Das Psychogramm eines Überlebenden. Nach dem II. Weltkrieg durchwandert Blam die Wege und Straßen seiner Heimatstadt Novi Sad und kehrt in Gedanken zurück in eine untergegangene Welt, in die ehemalige Judengasse, zu seinen Eltern, seiner Schwester, seinen Verwandten. Dass Blam selbst mit dem Leben davonkam, verdankt er einem Kollaborateur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995Blam, Bloom und die Blödigkeit des Seins
Aleksandar Tisma horcht auf den Herzschlag eines Überlebenden / Von Paul Ingendaay
Der serbische Schriftsteller Aleksandar Tisma scheint seinen Joyce zu kennen. Auf frappierende Weise erinnert Miroslav Blam, die Hauptfigur seines Romans "Das Buch Blam", an Leopold Bloom, den Helden des "Ulysses": Beide sind Juden und damit gesellschaftliche Außenseiter, beide besitzen ungarische Vorfahren. Bloom und Blam sind nicht nur enge Nachbarn im Alphabet und wären es erst recht im Mund spielender Kinder; sie ähneln sich auch im unscheinbaren Äußeren, sind leicht zu verunsichern und neigen zu Tagträumereien der melancholischen Art. Beide werden von ihren Ehefrauen betrogen, entdecken den Betrug und können doch den Kampf gegen den Rivalen nicht aus eigener Kraft gewinnen. Im Gegenteil; als friedliebende Gemüter, die zur Gewalt schlechterdings nicht zu überreden sind, nehmen sie alle Demütigungen hin.
Bloom und Blam besuchen auch ein Begräbnis, wobei es beiden auf den Kopf regnet und sie die Konversation mit den Trauergästen mühseliger finden als erwünscht. Man mag sie nicht besonders, was sie jedoch keineswegs überrascht. Froh, daß nicht sie, sondern ein anderer im Sarg liegt, machen sich Bloom und Blam, jeder auf seine Weise, einige private und durchaus grundsätzliche Gedanken über den Tod, wie überhaupt das Denken beider ins Allgemeine strebt: Einem forschenden Verstand, so darf man sagen, wird jedes Phänomen der wahrnehmbaren Welt zum Stoff der Reflexion.
Aleksandar Tisma, der Sohn eines Serben und einer ungarischen Jüdin, erfindet seinen gleichmütigen Helden nicht ohne Grund. Blam ist Blam, weil er die historische Katastrophe von Krieg und Besetzung überlebt und sich in die fünfziger Jahre gerettet hat. Tismas Stil brilliert nicht, sondern hält die Sinnlosigkeit der Ereignisse durch einen ebenmäßigen, distanzierten Ton in Schach. Vielleicht will er sogar Zufall und Tod mit seiner monströsen Neutralität übertrumpfen: Ob von einer willkürlichen Erschießung oder dem feinen Schleier eines Herbstmorgens die Rede ist, stilistisch bedeutet es keinen Unterschied.
Nach "Der Gebrauch des Menschen" (1991) und "Die Schule der Gottlosigkeit" (1993) ist "Das Buch Blam" Tismas dritte deutsche Veröffentlichung, die in die Jahre 1941 bis 1944 zurückkehrt, als Novi Sad, die Hauptstadt der autonomen jugoslawischen Provinz Vojvodina, von den mit den Nazis paktierenden Ungarn besetzt wurde. Bis dahin ist es eine Stadt der vier Religionen, in der Serben, Kroaten, Ungarn, Deutsche, Juden, Armenier und Ukrainer einigermaßen friedlich zusammenleben. Mit der Besatzung jedoch kommen die Folterungen, die Deportationen, der Tod.
Der Roman trägt alle Merkmale der Sprach- und Darstellungsskepsis, wie man sie von Tisma kennt: Er gibt sich faktentreu, verwendet inventarisierende Aufzählungen und weist immer wieder auf Dokumente, die das Geschehen beglaubigen sollen - und es doch nur unfaßbarer machen. Zugleich bekennt er sich zu einer einzigen Hauptfigur, eben Blam, und bemüht sich desto hartnäckiger um ein Bild des Blamschen Universums, je haltloser alles ineinanderfließt und die Konturen sich aufzulösen drohen. Daher der Hinweis auf Joyce: Es ist vielleicht die größte Leistung von Tismas fesselndem Roman, daß er jenen Blam, der von vornherein kein bemerkenswerter Charakter ist und sich durch sein Schicksal gleichsam selbst verliert, fest am Kragen packt und ihn weder im Wachen noch in seinen Träumen entwischen läßt.
