Gebundener Preis 25,00 €**

Als Mängelexemplar:
8,99 €
inkl. MwSt.
**Frühere Preisbindung aufgehoben

Sofort lieferbar

minimale äußerliche Macken und Stempel, einwandfreies Innenleben. Schnell sein! Nur begrenzt verfügbar. Lieferung nur solange der Vorrat reicht!
  • Gebundenes Buch

2 Kundenbewertungen

Einst erfolgreiche Kochbuch-Autorin, verliert die Wiener Jüdin Alice Urbach unter den Nationalsozialisten Heimat, Familie und Karriere. Sie flieht nach England, wo sie sich als Dienstbotin durchschlägt und später ein Flüchtlingsheim für jüdische Mädchen leitet. Mit Kochunterricht versucht sie ihre Schützlinge von den Kriegswirren abzulenken. Nach dem Krieg geht Alice nach New York, gibt Kochkurse in San Francisco und stellt im amerikanischen Fernsehen ihre besten Rezepte für Mehlspeisen und Tafelspitz vor. In einer Wiener Buchhandlung findet sie sogar ihr Buch wieder. Doch wer ist der Mann,…mehr

Produktbeschreibung
Einst erfolgreiche Kochbuch-Autorin, verliert die Wiener Jüdin Alice Urbach unter den Nationalsozialisten Heimat, Familie und Karriere. Sie flieht nach England, wo sie sich als Dienstbotin durchschlägt und später ein Flüchtlingsheim für jüdische Mädchen leitet. Mit Kochunterricht versucht sie ihre Schützlinge von den Kriegswirren abzulenken. Nach dem Krieg geht Alice nach New York, gibt Kochkurse in San Francisco und stellt im amerikanischen Fernsehen ihre besten Rezepte für Mehlspeisen und Tafelspitz vor. In einer Wiener Buchhandlung findet sie sogar ihr Buch wieder. Doch wer ist der Mann, dessen Name auf dem Umschlag prangt? Hat es den "Küchenmeister" Rudolf Rösch je gegeben? Recherchen führen Alice' Enkelin Karina Urbach in Wiener, Londoner und Washingtoner Archive, in denen sie längst verloren geglaubte Briefe, Tonband- und Filmdokumente findet. Sie eröffnen ein bislang unbekanntes Kapitel in der Geschichte deutscher NS-Verbrechen.
Autorenporträt
Karina Urbach wurde an der Universität Cambridge promoviert. Für ihre Habilitation erhielt sie den bayerischen Habilitationsförderpreis. Sie arbeitete am Deutschen Historischen Institut London und der Universität London. Seit 2015 forscht sie am Institute for Advanced Study in Princeton. Sie war an mehreren historischen Dokumentationen des ZDF, der BBC und des amerikanischen Senders PBS beteiligt. Neben Sachbüchern wie "Hitlers heimliche Helfer" und "Queen Victoria. Die unbeugsame Königin" veröffentlichte sie auch den historischen Roman "Cambridge 5" der für mehrere Preise nominiert wurde.
Rezensionen
Eine Jaffa-Torte passte nicht ins deutsche Kochbuch
Vom Lieferservice in Wien zum Culinary Institute in New York: Die Historikerin Karina Urbach erzählt die Lebensgeschichte ihrer Großmutter

Bücher haben ihre Schicksale. Diese Sentenz wird oft gern beiläufig angebracht. In der Causa, die "Das Buch Alice" verhandelt, hat sie Gewicht. "Alice", das ist Alice Urbach. Sie wird 1886 als Tochter des reichen Wiener Textilunternehmers und Publizisten Sigmund Mayer geboren. Anders als ihre Geschwister war sie nichts weniger als bildungsbeflissen. Die Küche des großbürgerlichen Haushalts erschien ihr schon als Kind attraktiver. Da aber Gastronomie für ein Mädchen aus gutem Hause als Berufsfeld undenkbar war, wurde Alice 1912 an Maximilian Urbach verheiratet: ein ob der Mitgift lohnender Schritt für den angehenden Arzt, ein Abstieg vom Wiener Nobelbezirk Döbling in den Arbeiterbezirk Ottakring für die höhere Tochter. Den frühen Tod ihres Mannes 1920 erlebte sie dann zwar als Befreiung aus der Tristesse einer unbefriedigenden Ehe, die finanzielle Lage der nunmehr alleinerziehenden Mutter zweier Söhne war allerdings desaströs.

