Das Buch von Papst Benedikt XVI. über Jesus von Nazareth hat breite Aufnahme gefunden. Doch die verwendete Sprache ist nicht immer einfach. »Laien werden ... ins Schwitzen kommen« bemerkt ein Rezensent treffend. Georg Bubolz bietet gerade auch für theologisch nicht vorgebildete Leser Hilfen zum Verständnis und zur eigenen kritischen Urteilsbildung an. Er informiert über die Grundlinien des Denkens von Papst Benedikt XVI. und erläutert dann die wissenschaftstheoretischen Grundlagen seiner Ausführungen, seine Meinung zur Exegese, zur historisch-kritischen Methode und zum »historischen Jesus«. Georg Bubolz entfaltet die Hintergründe der päpstlichen Kritik an der gegenwärtigen Theologie, wobei er auch frühere Werke Ratzingers mit einbezieht. Anhand zentraler Themen des Jesus-Buches zeigt Bubolz auf, welche Deutung Jesu der Papst bevorzugt. Er stellt dann jeweils alternative Ansätze und Denkweisen vor und leitet so zu einer kritischen Überprüfung der päpstlichen Argumente an. Abschließend formuliert Georg Bubolz zehn griffige Thesen zum Buch. Im Glossar werden wichtige Fach- und Fremdworte erläutert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2007Wer den kleinen Finger reicht
Die Auseinandersetzung um das Papstbuch füllt weitere Bücher
Das Jesus-Buch des Papstes hat eine intensive theologische Debatte hervorgerufen. Vier jüngst erschienene Bände dokumentieren die kontroversen Positionen zu dem Bestseller Joseph Ratzingers, der in 32 Sprachen übersetzt wird.
Als eine lehramtliche Äußerung wollte Benedikt XVI. sein Buch ausdrücklich nicht verstanden wissen. Wie aber diskutiert man angemessen mit einem Papst? Ersten Anschauungsunterricht erteilen Bände, die kurz - zum Teil verblüffend schnell - nach Erscheinen des Papstbuches auf den Bestseller reagieren.
Gerd Lüdemann unterwirft in seinem Bändchen "Das Jesusbild des Papstes" den Umgang "Joseph Ratzingers" (stets so!) mit den neutestamentlichen Quellen einer kritischen Prüfung. Maßstab ist der Anspruch des Papstbuches selbst, sich auf die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese zu stützen. Ratzingers Versuch, "einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den ,historischen Jesus' im eigentlichen Sinn darzustellen" (so der Pontifex im Vorwort zu seinem Buch), muss sich einer historischen Betrachtung stellen. Lüdemann sieht mit Ernst Troeltsch ("Über historische und dogmatische Methode in der Theologie") richtig: "Wer der historisch-kritischen Methode den kleinen Finger gereicht hat, muss ihr auch die ganze Hand geben."
Es bleibt dabei: Die Theologie ist im achtzehnten Jahrhundert eine liaison dangereuse mit der Vernunft eingegangen. Das von Lüdemann etwas naiv vertretene Ideal historischer Erkenntnis, nämlich zur Aussageabsicht der Quellen und "historischen Fakten" vorzustoßen, wird man zwar aus der Perspektive heutiger historischer Methodik und Hermeneutik nurmehr eingeschränkt für erreichbar halten. Gleichwohl führt dies nicht zwangsläufig zur Ergänzung der geschichtlichen Betrachtungsweise durch andere - kanonische oder dogmatische - Zugänge, wie es der Papst will. Diese müssten sich jedenfalls, wollen sie den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, ebenfalls methodisch kontrollieren lassen. Sie müssten mit Sachgründen zeigen und nicht bloß autoritativ, was geht und was nicht.