Blam ist ein Verlorener, weil um ihn herum der geschichtliche Zufall gewütet, ihn aber ohne erkennbaren Grund verschont hat. Im Januar 1942 werden in Novi Sad bei einer dreitägigen Razzia über tausend Menschen, zumeist Serben und Juden, ermordet. Wer danach den Zügen nach Auschwitz entgeht, wer gültige Papiere vorweisen kann, nicht als Kommunist verdächtigt und erschossen wird, hält still oder taucht unter, kollaboriert mit den Besatzern oder schließt sich den Partisanen an. Blam hat außerordentliches Glück. Er überlebt, weil er eine Christin geheiratet hat und nicht dort geblieben ist, wo die Besatzer seine Eltern finden und exekutieren; er besitzt glücklicherweise auch nicht den Mut seiner Schwester, die als Partisanin stirbt; und am Ende geht ihm auch die Konsequenz seines Schulfreundes Cutura ab, der unter den Kugeln der Polizei fällt.
Andererseits ist es ein fragwürdiges Glück, wenn Blam jeden Tag aufwacht und nicht weiß, was er auf der Welt noch soll, nachdem seine Frau Janja aus dem Haus gegangen ist und seine kleine Tochter gefrühstückt hat: So viel Gewohnheit für so wenig Leben! Und ein restlos galliges Glück ist es, daß er seine Rettung der Protektion jenes parfümierten und geschmeidigen Kollaborateurs Pedrag Popadic verdankt, der wiederholt mit Blams Frau geschlafen hat. Alle tot, echte Freunde und falsche. So taumelt Blam durch das kommunistische Novi Sad der Nachkriegszeit, in dem es statt der Judengasse einen Neuen Boulevard gibt, und erinnert sich auf Schritt und Tritt jener, die nicht mehr sind. Immer waren es merkwürdige Zufälle, die auch Blam an den Rand des Abgrunds führten, so daß er kurz in die Tiefe schauen konnte. Irgend etwas muß ihn dann aber vor dem Sturz bewahrt haben, als sei er nicht für ein besseres Los, nur für ein anderes Leiden bestimmt.
Blam leidet daran, daß die Welt, die er wahrnimmt, niemals vollständig ist, seit sie von der Willkür der Besatzer zerstört wurde. Kein Ding, auf dem er seinen Blick ruhen lassen könnte - immer streben die Einzelteile auseinander und wecken in ihm das Gefühl, selber unvollständig, ja zerstückelt zu sein. Nicht nur stürmen isolierte Gegenstände in sein Blickfeld, so daß er seinen Kopf verwirrt hierhin und dorthin wendet, ohne etwas festhalten zu können. Schon früher hat er stets versucht, in seinen Freunden "ein Reservoir dessen zu haben, was er selbst nicht war". Wenn er an einem Tag mit dem Untergrund liebäugelte, weil Cutura geheime Flugblattaktionen plante, gesellte er sich am nächsten zur Jazzband von Krkljus, weil ihm dessen Saxophon verheißungsvoller erschien. Das gilt, man sagt es ungern, bis in die Gegenwart: Was immer Blam tut, seine Sehnsucht zielt darauf, "mit dem stärkeren, entschiedeneren Element zu verschmelzen".
In der Stimme des Erzählers vibriert freilich wenig Mitleid. Vielmehr scheint es, als sei der Erzähler, dem Tisma in seinen Büchern die Berichterstattung überträgt, an Blams Leiden komplizenhaft mitschuldig. Denn niemand anderer als er schreitet in Novi Sad die Blamschen Wege ab und beobachtet an den stehengebliebenen Mauern der Häuser in der ehemaligen Judengasse "das Endliche menschlichen Wohnens". Er ist es, der die gähnend offenen Wohnungen sieht, die hier mit einem Nagel, dort einem verbliebenen Haken ein lächerliches Indiz für den Geschmack früherer Bewohner, der Ermordeten und Deportierten, bewahrt haben. Und er ist es schließlich, der mit seinem Erzählen an ein technisches Verfahren erinnert, das Blams fragmentierter Wahrnehmung auf unheimliche Weise entspricht. Die Rede ist vom Fließband und von der Mechanisierung des Tötens.
