Jochen Schimmang erzählt die Geschichte von Leo Münks, Verfassungsschützer, und Gregor Korff, Ministerberater. Ihre Köln-Bonner BRD-Welt gerät mit der Wende ins Wanken: Gregor erfährt, dass seine große Liebe, die ihn Mitte der Achtzigerjahre plötzlich verlassen hat, ein Stasi-Spitzel war; und Leo Münks wird ein Freund aus Berliner Studententagen, der ein Germania-Denkmal in die Luft sprengen will, beinahe zum Verhängnis. Schimmang, der Archivar der verschwindenden Dinge, hat einen klugen und sehr spannenden Roman über die letzten Jahrzehnte der Bonner Republik geschrieben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.12.2009Berlin, dieser Emporkömmling
Ein zorniger, wehmütiger Blick zurück auf ein Land, das es nicht mehr gibt: Jochen Schimmang trauert in seinem Roman "Das Beste, was wir hatten" um die Rheinische Republik.
Von Martin Halter
Wie Hitlers Kronjurist klammheimlich zur Identifikationsfigur enttäuschter Achtundsechziger wurde, gehört zu den merkwürdigsten Paradoxa bundesdeutscher Geschichte. Insofern ist es kein Zufall, dass Gregor Korff, der scheue Liebhaber der alten Bundesrepublik, sich in den Irr- und Umwegen von Carl Schmitts politischer Biographie wiedererkennt. "Dezisionismus-Korff", der vom Maoisten zum Spin Doctor der Regierung Kohl konvertierte linke Melancholiker, hat nicht nur über Carl Schmitt und seinen Einfluss im Nachkriegsdeutschland geforscht und gelehrt. Am Beginn seiner Karriere stand 1968 die "Politische Romantik" seiner Generation, am Ende die Einsamkeit des versprengten Partisanen. Dazwischen lag sein Flirt mit der Macht, das Missverständnis eines desillusionierten Intellektuellen, der sich in seiner Zuschauerloge eingerichtet und mit einer "Loyalität ohne Glauben" nach oben gemogelt hatte. Und was für Schmitt die serbische Hochstaplerin, war für Korff Sonja, die Stasi-Agentin: eine Liebesbetrügerin, die ihn närrisch vor Glück machte, ehe sie nach der Wende spurlos verschwand.
Warum ist es am Rhein so schön? Selbst der kaltblütige "Meisterdenker" aus der norddeutschen Provinz wird Rheinländer aus Überzeugung und sentimental, wenn er an das "blühende Provisorium" denkt, dem er seine politische Karriere und sein privates Glück verdankt. "Dies ist mein Land, an dem ich mein Wohlgefallen habe", die Wahlheimat, in der Gregor nach langen Lehr- und Wanderjahren seinen Frieden fand. Als die Mauer fällt und das größere Deutschland auch "größer zu denken" beginnt, zerbricht sein wohltemperiertes, unschuldiges Idyll und mit ihm sein richtiges Leben im falschen. Gregor erlebt die Wiedervereinigung als Vertreibung aus dem Paradies und zugleich als ferne, fremde Parallelaktion, die ihn nichts angeht; mit Musil zu reden: "Seinesgleichen geschieht." Kohls Wort vom glücklichsten Moment deutscher Geschichte ist für ihn Drohung und Hohn: "Das Beste, was wir hatten" sind nicht die blühenden Landschaften vor uns, sondern was hinter ihm liegt und unwiderruflich verloren ist: ein deutscher Staat, "so vernünftig, so wenig extrem, so gemäßigt", so kommod und zivil wie keiner zuvor; eine gesicherte Existenz als Politikberater des CDU-Innenministers, die watteweiche "Trance" und ironische Distanz erlaubt; dazu Reisen, Rotwein und Zigarren, ein Häuschen in Königswinter, Freunde und jede Menge Frauen. Gregor war mit sich und der Welt im Reinen, und wenn er mit Peter Glotz einen Abend verplauderte, mit dem Weltgeist im Bunde: Glotz verstand, dass ein kluger Linker, der ohne Ehrgeiz, fast gegen seinen Willen an die Fleischtöpfe des Politikbetriebs gespült wird, seinem Selbstekel ab und zu in kleinen, karriereunschädlichen Eklats Luft verschaffen oder wenigstens beim Bob-Dylan-Konzert Tränen hinter der Sonnenbrille weinen muss. Jochen Schimmang, seit seinem "Schönen Vogel Phönix" ein getreuer Chronist der Romantiker und Partisanen der alten Bundesrepublik, stimmt auch in seinem neuen Roman seinen Schwanen- und Sirenengesang auf die beste aller Welten an, abgeklärt, skeptisch und unversöhnt wie immer, verführerischer denn je.