Mit Kochkursen, zunächst improvisiert in der Testküche eines Gas- und E-Herd-Ladens, dann mit Gewerbeberechtigung in ihrer eigenen Kochschule, und mit einem Lieferservice - eine Pioniertat, die unter dem Schlagwort "Amerikanisierung" bestaunt wurde - bekam Urbach wieder Boden unter die Füße. Im Herbst 1935 - sie war inzwischen eine Institution im Wiener Gesellschaftsleben - erschien ihr Buch "So kocht man in Wien!" im Münchner Ernst Reinhardt Verlag, das auf gut fünfhundert Seiten das überbordende einschlägige Wissen versammelte, das sie seit Kindheitstagen erworben hatte. Stolzer noch als der einhellige Zuspruch der Kritiken machte sie, dass sie damit die hohen Erwartungen ihres Vaters doch nicht gänzlich enttäuscht hatte, der seinen Kindern immer wieder eingeschärft hatte, dass die Mayers nur dank harter Arbeit und Bildung dem Getto entkommen waren. Die Freude währte nur kurz. Trotz ansehnlicher Verkaufszahlen befand sich Urbach Mitte 1936 in arger Geldnot. Den Entschluss auszuwandern fasste sie indessen angesichts der zunehmend bedrohlichen politischen Lage. Sie ging im Frühjahr 1937 nach Brighton, kehrte aus unbekannten Gründen aber bald wieder zurück, arbeitete als Diätköchin in einem Sanatorium, nahm ihren Lieferservice wieder auf und plante, die Kochschule im Herbst wiederzueröffnen.

Aber mit dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 wurde die ohnehin schon prekäre Lage äußerst gefährlich. Trotz der Schikanen der NS-Bürokratie gelang Alice mit Hilfe einer in London lebenden Cousine im Oktober die Ausreise nach England. Arbeit fand sie kurzfristig als Dienstbotin auf einem Landsitz nahe der Hauptstadt, dann leitete sie ein Heim für unbegleitete Flüchtlingskinder. Im Oktober 1946 konnte sie in die Vereinigten Staaten einreisen und kam in Chicago in einem großen Hotel als Diätberaterin unter. In den fünfziger und sechziger Jahren lebte sie, finanziell unterstützt von ihren beiden Söhnen in New York, bevor sie 1969 in ein Altersheim nach San Francisco zog und 1977, mit neunzig Jahren, dort anknüpfte, wo ihre Karriere 1938 so brutal abgebrochen worden war: Sie gab wieder Kochunterricht, und das in der renommiertesten Kochschule der Stadt, dem Judith Ets-Hokin Culinary Institute.

Bei keinem der zahlreichen Interviews, zu denen die kleine, quicklebendige Dame nun gebeten wurde, vergaß sie "ihr drittes Kind" zu erwähnen, das man ihr weggenommen hatte. Als Alice Urbach nämlich im Sommer 1949 ihren Sohn Otto in Wien besuchte, der dort als Nachrichtenoffizier des Counter Intelligence Corps stationiert war, fiel ihr im Schaufenster einer Buchhandlung ihr Kochbuch ins Auge - auf dem Umschlag allerdings nicht ihr Name, sondern ein Rudolf Rösch. Sie suchte den Verleger auf und forderte ihr Buch zurück. Der sprach ihr rundweg jegliches Anrecht darauf ab. Er entschädigte sie weder finanziell, noch gab er ihr ihre Autorschaft wieder, was ebenso schäbig wie rechtswidrig war. Denn es war ihr Buch, das bis 1966 unter anderem Autorennamen aufgelegt wurde.

Der Verlag hatte willfährig die Anordnungen der Reichsregierung in der "Judenfrage" exekutiert. Er hätte Urbachs Buch 1938 vom Markt nehmen müssen, entschied sich jedoch für den gewinnbringenden Weg, es zu "arisieren", und beauftragte Rudolf Rösch - "langjähriger Küchenmeister in Wien und Mitarbeiter des Reichsnährstandes", so der Schmutztitel - mit einer Neuauflage. Karina Urbach zieht in Zweifel, dass es diesen "Küchenmeister" wirklich gab.