Zur selben Zeit, als Ungarn die Vojvodina besetzte, schrieb Sigfried Giedion in den Vereinigten Staaten seine Studie "Die Herrschaft der Mechanisierung". In einem Kapitel mit der Überschrift "Mechanisierung und Tod: Fleisch" untersucht Giedion den gewaltigen Schub, den die Zentralisierung des Tötens 1867 mit dem Bau des ersten großen Schlachthauses in La Villette erhalten hatte. Das Merkwürdige der neuartigen Anlage, deren Vorzüge in Paris heftig diskutiert wurden, lag in einer eigentümlichen "Symbiose von Zentralisation und Handwerk". Obwohl in amerikanischen Schlachthäusern, etwa in Chicago, längst die Fließbänder liefen, hatte in Frankreich jeder Ochse einen eigenen Verschlag, in dem er getötet wurde. Giedion sieht darin, der Größe der gesamten Anlage zum Trotz, die "Fortführung handwerklicher Gewohnheiten, die die Routine des Massenschlachtens nicht kannten".
In den folgenden Jahrzehnten versucht die fleischverarbeitende Industrie, das Töten stetig weiter zu mechanisieren; damit vergrößert sich jedoch unweigerlich der Abstand des Menschen zum Tötungsakt. Schon Tismas Romantitel "Der Gebrauch des Menschen" weist - ohne gesellschaftskritische Absicht - auf ein ähnlich instrumentelles Verhältnis, das an die Nutzung von Hausschweinen erinnert. Eine Passage im "Buch Blam" ruft vollends das mechanisierte Töten wach, wie es die modernen Schlachthäuser anstrebten: Ungarische Einheiten treiben willkürlich ausgewählte Einwohner von Novi Sad zu einer Badeanstalt an der Donau, wo sie mit Maschinengewehren erschossen werden, während von draußen Unzählige nachdrängen. Die in einer langen Schlange stehenden Menschen versuchen, die Angst vor dem Tod zu unterdrücken. "Aber sie näherten sich", so heißt es im Roman, "Schritt für Schritt dem Eingang zur Badeanstalt, der Abschnitt der Kolonne vor ihnen war bereits überschaubar, und hinter ihnen schwoll die Kolonne im selben Rhythmus an, erinnerte an ein lebendes Fließband oder an Mahlgut auf Beinen, das sich allmählich dem Mühlstein nähert."
Nicht Tisma, sondern Sigfried Giedion formulierte die Erkenntnis, die aus der angestrebten Technisierung des Tötens folgt: Erschütternd am massenweisen Übergang vom Leben zum Tod sei "die vollkommene Neutralität des Aktes". Der unmittelbar anschließende Satz gilt auch für den Erzähler des "Buches Blam": "Man spürt nichts mehr, man empfindet nichts mehr, man beobachtet nur." Giedion hatte allen Grund zu vermuten, die Neutralität des Tötens sei "tief in unserer Zeit verankert". Er meinte den Zweiten Weltkrieg, vor dem er geflohen war, er meinte also Tismas Terrain und Tismas Zeit - eine Epoche, als ganze Bevölkerungsschichten, so Giedion, "wehrlos gemacht wie das Schlachtvieh, das kopfabwärts am Fließband hängt, mit durchtrainierter Neutralität ausgetilgt wurden".
So erklärt sich, warum es bei Joyce einen Bloom gibt, der am Ende des Tages in seinem Bett Ruhe findet, hier aber einen Blam, der sein Leben verpaßt zu haben glaubt. Der Unterschied ist nicht einer der Erfahrung, sondern der Dimension. So ist ebenfalls erklärt, warum Blams Kindheits-und Jugenderinnerungen, die durchaus Stoff für zart verschattete Sehnsüchte, gar ein wenig vojvodinischen Proust abgegeben hätten, sich im Blamschen Bewußtsein lautlos hin- und herwiegen wie Seetang: unleugbar vorhanden, durchstoßen sie dennoch nie die Oberfläche.
Blam ist kein Herrscher im Sinne Elias Canettis. Der massenhafte Tod der anderen macht ihn nicht mächtiger, sondern reduziert ihn: "Er hat es versäumt, das alles selbst zu erleben!" Was ihm bleibt, ist nur noch die Imitation von Leben. Ein solcher, so suggeriert das Ende, müßte fort, in einen anderen Roman, wo er endlich, wenn die Reihe an ihn kommt, als Stellvertreter von seinesgleichen zum Opfer werden kann.
Die Wirkungsgeschichte von Aleksandar Tisma in Deutschland ist eine Anmerkung wert. Lange bevor seine ersten Bücher übersetzt wurden, hatte der Autor mit dem Schreiben abgeschlossen. Anfang der neunziger Jahre mußte Tisma, der inzwischen abwechselnd in Frankreich und Novi Sad lebt, gleich doppelt Auskunft geben: zu seinem Werk, das in Deutschland auf einhellige Begeisterung stieß, und zum Krieg im zerfallenden Jugoslawien. Die beiden Themen vertrugen sich schlecht.
