Warum bezeichnet sich in den Vereinigten Staaten nur eine von drei Frauen als Feministin, während viele andere diesem Begriff extrem ablehnend gegenüberstehen? Warum haben von Florence Nightingale bis Simone de Beauvoir viele berühmte Frauen gesagt, daß sie nie unter den Benachteiligungen litten, die angeblich mit ihrem Geschlecht verbunden sind? Und weshalb ergeben Umfragen unter Frauen der verschiedensten Nationalitäten, daß die meisten von ihnen sich nicht diskriminiert fühlen?
Martin van Creveld hat mit seinem jüngsten Buch eine antifeministische Polemik verfaßt. Seine provokante These lautet: Frauen werden nicht unterdrückt und sind nie unterdrückt worden. Sie sind das eigentlich privilegierte Geschlecht und sind dies auch in der Vergangenheit immer gewesen.
Dazu führt Creveld zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart an. Als Kinder werden Frauen sanfter behandelt. Als Erwachsene stehen sie unter geringerem Druck, sich zu behaupten und ihren Verpflichtungen nachzukommen. Im Berufsalltag übernehmen sie weniger als die Hälfte der Arbeit. Und im Wirtschaftsleben sind sie oft in der beneidenswerten Situation, Geld ausgeben zu können, ohne es verdienen zu müssen.
Vor diesem Hintergrund ist es für Creveld plausibel, daß die meisten Frauen mit ihrem Los offenbar mehr und weniger zufrieden sind und daß nicht mehr Frauen ihre Kosmetika weggeworfen und ihre BHs verbrannt haben, um in die Blaumänner zu steigen und männliche Berufe auszuüben.
Die Botschaft am Ende seines Buches: Jede Medaille hat zwei Seiten. Wenn Frauen Männern auch nicht in jeder Hinsicht gleichkommen, so sind sie ihnen gegenüber doch in vielen anderen Dingen bevorzugt. Für jeden Nachteil, den sie erleiden müssen, gibt es ein Privileg, das sie allein genießen. Dafür sollten sie ein Bewußtsein entwickeln, um das Zusammenleben und das Verständnis zwischen den Geschlechtern zu erleichtern.
Martin van Creveld hat mit seinem jüngsten Buch eine antifeministische Polemik verfaßt. Seine provokante These lautet: Frauen werden nicht unterdrückt und sind nie unterdrückt worden. Sie sind das eigentlich privilegierte Geschlecht und sind dies auch in der Vergangenheit immer gewesen.
Dazu führt Creveld zahlreiche Beispiele aus Geschichte und Gegenwart an. Als Kinder werden Frauen sanfter behandelt. Als Erwachsene stehen sie unter geringerem Druck, sich zu behaupten und ihren Verpflichtungen nachzukommen. Im Berufsalltag übernehmen sie weniger als die Hälfte der Arbeit. Und im Wirtschaftsleben sind sie oft in der beneidenswerten Situation, Geld ausgeben zu können, ohne es verdienen zu müssen.
Vor diesem Hintergrund ist es für Creveld plausibel, daß die meisten Frauen mit ihrem Los offenbar mehr und weniger zufrieden sind und daß nicht mehr Frauen ihre Kosmetika weggeworfen und ihre BHs verbrannt haben, um in die Blaumänner zu steigen und männliche Berufe auszuüben.
Die Botschaft am Ende seines Buches: Jede Medaille hat zwei Seiten. Wenn Frauen Männern auch nicht in jeder Hinsicht gleichkommen, so sind sie ihnen gegenüber doch in vielen anderen Dingen bevorzugt. Für jeden Nachteil, den sie erleiden müssen, gibt es ein Privileg, das sie allein genießen. Dafür sollten sie ein Bewußtsein entwickeln, um das Zusammenleben und das Verständnis zwischen den Geschlechtern zu erleichtern.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2003Na ja, Männer, zu kleines Gehirn
Martin van Creveld fürchtet den Triumph des Feminismus
Martin van Creveld ist ein begnadeter Kriegshistoriker. Daß es ihm selbst gelingen würde, einen Krieg zu entfesseln, durfte man dennoch nicht erwarten. Daß es sich dabei um einen Geschlechterkrieg handelt, noch weniger. Am befremdlichsten indes ist, mit welchen Mitteln Creveld Krieg führt.