1968 floh Gregor (wie Schimmang) nach Berlin, ins Schlupfloch aller Geschichts- und Wehrdienstverweigerer, um Politik und Weltrevolution zu studieren. Beim Fußball und in einer K-Gruppe fand er Genossen nach seinem Geschmack. Alle kehren früher oder später an den Rhein zurück. Leo Münks wechselt die Seiten und wird Verfassungsschützer in Köln. Carl Schelling taucht als Archivar im Kölner Stadtarchiv unter und träumt davon, das Niederwalddenkmal, den preußischen Stachel im rheinischen Fleisch, in die Luft zu sprengen. Uli Goergen, der schon beim Fußball so lässig aus der Tiefe des Raums kam ("Ich kann nur Ironie"), wird Philosophieprofessor, Jugendfreund Nott, mit dem Gregor einst im Schuppen Beckett spielte und die Fuchs-Schwestern verführte, Rechtsanwalt. Acht Jahre lang genießt Korff seine provisorische Freiheit im Windschatten der großen Politik, dann dreht der Wind und schlägt ihm den Mantel der Geschichte ins Gesicht.
Korffs ohnehin aufgebrauchte diskrete Loyalität wird nicht mehr gebraucht, seine ironischen Arrangements genügen den Herren des neuen Deutschlands nicht mehr, und als nach der Wende seine Affäre mit Sonja ruchbar wird, verliert er alles: Amt, Wohnung und Datscha, seinen Seelenfrieden, seine Geliebte, Leos Frau Anita, selbst seinen geliebten Borgward. Das Geschäft des Redenschreibens und Wertepredigens übernehmen jetzt ehrgeizige Professoren wie Jerschel (ein wenig schmeichelhaftes Porträt von Michael Stürmer) und wendige Renegaten wie Peter Schuster (alias Peter Schneider). Desillusioniert und orientierungslos, erinnert sich Gregor seiner vergessenen Ideale und Schmitts Souveränitätserklärungen: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Frieden kann es nur auf der Basis eines geordneten Freund-Feind-Denkens geben.
So radikalisiert sich die personifizierte Mitte. Bei einer Podiumsdiskussion schleudert Gregor Jerschel und Schuster Farbbeutel ins Gesicht, aber der erhoffte Skandal bleibt aus. Als Schelling, der nicht nur im Kino mit den Zähnen knirschen und heimlich die Fäuste ballen will, bei seinen Attentatsvorbereitungen ertappt wird, befreien Gregor, Leo und Anita den tapferen Statthalter ihrer Utopien aus der Untersuchungshaft. Schimmang gönnt seinen Aussteigern aus verlorener Ehre und schlechtem Gewissen sogar ein Happy End im Rahmen der politischen Möglichkeiten: Carl wird in seinem zweiten Leben als Koch in Amsterdam glücklich, Leo, der Held der inneren Sicherheit, kündigt den Staatsdienst ausgebrannt auf, und Gregor findet am Ende im alten Schuppen zwei Jugendliche, die, wie damals, von Liebe und Widerstand träumen.
Schimmang beschreibt Gregors trotzigen "rheinischen Separatismus" und seine Wut auf die opportunistischen Schwadroneure und Karrieristen der Berliner Republik mit grimmiger Sympathie, ohne dabei den roten Faden und die erzählerische Souveränität zu verlieren. Kunstvoll und unaufgeregt verknüpft er reale mit erfundenen Figuren, politische Typen und Haltungen mit individuellen Schicksalen, die offizielle Geschichte der Bundesrepublik zwischen 1963 und 1996, von Boris Becker bis Berti Vogts, mit privaten Geschichten. Schimmangs Blick zurück ist voller Zorn, Wehmut und Trauer, aber frei von Larmoyanz und altklugem Zynismus: keine Hymne auf das selbstzufriedene Glück im rotgrünen Winkel der neuen Bürgerlichkeit, sondern ein literarischer Farbbeutelwurf vom Rhein nach Berlin. "Das Beste, was wir hatten" gehört mit zum Besten, was wir auf dem weiten Feld des politischen Zeit- und Gesellschaftsromans haben.
Jochen Schimmang: "Das Beste, was wir hatten". Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2009. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
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Ein zorniger, wehmütiger Blick zurück auf ein Land, das es nicht mehr gibt: Jochen Schimmang trauert in seinem Roman "Das Beste, was wir hatten" um die Rheinische Republik.