Wer Schriftsteller behandelt wie einen Sack voller Meinungen, aus dem man sich für den politischen Tagesbedarf nur zu bedienen braucht, darf sich darüber nicht wundern. Eine empfindsame Kulturjournalistin erschreckte der Autor nicht nur mit großserbischer Rhetorik, sondern vor allem mit der Vermutung, die Fernsehbilder abgemagerter Häftlinge in serbischen Konzentrationslagern könnten durchaus westliche Kriegspropaganda sein. Er zeigte außerdem Verständnis für die Schriftsteller im Dritten Reich, die nicht den Mut zum Widerstand aufbrachten. Der Mensch sei eben so; die Fähigkeit, sich moralisch zu empören, werde durch die Gewöhnung an das Ungeheuerliche betäubt. Er, Tisma, könne die Deutschen verstehen, "die in der Nähe von Konzentrationslagern lebten und später sagten, sie hätten von nichts gewußt".
Man darf diese Sätze nicht falsch verstehen. Sie sind ernst gemeint, fern jener Koketterie, mit der deutsche Theaterregisseure, die Leben in die Bude bringen wollen, nach ein bißchen Faschismus rufen und von kleinen Stahlgewittern aus dem Bühnenhimmel träumen. Tismas "Weltgefühl" ist die direkte Ableitung der eigenen historischen Erfahrung und von daher weder zivilisationskritisch zu dekorieren noch künstlerisch zu hintergehen. Es lautet in aller Schlichtheit, daß der Mensch "ein sehr niedriges Wesen" ist. Von diesem ethischen Mangel, von der grenzenlosen Fähigkeit zum Bösen sprechen Tismas Bücher, ohne Anklage zu erheben. "Jede Manifestation seiner Niedrigkeit", so der Autor, "ist ein neues Detail, das uns das Bild vom Menschen vervollständigt. Deshalb ist der Krieg kein Hindernis für die Kunst, sondern im Gegenteil eine große Stimulanz. Der Stoff der Kunst ist eher das Unglück als das Glück."
Man hat Tisma vorgeworfen, die düstere historische Logik, die er in der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte am Werk sehe, behindere die psychologisch glaubwürdige Zeichnung seiner Figuren. Tatsächlich scheint der Erzähler Tisma nur in Gefahr zu geraten, wenn seinen sicheren, dank Barbara Antkowiak auch im Deutschen bewundernswert transparenten Prosastil überfrachtet. Dann stapelt der Autor ein Bild aufs andere, und der Leser braucht nur noch einverstanden zu nicken. "Seine Vormittage", heißt es zum Beispiel, "verbringt Blam im Interkontinental. Er hockt da wie ein Baumstumpf, wie ein Stein, wie ein vergessener Gegenstand, wie das Fossil einer vergangenen Epoche." Sehr schön, diese unbelebte Natur in Stumpf und Stein, und vollauf genug; freilich stört hier das dritte Bild, es nimmt den ersten beiden etwas weg; doch vollends das vierte ("wie das Fossil einer vergangenen Epoche") hätte seiner klappentexthaften Abstraktion wegen eher vom Rezensenten kommen dürfen als vom Autor.
Nichts liegt Tisma indessen ferner als thesenhafte Pointierung oder gar Belehrung. Wenn er den armen Blam so sauber zum Päckchen schnürt, dann nur, weil er eben alles über ihn weiß und seine Kenntnisse vor uns nicht verbergen kann. Blams Dilemma kennt Tisma von innen; es ist in gewisser Weise sein eigenes. Erst in den fünfziger Jahren, so berichtet er, habe er begonnen, über die Leute nachzudenken, die ihm fehlten, weil sie im Krieg getötet wurden - "und dann habe ich langsam entdeckt, daß ich mir selbst auch fehle, daß ich in einem gewissen Maße ebenfalls vernichtet wurde, daß ich eigentlich nie mehr dieser Mensch sein werde, der ich zu sein glaubte".
Denkt man den Satz zu Ende, dann hat der Schriftsteller außer seinem Werk nichts vorzuweisen: kein Ego, das für seine Leser von Interesse wäre, keine Ansichten, noch nicht einmal eine Persönlichkeit, die eine Talkshow überstehen würde. Wer immer der Schriftsteller Aleksandar Tisma wirklich ist, sein außerordentliches Werk ist ein Schlachthof. In ihm stirbt der naive Glaube, Literatur sei dazu da, den Menschen besser zu machen.
