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Eine gemeinsame Veröffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot StiftungAn seinem Grab versammelte sich vor 90 Jahren das Wien des Fin de Siècle: Egon Friedell, Arnold Schönberg, Adolf Loos, Karl Kraus und hunderte andere Freunde und Bewunderer nahmen Abschied von Peter Altenberg (1859-1919). In diesem tragischen Genie hatte die Wiener Kaffeehausszene ihren Chronisten gefunden: Altenberg hielt fest, was der Tag ihm zutrug - in Prosaskizzen mit Blitzlichtwirkung, Texten, die gegen Ende seines von Alkohol- und Drogenkonsum beschädigten Bohèmelebens in…mehr

Produktbeschreibung
Eine gemeinsame Veröffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot StiftungAn seinem Grab versammelte sich vor 90 Jahren das Wien des Fin de Siècle: Egon Friedell, Arnold Schönberg, Adolf Loos, Karl Kraus und hunderte andere Freunde und Bewunderer nahmen Abschied von Peter Altenberg (1859-1919). In diesem tragischen Genie hatte die Wiener Kaffeehausszene ihren Chronisten gefunden: Altenberg hielt fest, was der Tag ihm zutrug - in Prosaskizzen mit Blitzlichtwirkung, Texten, die gegen Ende seines von Alkohol- und Drogenkonsum beschädigten Bohèmelebens in Gedankensplitter zerfielen, denen das Wort kaum mehr nachkam. Peter Altenbergs Werk ist heute nur noch in wenigen schmalen Auswahlausgaben greifbar. Mit dieser Edition erscheint zu seinem 150. Geburtstag am 9. März die umfangreichste Werkausgabe, die es je gab: Anhand von Arbeitsexemplaren ist hier die dreibändige Auswahl rekonstruiert, die ursprünglich Altenbergs Freund und Bewunderer Karl Kraus geplant hatte. Sie wird ergänzt durch einen Essay von Wilhelm Genazino sowie ein umfangreiches Nachwort und einen Stellenkommentar des Herausgebers Rainer Gerlach.'Das was der Altenberg schreibt, das weiß man ja sowieso!' Er schreibt es nämlich so, daß man glaubt, man wüßte es seit jeher sowieso! Aber erst durch ihn weiß man, daß man es seit jeher schon wußte, das heißt, hätte wissen sollen! Man geniert sich direkt vor sich selber, daß man es erst jetzt durch diesen verrückten exzentrischen Altenberg erfährt!Peter Altenberg über Peter AltenbergMit dieser Edition startet eine neue Reihe der Wüstenrot Stiftung und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Literarische Werke, die aus dem kulturellen Gedächtnis zu fallen drohen, werden neu ediert und von zeitgenössischen Schriftstellern vorgestellt. Diese erläutern in einem begleitenden Essaydie Bedeutung der Texte und stellen das Werk auch im Rahmen einer Lesereise der Öffentlichkeit vor.
Autorenporträt
Peter Altenberg (eigtl. Richard Englänger, 1859-1919), jüdischer Kaufmannssohn und Bohèmien, war der populärste Kaffeehausliterat des Wiener Fin de siècle, ein 'Genie der Nichtigkeiten' (Franz Kafka), ein 'Afrikaforscher der Seele' (Anton Kuh).Der Herausgeber: Rainer Gerlach, geb. 1951, Studium der Germanistik und Geschichte in Göttingen, zahlreiche Buch- und Zeitschriftenpublikationen zur Literatur der Moderne. Veröffentlichte bei Wallstein zuletzt mit Jürgen Schutte das 'Kopenhagener Journal' von Peter Weiss (2006).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2010

Hunnenhorden in der Wort-Destille
Ein Meister des Anmutig-Hinfälligen ist neu zu entdecken: Das von Karl Kraus zusammengestellte „Buch der Bücher von Peter Altenberg” in drei Bänden
Es gibt bestimmte Formen geistig-geselliger Lebensweise, die irgendwann einmal hinter ihrer kultischen Rezeption verschwinden und nur noch als modisches Zerrbild spuken; dem Pariser Existentialismus ist dies ebenso geschehen wie der Bloomsbury Group. Vielleicht war die früheste Form moderner Geistigkeit, die sich in ein solch dekoratives Abziehbild verwandelte, das Wiener Kaffeehaus. Dass sich auch in diesem Milieu eine konsequente Ästhetik verbirgt, war lange Zeit unter anderem deshalb schwer zu entziffern, weil eine befriedigende Ausgabe des wichtigsten Autors jener Lebenswelt fehlte. Anzuzeigen ist nun die Wiedergewinnung des Werks von Peter Altenberg.