Sein neues Buch "Das bevorzugte Geschlecht" paßt perfekt in die derzeit hochkochende Debatte um den wachsenden politischen und kulturellen Einfluß von Frauen. Glaubt man Creveld, dann ist diese Diskussion unvermeidlich, denn er erkennt sie als Generationenphänomen: "Ich bin 1946 geboren worden und in eine Welt hineingewachsen, in der sich alles um das Märchen von der Unterdrückung der Frau drehte." Ist der intellektuelle Waffengang gegen das weibliche Geschlecht, den Creveld antritt, also Ausdruck einer ansonsten unbefriedigten martialischen Sehnsucht der Nachkriegsgeneration? Vermutlich würde der in Jerusalem lehrende Historiker das nicht einmal bestreiten, denn als Mann gehört er dem aktiven Geschlecht an, das qua größerer Muskel- und geringerer Fettmasse zu Jagd und Kriegsführung prädestiniert ist. Was also tun in der Moderne?
Anthropologische Forschung ist die Basis für Crevelds Argumentation. Daß er die Existenz von matriarchalischen Gesellschaften in der Menschheitsgeschichte abstreitet, kann man hinnehmen - in der Tat gibt es keine sicheren Beweise dafür. Daß Frauen von Männern traditionell beschützt werden, damit jene wiederum in der unvergleichlich langen Phase, die menschlicher Nachwuchs zum Heranreifen braucht, diesen behüten kann, ist unumstritten. Was Creveld indes stört, ist, daß Frauen unter Beibehaltung dieser anthropologischen Konstante auf Gleichberechtigung beharren - mit anderen (Crevelds) Worten: alle Vorzüge behalten und alle Nachteile beseitigt sehen wollen.
Das kann man nun gewiß niemandem übelnehmen, denn auch dieses Ansinnen darf man wohl getrost als anthropologische Konstante bezeichnen. Crevelds Vorwurf aber ist, daß sich dadurch die soziale Waagschale immer mehr zuungunsten der Männer neigt. Denn angesichts des zunehmenden Durchschnittsalters von Frauen (nachdem noch bis in die frühe Neuzeit hinein Männer im Schnitt ein signifikant höheres Alter erreichten) bei gleichbleibend früherem Ruhestand und diversen Sonderregelungen während der Erwerbstätigkeit und - nicht zu vergessen! - der Befreiung von Wehr- und Ersatzdiensten fragt sich Creveld, ob es der Privilegien nicht langsam genug seien. Und jeder Mensch, der sich das nicht fragt, ist in seinen Augen entweder selbst eine Frau oder längst gefangen in den bestrickenden Netzen feministischer Ideologie.
Also sagt er dieser den Kampf an. Viel Feind, viel Ehr. Dennoch kann man - und Creveld als faktenbesessener Historiker wird es billigen - zunächst einige schlichte Fragen an sein Buch stellen. Logische etwa. In seinen Ausführungen zur männerfeindlichen Ausgestaltung von Arbeitszeitregelungen schreibt Creveld: "Während in Großbritannien 28 Prozent der männlichen ,Vollzeit'-Beschäftigten regelmäßig 48 Stunden pro Woche arbeiten, arbeitet die Hälfte der weiblichen Vollzeitbeschäftigten weniger als 40 Stunden." So weit, so gut. Nur leider ist das Beispiel recht schwach, weil es auch dann Geltung besäße, wenn die restlichen fünfzig Prozent der Frauen gleichfalls mehr als achtundvierzig Stunden arbeiteten und alle zweiundsiebzig übrigen Prozent der Männer faulenzen würden. Die beiden Zahlen haben zwar eine gemeinsame Bezugsgröße, aber sie erlauben keine direkte Aufrechnung. Gleiche mathematisch-logische Sorglosigkeit läßt Creveld beim Vergleich von Steuerquoten und Krankengeldern walten. Solche Lapsus entstehen eben, wenn man seine Zahlen aus Hunderten von Büchern zusammenklaubt, ohne eigene Erhebungen durchzuführen oder wenigstens Studien vollständig zu lesen, statt sie über Sekundärwerke wahrzunehmen.