Aleksandar Tisma: "Das Buch Blam". Roman. Aus dem Serbokroatischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Carl Hanser Verlag, München 1995. 238 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aleksandar Tisma horcht auf den Herzschlag eines Überlebenden / Von Paul Ingendaay
Der serbische Schriftsteller Aleksandar Tisma scheint seinen Joyce zu kennen. Auf frappierende Weise erinnert Miroslav Blam, die Hauptfigur seines Romans "Das Buch Blam", an Leopold Bloom, den Helden des "Ulysses": Beide sind Juden und damit gesellschaftliche Außenseiter, beide besitzen ungarische Vorfahren. Bloom und Blam sind nicht nur enge Nachbarn im Alphabet und wären es erst recht im Mund spielender Kinder; sie ähneln sich auch im unscheinbaren Äußeren, sind leicht zu verunsichern und neigen zu Tagträumereien der melancholischen Art. Beide werden von ihren Ehefrauen betrogen, entdecken den Betrug und können doch den Kampf gegen den Rivalen nicht aus eigener Kraft gewinnen. Im Gegenteil; als friedliebende Gemüter, die zur Gewalt schlechterdings nicht zu überreden sind, nehmen sie alle Demütigungen hin.
Bloom und Blam besuchen auch ein Begräbnis, wobei es beiden auf den Kopf regnet und sie die Konversation mit den Trauergästen mühseliger finden als erwünscht. Man mag sie nicht besonders, was sie jedoch keineswegs überrascht. Froh, daß nicht sie, sondern ein anderer im Sarg liegt, machen sich Bloom und Blam, jeder auf seine Weise, einige private und durchaus grundsätzliche Gedanken über den Tod, wie überhaupt das Denken beider ins Allgemeine strebt: Einem forschenden Verstand, so darf man sagen, wird jedes Phänomen der wahrnehmbaren Welt zum Stoff der Reflexion.
Aleksandar Tisma, der Sohn eines Serben und einer ungarischen Jüdin, erfindet seinen gleichmütigen Helden nicht ohne Grund. Blam ist Blam, weil er die historische Katastrophe von Krieg und Besetzung überlebt und sich in die fünfziger Jahre gerettet hat. Tismas Stil brilliert nicht, sondern hält die Sinnlosigkeit der Ereignisse durch einen ebenmäßigen, distanzierten Ton in Schach. Vielleicht will er sogar Zufall und Tod mit seiner monströsen Neutralität übertrumpfen: Ob von einer willkürlichen Erschießung oder dem feinen Schleier eines Herbstmorgens die Rede ist, stilistisch bedeutet es keinen Unterschied.
Nach "Der Gebrauch des Menschen" (1991) und "Die Schule der Gottlosigkeit" (1993) ist "Das Buch Blam" Tismas dritte deutsche Veröffentlichung, die in die Jahre 1941 bis 1944 zurückkehrt, als Novi Sad, die Hauptstadt der autonomen jugoslawischen Provinz Vojvodina, von den mit den Nazis paktierenden Ungarn besetzt wurde. Bis dahin ist es eine Stadt der vier Religionen, in der Serben, Kroaten, Ungarn, Deutsche, Juden, Armenier und Ukrainer einigermaßen friedlich zusammenleben. Mit der Besatzung jedoch kommen die Folterungen, die Deportationen, der Tod.
Der Roman trägt alle Merkmale der Sprach- und Darstellungsskepsis, wie man sie von Tisma kennt: Er gibt sich faktentreu, verwendet inventarisierende Aufzählungen und weist immer wieder auf Dokumente, die das Geschehen beglaubigen sollen - und es doch nur unfaßbarer machen. Zugleich bekennt er sich zu einer einzigen Hauptfigur, eben Blam, und bemüht sich desto hartnäckiger um ein Bild des Blamschen Universums, je haltloser alles ineinanderfließt und die Konturen sich aufzulösen drohen. Daher der Hinweis auf Joyce: Es ist vielleicht die größte Leistung von Tismas fesselndem Roman, daß er jenen Blam, der von vornherein kein bemerkenswerter Charakter ist und sich durch sein Schicksal gleichsam selbst verliert, fest am Kragen packt und ihn weder im Wachen noch in seinen Träumen entwischen läßt.
