lebens nicht mit Wut, sondern mit gehässiger Beschwingtheit begegnet, oder, um im Ton zu bleiben: „Und wenn du stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist, / greif zu, denn später ist es vielleicht fort.”
JUTTA PERSON
PABLO TUSSET: Das Beste was einem Croissant passieren kann. Roman. Aus dem Spanischen von Susanna Mende. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003. 384 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.05.2003Die Poetik des Limbos
Fettes Brot mit Wassergurke: Pablo Tussets Schelmenroman
Schelmenromane sind Selbstläufer, zumal in Spanien: Schon das Urbild aller Pikaros, "Lazarillo de Tormes", erstürmte 1554 die Bestsellerlisten der Frühen Neuzeit. Nicht viel anders Mateo Alemáns "Guzmán de Alfarache", Grimmelshausens "Simplizissimus" und ihre Nachfolger im Namen des desengaño, der schelmischen Enttäuschung: Das Geheimnis des Erfolges liegt nicht zuletzt in ihrer unbändigen terroristisch-grobianischen Energie, die alles Mächtige erzittern läßt - bis in ihre auf die Moderne vorausweisende Poetik hinein.
Eine fiktive Autobiographie aus der Schelmenperspektive und ein spanischer Bestseller ist auch Pablo Tussets Erstlingsroman "Das Beste was einem Croissant passieren kann", der jetzt in der hervorragenden Übersetzung von Susanna Mende erschienen ist. Auch daß die kaum so zu nennende Handlung eine Krimi-Persiflage ist - die Entführung des reichen, athletischen und fleißigen Bruders der ebenfalls reichen, aber fetten und faulen Hauptfigur Pablo Miralles durch die barcelonesische Freimaurer-Mafia, welcher der Held mit der ihm eigenen Gemütlichkeit allmählich auf die Schliche kommt -, auch das widerspricht noch nicht dem Genre des Pikaresken.
Allerdings findet sich in Tussets Blätterteig nicht ein Krümel von Partisanen-Geist; Politik scheint nirgends ferner als in der oberflächlichen Welt des Pablo Miralles, der durchweg einem ausgewachsenen Epikureismus frönt. Dabei aber wird die hedonistisch-orgiastische Grundverfassung des Helden erstaunlicherweise asketisch veredelt: Arthur Schopenhauers idealer Märtyrer scheint durch, der in der Mortifikation des Willens bis zum Äußersten geht. Kein Picaro also, eher ein Mittelding zwischen dem mürrischen Onan und einem gutgelaunten Teletubby, nimmt uns der Ich-Erzähler mit auf eine Reise ans Ende des Genres. Keineswegs gerissen oder gar heimtückisch schlägt sich der aus seiner Höhle gelockte Einsiedler durchs Leben, sondern mit der Muße des Entsagenden: Die zur konstanten Anästhetisierung benötigte Grundmenge an Rauschmitteln vorausgesetzt, braucht er nichts weiter und möchte bei der sorgfältigen Erfüllung körperlicher Grundbedürfnisse von der Erzählung durchaus nicht gestört werden.
Etwa so, wie eine Gurke zum größten Teil aus Wasser besteht, geschieht im Roman meistenteils nichts - das aber mit einer sympathischen Lakonik. Der behäbige Held braucht nun über dreihundert Seiten, um zu merken, daß er gar nicht jagt, sondern gejagt wird: Bis dahin hat sich der Leser jedoch an das Unprätentiöse der lebensechten Romangeschwindigkeit, an seine Live-Cam-Mimesis gewöhnt. Man weiß beispielsweise, daß es unmöglich ist, den Park an der Calle Ordina zu passieren, ohne nach Dealer Nico zu suchen, der freilich fast nie anzutreffen ist. Rhetorisch gesehen, ist das Buch eine einzige Amplifikation, eine improvisierte Ausweitung der Rede durch Digressionen und blühende Arabesken, in denen der Alltag aufgeht wie ein Hefeteig. Kaum findet beispielsweise ein Dialog - gestelzt genug - als protokollierter Internet-Chat statt, taucht ein völlig sinnfreier Störer auf, dessen ins Leere laufende Fragen geduldig beantwortet werden. Was zu beweisen wäre: Man kann nicht nicht belletrisieren.
Auch sonst entzieht sich der Roman jeder literaturwissenschaftlichen Kategorie. Motive motivieren nichts. Kein Spannungsbogen wird lange aufrechterhalten, gleich der erste Satz verrät, was das Beste für ein Croissant ist, und das ist so unspektakulär wie nur denkbar. Selbst Geld, üblicherweise der Motor des Picaros, gibt es im Überfluß, die einzig nötige Verrichtung ist das Einschieben der brüderlichen Kreditkarte, die kein einziges Mal versagt. Bei solcher Ausstattung bleibt dem Helden genug Zeit für Nebenbeschäftigungen, aber auch die schürfen nicht eben tief: Weder die penibel notierten Träume, in denen alles zermalmende Großmütter durch Barcelona walzen, noch Pablos philosophische Mätzchen - so beispielsweise eine Theorie der erfundenen Wirklichkeiten - öffnen ein Türchen zu einer wie auch immer gearteten Tiefendimension.
