Schon bald nach seinem Erscheinen 1890 wurde »Das Bildnis des Dorian Gray« als unmoralisch und skandalös empfunden. Oscar Wilde antwortete darauf nur: »So etwas wie ein moralisches oder ein unmoralisches Buch gibt es nicht. Bücher sind entweder gut oder schlecht geschrieben. Das ist alles.« Was Wilde erschuf, ist ein Fest der Dekadenz und des Dandyismus, ein perfekt ausgeklügeltes Spiel der Realität und Fiktion. Seine Geschichte eines jungen Schöngeists spielt im England des späten 19. Jahrhunderts: Der wohlhabende Dorian Gray besitzt ein Porträt, das statt seiner altert, während er sich hemmungslos seinen Vergnügungen und Ausschweifungen hingeben kann. Dieses Geheimnis versucht er zu wahren - mit allen Mitteln. - Mit einer kompakten Biographie des Autors.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.01.2001Scharlachrote Buchstaben-Lippen
Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" nach dem Erstdruck
Am Eingang zur literarischen Moderne steht Oscar Wilde, ein merkwürdiger Heiliger, der zu früh kam und dessen Texte mit dem, was die Bewegung schließlich ausmachte, nicht unbedingt viel zu schaffen hatte. Durch sein Martyrium ist er lebendig geblieben, und die Geschichte von seinem Glück und Ende steht unverrückbar nicht nur an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert, sondern vor allem am Beginn der Befreiung der Homosexuellen aus den Fesseln einer gesellschaftlichen Diskriminierung. Diese Befreiung gelangt nun, hundert Jahre später, zumindest in Europa, allmählich an ihr Ziel. So wurde "Saint Oscar" nicht nur vor kurzem in London ein Denkmal gewidmet, sondern zu seinem hundertsten Todestag in diesem Jahr in allen Feuilletons der aufgeklärten Welt eine Menge Text; im Eichborn Verlag ist "Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans" auf deutsch erschienen.
Der Herausgeber und Übersetzer Jörg W. Rademacher hat sich die Mühe gemacht, aus dem Typoskript und dem Erstdruck des Romans "Das Bildnis des Dorian Gray" alle jene Stellen zu rekonstruieren, die der Autor danach für die Buchausgabe verändert, gestrichen oder abgemildert hat. Die Erstveröffentlichung in "Lippincott's Monthly Magazine" hatte 1890 schon äußerst unfreundliche Kommentare auf sich gezogen. Eine "dumme und vulgäre Arbeit" nannte ein Rezensent das Buch, und dem Autor wurde attestiert, er habe mit der Publikation "seinem Verlangen nach trauriger Berühmtheit nachgegeben", was geradezu prophetisch klingt.
Wilde jedenfalls, um die geplante Buchausgabe und das damit verbundene zusätzliche Honorar zu retten, besserte an dem Text herum, um autobiographische Bezüge und eindeutige Anspielungen auf das, was Rademacher den "Kode unter Männerliebhabern" nennt, abzuschwächen; im Endeffekt dürften die Verschleifungen ihr Ziel nicht wirklich erreicht haben - oder nur im Hinblick auf Leute wie den Innsbrucker Gymnasiasten, der ich im Jahre 1971 war. Er hat, als er damals als einen der ersten englischen Romane seines Lebens - auf englisch - "The Picture of Dorian Gray" las, diese Anspielungen ganz einfach nicht mitbekommen. Gefallen haben dürfte ihm Wildes unverschämter Jugendkult, der vor dreißig Jahren noch nicht so völlig durchgesetzt war wie heute. Nun also mit der Wiederlektüre beauftragt, sticht mir geradezu überproportioniert ins Auge, was dem Knaben entging: in welchem Maße Wildes Ästhetizismus bei näherer Betrachtung die Geschmacksnerven strapaziert.