Da, unter anderem, schießt sie bei der Verfolgung der Machinationen des Münchener Verlags übers Ziel hinaus: Rudolf Rösch bestritt in der "Hausfrauenstunde" des Bayerischen Rundfunks in den dreißiger Jahren des Öfteren den kulinarischen Teil. Er "überschrieb" Urbachs Kochbuch, gruppierte da und dort um, variierte Kapitelüberschriften, formulierte die jeweiligen Einleitungen um, strich einzelne kurze Abschnitte, übernahm aber neben den zweihundert Abbildungen ganze Kapitel über Dutzende Seiten wortwörtlich oder nur minimal variiert. Ganz auf der Höhe der Zeit fügte er ein eigenes Kapitel "Eintopfgerichte aller Art" ein, als "Zeichen schönster Opferfreudigkeit und Volksverbundenheit", und auch eines zum Thema "Kampf dem Verderb" im "nationalen Kampf" um "Nahrungsfreiheit". Rezepte wie "Rothschild-Biskuit", "Rothschild-Omelette" oder "Jaffa-Torte" wurden ausgemerzt, andere treudeutsch umbenannt.

Dass Karina Urbach für diesen Tatbestand nur die kursorische Bemerkung übrig hat, "an einigen Stellen (sei es) zu Paraphrasierungen und Streichungen" gekommen, "das Rösch-Buch (aber) zu 60 Prozent ein Plagiat von Alices Werk", befremdet, schreibt sie doch im Vorwort, ihr Buch sei "im Laufe der Recherche auch zu einer Diebstahlsanzeige geworden". Da hätte man schon gern Genaueres darüber erfahren, was gestohlen wurde und auch wie. Dieses Manko ist vermutlich erzählökonomischen Gründen geschuldet. Denn "Das Buch Alice" ist als "bewegte Familiengeschichte" angelegt. Und es ist eine bewegende Lektüre. Der ältere Sohn von Alice, Otto, erlebte den "Blutigen Samstag", die Bombardierung Schanghais im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg am 14. August 1937 in der Uniform des Shanghai Volunteer Corps. Ihr jüngerer, Karl, wurde im November 1938, einen Brief vom amerikanischen Konsulat und die Karte für die Schiffspassage nach Amerika in der Tasche, in den Räumlichkeiten des jüdischen Auswanderungsbüros von SA-Männern zusammengeschlagen und ins KZ Dachau verschleppt. Zwei Halbschwestern von Alice wurden in Treblinka ermordet, die letzte bekannte Adresse ihrer jüngeren Schwester Helene ist das Getto Lodz.

Karina Urbach rekonstruiert die individuellen Schicksale nicht allein aus Familienkorrespondenz und Tonband-Interviews aus dem Nachlass ihrer Großmutter, sie schöpft auch aus einer Unzahl an Archivbeständen. Die Peripetien der einzelnen Lebensläufe hinterlegt sie konzis mit den politischen und gesellschaftlichen Zeitläuften. Dass sie - Enkelin Alice Urbachs, aber auch zünftige Historikerin, der die Gefahren fehlender emotionaler Distanz bewusst sind -, wie im Vorwort verheißen, ohne Rührseligkeit auskommt, ist eine Leistung für sich. Die Fakten sind anrührend genug.

WALTER SCHÜBLER

Karina Urbach:

"Das Buch Alice". Wie

die Nazis das Kochbuch

meiner Großmutter

raubten.

Propyläen Verlag, Berlin 2020. 420 S., Abb., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Walter Schübler ist gerührt ob der bloßen Fakten, die Karina Urbach über ihre Großmutter, die Wiener Gastro-Pionierin Alice Urbach, aus Archiven und Familienkorrespondenzen zusammenträgt. Entstanden ist laut Schübler eine bewegte Familiengeschichte zwischen Wien, England und New York, in der es unter anderem um geklaute Kochbuchrechte und Naziterror geht. Über manches Detail hätte Schübler gerne genauere Informationen gehabt, insgesamt aber bewegen ihn die konzis rekonstruierten und mit den politischen Zeitläufen grundierten individuellen Schicksale im Buch, denen die Autorin durchaus mit der nötigen Distanz begegnet, wie der Rezensent anmerkt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2020

Eine Jaffa-Torte passte nicht ins deutsche Kochbuch
Vom Lieferservice in Wien zum Culinary Institute in New York: Die Historikerin Karina Urbach erzählt die Lebensgeschichte ihrer Großmutter