Tussets Roman ist ein Cocktail aus "Wilhelm Meister", "Matrix" und "Southpark", der eine vergleichbare Wirkung entfaltet wie Pablos geliebter "Vichoff" aus Wodka, Zitrone und Mineralwasser: Er benebelt angenehm. Die Poetik ist die des Limbos: das tänzelnde Unterlaufen jeder Meßlatte. Gerade in der Nichterfüllung des Schelmen-Paradigmas erweist sich Tussets Roman jedoch tatsächlich als schelmisch. Weder Felix Krull noch Oskar Matzerath, sondern Pablo Miralles macht das letzte Refugium des Narren mitten in der Normalität ausfindig: das dolce far niente. Wer dabei überlistet wird, ist in erster Linie die Erwartungshaltung des Lesers. Durch diese Ausweitung des Antiheldischen auf die narratologische Struktur schleppt Tusset seinen Kahn also doch noch ins Fahrwasser des desengaño. Nimmt man der Roman-Welt den Willen zur Vorstellung, bleibt eben nur die Vorstellung des Willens.
So ist Mißtrauen gegenüber dem ersten Satz des Romans angebracht: daß es einem Croissant wirklich so gut tut, dick mit Butter bestrichen zu werden. Hermeneuten jedenfalls werden davon nicht satt. Wie fett es aber auch macht, Tussets Narrenstück ist prächtig amüsant.
OLIVER JUNGEN
Pablo Tusset: "Das Beste was einem Croissant passieren kann". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Susanna Mende. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003. 384 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fettes Brot mit Wassergurke: Pablo Tussets Schelmenroman
Schelmenromane sind Selbstläufer, zumal in Spanien: Schon das Urbild aller Pikaros, "Lazarillo de Tormes", erstürmte 1554 die Bestsellerlisten der Frühen Neuzeit. Nicht viel anders Mateo Alemáns "Guzmán de Alfarache", Grimmelshausens "Simplizissimus" und ihre Nachfolger im Namen des desengaño, der schelmischen Enttäuschung: Das Geheimnis des Erfolges liegt nicht zuletzt in ihrer unbändigen terroristisch-grobianischen Energie, die alles Mächtige erzittern läßt - bis in ihre auf die Moderne vorausweisende Poetik hinein.
Eine fiktive Autobiographie aus der Schelmenperspektive und ein spanischer Bestseller ist auch Pablo Tussets Erstlingsroman "Das Beste was einem Croissant passieren kann", der jetzt in der hervorragenden Übersetzung von Susanna Mende erschienen ist. Auch daß die kaum so zu nennende Handlung eine Krimi-Persiflage ist - die Entführung des reichen, athletischen und fleißigen Bruders der ebenfalls reichen, aber fetten und faulen Hauptfigur Pablo Miralles durch die barcelonesische Freimaurer-Mafia, welcher der Held mit der ihm eigenen Gemütlichkeit allmählich auf die Schliche kommt -, auch das widerspricht noch nicht dem Genre des Pikaresken.
Allerdings findet sich in Tussets Blätterteig nicht ein Krümel von Partisanen-Geist; Politik scheint nirgends ferner als in der oberflächlichen Welt des Pablo Miralles, der durchweg einem ausgewachsenen Epikureismus frönt. Dabei aber wird die hedonistisch-orgiastische Grundverfassung des Helden erstaunlicherweise asketisch veredelt: Arthur Schopenhauers idealer Märtyrer scheint durch, der in der Mortifikation des Willens bis zum Äußersten geht. Kein Picaro also, eher ein Mittelding zwischen dem mürrischen Onan und einem gutgelaunten Teletubby, nimmt uns der Ich-Erzähler mit auf eine Reise ans Ende des Genres. Keineswegs gerissen oder gar heimtückisch schlägt sich der aus seiner Höhle gelockte Einsiedler durchs Leben, sondern mit der Muße des Entsagenden: Die zur konstanten Anästhetisierung benötigte Grundmenge an Rauschmitteln vorausgesetzt, braucht er nichts weiter und möchte bei der sorgfältigen Erfüllung körperlicher Grundbedürfnisse von der Erzählung durchaus nicht gestört werden.