Blam ist ein Verlorener, weil um ihn herum der geschichtliche Zufall gewütet, ihn aber ohne erkennbaren Grund verschont hat. Im Januar 1942 werden in Novi Sad bei einer dreitägigen Razzia über tausend Menschen, zumeist Serben und Juden, ermordet. Wer danach den Zügen nach Auschwitz entgeht, wer gültige Papiere vorweisen kann, nicht als Kommunist verdächtigt und erschossen wird, hält still oder taucht unter, kollaboriert mit den Besatzern oder schließt sich den Partisanen an. Blam hat außerordentliches Glück. Er überlebt, weil er eine Christin geheiratet hat und nicht dort geblieben ist, wo die Besatzer seine Eltern finden und exekutieren; er besitzt glücklicherweise auch nicht den Mut seiner Schwester, die als Partisanin stirbt; und am Ende geht ihm auch die Konsequenz seines Schulfreundes Cutura ab, der unter den Kugeln der Polizei fällt.
Andererseits ist es ein fragwürdiges Glück, wenn Blam jeden Tag aufwacht und nicht weiß, was er auf der Welt noch soll, nachdem seine Frau Janja aus dem Haus gegangen ist und seine kleine Tochter gefrühstückt hat: So viel Gewohnheit für so wenig Leben! Und ein restlos galliges Glück ist es, daß er seine Rettung der Protektion jenes parfümierten und geschmeidigen Kollaborateurs Pedrag Popadic verdankt, der wiederholt mit Blams Frau geschlafen hat. Alle tot, echte Freunde und falsche. So taumelt Blam durch das kommunistische Novi Sad der Nachkriegszeit, in dem es statt der Judengasse einen Neuen Boulevard gibt, und erinnert sich auf Schritt und Tritt jener, die nicht mehr sind. Immer waren es merkwürdige Zufälle, die auch Blam an den Rand des Abgrunds führten, so daß er kurz in die Tiefe schauen konnte. Irgend etwas muß ihn dann aber vor dem Sturz bewahrt haben, als sei er nicht für ein besseres Los, nur für ein anderes Leiden bestimmt.
Blam leidet daran, daß die Welt, die er wahrnimmt, niemals vollständig ist, seit sie von der Willkür der Besatzer zerstört wurde. Kein Ding, auf dem er seinen Blick ruhen lassen könnte - immer streben die Einzelteile auseinander und wecken in ihm das Gefühl, selber unvollständig, ja zerstückelt zu sein. Nicht nur stürmen isolierte Gegenstände in sein Blickfeld, so daß er seinen Kopf verwirrt hierhin und dorthin wendet, ohne etwas festhalten zu können. Schon früher hat er stets versucht, in seinen Freunden "ein Reservoir dessen zu haben, was er selbst nicht war". Wenn er an einem Tag mit dem Untergrund liebäugelte, weil Cutura geheime Flugblattaktionen plante, gesellte er sich am nächsten zur Jazzband von Krkljus, weil ihm dessen Saxophon verheißungsvoller erschien. Das gilt, man sagt es ungern, bis in die Gegenwart: Was immer Blam tut, seine Sehnsucht zielt darauf, "mit dem stärkeren, entschiedeneren Element zu verschmelzen".
In der Stimme des Erzählers vibriert freilich wenig Mitleid. Vielmehr scheint es, als sei der Erzähler, dem Tisma in seinen Büchern die Berichterstattung überträgt, an Blams Leiden komplizenhaft mitschuldig. Denn niemand anderer als er schreitet in Novi Sad die Blamschen Wege ab und beobachtet an den stehengebliebenen Mauern der Häuser in der ehemaligen Judengasse "das Endliche menschlichen Wohnens". Er ist es, der die gähnend offenen Wohnungen sieht, die hier mit einem Nagel, dort einem verbliebenen Haken ein lächerliches Indiz für den Geschmack früherer Bewohner, der Ermordeten und Deportierten, bewahrt haben. Und er ist es schließlich, der mit seinem Erzählen an ein technisches Verfahren erinnert, das Blams fragmentierter Wahrnehmung auf unheimliche Weise entspricht. Die Rede ist vom Fließband und von der Mechanisierung des Tötens.
Zur selben Zeit, als Ungarn die Vojvodina besetzte, schrieb Sigfried Giedion in den Vereinigten Staaten seine Studie "Die Herrschaft der Mechanisierung". In einem Kapitel mit der Überschrift "Mechanisierung und Tod: Fleisch" untersucht Giedion den gewaltigen Schub, den die Zentralisierung des Tötens 1867 mit dem Bau des ersten großen Schlachthauses in La Villette erhalten hatte. Das Merkwürdige der neuartigen Anlage, deren Vorzüge in Paris heftig diskutiert wurden, lag in einer eigentümlichen "Symbiose von Zentralisation und Handwerk". Obwohl in amerikanischen Schlachthäusern, etwa in Chicago, längst die Fließbänder liefen, hatte in Frankreich jeder Ochse einen eigenen Verschlag, in dem er getötet wurde. Giedion sieht darin, der Größe der gesamten Anlage zum Trotz, die "Fortführung handwerklicher Gewohnheiten, die die Routine des Massenschlachtens nicht kannten".