Der Kult des Schönen an und für sich, dem Wilde zu huldigen behauptet, ist tatsächlich ein Kult der Kleidungsstücke und Einrichtungsgegenstände, Blumen inbegriffen: "Das Atelier war erfüllt vom reichen Odeur der Rosen, und wenn der leichte Sommerwind ins Laub der Gartenbäume fuhr, drang durch die offene Tür der schwere Fliederduft oder das zarte Parfum des rosablühenden Dorns. In der Ecke des Diwans aus persischen Satteldecken, auf dem er wie üblich zahllose Zigaretten rauchend lag, erblickte Lord Henry Wotton eben noch den Schimmer der honigsüßen und honiggelben Blüten des Goldregens . . ." So honigsüß und honiggelb hebt der Roman an, und Steigerung ist nur dann noch möglich, wenn der Held auftritt, dessen Schönheit also besungen wird: "Lord Henry betrachtete ihn. Ja, er sah wirklich wunderbar aus mit den schöngeschwungenen, scharlachroten Lippen, den offenherzigen, blauen Augen und dem adretten Blondschopf."
Auch wenn man konzediert, daß der Übersetzer hier auf das kaum Erträgliche ("his frank blue eyes, his crisp gold hair") noch eins draufgesetzt hat, muß doch gesagt sein, daß die Stilebene, auf der wir uns hier befinden, üblicherweise in Häusern wie dem Gustav Lübbe Verlag verwaltet wird: "Die braunen Augen leuchteten, als seien Goldfunken darin gefangen, und der Mund, der beim Lächeln die einer Perlenschnur gleichenden Zähne enthüllte, war entzückend mit seinen weichen, geschwungenen Linien." Was die Stilsicherheit im Trivialen anlangt, ist Hedwig Courths-Mahler, die mit diesen Sätzen Griseldis aus dem gleichnamigen Roman beschreibt, Oscar Wilde vorzuziehen - sie arbeitet mit klaren Vorgaben und versucht nicht, wie der Franzose es ausdrücken würde, höher als ihr Hintern zu furzen. Wilde, der sichtlich an seine Zeitgenossen, die viktorianischen Schauerromantiker, anknüpft, zieht im Vergleich mit diesen Meisterwerken des Genres (etwa Bram Stokers "Dracula" oder Rider Haggards "Sie") deutlich den kürzeren.
So bleibt das Buch vor allem ein historisches Dokument, ein Beispiel für gnadenlose Medienhetze. Es erinnert an eine journalistische Meute von ehedem, die einen Autor, den sie zuvor in den Himmel gehoben hat, nun mit dem größten Genuß und von der aufregendsten moralischen Entrüstung erfüllt durch den Dreck schleift. Das sollte uns Zeitgenossen von Peter Handke und Martin Walser ja nicht ganz unbekannt vorkommen.
WALTER KLIER
Oscar Wilde: "Das Bildnis des Dorian Gray. Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans". Herausgegeben, übersetzt, mit Anmerkungen und einem Dossier versehen von Jörg W. Rademacher. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2000. 260 S., geb., 44,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oscar Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" nach dem Erstdruck
Am Eingang zur literarischen Moderne steht Oscar Wilde, ein merkwürdiger Heiliger, der zu früh kam und dessen Texte mit dem, was die Bewegung schließlich ausmachte, nicht unbedingt viel zu schaffen hatte. Durch sein Martyrium ist er lebendig geblieben, und die Geschichte von seinem Glück und Ende steht unverrückbar nicht nur an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert, sondern vor allem am Beginn der Befreiung der Homosexuellen aus den Fesseln einer gesellschaftlichen Diskriminierung. Diese Befreiung gelangt nun, hundert Jahre später, zumindest in Europa, allmählich an ihr Ziel. So wurde "Saint Oscar" nicht nur vor kurzem in London ein Denkmal gewidmet, sondern zu seinem hundertsten Todestag in diesem Jahr in allen Feuilletons der aufgeklärten Welt eine Menge Text; im Eichborn Verlag ist "Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans" auf deutsch erschienen.
Der Herausgeber und Übersetzer Jörg W. Rademacher hat sich die Mühe gemacht, aus dem Typoskript und dem Erstdruck des Romans "Das Bildnis des Dorian Gray" alle jene Stellen zu rekonstruieren, die der Autor danach für die Buchausgabe verändert, gestrichen oder abgemildert hat. Die Erstveröffentlichung in "Lippincott's Monthly Magazine" hatte 1890 schon äußerst unfreundliche Kommentare auf sich gezogen. Eine "dumme und vulgäre Arbeit" nannte ein Rezensent das Buch, und dem Autor wurde attestiert, er habe mit der Publikation "seinem Verlangen nach trauriger Berühmtheit nachgegeben", was geradezu prophetisch klingt.
