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Produktdetails
  • Verlag: Rowohlt, Reinbek
  • Originaltitel: Evil Sisters
  • Seitenzahl: 607
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 844g
  • ISBN-13: 9783498013059
  • ISBN-10: 349801305X
  • Artikelnr.: 24193835
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.1999

Wehe, wenn sie losgelassen
Von der Männerverzehrerin zur Pop-Pietà: Frauenbilder des zwanzigsten Jahrhunderts

Gegen Ende eines Jahrhunderts außerordentlicher Schlechtigkeiten erfreut sich das Böse großer Popularität. Zumal Frauen verheißt es Freiheit und Unabhängigkeit, auch in Liebesdingen. Auflagenstarke Handbücher, die bereits den aufrechten Gang als Grenzüberschreitung feiern, bieten sich als Lebenshilfe für ein Millionenpublikum "böser Mädchen" an. In den Bücherregalen stapeln sich Biographien von Giftmischerinnen und Räuberbräuten, und nach Harriett Rubins "Macchiavelli für Frauen" wächst die Hoffnung auf einen "Nero für Frauen", vielleicht gar einen "Bismarck für Frauen". In der Abenddämmerung des Postfeminismus schimmern Kriegerinnen und Kriminelle im Abglanz der Selbstbestimmung.

Die sprachliche Komprimierung solcher komplexen Erscheinungen findet sich wie immer in Amerika. Sie firmiert unter dem Titel "Bitch", übersetzt etwa "Schlampe" oder "Luder", und ist ein rauhes Erfolgsweib auf Tigerstilettos mit schlechten Manieren. Glaubt man der Autorin Elizabeth Wurtzel, träumen bereits Hausfrauen davon, in ihr Handy zu brüllen wie vor kurzem Lauren Bacall, so "dass die Limousine, in der sie saß, erbebte". Die entsprechenden Accessoires hält eine aufmerksame Industrie bereit. Fragen nach Rollenmodell und Inszenierung drängen sich auf, aber Wurtzel streift sie nur zerstreut.

Ihre Aufmerksamkeit gilt den Tragödinnen von Weltformat - Delilah, Sylvia Plath, Zelda Fitzgerald, Nicole Simpson -, wobei ihre Auswahl nebenbei auch ein Barometer für Berühmtheit zeigt. Labile und verführerische Frauen, so Wurtzel, erwarte auf dieser Welt Hass und ein frühes Ende im schlimmsten Fall, ein eheloses im zweitschlimmsten. Dass diese Hymne vor allem die Autorin selbst besingt, ist die logische Konsequenz einer Karriere, die auf grenzenloser Egozentrik beruht. Im Alter von 26 Jahren schockierte Elizabeth Wurtzel ihr Land mit ihrem Debüt "The Prozac Nation", einer wüsten Beichte von Depressionen, Selbstmordgedanken und der Rettung durch das millionenfach verkaufte Antidepressivum. Das Werk wurde zum Bestseller. Über Nacht erkannte Amerika in der Musikkritikerin eine adoleszente Königin der Schmerzen, eine autoaggressive Pop-Pietà, die wie zur Bestätigung in einem neuen Wirbel aus Drogen, Entzug und Therapie versank.

Nun ist Unglück weder Bosheit noch Verdienst und ganz sicher kein Grund für ein Lob. Selbst dann nicht, wenn es mit soviel Nachdruck vorgetragen wird wie hier. "Der Feminismus ist trocken geworden, ich will ihn wieder nass machen", verkündet Wurtzel, und das ist nur eine von vielen griffigen Polemiken und Losungen, die dem Werk jene Subjektivität und Leidenschaft geben, die ein Manifest braucht. Allein, die starken Worte formen sich selten zu einem geraden Gedanken. Dass die Autorin sich mit Camille Paglia über den Fall Amy Fisher entzweit, dass sie Hillary Clinton Kompromisslertum und Courtney Love den falschen Schneider vorwirft - "Um Gottes willen, nicht in Ralph Lauren!" - das hat wenig mit Feminismus zu tun, sei er nun nass oder trocken, aber viel mit einer Explosion im Zettelkasten. Aus Wurtzels triumphalen Untergängen lässt sich weder eine Anklage noch ein Plädoyer für mehr Frauenhäuser herauslesen, sondern allein der tapfere, aber wenig vielversprechende Versuch einer Selbstheilung.

In typisch schonungsloser Offenheit bekennt die Autorin, dass sie als Single im Alter von einunddreißig Jahren das Pendel der biologischen Uhr mit Unerbittlichkeit ausschlagen sieht: "Ich sehe immer noch gut aus. Aber so langsam wird's heikel." Da schrumpft das Manifest der Skandalautorin auf den Konversationskanon einer Tupperparty - Ehe, Schönheit, Alter. Und der Weiblichkeitswahn stöckelt auf Tigerstilettos triumphierend davon und lacht, dass alle Limousinen wackeln.

Dass es in der Tat eine Verbindung zwischen Reproduktionsverhalten und negativem Frauenbild gibt, eine hochgefährliche sogar, belegt Bram Dijkstra in seiner eindrucksvollen Analyse. Ausgerechnet im Amerika nach der Jahrhundertwende, wo Stummfilm-Nackedeis das Bild einer sinnenfrohen Geisteslandschaft prägten, entdeckt der Literaturwissenschaftler ein scheußliches Parallel-Universum. Aggressive Metaphern des Frauenhasses und des Rassismus, so Dijkstra, verbanden sich zu populären Gewaltphantasien vom "weiblichen Vampir" und vom "weibischen Juden". Die amerikanische Phantasie vom Frauenmord, so schließt er kühn, antizipierte den deutschen Genozid: "Die Vernichtungsöfen der Konzentrationslager wurden in den frauenfeindlichen, rassisch-evolutionären Phantasien der Jahrhundertwende konstruiert."