Lüdemann referiert abschnittsweise - und weitgehend fair - die Ausführungen Ratzingers, um sie dann punktuell kritisch zu kommentieren. Gewiss, auch bei ihm begegnen einem Einseitigkeiten und bloße Behauptungen. Das Bemühen, die historische Person Jesu und seine christologische Deutung, die ja alle frühchristlichen Quellen prägt, ganz auseinanderzurücken, präjudiziert manches historische Urteil. Für ein zumindest implizites "messianisches Selbstbewusstsein" Jesu ist bei Lüdemann, hierin doch eher dogmatisch als historisch, kein Platz. Doch besteht das Verdienst des Autors darin, an einige Grundeinsichten historisch-kritischer Exegese der neutestamentlichen Überlieferung zu erinnern, die bei Ratzinger verkürzt oder verzerrt erscheinen. Eine Grundaufgabe historischer Kritik, nämlich die, in Bezug auf die Quellen Überlieferungsstadien und ihr jeweiliges Interesse herauszuarbeiten, findet in Lüdemann einen überzeugenden, nur selten polemisch auftretenden Anwalt.
Das Urteil Lüdemanns, der Papst missbrauche in seiner Darstellung das Buch Jacob Neusners "Ein Rabbi spricht mit Jesus" (1993) für die eigenen Absichten, wird freilich gleich widerlegt durch Neusners eigene Reaktion auf die Veröffentlichung aus Rom. Sie stellt einen der beiden besonders lesenswerten Beiträge in dem von Thomas Söding herausgegebenen "Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches" dar. Neusner, einer der international produktivsten Vertreter gegenwärtiger Judaistik, begrüßt das Papstbuch als ein "einzigartiges Ereignis in 2000 Jahren" und als Zeichen der "religiösen Erneuerung, die im Pontifikat Benedikts XVI. Gestalt annimmt".
Für den nordamerikanischen Rabbi Neusner liegt die Bedeutung von Ratzingers Zugang gerade nicht darin, dass ein christlicher Theologe einmal mehr auf die jüdischen Wurzeln des Christentums verweise: "Das Christentum ist keine ,Tochter-Religion', und es gibt keine gemeinsame, fortlaufende ,jüdisch-christliche Tradition'." Dem kirchlichen und theologischen common speak widerspricht der Verfasser provokant: "So nimmt man heute allgemein an, es gebe einen jüdisch-christlichen Dialog. Ich behaupte, dass dies nicht so ist." In Wirklichkeit handele es sich bei dem, was Wohlwollende (zumal in Deutschland) Dialog nennen, um Selbstgespräche beider Religionen, die den jeweils anderen für sich entwerfen. Indem der Papst nun aber eine authentische jüdische Lektüre des Neuen Testaments wahrnehme und auf sie freundlich, aber sachlich klar und ehrlich reagiere, entstehe die Chance zum Dialog: "Nur ein in Deutschland geborener Papst konnte so mutig die Herausforderung eines theologischen Dialogs mit dem Judentum nach dem Holocaust annehmen." Vielleicht sollte man das "nur" durch ein "erst jetzt" ersetzen.
Aus christlich-reformierter Sicht beleuchtet Gottfried Wilhelm Locher das Buch Ratzingers - freundlich, doch deutlich. Das Konzept einer "doppelten Autorschaft" wird einer scharfsichtigen Kritik unterzogen. Die wissenschaftliche Einladung, die der Akademiker Ratzinger ausspricht, werde zwangsläufig konterkariert durch die Amtsautorität, die der Papstname impliziert. Und die Frage der Autorität präge nicht nur eine mögliche Rezeption durch fromme oder gehorsame Leser, sondern das Vorgehen selbst: "Nur eine Kirche, die sich in ihrer sichtbaren und geschichtlich verfassten Gestalt als wahrhaften Leib Christ verstehen kann, wird es sich zutrauen wollen, aus ihrer eigenen Autorität heraus den historischen Jesus zu deuten." Wer diesem Anspruch nicht folgen kann, für den ist das Buch Ratzingers keine wissenschaftliche Darstellung des "wirklichen, historischen" Jesus, sondern ein Christusbuch, eine Predigt, ein Bekenntnis, ja, ein "undogmatisches Kompendium der Dogmatik". Locher warnt aber vor protestantischer Überheblichkeit, wenn er nach der Verantwortung für eine Deutung des historischen Jesus fragt: "Wer, wenn nicht die Kirche?" Auch die Reformierten sind offenbar nicht mehr das, was sie einmal waren.