Widersprüche finden sich leider auch. Nehmen wir nur Crevelds umständliche Widerlegung des angeblichen Mythos, die Nazis hätten systematisch Frauen unterdrückt (womit der Feminismus angeblich hausieren gehe). An der Universität Hamburg, schreibt Creveld, hätten 1933 sieben weibliche Fakultätsmitglieder ihre Posten verloren - "aber nicht, weil sie Frauen waren". Zwei Sätze später heißt es: "Höchstens eine Frau könnte entlassen worden sein, nur weil sie eine Frau war; und selbst in diesem Fall ist das nicht sicher." Sei dem, wie es will, das apodiktische Urteil wird auf geradezu blamable Weise revidiert. Creveld weiß ganz einfach nicht sicher, über was er spricht.
Dafür spricht auch seine Behauptung, daß selbst in einer Phase großen sozialen Elends Frauen niemals in billigen Pensionen hätten hausen oder in Park schlafen müssen. Dagegen gebe es Fotos von deutschen Männern, die gegen einige Pfennige zum Schlafen ihren Kopf auf ein gespanntes Seil gebettet haben. Stimmt. Aber hätte Creveld die Studie "London Labour and the London Poor" von Henry Mayhew oder nur Jack Londons Roman "People of the Abyss" gelesen, dann wüßte er, daß dieselbe Einrichtung im spätviktorianischen England auch für Frauen angeboten wurde.
Eine weitere Schwäche ist Crevelds leider meist unausgesprochene Beschränkung auf die Vereinigten Staaten. Dort mag es ja zutreffen, daß bei Vergewaltigungsprozessen der Name des Opfers geheimgehalten werden, der des Täters aber obligatorisch veröffentlicht werden muß - wobei mir keine landesweit in Amerika gültige entsprechende Regelung bekannt ist -, doch in Deutschland und sämtlichen anderen europäischen Staaten trifft dies gewiß nicht zu. Creveld aber spricht bewußt nebulös von "modernen Industriestaaten", für die dies gelte. Hätte er sie nur aufgezählt, aber man darf befürchten, daß die Liste nicht allzulang geraten wäre.
Daß bei ihm zweiundsiebzig multipliziert mit zehn zweihundert ergibt, wenn es um die Senkung der Kindbettsterblichkeit vom Mittelalter bis zum achtzehnten Jahrhundert geht - geschenkt! Niemals hat er ja behauptet, daß Männer besser rechnen könnten. Oder doch? "Von Geburt an gehätschelt und verwöhnt", heißt es in den Ausführungen zum Bildungswesen, schreckten Mädchen "vor jedem Fach zurück, das tatsächlich oder auch nur angeblich schwer ist". Allerdings ist dieser Behauptung eine typisch Creveldsche Beschwichtigung vorangestellt: Seine These ergebe sich "vielleicht" aus dem zugrundegelegten Material. Wollte man alle "Vielleichts" dieses Buchs summieren, so würde deren Zahl ihnen einen Spitzenplatz unter den verwendeten Begriffen verschaffen.
Aber das alles ist läßlich, kleine Ärgernisse, wie sie in bemüht provokativen Büchern, die zugunsten ihrer Thesen gerne fünf gerade sein lassen, leider üblich sind. Was wirklich ärgert, sind dagegen einige Ausführungen, die man auch mit einem gerüttelt Maß an Toleranz nicht anders als dreist bezeichnen kann. Nehmen wir ein zugegeben denkbar heikles Feld wie das Thema Vergewaltigung. Es spricht in der Tat einiges dafür, daß manche Frauen diesen Vorwurf bisweilen strategisch einzusetzen wissen, aber gleichermaßen unbestritten ist sowohl das erschreckend hohe Ausmaß von Vergewaltigungen wie die Existenz einer zumindest nennenswerten Dunkelziffer nie angezeigter Fälle. Und für wirkliche Vergewaltigungen darf man gewiß von einem Verbrechen sprechen, dessen Brutalität durch den gewaltsamen Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht wohl nur durch Mord oder Folter übertroffen werden kann - und es ist gewiß kein Zufall, daß Vergewaltigung als probates Foltermittel gilt.