Etwa so, wie eine Gurke zum größten Teil aus Wasser besteht, geschieht im Roman meistenteils nichts - das aber mit einer sympathischen Lakonik. Der behäbige Held braucht nun über dreihundert Seiten, um zu merken, daß er gar nicht jagt, sondern gejagt wird: Bis dahin hat sich der Leser jedoch an das Unprätentiöse der lebensechten Romangeschwindigkeit, an seine Live-Cam-Mimesis gewöhnt. Man weiß beispielsweise, daß es unmöglich ist, den Park an der Calle Ordina zu passieren, ohne nach Dealer Nico zu suchen, der freilich fast nie anzutreffen ist. Rhetorisch gesehen, ist das Buch eine einzige Amplifikation, eine improvisierte Ausweitung der Rede durch Digressionen und blühende Arabesken, in denen der Alltag aufgeht wie ein Hefeteig. Kaum findet beispielsweise ein Dialog - gestelzt genug - als protokollierter Internet-Chat statt, taucht ein völlig sinnfreier Störer auf, dessen ins Leere laufende Fragen geduldig beantwortet werden. Was zu beweisen wäre: Man kann nicht nicht belletrisieren.
Auch sonst entzieht sich der Roman jeder literaturwissenschaftlichen Kategorie. Motive motivieren nichts. Kein Spannungsbogen wird lange aufrechterhalten, gleich der erste Satz verrät, was das Beste für ein Croissant ist, und das ist so unspektakulär wie nur denkbar. Selbst Geld, üblicherweise der Motor des Picaros, gibt es im Überfluß, die einzig nötige Verrichtung ist das Einschieben der brüderlichen Kreditkarte, die kein einziges Mal versagt. Bei solcher Ausstattung bleibt dem Helden genug Zeit für Nebenbeschäftigungen, aber auch die schürfen nicht eben tief: Weder die penibel notierten Träume, in denen alles zermalmende Großmütter durch Barcelona walzen, noch Pablos philosophische Mätzchen - so beispielsweise eine Theorie der erfundenen Wirklichkeiten - öffnen ein Türchen zu einer wie auch immer gearteten Tiefendimension.
Tussets Roman ist ein Cocktail aus "Wilhelm Meister", "Matrix" und "Southpark", der eine vergleichbare Wirkung entfaltet wie Pablos geliebter "Vichoff" aus Wodka, Zitrone und Mineralwasser: Er benebelt angenehm. Die Poetik ist die des Limbos: das tänzelnde Unterlaufen jeder Meßlatte. Gerade in der Nichterfüllung des Schelmen-Paradigmas erweist sich Tussets Roman jedoch tatsächlich als schelmisch. Weder Felix Krull noch Oskar Matzerath, sondern Pablo Miralles macht das letzte Refugium des Narren mitten in der Normalität ausfindig: das dolce far niente. Wer dabei überlistet wird, ist in erster Linie die Erwartungshaltung des Lesers. Durch diese Ausweitung des Antiheldischen auf die narratologische Struktur schleppt Tusset seinen Kahn also doch noch ins Fahrwasser des desengaño. Nimmt man der Roman-Welt den Willen zur Vorstellung, bleibt eben nur die Vorstellung des Willens.
So ist Mißtrauen gegenüber dem ersten Satz des Romans angebracht: daß es einem Croissant wirklich so gut tut, dick mit Butter bestrichen zu werden. Hermeneuten jedenfalls werden davon nicht satt. Wie fett es aber auch macht, Tussets Narrenstück ist prächtig amüsant.
OLIVER JUNGEN
Pablo Tusset: "Das Beste was einem Croissant passieren kann". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Susanna Mende. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2003. 384 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Rezension von Jutta Person verrät bedauerlicherweise nicht, was das Beste ist, was einem Croissant passieren kann. In die Hände einer wohlwollenden Literaturkritikerin zu geraten, die sich diesen kriminalistischen Leckerbissen nicht entgehen lässt? Selten gelingt es einem Debütroman, derben Humor mit philosophischem Hintersinn und stilistischer Eleganz zu verbinden, jubelt Person. Tusset hat das gewisse Extra, lange führte er in Spanien die Beststellerlisten an, berichtet die Rezensentin. Worin das Geheimnis dieses gewissen Extras besteht, erläutert Person am Ende ihrer Besprechung. Sie möchte die desillusionierten Enddreißiger und Mitvierziger typologisch in zwei Sparten unterteilen: solche, die zynisch geworden sind (wie Houellebecq), oder solche, die wie Tusset "den Elementarteilchen des Lebens nicht mit Wut, sondern mit gehässiger Beschwingtheit" und einer gehörigen Portion innerer Gelassenheit begegnen. Die bringt offenbar auch Tussets Protagonist Pablo Miralles auf, der, Gourmet und Philosoph zugleich, ganz eigenwillig und sprunghaft finanzielle Machenschaften der Barceloner Gesellschaft recherchiere. Tussets Stärke erweist sich im übrigen mehr in den überspitzten Dialogen als in der klassischen Handlungsführung, meint Person und fühlt sich in den besten Momenten an den Dude aus "The Big Lebowski" erinnert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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