Wilde jedenfalls, um die geplante Buchausgabe und das damit verbundene zusätzliche Honorar zu retten, besserte an dem Text herum, um autobiographische Bezüge und eindeutige Anspielungen auf das, was Rademacher den "Kode unter Männerliebhabern" nennt, abzuschwächen; im Endeffekt dürften die Verschleifungen ihr Ziel nicht wirklich erreicht haben - oder nur im Hinblick auf Leute wie den Innsbrucker Gymnasiasten, der ich im Jahre 1971 war. Er hat, als er damals als einen der ersten englischen Romane seines Lebens - auf englisch - "The Picture of Dorian Gray" las, diese Anspielungen ganz einfach nicht mitbekommen. Gefallen haben dürfte ihm Wildes unverschämter Jugendkult, der vor dreißig Jahren noch nicht so völlig durchgesetzt war wie heute. Nun also mit der Wiederlektüre beauftragt, sticht mir geradezu überproportioniert ins Auge, was dem Knaben entging: in welchem Maße Wildes Ästhetizismus bei näherer Betrachtung die Geschmacksnerven strapaziert.
Der Kult des Schönen an und für sich, dem Wilde zu huldigen behauptet, ist tatsächlich ein Kult der Kleidungsstücke und Einrichtungsgegenstände, Blumen inbegriffen: "Das Atelier war erfüllt vom reichen Odeur der Rosen, und wenn der leichte Sommerwind ins Laub der Gartenbäume fuhr, drang durch die offene Tür der schwere Fliederduft oder das zarte Parfum des rosablühenden Dorns. In der Ecke des Diwans aus persischen Satteldecken, auf dem er wie üblich zahllose Zigaretten rauchend lag, erblickte Lord Henry Wotton eben noch den Schimmer der honigsüßen und honiggelben Blüten des Goldregens . . ." So honigsüß und honiggelb hebt der Roman an, und Steigerung ist nur dann noch möglich, wenn der Held auftritt, dessen Schönheit also besungen wird: "Lord Henry betrachtete ihn. Ja, er sah wirklich wunderbar aus mit den schöngeschwungenen, scharlachroten Lippen, den offenherzigen, blauen Augen und dem adretten Blondschopf."
Auch wenn man konzediert, daß der Übersetzer hier auf das kaum Erträgliche ("his frank blue eyes, his crisp gold hair") noch eins draufgesetzt hat, muß doch gesagt sein, daß die Stilebene, auf der wir uns hier befinden, üblicherweise in Häusern wie dem Gustav Lübbe Verlag verwaltet wird: "Die braunen Augen leuchteten, als seien Goldfunken darin gefangen, und der Mund, der beim Lächeln die einer Perlenschnur gleichenden Zähne enthüllte, war entzückend mit seinen weichen, geschwungenen Linien." Was die Stilsicherheit im Trivialen anlangt, ist Hedwig Courths-Mahler, die mit diesen Sätzen Griseldis aus dem gleichnamigen Roman beschreibt, Oscar Wilde vorzuziehen - sie arbeitet mit klaren Vorgaben und versucht nicht, wie der Franzose es ausdrücken würde, höher als ihr Hintern zu furzen. Wilde, der sichtlich an seine Zeitgenossen, die viktorianischen Schauerromantiker, anknüpft, zieht im Vergleich mit diesen Meisterwerken des Genres (etwa Bram Stokers "Dracula" oder Rider Haggards "Sie") deutlich den kürzeren.
So bleibt das Buch vor allem ein historisches Dokument, ein Beispiel für gnadenlose Medienhetze. Es erinnert an eine journalistische Meute von ehedem, die einen Autor, den sie zuvor in den Himmel gehoben hat, nun mit dem größten Genuß und von der aufregendsten moralischen Entrüstung erfüllt durch den Dreck schleift. Das sollte uns Zeitgenossen von Peter Handke und Martin Walser ja nicht ganz unbekannt vorkommen.
WALTER KLIER
Oscar Wilde: "Das Bildnis des Dorian Gray. Der unzensierte Wortlaut des Skandalromans". Herausgegeben, übersetzt, mit Anmerkungen und einem Dossier versehen von Jörg W. Rademacher. Verlag Eichborn Berlin, Berlin 2000. 260 S., geb., 44,- DM.
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