Von Martin Halter
Wie Hitlers Kronjurist klammheimlich zur Identifikationsfigur enttäuschter Achtundsechziger wurde, gehört zu den merkwürdigsten Paradoxa bundesdeutscher Geschichte. Insofern ist es kein Zufall, dass Gregor Korff, der scheue Liebhaber der alten Bundesrepublik, sich in den Irr- und Umwegen von Carl Schmitts politischer Biographie wiedererkennt. "Dezisionismus-Korff", der vom Maoisten zum Spin Doctor der Regierung Kohl konvertierte linke Melancholiker, hat nicht nur über Carl Schmitt und seinen Einfluss im Nachkriegsdeutschland geforscht und gelehrt. Am Beginn seiner Karriere stand 1968 die "Politische Romantik" seiner Generation, am Ende die Einsamkeit des versprengten Partisanen. Dazwischen lag sein Flirt mit der Macht, das Missverständnis eines desillusionierten Intellektuellen, der sich in seiner Zuschauerloge eingerichtet und mit einer "Loyalität ohne Glauben" nach oben gemogelt hatte. Und was für Schmitt die serbische Hochstaplerin, war für Korff Sonja, die Stasi-Agentin: eine Liebesbetrügerin, die ihn närrisch vor Glück machte, ehe sie nach der Wende spurlos verschwand.
Warum ist es am Rhein so schön? Selbst der kaltblütige "Meisterdenker" aus der norddeutschen Provinz wird Rheinländer aus Überzeugung und sentimental, wenn er an das "blühende Provisorium" denkt, dem er seine politische Karriere und sein privates Glück verdankt. "Dies ist mein Land, an dem ich mein Wohlgefallen habe", die Wahlheimat, in der Gregor nach langen Lehr- und Wanderjahren seinen Frieden fand. Als die Mauer fällt und das größere Deutschland auch "größer zu denken" beginnt, zerbricht sein wohltemperiertes, unschuldiges Idyll und mit ihm sein richtiges Leben im falschen. Gregor erlebt die Wiedervereinigung als Vertreibung aus dem Paradies und zugleich als ferne, fremde Parallelaktion, die ihn nichts angeht; mit Musil zu reden: "Seinesgleichen geschieht." Kohls Wort vom glücklichsten Moment deutscher Geschichte ist für ihn Drohung und Hohn: "Das Beste, was wir hatten" sind nicht die blühenden Landschaften vor uns, sondern was hinter ihm liegt und unwiderruflich verloren ist: ein deutscher Staat, "so vernünftig, so wenig extrem, so gemäßigt", so kommod und zivil wie keiner zuvor; eine gesicherte Existenz als Politikberater des CDU-Innenministers, die watteweiche "Trance" und ironische Distanz erlaubt; dazu Reisen, Rotwein und Zigarren, ein Häuschen in Königswinter, Freunde und jede Menge Frauen. Gregor war mit sich und der Welt im Reinen, und wenn er mit Peter Glotz einen Abend verplauderte, mit dem Weltgeist im Bunde: Glotz verstand, dass ein kluger Linker, der ohne Ehrgeiz, fast gegen seinen Willen an die Fleischtöpfe des Politikbetriebs gespült wird, seinem Selbstekel ab und zu in kleinen, karriereunschädlichen Eklats Luft verschaffen oder wenigstens beim Bob-Dylan-Konzert Tränen hinter der Sonnenbrille weinen muss. Jochen Schimmang, seit seinem "Schönen Vogel Phönix" ein getreuer Chronist der Romantiker und Partisanen der alten Bundesrepublik, stimmt auch in seinem neuen Roman seinen Schwanen- und Sirenengesang auf die beste aller Welten an, abgeklärt, skeptisch und unversöhnt wie immer, verführerischer denn je.
1968 floh Gregor (wie Schimmang) nach Berlin, ins Schlupfloch aller Geschichts- und Wehrdienstverweigerer, um Politik und Weltrevolution zu studieren. Beim Fußball und in einer K-Gruppe fand er Genossen nach seinem Geschmack. Alle kehren früher oder später an den Rhein zurück. Leo Münks wechselt die Seiten und wird Verfassungsschützer in Köln. Carl Schelling taucht als Archivar im Kölner Stadtarchiv unter und träumt davon, das Niederwalddenkmal, den preußischen Stachel im rheinischen Fleisch, in die Luft zu sprengen. Uli Goergen, der schon beim Fußball so lässig aus der Tiefe des Raums kam ("Ich kann nur Ironie"), wird Philosophieprofessor, Jugendfreund Nott, mit dem Gregor einst im Schuppen Beckett spielte und die Fuchs-Schwestern verführte, Rechtsanwalt. Acht Jahre lang genießt Korff seine provisorische Freiheit im Windschatten der großen Politik, dann dreht der Wind und schlägt ihm den Mantel der Geschichte ins Gesicht.