In den folgenden Jahrzehnten versucht die fleischverarbeitende Industrie, das Töten stetig weiter zu mechanisieren; damit vergrößert sich jedoch unweigerlich der Abstand des Menschen zum Tötungsakt. Schon Tismas Romantitel "Der Gebrauch des Menschen" weist - ohne gesellschaftskritische Absicht - auf ein ähnlich instrumentelles Verhältnis, das an die Nutzung von Hausschweinen erinnert. Eine Passage im "Buch Blam" ruft vollends das mechanisierte Töten wach, wie es die modernen Schlachthäuser anstrebten: Ungarische Einheiten treiben willkürlich ausgewählte Einwohner von Novi Sad zu einer Badeanstalt an der Donau, wo sie mit Maschinengewehren erschossen werden, während von draußen Unzählige nachdrängen. Die in einer langen Schlange stehenden Menschen versuchen, die Angst vor dem Tod zu unterdrücken. "Aber sie näherten sich", so heißt es im Roman, "Schritt für Schritt dem Eingang zur Badeanstalt, der Abschnitt der Kolonne vor ihnen war bereits überschaubar, und hinter ihnen schwoll die Kolonne im selben Rhythmus an, erinnerte an ein lebendes Fließband oder an Mahlgut auf Beinen, das sich allmählich dem Mühlstein nähert."
Nicht Tisma, sondern Sigfried Giedion formulierte die Erkenntnis, die aus der angestrebten Technisierung des Tötens folgt: Erschütternd am massenweisen Übergang vom Leben zum Tod sei "die vollkommene Neutralität des Aktes". Der unmittelbar anschließende Satz gilt auch für den Erzähler des "Buches Blam": "Man spürt nichts mehr, man empfindet nichts mehr, man beobachtet nur." Giedion hatte allen Grund zu vermuten, die Neutralität des Tötens sei "tief in unserer Zeit verankert". Er meinte den Zweiten Weltkrieg, vor dem er geflohen war, er meinte also Tismas Terrain und Tismas Zeit - eine Epoche, als ganze Bevölkerungsschichten, so Giedion, "wehrlos gemacht wie das Schlachtvieh, das kopfabwärts am Fließband hängt, mit durchtrainierter Neutralität ausgetilgt wurden".
So erklärt sich, warum es bei Joyce einen Bloom gibt, der am Ende des Tages in seinem Bett Ruhe findet, hier aber einen Blam, der sein Leben verpaßt zu haben glaubt. Der Unterschied ist nicht einer der Erfahrung, sondern der Dimension. So ist ebenfalls erklärt, warum Blams Kindheits-und Jugenderinnerungen, die durchaus Stoff für zart verschattete Sehnsüchte, gar ein wenig vojvodinischen Proust abgegeben hätten, sich im Blamschen Bewußtsein lautlos hin- und herwiegen wie Seetang: unleugbar vorhanden, durchstoßen sie dennoch nie die Oberfläche.
Blam ist kein Herrscher im Sinne Elias Canettis. Der massenhafte Tod der anderen macht ihn nicht mächtiger, sondern reduziert ihn: "Er hat es versäumt, das alles selbst zu erleben!" Was ihm bleibt, ist nur noch die Imitation von Leben. Ein solcher, so suggeriert das Ende, müßte fort, in einen anderen Roman, wo er endlich, wenn die Reihe an ihn kommt, als Stellvertreter von seinesgleichen zum Opfer werden kann.
Die Wirkungsgeschichte von Aleksandar Tisma in Deutschland ist eine Anmerkung wert. Lange bevor seine ersten Bücher übersetzt wurden, hatte der Autor mit dem Schreiben abgeschlossen. Anfang der neunziger Jahre mußte Tisma, der inzwischen abwechselnd in Frankreich und Novi Sad lebt, gleich doppelt Auskunft geben: zu seinem Werk, das in Deutschland auf einhellige Begeisterung stieß, und zum Krieg im zerfallenden Jugoslawien. Die beiden Themen vertrugen sich schlecht.
