Bestandsaufnahme und Rückblick: Bei Daos Gedichte - als Exilliteratur in den USA entstanden - bedienen sich hauptsächlich der Paradoxie als Stilmittel. Dies sei, so sagt er, für ihn der einzige Weg, um die Welt in ihrer Widersprüchlichkeit zu entdecken. Indem er sein Leben poetisch analysiert, kommt auch die Geschichte zu Wort: die zerstobenen Illusionen eines Dichters, der von einer anderen, besseren Welt geträumt hat.
Bei Daos Gedichtband „Das Buch der Niederlage”
Bei Dao, der 1949 geborene chinesische Dichter, lebt seit 1989 im Exil. Nur unter strengen Auflagen war es ihm erlaubt, in China seine Familie wiederzusehen. Seit 2005 ist ihm auch diese Freiheit genommen, da er in einem Interview die Niederschlagung der Bewegung für Demokratie in China erwähnte und da er sich nicht als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit anwerben ließ.
Sind Bei Daos Gedichte, wie man demnach vermuten möchte, politische Gedichte? Wer könnte einen daran hindern, einen Vers wie „Sie salutierten vor einem Hund” politisch zu lesen? Doch Bei Daos Gedichte aus den Jahren zwischen 1992 und 2008 sind das Gegenteil von Agitprop. Sie sind hermetische Gebilde, Gespinste aus unerwarteten Bildern, die viele Lesarten in den Sinn kommen lassen statt dem Leser eine einzige, einzig richtige zu suggerieren.
Was die Sprache offenlässt
„Die Gedichte des Bei Dao zu übersetzen ist wie ein Gang über glühende Kohlen”, schreibt, in der Nachbemerkung zu dessen „Buch der Niederlage”, der Übersetzer Wolfgang Kubin. „Man kann nichts richtig machen und wird gewiss keiner einzigen Qual entkommen.” Plural oder Singular, bestimmter oder unbestimmter Artikel, Subjekt oder Objekt, Hauptsatz oder Nebensatz, transitiver oder intransitiver Gebrauch des Verbs? All das, schreibt Kubin, lässt Bei Daos Sprache offen – doch der Übersetzer muss sich entscheiden, da das Deutsche solche Unbestimmtheit nicht duldet.
Gewiss, es gibt teils bereits Übertragungen in andere europäische Sprachen. Aber kann man ihnen trauen? Standen diejenigen, die sie anfertigten, nicht vor dem gleichen Problem? Der Übersetzer könnte den Dichter fragen. Doch Bei Dao erteilt nicht gerne Auskunft.
Die Einsamkeit des Übersetzers
So bleibt der Übersetzer auf sich selbst verwiesen. Mehr als sonst muss er, ein Stück weit, selber zum Dichter werden. Kein Versuch der Einfühlung in den Autor wird ihm das „eigentlich Gemeinte” vermitteln. „Eigentlich gemeint” mag ja die Offenheit sein, aber sie ließe sich nur um den Preis erreichen, dass das Ergebnis kein Deutsch mehr wäre. Man kann sich etwas in dieser Art vorstellen, zum Beispiel lauter Infinitive anstelle der konjugierten Formen des Verbs – dergleichen liefe auf Feigheit hinaus, auf ein Ausweichen vor den Forderungen der Sprache.
Wolfgang Kubin hat sich gequält und seine Entscheidungen getroffen. Er hat es über die glühenden Kohlen geschafft. Der deutsche Sinn dieser Gedichte musste eher erfunden als entdeckt werden, und ob dies gelang, bemisst sich am Ende an der inneren Stimmigkeit der einzelnen Gedichte und der Gedichtzyklen. Sie mögen Bei Daos Gedichte im Original besessen haben; Wolfgang Kubin hat solche Stimmigkeit im Deutschen wieder neu und ganz anders geschaffen.
ANDREAS DORSCHEL
BEI DAO: Das Buch der Niederlage. Aus dem Chinesischen übersetzt von Wolfgang Kubin. Carl Hanser Verlag, München 2009. 110 Seiten, 14,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Marion Löhndorf stellt den Band mit ausgewählten, zwischen 1992 und 2008 entstandenen Gedichten des chinesischen Essayisten und Lyrikers Bei Dao vor. Der Autor, der als "Symbolfigur eines demokratischen China" gilt, wie sein Übersetzer Wolfgang Kubin mitteilt, lebte vom Ende der 80er Jahre an im Exil, und so handeln auch seine Gedichte überwiegend vom Leben in der Fremde, erklärt die Rezensentin. Traditionelle Themen der Lyrik wie Liebesgedichte oder politische Gedichte fänden sich dagegen nicht, so Löhndorf weiter, die als Grundzug der Texte eine "resignative Melancholie" sieht. Da sich die Lyrik Daos, der heute als Professor für kreatives Schreiben in Hongkong lehrt, "hermetischer Bilder" und vielfältiger Deutung zugänglichen Wendungen bedient, empfiehlt sich "wiederholtes Lesen", rät die Rezensentin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Bei Dao ist der wichtigste chinesische Lyriker der Gegenwart." Marko Martin, Die Welt, 20.03.10
"Große und komplexe Lyrik...die den Autor zu einem der bedeutendsten Dichter Chinas macht.." Kurt Drawert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.07.10
"Große und komplexe Lyrik...die den Autor zu einem der bedeutendsten Dichter Chinas macht.." Kurt Drawert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.07.10