Der respektvolle Kammerton herrscht in einem weiteren von Thomas Söding herausgegebenen Band vor, der nach Auskunft des Untertitels "Die Antwort der Neutestamentler" (man beachte die bestimmten Artikel!) auf das Papstbuch darstellen soll. In Wahrheit handelt es sich um knappe Stellungnahmen namhafter deutscher Exegeten beider großer Konfessionen. Allein durch sein Konzept erinnert der Band damit an einen Sieg der Ökumene, der in den kirchlichen Bekümmernissen der Gegenwart allzu leicht vergessen wird: die Entwicklung zu freier wissenschaftlicher Gemeinschaft, die sich zwischen protestantischer und katholischer Exegese, zumal infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und nicht ohne kräftige Mitwirkung Ratzingers selbst, ergeben hat. Hier und da meint man zwischen den Zeilen - oder in Fußnoten, so in Knut Backhaus' Wendung gegen Christoph Kardinal Schönborns Vorstellung des Papstbuches - die Sorge zu spüren, ein Beitrag des Papstes zur wissenschaftlichen Exegese könne (ungewollt) normierend wirken, und so unterstreicht man Benedikts Ja zur historischen Kritik vielleicht mehr, als dieser selbst wollte. Das Gesamturteil der mal mehr, mal weniger eindringenden Rezensionen fällt zumeist differenziert positiv aus; wo Polemik laut wird, stammt sie erfrischenderweise von den Katholiken.
Die Berücksichtigung altkirchlicher Auslegungen für das Verständnis des Neuen Testaments bei Ratzinger wird als notwendige Korrektur einer manchmal traditionsvergessenen Exegese gelobt. Das Vorgehen des Papstes sucht man mit dem Verweis auf "geistliche Schriftauslegung", "allegorische" oder "kanonische Lektüre" auf den Begriff zu bringen. Vorsichtig werden das Eigenrecht historischer Forschung und die ihr innewohnende Tendenz zur Differenzierung angemahnt. Jens Schröters Beitrag versucht, das Jesusbuch des Papstes in den weiteren Horizont der Verhältnisbestimmung von Vernunft und Glaube einzuzeichnen, unter anderem unter Berücksichtigung der notorischen "Regensburger Rede". Der fundamentalen These Ratzingers, das frühe Christentum habe die antike Welt "rationalisiert", widerspricht der Autor mit Verweis auf magische Vorstellungen, Kultmahlzeiten. Religion bleibt Religion, und das heißt: Mysterium.
Nicht als kritische Erörterung oder Sammlung von Rezensionen, sondern als weiterführende Arbeitshilfe, etwa für Erwachsenenbildung oder Religionsunterricht, ist der von Georg Bubolz besorgte Band zu verstehen, der Anregungen und Materialien zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Jesusbuch des Papstes bietet. Hat man nach dem Vorwort, in dem der Autor sich an frühere Seminare mit Ratzinger und Heinrich Schlier erinnert, vielleicht die Befürchtung, hier leite ein Musterschüler zum rechten Verständnis des über alle Zweifel erhabenen Papstbuches an, so zerstreuen sich solche Bedenken leicht bei weiterer Lektüre: Bubolz bringt, wesentlich mit Hilfe manchmal recht ausführlicher Zitate, Grundpositionen Ratzingers in ein durchaus kritisches und anregendes Gespräch mit dem Lehramt, mit der wissenschaftlichen, zumal katholisch-deutschen Theologie und Exegese, mit jüdischer Theologie.
Trotz gelegentlicher Schwächen erweist sich Bubolz als hilfreicher Regisseur eines für Laien verständlichen wissenschaftlichen Diskurses und bringt, etwa in den Ausführungen zu Metapher und Symbol oder zu Jesus als Schüler, wichtige, in der sonstigen Diskussion wenig berücksichtigte Aspekte zur Reflexion ein. So ist der Band ein schöner Beleg dafür, dass im "Geist des Konzils" auch heute noch ein gewiss papsttreues, aber dennoch offenes wissenschaftlich-theologisches Gespräch möglich ist. Was könnte man sich als Gastgeber Besseres wünschen?