Wie geht nun Creveld mit dem Thema um? Zunächst bemerkt er, daß zahlreiche Vergewaltigungen vorgetäuscht sind. Mag sein, die empirische Basis für diese Behauptung jedenfalls bleibt er schuldig. Aber geradezu spekulativ werden seine Erörterungen, wenn er auf die Vergewaltigungen von Männern durch Frauen verweist. Natürlich gibt es diese Fälle, aber ist deren Nichtbeachtung, die Creveld beklagt, dadurch begründet, daß "Männer nicht schwanger werden können"? Und muß er dann auch noch ergänzen, "daß es, auch wenn das Vergewaltigungsopfer eine Frau ist, Fälle gibt, in denen dieser Übergriff so gut wie keine Folgen hat. Dies gilt insbesondere, wenn die Frau sexuell erfahren ist; besonders, wenn sie keinen Widerstand leistet, der Vergewaltiger also keine Gewalt anwenden muß und die Gefahr, verletzt zu werden, sich verringert." Gibt es für Creveld, der lautstark bejammert, was Männer im Krieg psychisch alles erdulden müssen, während Frauen davon verschont blieben, mit einem Mal keine andere als körperliche Verletzungen? Und ist sein Verweis auf "sexuell erfahrene Frauen" nicht schlicht widerlich zu nennen?
Feminismus, so stellt Creveld zum Abschluß fest, sei das Produkt langer Friedenszeiten. Deshalb nennt er ihn einen "Preis, den es zu zahlen lohnt". Natürlich hat Creveld auch in diesen Satz ein "vielleicht" eingebaut. Denn so richtig deutlich wird denn doch nicht, ob er den Feminismus dem Krieg vorzieht.
ANDREAS PLATTHAUS
Martin van Creveld: "Das bevorzugte Geschlecht". Aus dem Englischen von Karin Laue und Ursula Pesch. Gerling Akademie Verlag, München 2003. 492 S., geb., 29,60 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Martin van Creveld fürchtet den Triumph des Feminismus
Martin van Creveld ist ein begnadeter Kriegshistoriker. Daß es ihm selbst gelingen würde, einen Krieg zu entfesseln, durfte man dennoch nicht erwarten. Daß es sich dabei um einen Geschlechterkrieg handelt, noch weniger. Am befremdlichsten indes ist, mit welchen Mitteln Creveld Krieg führt.
Sein neues Buch "Das bevorzugte Geschlecht" paßt perfekt in die derzeit hochkochende Debatte um den wachsenden politischen und kulturellen Einfluß von Frauen. Glaubt man Creveld, dann ist diese Diskussion unvermeidlich, denn er erkennt sie als Generationenphänomen: "Ich bin 1946 geboren worden und in eine Welt hineingewachsen, in der sich alles um das Märchen von der Unterdrückung der Frau drehte." Ist der intellektuelle Waffengang gegen das weibliche Geschlecht, den Creveld antritt, also Ausdruck einer ansonsten unbefriedigten martialischen Sehnsucht der Nachkriegsgeneration? Vermutlich würde der in Jerusalem lehrende Historiker das nicht einmal bestreiten, denn als Mann gehört er dem aktiven Geschlecht an, das qua größerer Muskel- und geringerer Fettmasse zu Jagd und Kriegsführung prädestiniert ist. Was also tun in der Moderne?
Anthropologische Forschung ist die Basis für Crevelds Argumentation. Daß er die Existenz von matriarchalischen Gesellschaften in der Menschheitsgeschichte abstreitet, kann man hinnehmen - in der Tat gibt es keine sicheren Beweise dafür. Daß Frauen von Männern traditionell beschützt werden, damit jene wiederum in der unvergleichlich langen Phase, die menschlicher Nachwuchs zum Heranreifen braucht, diesen behüten kann, ist unumstritten. Was Creveld indes stört, ist, daß Frauen unter Beibehaltung dieser anthropologischen Konstante auf Gleichberechtigung beharren - mit anderen (Crevelds) Worten: alle Vorzüge behalten und alle Nachteile beseitigt sehen wollen.
Das kann man nun gewiß niemandem übelnehmen, denn auch dieses Ansinnen darf man wohl getrost als anthropologische Konstante bezeichnen. Crevelds Vorwurf aber ist, daß sich dadurch die soziale Waagschale immer mehr zuungunsten der Männer neigt. Denn angesichts des zunehmenden Durchschnittsalters von Frauen (nachdem noch bis in die frühe Neuzeit hinein Männer im Schnitt ein signifikant höheres Alter erreichten) bei gleichbleibend früherem Ruhestand und diversen Sonderregelungen während der Erwerbstätigkeit und - nicht zu vergessen! - der Befreiung von Wehr- und Ersatzdiensten fragt sich Creveld, ob es der Privilegien nicht langsam genug seien. Und jeder Mensch, der sich das nicht fragt, ist in seinen Augen entweder selbst eine Frau oder längst gefangen in den bestrickenden Netzen feministischer Ideologie.