Altenberg (1859-1919) – eigentlich Richard Engländer – ist einer jener Autoren, von denen viele Leser ein vages Bild haben werden, ohne seine Bücher zu kennen. Erst die Kenntnis der Bücher aber rettet das Bild gerade dieses Autors davor, zum Klischee zu werden. Das Leben lässt sich knapp zusammenfassen: Er kam aus einer wohlhabenden Wiener Kaufmannsfamilie; Studiengänge und Berufspraktika brach er bald ab. Man stellte dem jungen Mann die damals beliebte Diagnose der Neurasthenie, und es begann das Leben eines zunehmend ärmlich existierenden Bohemiens mit großer Produktivität als Journalist und vor allem als Verfasser impressionistischer Skizzenliteratur im „Telegrammstil der Seele”.
Denkmal einer Freundschaft
Das erste Buch mit dem charakteristischen Titel „Wie ich es sehe” erschien 1896 durch die Vermittlung von Karl Kraus; eine andere Verbindung war die zu Adolf Loos. Die Veröffentlichungen führten zu einer gewissen Berühmtheit. Dass Altenberg seine Bewunderer zu markant dialektischen Formulierungen verführt, bewies schon früh Thomas Mann, der von „seinem so kindlichen und so raffinierten Tonfall” sprach, „in welchem Anmutig-Hinfälliges sich auf so bezaubernde Art mit Pionierhaft-Zukünftigstem verband”. Das „Zukünftigste” war wohl die – durch die lebensreformerische Zeitmode hindurchbrechende – radikale Subjektivität des Autors.
Die neue dreibändige Edition seiner Werke rekonstruiert nun jene umfassende Textauswahl, die sein Freund Karl Kraus für den zehnten Todestag Altenbergs zusammengestellt hatte, aber nicht zur Veröffentlichung bringen konnte. (Der Herausgeber Rainer Gerlach zeichnet in seinem klugen, informativen Nachwort die verwickelte Geschichte dieses Planes nach.) Sie ist ein Ereignis; denn sie stellt nicht nur das Werk in generösen Dimensionen vor, sie enthüllt durch die akribische Nachbildung von Kraus’ Auswahl endlich das lange unsichtbare Denkmal einer großen Literaturfreundschaft. Kraus hat aus den elf Büchern Altenbergs und dem Nachlass ein „Buch der Bücher” Altenbergs ausgesucht.
Paradoxerweise macht nun diese massive Ausgabe den Meister der kleinen, aus der Fixierung flüchtiger Impressionen und eigensinniger Vorurteile gewonnenen Formen erst wahrhaft sichtbar. Die Silhouette der äußeren und inneren Existenz des Autors gibt Wilhelm Genazino in seinem Vorwort. Ihn verbindet manches mit seinem Gegenstand: Hier erkennt ein Meister der Beschreibung widersprüchlicher und flüchtiger Stimmungen einen verwandten Autor: „Der Charme, der in diesem Durcheinander entsteht, ähnelt der Schlampigkeit des Wirklichen.”
Die Texte Altenbergs, oft nur eine halbe Seite, selten mehr als ein paar Seiten lang, sind – ineinanderspielend – Anekdoten, Prosagedichte, Notate von unerklärlich wechselhaften Stimmungen, Reflexionen, kleine Alltagsgeschichten (manchmal so sehr von allem Geschehnis, von allem „Besonderen” entleert, dass sie zu Robert Walser hinüberzugrüßen scheinen), Gespräche, aphoristisch unnachgiebige Proklamationen zu den kleinen Ereignissen und den größten Fragen des Lebens. Seine gelegentlich herrische, impulsive Diagnostik trennt ihn von Walser, aber auch er hat Züge unendlicher Zärtlichkeit, begeistert oder mitleidend.