Wer Schriftsteller behandelt wie einen Sack voller Meinungen, aus dem man sich für den politischen Tagesbedarf nur zu bedienen braucht, darf sich darüber nicht wundern. Eine empfindsame Kulturjournalistin erschreckte der Autor nicht nur mit großserbischer Rhetorik, sondern vor allem mit der Vermutung, die Fernsehbilder abgemagerter Häftlinge in serbischen Konzentrationslagern könnten durchaus westliche Kriegspropaganda sein. Er zeigte außerdem Verständnis für die Schriftsteller im Dritten Reich, die nicht den Mut zum Widerstand aufbrachten. Der Mensch sei eben so; die Fähigkeit, sich moralisch zu empören, werde durch die Gewöhnung an das Ungeheuerliche betäubt. Er, Tisma, könne die Deutschen verstehen, "die in der Nähe von Konzentrationslagern lebten und später sagten, sie hätten von nichts gewußt".
Man darf diese Sätze nicht falsch verstehen. Sie sind ernst gemeint, fern jener Koketterie, mit der deutsche Theaterregisseure, die Leben in die Bude bringen wollen, nach ein bißchen Faschismus rufen und von kleinen Stahlgewittern aus dem Bühnenhimmel träumen. Tismas "Weltgefühl" ist die direkte Ableitung der eigenen historischen Erfahrung und von daher weder zivilisationskritisch zu dekorieren noch künstlerisch zu hintergehen. Es lautet in aller Schlichtheit, daß der Mensch "ein sehr niedriges Wesen" ist. Von diesem ethischen Mangel, von der grenzenlosen Fähigkeit zum Bösen sprechen Tismas Bücher, ohne Anklage zu erheben. "Jede Manifestation seiner Niedrigkeit", so der Autor, "ist ein neues Detail, das uns das Bild vom Menschen vervollständigt. Deshalb ist der Krieg kein Hindernis für die Kunst, sondern im Gegenteil eine große Stimulanz. Der Stoff der Kunst ist eher das Unglück als das Glück."
Man hat Tisma vorgeworfen, die düstere historische Logik, die er in der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte am Werk sehe, behindere die psychologisch glaubwürdige Zeichnung seiner Figuren. Tatsächlich scheint der Erzähler Tisma nur in Gefahr zu geraten, wenn seinen sicheren, dank Barbara Antkowiak auch im Deutschen bewundernswert transparenten Prosastil überfrachtet. Dann stapelt der Autor ein Bild aufs andere, und der Leser braucht nur noch einverstanden zu nicken. "Seine Vormittage", heißt es zum Beispiel, "verbringt Blam im Interkontinental. Er hockt da wie ein Baumstumpf, wie ein Stein, wie ein vergessener Gegenstand, wie das Fossil einer vergangenen Epoche." Sehr schön, diese unbelebte Natur in Stumpf und Stein, und vollauf genug; freilich stört hier das dritte Bild, es nimmt den ersten beiden etwas weg; doch vollends das vierte ("wie das Fossil einer vergangenen Epoche") hätte seiner klappentexthaften Abstraktion wegen eher vom Rezensenten kommen dürfen als vom Autor.
Nichts liegt Tisma indessen ferner als thesenhafte Pointierung oder gar Belehrung. Wenn er den armen Blam so sauber zum Päckchen schnürt, dann nur, weil er eben alles über ihn weiß und seine Kenntnisse vor uns nicht verbergen kann. Blams Dilemma kennt Tisma von innen; es ist in gewisser Weise sein eigenes. Erst in den fünfziger Jahren, so berichtet er, habe er begonnen, über die Leute nachzudenken, die ihm fehlten, weil sie im Krieg getötet wurden - "und dann habe ich langsam entdeckt, daß ich mir selbst auch fehle, daß ich in einem gewissen Maße ebenfalls vernichtet wurde, daß ich eigentlich nie mehr dieser Mensch sein werde, der ich zu sein glaubte".
Denkt man den Satz zu Ende, dann hat der Schriftsteller außer seinem Werk nichts vorzuweisen: kein Ego, das für seine Leser von Interesse wäre, keine Ansichten, noch nicht einmal eine Persönlichkeit, die eine Talkshow überstehen würde. Wer immer der Schriftsteller Aleksandar Tisma wirklich ist, sein außerordentliches Werk ist ein Schlachthof. In ihm stirbt der naive Glaube, Literatur sei dazu da, den Menschen besser zu machen.
Aleksandar Tisma: "Das Buch Blam". Roman. Aus dem Serbokroatischen übersetzt von Barbara Antkowiak. Carl Hanser Verlag, München 1995. 238 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"'Das Buch Blam' erzählt von Miroslav Blam aus Novi Sad, dem Holocaust-Überlebenden, der sein Davongekommen-Sein wie eine Schmach erleidet. Der Roman ist ein umgestülptes Buch Hiob: Blam von Gott nicht geprüft, und vielleicht ist diese Nicht-Prüfung die ärgste Prüfung überhaupt." Literaturen