Man würde an einen derart abstrusen Gedanken keine Minute verschwenden, verstünde es Dijkstra nicht, eine atemraubende Verstrickung von Wissenschaft, Kunst und Massenkultur offenzulegen. Anerkannte Forscher wie William Graham Sumner, der bis in die siebziger Jahre an amerikanischen Hochschulen gelesen wurde, lieferten die wissenschaftliche Grundlage für detaillierte Ausleseszenarien. Sie konstruierten die Dichotomie von der Höherentwicklung durch "männliche" Vernunft, Triebverzicht und "Samenökonomie" - die Hirnflüssigkeit galt als Sperma-Kondensat - und dem Niedersinken in Lust und Degeneration. Armut war nicht nur selbst verschuldet, sondern eine prognostizierbare Folge von Ausschweifungen. Die heutige politische Instrumentalisierung der Genetik hat hier ihre Wurzeln. Nur wappnete sich die soziobiologisch entflammte Gesellschaft damals mit Darwin gegen Marx.

Je mehr man als Bürde des weißen Mannes aber auch die eigenen Bedürfnisse identifizierte, um so wichtiger wurde die Dämonisierung der Frau. In dem längst vergessenen Stummfilm "A Fool There Was" raubte Theda Bara, die schwarze Mutter aller "Vampirinnen", einem braven Arier mit einem einzigen skandalösen Kuss die Lebenskraft und riss in den Augen des Publikums - evolutionär betrachtet - ein ganzes Geschlecht in die Tiefe. Dijkstra sticht in die Pestbeule der Misogynie mit viel Freude am Abscheulichen. Die hohe Literatur und blutrünstige "pulp fiction"-Erzeugnisse: alle übertrugen die neuartige wissenschaftliche Sanktionierung der biblischen Vorstellung von der sündigen Frau in apokalyptische Metaphern der "vagina dentata". Entomologische Vergleiche mit Gottesanbeterinnen und Schwarzen Witwen inspirierten ungezählte Studien, schwüle Analogien, die die Frau zur Verkörperung Afrikas stilisierten, fixierten kollektive Phobien vor Frauen und Farbigen in Bildern ruchloser Despoten der Sinnlichkeit, eine Vorstellung, die Dijkstra bei Kipling und Burroughs, aber auch bei Conrad nachweist.

Dass selbst Autoren wie Fitzgerald und Hemingway, Regisseure wie DeMille und Griffith es mit der alles verschlingenden weiblichen Sexualität zu tun hatten, belegt eine erdrückende Beweislast. Ob man allerdings fortan Kurtz' Aufschrei "Das Grauen! Das Grauen!" weiterhin als existentialistische Qual oder als Bekenntnis eines selbstverschuldeten Untergangs lesen will, bleibt wohl Geschmackssache. Zwar überschätzt der Autor die Reichweite der damaligen populären Mythen in die Gegenwart, doch spielt die derzeitige Renaissance der Evolutionsbiologie in Fragen von Rasse und Geschlecht ihm zweifellos in die Hände.

Um so bedauerlicher, dass seine Darstellung der Rezeption eher vage ist. Letztlich bleibt offen, ob tatsächlich Millionen Amerikaner vom Rassen- und Frauenhass angesteckt waren oder ob damals nur eine vom Sozialismus verunsicherte kapitalistische Geistes-Schickeria mit dem Teufel kokettierte. An diesem Ungleichgewicht zwischen Fiktion und Realität scheitert auch sein Versuch, die amerikanischen Gewaltphantasien als Katalysatoren des Nationalsozialismus zu entlarven. Gewiss, er hat den Kreis der üblichen Verdächtigen um exponierte Vertreter des amerikanischen Geisteslebens erweitert. Aber waren sie Vordenker der Vernichtung?

Nach dem Anlauf auf einer festen Argumentationsrampe taucht Dijkstra plötzlich in einen Tümpel trüber Hypothesen. Die englisch-amerikanische Perspektive ist ihm offenbar nicht weit genug. Doch auch den Zuchtbordellen der Nationalsozialisten, wo sich Rassen- und Frauenideale kreuzten, widmet sich Dijkstra nur am Rande. Dass aber Hitler Murnaus "Nosferatu" gesehen hat, eine Metapher für das Zerrbild vom jüdischen Vampirismus, dass er Franz von Stuck schätzte und C. G. Jung kannte, erklärt kaum den Schritt vom phantasierten Frauen- und Rassenhass zum Völkermord. Bis heute streiten Wissenschaftler, warum der schwelende Antisemitismus in Deutschland vom Vorurteil zur furchtbaren Tat führte. Hitlers Darstellungen in "Mein Kampf", die sich gegen die Elogen aus Übersee übrigens erstaunlich zahm ausnehmen, mögen mit der Stimmung in gewissen amerikanischen Kreisen korrespondiert haben. Diese Analogie ist ein Hinweis, ein aufsehenerregender zwar - aber mehr nicht. Für alles Weitere bräuchte es wohl keinen Literaturwissenschaftler, sondern einen Historiker.

SONJA ZEKRI

Elizabeth Wurtzel: "Bitch". Ein Loblied auf schwierige Frauen. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Karl Blessing Verlag, München 1999. 478 S., br., 39,90 DM.

Bram Dijkstra: "Das Böse ist eine Frau". Männliche Gewaltphantasien und die Angst vor der weiblichen Sexualität. Deutsch von Sabine Klockmann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 607 S., geb., 58,- DM.

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