Seine wiederholte programmatische Erklärung, diese Arbeiten seien „Extrakte”, rücken die knappen, kleinen Formen in die Nähe der zeitgenössischen Diätetik: Man soll sich nicht von schweren, fetten, teigigen Substanzen ernähren, sondern von leichten Konzentraten. (Das stilbildende Modell ist Liebigs Fleischextrakt.) Die kleinen Listen besonders verehrungswürdiger Dinge, die Altenberg gelegentlich anlegt, enthalten stets neben Mädchen, Landschaften und Kunstereignissen bestimmte Speisen und Getränke, und unter diesen finden sich wiederum oft pure Substanzen: Topfen, Obst, Spargel – die reine Form in der Ernährung.
Wo andere Ästhetiken das Destillat als Begriff verwenden („Alcools”), steht hier die eingedampfte Nahrungssubstanz: ein intensives Geschmackserlebnis ohne Ballast, aber vor allem eine unmittelbare Kräftigung. Aus diesen winzigen Extrakt-Texten soll dem Leser eine Stärkung erwachsen wie dem Kranken oder Nervösen durch entsprechende Diät. Hier trifft sich der Autor mit Karl Kraus, dessen Abneigung gegen die schwere, gemütliche Küche „in Wien, wo die Gemüse und die Gehirne mit Mehl zubereitet sind” ein Echo bildet.
Auf eigenartige Weise scheint mit dieser Liebe zum Raffinement der einfachen Speisen auch Altenbergs Eros zusammenzuhängen, dessen bevorzugtes Objekt kleine Mädchen sind. Dem unnachgiebigen Misstrauen, das wir solchen Leidenschaften gegenüber erlernt haben, ist entgegenzuhalten, dass die Texte Altenbergs keine sexuellen Machtphantasien evozieren oder befördern, sondern das Entzücken an einer noch nicht durch das Leben deformierten Natur zum Ausdruck bringen wollen. Der wundersamen „Ahnungslosigkeit” der Kindheit begegnet der Verliebte mit reiner Verehrung. Diese Stilisierung eines großen Glücks ist auf dem Hintergrund des – unmittelbar autobiographischen – Satzes zu sehen, den auch Genazino zitiert: „Später überfiel uns das Schicksal wie eine unvorhergesehene Hunnenhorde und bereitete uns allenthalben schwere Niederlagen.”
Aufwallungen von Mitgefühl
Die Freundschaft mit dem strengen und abweisenden Kraus ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert; sie hielt dem herrischen Opportunismus des stets in dürftigen Umständen existierenden Altenberg stand. (Sigismund von Radecki hat eine schöne Anekdote überliefert: Die beiden sitzen im Café und Altenberg will mit der Insistenz des Schnorrers unbedingt immer wieder zwanzig Kronen von Kraus. „Karl, gib mir zwanzig Kronen . . . ” Kraus wehrt ein um das andere Mal ab und sagt schließlich kategorisch: Ich hab das Geld nicht. Altenberg erwidert in einer Aufwallung von Mitgefühl: „Ich borg’s dir.”) Diese Freundschaft beruhte auf Kraus’ unerschütterlicher Hochschätzung eines Werkes, das ihm das perfekte Gegenmodell wider das Weitschweifige, Breite, Wichtigtuerische der literarischen Zeitgenossenschaft schien. Am Grab Altenbergs hielt Kraus eine Rede, die dem toten Freund die Schlusssätze des „Götz von Berlichingen” nachrief: „Edler Mann! Edler Mann! Wehe dem Jahrhundert, das dich von sich stieß! – Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt!”