Korffs ohnehin aufgebrauchte diskrete Loyalität wird nicht mehr gebraucht, seine ironischen Arrangements genügen den Herren des neuen Deutschlands nicht mehr, und als nach der Wende seine Affäre mit Sonja ruchbar wird, verliert er alles: Amt, Wohnung und Datscha, seinen Seelenfrieden, seine Geliebte, Leos Frau Anita, selbst seinen geliebten Borgward. Das Geschäft des Redenschreibens und Wertepredigens übernehmen jetzt ehrgeizige Professoren wie Jerschel (ein wenig schmeichelhaftes Porträt von Michael Stürmer) und wendige Renegaten wie Peter Schuster (alias Peter Schneider). Desillusioniert und orientierungslos, erinnert sich Gregor seiner vergessenen Ideale und Schmitts Souveränitätserklärungen: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Frieden kann es nur auf der Basis eines geordneten Freund-Feind-Denkens geben.
So radikalisiert sich die personifizierte Mitte. Bei einer Podiumsdiskussion schleudert Gregor Jerschel und Schuster Farbbeutel ins Gesicht, aber der erhoffte Skandal bleibt aus. Als Schelling, der nicht nur im Kino mit den Zähnen knirschen und heimlich die Fäuste ballen will, bei seinen Attentatsvorbereitungen ertappt wird, befreien Gregor, Leo und Anita den tapferen Statthalter ihrer Utopien aus der Untersuchungshaft. Schimmang gönnt seinen Aussteigern aus verlorener Ehre und schlechtem Gewissen sogar ein Happy End im Rahmen der politischen Möglichkeiten: Carl wird in seinem zweiten Leben als Koch in Amsterdam glücklich, Leo, der Held der inneren Sicherheit, kündigt den Staatsdienst ausgebrannt auf, und Gregor findet am Ende im alten Schuppen zwei Jugendliche, die, wie damals, von Liebe und Widerstand träumen.
Schimmang beschreibt Gregors trotzigen "rheinischen Separatismus" und seine Wut auf die opportunistischen Schwadroneure und Karrieristen der Berliner Republik mit grimmiger Sympathie, ohne dabei den roten Faden und die erzählerische Souveränität zu verlieren. Kunstvoll und unaufgeregt verknüpft er reale mit erfundenen Figuren, politische Typen und Haltungen mit individuellen Schicksalen, die offizielle Geschichte der Bundesrepublik zwischen 1963 und 1996, von Boris Becker bis Berti Vogts, mit privaten Geschichten. Schimmangs Blick zurück ist voller Zorn, Wehmut und Trauer, aber frei von Larmoyanz und altklugem Zynismus: keine Hymne auf das selbstzufriedene Glück im rotgrünen Winkel der neuen Bürgerlichkeit, sondern ein literarischer Farbbeutelwurf vom Rhein nach Berlin. "Das Beste, was wir hatten" gehört mit zum Besten, was wir auf dem weiten Feld des politischen Zeit- und Gesellschaftsromans haben.
Jochen Schimmang: "Das Beste, was wir hatten". Roman. Edition Nautilus, Hamburg 2009. 320 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dies ist ein großer "Zeit- und Gesellschaftsroman" in alter Manier - und zwar, sagt der Rezensent Martin Halter ganz ausdrücklich, einer, der "zum Besten" gehört, das es auf diesem Gebiet gibt. Über Jahrzehnte verfolgt Jochen Schimmang das Schicksal einer Gruppe von Freunden, im Zentrum steht dabei ein Mann namens Gregor, der, von ganz links kommend, sich in der Bonner Republik bequem einrichtet, unter Kohl eine politische Karriere macht und durch die Wiedervereinigung und die neuen Verhältnisse, die sie schafft, ganz aus dem Tritt gerät. Was dabei entsteht, ist ein offenkundig immer wieder auch schlüsselromanartiges Porträt einer Zeit, deren nicht unangenehme Kommodheit Schimmang mit "grimmiger Sympathie" dem Rezensenten noch einmal vor Augen führt. Auch er kann dieser Haltung und dann auch dem ganzen Roman seine Sympathie nicht verweigern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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