Also sagt er dieser den Kampf an. Viel Feind, viel Ehr. Dennoch kann man - und Creveld als faktenbesessener Historiker wird es billigen - zunächst einige schlichte Fragen an sein Buch stellen. Logische etwa. In seinen Ausführungen zur männerfeindlichen Ausgestaltung von Arbeitszeitregelungen schreibt Creveld: "Während in Großbritannien 28 Prozent der männlichen ,Vollzeit'-Beschäftigten regelmäßig 48 Stunden pro Woche arbeiten, arbeitet die Hälfte der weiblichen Vollzeitbeschäftigten weniger als 40 Stunden." So weit, so gut. Nur leider ist das Beispiel recht schwach, weil es auch dann Geltung besäße, wenn die restlichen fünfzig Prozent der Frauen gleichfalls mehr als achtundvierzig Stunden arbeiteten und alle zweiundsiebzig übrigen Prozent der Männer faulenzen würden. Die beiden Zahlen haben zwar eine gemeinsame Bezugsgröße, aber sie erlauben keine direkte Aufrechnung. Gleiche mathematisch-logische Sorglosigkeit läßt Creveld beim Vergleich von Steuerquoten und Krankengeldern walten. Solche Lapsus entstehen eben, wenn man seine Zahlen aus Hunderten von Büchern zusammenklaubt, ohne eigene Erhebungen durchzuführen oder wenigstens Studien vollständig zu lesen, statt sie über Sekundärwerke wahrzunehmen.
Widersprüche finden sich leider auch. Nehmen wir nur Crevelds umständliche Widerlegung des angeblichen Mythos, die Nazis hätten systematisch Frauen unterdrückt (womit der Feminismus angeblich hausieren gehe). An der Universität Hamburg, schreibt Creveld, hätten 1933 sieben weibliche Fakultätsmitglieder ihre Posten verloren - "aber nicht, weil sie Frauen waren". Zwei Sätze später heißt es: "Höchstens eine Frau könnte entlassen worden sein, nur weil sie eine Frau war; und selbst in diesem Fall ist das nicht sicher." Sei dem, wie es will, das apodiktische Urteil wird auf geradezu blamable Weise revidiert. Creveld weiß ganz einfach nicht sicher, über was er spricht.
Dafür spricht auch seine Behauptung, daß selbst in einer Phase großen sozialen Elends Frauen niemals in billigen Pensionen hätten hausen oder in Park schlafen müssen. Dagegen gebe es Fotos von deutschen Männern, die gegen einige Pfennige zum Schlafen ihren Kopf auf ein gespanntes Seil gebettet haben. Stimmt. Aber hätte Creveld die Studie "London Labour and the London Poor" von Henry Mayhew oder nur Jack Londons Roman "People of the Abyss" gelesen, dann wüßte er, daß dieselbe Einrichtung im spätviktorianischen England auch für Frauen angeboten wurde.
Eine weitere Schwäche ist Crevelds leider meist unausgesprochene Beschränkung auf die Vereinigten Staaten. Dort mag es ja zutreffen, daß bei Vergewaltigungsprozessen der Name des Opfers geheimgehalten werden, der des Täters aber obligatorisch veröffentlicht werden muß - wobei mir keine landesweit in Amerika gültige entsprechende Regelung bekannt ist -, doch in Deutschland und sämtlichen anderen europäischen Staaten trifft dies gewiß nicht zu. Creveld aber spricht bewußt nebulös von "modernen Industriestaaten", für die dies gelte. Hätte er sie nur aufgezählt, aber man darf befürchten, daß die Liste nicht allzulang geraten wäre.
Daß bei ihm zweiundsiebzig multipliziert mit zehn zweihundert ergibt, wenn es um die Senkung der Kindbettsterblichkeit vom Mittelalter bis zum achtzehnten Jahrhundert geht - geschenkt! Niemals hat er ja behauptet, daß Männer besser rechnen könnten. Oder doch? "Von Geburt an gehätschelt und verwöhnt", heißt es in den Ausführungen zum Bildungswesen, schreckten Mädchen "vor jedem Fach zurück, das tatsächlich oder auch nur angeblich schwer ist". Allerdings ist dieser Behauptung eine typisch Creveldsche Beschwichtigung vorangestellt: Seine These ergebe sich "vielleicht" aus dem zugrundegelegten Material. Wollte man alle "Vielleichts" dieses Buchs summieren, so würde deren Zahl ihnen einen Spitzenplatz unter den verwendeten Begriffen verschaffen.