Bücher haben ihre Schicksale. Diese Sentenz wird oft gern beiläufig angebracht. In der Causa, die "Das Buch Alice" verhandelt, hat sie Gewicht. "Alice", das ist Alice Urbach. Sie wird 1886 als Tochter des reichen Wiener Textilunternehmers und Publizisten Sigmund Mayer geboren. Anders als ihre Geschwister war sie nichts weniger als bildungsbeflissen. Die Küche des großbürgerlichen Haushalts erschien ihr schon als Kind attraktiver. Da aber Gastronomie für ein Mädchen aus gutem Hause als Berufsfeld undenkbar war, wurde Alice 1912 an Maximilian Urbach verheiratet: ein ob der Mitgift lohnender Schritt für den angehenden Arzt, ein Abstieg vom Wiener Nobelbezirk Döbling in den Arbeiterbezirk Ottakring für die höhere Tochter. Den frühen Tod ihres Mannes 1920 erlebte sie dann zwar als Befreiung aus der Tristesse einer unbefriedigenden Ehe, die finanzielle Lage der nunmehr alleinerziehenden Mutter zweier Söhne war allerdings desaströs.

Mit Kochkursen, zunächst improvisiert in der Testküche eines Gas- und E-Herd-Ladens, dann mit Gewerbeberechtigung in ihrer eigenen Kochschule, und mit einem Lieferservice - eine Pioniertat, die unter dem Schlagwort "Amerikanisierung" bestaunt wurde - bekam Urbach wieder Boden unter die Füße. Im Herbst 1935 - sie war inzwischen eine Institution im Wiener Gesellschaftsleben - erschien ihr Buch "So kocht man in Wien!" im Münchner Ernst Reinhardt Verlag, das auf gut fünfhundert Seiten das überbordende einschlägige Wissen versammelte, das sie seit Kindheitstagen erworben hatte. Stolzer noch als der einhellige Zuspruch der Kritiken machte sie, dass sie damit die hohen Erwartungen ihres Vaters doch nicht gänzlich enttäuscht hatte, der seinen Kindern immer wieder eingeschärft hatte, dass die Mayers nur dank harter Arbeit und Bildung dem Getto entkommen waren. Die Freude währte nur kurz. Trotz ansehnlicher Verkaufszahlen befand sich Urbach Mitte 1936 in arger Geldnot. Den Entschluss auszuwandern fasste sie indessen angesichts der zunehmend bedrohlichen politischen Lage. Sie ging im Frühjahr 1937 nach Brighton, kehrte aus unbekannten Gründen aber bald wieder zurück, arbeitete als Diätköchin in einem Sanatorium, nahm ihren Lieferservice wieder auf und plante, die Kochschule im Herbst wiederzueröffnen.

Aber mit dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 wurde die ohnehin schon prekäre Lage äußerst gefährlich. Trotz der Schikanen der NS-Bürokratie gelang Alice mit Hilfe einer in London lebenden Cousine im Oktober die Ausreise nach England. Arbeit fand sie kurzfristig als Dienstbotin auf einem Landsitz nahe der Hauptstadt, dann leitete sie ein Heim für unbegleitete Flüchtlingskinder. Im Oktober 1946 konnte sie in die Vereinigten Staaten einreisen und kam in Chicago in einem großen Hotel als Diätberaterin unter. In den fünfziger und sechziger Jahren lebte sie, finanziell unterstützt von ihren beiden Söhnen in New York, bevor sie 1969 in ein Altersheim nach San Francisco zog und 1977, mit neunzig Jahren, dort anknüpfte, wo ihre Karriere 1938 so brutal abgebrochen worden war: Sie gab wieder Kochunterricht, und das in der renommiertesten Kochschule der Stadt, dem Judith Ets-Hokin Culinary Institute.

Bei keinem der zahlreichen Interviews, zu denen die kleine, quicklebendige Dame nun gebeten wurde, vergaß sie "ihr drittes Kind" zu erwähnen, das man ihr weggenommen hatte. Als Alice Urbach nämlich im Sommer 1949 ihren Sohn Otto in Wien besuchte, der dort als Nachrichtenoffizier des Counter Intelligence Corps stationiert war, fiel ihr im Schaufenster einer Buchhandlung ihr Kochbuch ins Auge - auf dem Umschlag allerdings nicht ihr Name, sondern ein Rudolf Rösch. Sie suchte den Verleger auf und forderte ihr Buch zurück. Der sprach ihr rundweg jegliches Anrecht darauf ab. Er entschädigte sie weder finanziell, noch gab er ihr ihre Autorschaft wieder, was ebenso schäbig wie rechtswidrig war. Denn es war ihr Buch, das bis 1966 unter anderem Autorennamen aufgelegt wurde.