Das unserer Gegenwart wunderlich erscheinende, aber tatsächlich wunderbare Pathos ist aus der Theaterleidenschaft und Theatererfahrung geboren: der Erfahrung einer Bühne, die vor allem Sprache war. Das „Wehe!” dieses Rufes sollte man beim Satiriker Kraus nicht leicht nehmen. Es misst die Gesellschaft am Maßstab eines neurotischen Außenseiters. Manche Zuhörer mögen damals die vorausgehenden Sätze des sterbenden Götz mitgehört haben: „Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Tore. Es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Macht gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen.”
Diese Verklärung eines in seiner exzentrischen Sonderlingshaftigkeit Belächelten als „edler Mann” wird der genuine Leser Altenbergs nach und nach – in einer Serie kleiner Epiphanien – begreifen, wenn ihm Eindringlichkeit und Radikalität des lebenslangen Versuches sichtbar werden, das geheimnisvoll flüchtige, schöne und verzweiflungsvolle Leben zu beschwören: mit den Zauberformeln eines unerhört subjektiven Impressionismus.
Altenberg wurde in Wien als „Original” belächelt und sitzt heute als Puppe am Eingang des Café Central, um die Touristen zu begrüßen; es mag das als eine Ehrung gemeint sein, aber der Genius Loci scheint hier eher herbeizitiert zu jener „Hebung des Fremdenverkehrs”, den Kraus als idealen Lebenszweck seiner Landsleute diagnostizierte. Der Genius wird wieder zur Kaffeehaussehenswürdigkeit. Immerhin wird die Stadt Wien dem Andenken des Mannes eher gerecht, indem sie im Stadtmuseum eine Postkarte bereithält, auf der ein handgeschriebenes Schild aus dem Jahre 1910 zu sehen ist: „Ich bin heute, ausnahmslos, für Niemanden zu sprechen. Peter Altenberg.”
Vom Gerücht zum Extrakt
Mit der nun vorliegenden neuen Ausgabe wird der Leser in das versperrte Hotelzimmer des Außenseiters hineingewinkt, und was er bisher vielleicht gelegentlich als fernes Gerücht vernommen hat, bestätigt sich: Hier wohnt einer der wirklich bedeutenden Autoren deutscher Sprache im letzten Jahrhundert, Autor eines peinsam widersprüchlichen, „zwielichtigen” (Genazino), aber unentbehrlichen Werkes. Man kann jetzt in diesen schön gemachten Bänden blättern, kann sie wie Orakelbücher des inneren Labyrinths aufschlagen. Kann, in Zustimmung und Ablehnung, einen Autor verehren, dessen „Extrakte” erstaunlich frisch schmecken: nach dem stimulierend bitteren Paradoxon der alten Frage, wie literarische Reflexion und richtiges Leben sich zueinander verhalten. JOACHIM KALKA
PETER ALTENBERG: Das Buch der Bücher von Peter Altenberg. Zusammengestellt von Karl Kraus. Herausgegeben von Rainer Gerlach. Mit einem Essay von Wilhelm Genazino. Eine gemeinsame Veröffentlichung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. Drei Bände. 1006 Seiten, 49,90 Euro.
Wer das Liebig- Extrakt als Vorbild einer Verschlankung der Literatur empfiehlt, ist nicht nur im Kaffeehaus zu Hause, sondern auch in Wald und Feld: Peter Altenberg (1859-1919). Foto: Getty images
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Rezensent Alexander Kosenina strahlt diese Neuausgabe nicht nur als Fest der Buchkunst. So alt wie der Plan zu diesem Band (von Karl Kraus 1928 konzipiert), so fulminant erscheinen ihm die hier enthaltenen messerscharfen Aphorismen und neu hinzugefügten Briefe und Dokumente von und zu Peter Altenberg. Kosenina erkennt in dieser "Bibel des Jungen Wien" die Meisterschaft Altenbergs als eines scharfsichtigen, sprachkritischen Protokollanten, aber auch dessen Vernetzung innerhalb des dichtenden Wiens, mit Hofmannsthal, Schnitzler, Bahr und Kraus. Besonders bezüglich Altenbergs erster Textsammlung "Wie ich es sehe" verhilft der Dokumentteil des Bandes mit aufschlussreichen Rezensionen zu den Texten dem Rezensenten zu neuen Erkenntnissen.

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