Aber das alles ist läßlich, kleine Ärgernisse, wie sie in bemüht provokativen Büchern, die zugunsten ihrer Thesen gerne fünf gerade sein lassen, leider üblich sind. Was wirklich ärgert, sind dagegen einige Ausführungen, die man auch mit einem gerüttelt Maß an Toleranz nicht anders als dreist bezeichnen kann. Nehmen wir ein zugegeben denkbar heikles Feld wie das Thema Vergewaltigung. Es spricht in der Tat einiges dafür, daß manche Frauen diesen Vorwurf bisweilen strategisch einzusetzen wissen, aber gleichermaßen unbestritten ist sowohl das erschreckend hohe Ausmaß von Vergewaltigungen wie die Existenz einer zumindest nennenswerten Dunkelziffer nie angezeigter Fälle. Und für wirkliche Vergewaltigungen darf man gewiß von einem Verbrechen sprechen, dessen Brutalität durch den gewaltsamen Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht wohl nur durch Mord oder Folter übertroffen werden kann - und es ist gewiß kein Zufall, daß Vergewaltigung als probates Foltermittel gilt.
Wie geht nun Creveld mit dem Thema um? Zunächst bemerkt er, daß zahlreiche Vergewaltigungen vorgetäuscht sind. Mag sein, die empirische Basis für diese Behauptung jedenfalls bleibt er schuldig. Aber geradezu spekulativ werden seine Erörterungen, wenn er auf die Vergewaltigungen von Männern durch Frauen verweist. Natürlich gibt es diese Fälle, aber ist deren Nichtbeachtung, die Creveld beklagt, dadurch begründet, daß "Männer nicht schwanger werden können"? Und muß er dann auch noch ergänzen, "daß es, auch wenn das Vergewaltigungsopfer eine Frau ist, Fälle gibt, in denen dieser Übergriff so gut wie keine Folgen hat. Dies gilt insbesondere, wenn die Frau sexuell erfahren ist; besonders, wenn sie keinen Widerstand leistet, der Vergewaltiger also keine Gewalt anwenden muß und die Gefahr, verletzt zu werden, sich verringert." Gibt es für Creveld, der lautstark bejammert, was Männer im Krieg psychisch alles erdulden müssen, während Frauen davon verschont blieben, mit einem Mal keine andere als körperliche Verletzungen? Und ist sein Verweis auf "sexuell erfahrene Frauen" nicht schlicht widerlich zu nennen?
Feminismus, so stellt Creveld zum Abschluß fest, sei das Produkt langer Friedenszeiten. Deshalb nennt er ihn einen "Preis, den es zu zahlen lohnt". Natürlich hat Creveld auch in diesen Satz ein "vielleicht" eingebaut. Denn so richtig deutlich wird denn doch nicht, ob er den Feminismus dem Krieg vorzieht.
ANDREAS PLATTHAUS
Martin van Creveld: "Das bevorzugte Geschlecht". Aus dem Englischen von Karin Laue und Ursula Pesch. Gerling Akademie Verlag, München 2003. 492 S., geb., 29,60 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Frauen liegen vor allem faul auf dem Sofa, nutzen Männer aus, wo es nur geht, und werden immer und überall bevorzugt. Das behauptet der in Jerusalem lehrende Historiker Martin van Creveld in seinem Buch "Das bevorzugte Geschlecht", über das sich Rezensentin Franziska Sperr mächtig geärgert hat. Sperr kann das alles gar nicht fassen. Es gebe Thesen, so Sperr, die so absurd seien, dass man sie gar nicht widerlegen wolle. Crevelds Buch strotze nur davon. Sperr liefert einen Reigen von Zitaten, die die Absurdität von Crevelds Ausführungen vor Augen führen. Crevelds Sprache findet Sperr merkwürdig emotional und aggressiv: auf fast 500 Seiten nur Quengeln, Motzen, Schmollen, Wehklagen! Mit Wissenschaft hat dieses Buch in Sperrs Augen jedenfalls nichts tun. Sie vermutet bei Creveld einen tief sitzenden Hass gegenüber Frauen. "Hier hat sich jemand seinen Frust über die angebliche Bevorzugung von Frauen in Geschichte und Gegenwart von der Seele geschrieben."
© Perlentaucher Medien GmbH
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