Der Verlag hatte willfährig die Anordnungen der Reichsregierung in der "Judenfrage" exekutiert. Er hätte Urbachs Buch 1938 vom Markt nehmen müssen, entschied sich jedoch für den gewinnbringenden Weg, es zu "arisieren", und beauftragte Rudolf Rösch - "langjähriger Küchenmeister in Wien und Mitarbeiter des Reichsnährstandes", so der Schmutztitel - mit einer Neuauflage. Karina Urbach zieht in Zweifel, dass es diesen "Küchenmeister" wirklich gab.

Da, unter anderem, schießt sie bei der Verfolgung der Machinationen des Münchener Verlags übers Ziel hinaus: Rudolf Rösch bestritt in der "Hausfrauenstunde" des Bayerischen Rundfunks in den dreißiger Jahren des Öfteren den kulinarischen Teil. Er "überschrieb" Urbachs Kochbuch, gruppierte da und dort um, variierte Kapitelüberschriften, formulierte die jeweiligen Einleitungen um, strich einzelne kurze Abschnitte, übernahm aber neben den zweihundert Abbildungen ganze Kapitel über Dutzende Seiten wortwörtlich oder nur minimal variiert. Ganz auf der Höhe der Zeit fügte er ein eigenes Kapitel "Eintopfgerichte aller Art" ein, als "Zeichen schönster Opferfreudigkeit und Volksverbundenheit", und auch eines zum Thema "Kampf dem Verderb" im "nationalen Kampf" um "Nahrungsfreiheit". Rezepte wie "Rothschild-Biskuit", "Rothschild-Omelette" oder "Jaffa-Torte" wurden ausgemerzt, andere treudeutsch umbenannt.

Dass Karina Urbach für diesen Tatbestand nur die kursorische Bemerkung übrig hat, "an einigen Stellen (sei es) zu Paraphrasierungen und Streichungen" gekommen, "das Rösch-Buch (aber) zu 60 Prozent ein Plagiat von Alices Werk", befremdet, schreibt sie doch im Vorwort, ihr Buch sei "im Laufe der Recherche auch zu einer Diebstahlsanzeige geworden". Da hätte man schon gern Genaueres darüber erfahren, was gestohlen wurde und auch wie. Dieses Manko ist vermutlich erzählökonomischen Gründen geschuldet. Denn "Das Buch Alice" ist als "bewegte Familiengeschichte" angelegt. Und es ist eine bewegende Lektüre. Der ältere Sohn von Alice, Otto, erlebte den "Blutigen Samstag", die Bombardierung Schanghais im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg am 14. August 1937 in der Uniform des Shanghai Volunteer Corps. Ihr jüngerer, Karl, wurde im November 1938, einen Brief vom amerikanischen Konsulat und die Karte für die Schiffspassage nach Amerika in der Tasche, in den Räumlichkeiten des jüdischen Auswanderungsbüros von SA-Männern zusammengeschlagen und ins KZ Dachau verschleppt. Zwei Halbschwestern von Alice wurden in Treblinka ermordet, die letzte bekannte Adresse ihrer jüngeren Schwester Helene ist das Getto Lodz.

Karina Urbach rekonstruiert die individuellen Schicksale nicht allein aus Familienkorrespondenz und Tonband-Interviews aus dem Nachlass ihrer Großmutter, sie schöpft auch aus einer Unzahl an Archivbeständen. Die Peripetien der einzelnen Lebensläufe hinterlegt sie konzis mit den politischen und gesellschaftlichen Zeitläuften. Dass sie - Enkelin Alice Urbachs, aber auch zünftige Historikerin, der die Gefahren fehlender emotionaler Distanz bewusst sind -, wie im Vorwort verheißen, ohne Rührseligkeit auskommt, ist eine Leistung für sich. Die Fakten sind anrührend genug.

WALTER SCHÜBLER

Karina Urbach:

"Das Buch Alice". Wie

die Nazis das Kochbuch

meiner Großmutter

raubten.

Propyläen Verlag, Berlin 2020. 420 S., Abb., geb., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Was die Historikerin zutage gefördert hat, ist praller Filmstoff - Verfolgung, Mord, Betrug, Inhaftierung, Flucht, Rettung, Freundschaft, Geheimdiensttätigkeiten, Aufstieg, Fall und Neuanfang ... Urbach erzählt spannend, ja, filmisch." Susanne Kippenberger Der Tagesspiegel 20201028