HERMUT LÖHR
Gerd Lüdemann: "Das Jesusbild des Papstes". Über Joseph Ratzingers kühnen Umgang mit den Quellen. zu Klampen Verlag, Springe 2007. 157 S., geb., 9,95 [Euro].
Thomas Söding (Hrsg.): "Ein Weg zu Jesus". Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches. Herder Verlag, Freiburg 2007. 110 S., br., 7,90 [Euro].
Thomas Söding (Hrsg.): "Das Jesus-Buch des Papstes". Die Antwort der Neutestamentler. Herder Verlag, Freiburg 2007. 158 S., br., 9,90 [Euro].
Georg Bubolz: "Das Buch des Papstes: Jesus von Nazareth". Informationen, Hintergründe, Denkanstöße. Patmos Verlag, Düsseldorf 2007. 162 S., br., 12,90 [Euro].
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Die Auseinandersetzung um das Papstbuch füllt weitere Bücher
Das Jesus-Buch des Papstes hat eine intensive theologische Debatte hervorgerufen. Vier jüngst erschienene Bände dokumentieren die kontroversen Positionen zu dem Bestseller Joseph Ratzingers, der in 32 Sprachen übersetzt wird.
Als eine lehramtliche Äußerung wollte Benedikt XVI. sein Buch ausdrücklich nicht verstanden wissen. Wie aber diskutiert man angemessen mit einem Papst? Ersten Anschauungsunterricht erteilen Bände, die kurz - zum Teil verblüffend schnell - nach Erscheinen des Papstbuches auf den Bestseller reagieren.
Gerd Lüdemann unterwirft in seinem Bändchen "Das Jesusbild des Papstes" den Umgang "Joseph Ratzingers" (stets so!) mit den neutestamentlichen Quellen einer kritischen Prüfung. Maßstab ist der Anspruch des Papstbuches selbst, sich auf die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese zu stützen. Ratzingers Versuch, "einmal den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den ,historischen Jesus' im eigentlichen Sinn darzustellen" (so der Pontifex im Vorwort zu seinem Buch), muss sich einer historischen Betrachtung stellen. Lüdemann sieht mit Ernst Troeltsch ("Über historische und dogmatische Methode in der Theologie") richtig: "Wer der historisch-kritischen Methode den kleinen Finger gereicht hat, muss ihr auch die ganze Hand geben."
Es bleibt dabei: Die Theologie ist im achtzehnten Jahrhundert eine liaison dangereuse mit der Vernunft eingegangen. Das von Lüdemann etwas naiv vertretene Ideal historischer Erkenntnis, nämlich zur Aussageabsicht der Quellen und "historischen Fakten" vorzustoßen, wird man zwar aus der Perspektive heutiger historischer Methodik und Hermeneutik nurmehr eingeschränkt für erreichbar halten. Gleichwohl führt dies nicht zwangsläufig zur Ergänzung der geschichtlichen Betrachtungsweise durch andere - kanonische oder dogmatische - Zugänge, wie es der Papst will. Diese müssten sich jedenfalls, wollen sie den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, ebenfalls methodisch kontrollieren lassen. Sie müssten mit Sachgründen zeigen und nicht bloß autoritativ, was geht und was nicht.
Lüdemann referiert abschnittsweise - und weitgehend fair - die Ausführungen Ratzingers, um sie dann punktuell kritisch zu kommentieren. Gewiss, auch bei ihm begegnen einem Einseitigkeiten und bloße Behauptungen. Das Bemühen, die historische Person Jesu und seine christologische Deutung, die ja alle frühchristlichen Quellen prägt, ganz auseinanderzurücken, präjudiziert manches historische Urteil. Für ein zumindest implizites "messianisches Selbstbewusstsein" Jesu ist bei Lüdemann, hierin doch eher dogmatisch als historisch, kein Platz. Doch besteht das Verdienst des Autors darin, an einige Grundeinsichten historisch-kritischer Exegese der neutestamentlichen Überlieferung zu erinnern, die bei Ratzinger verkürzt oder verzerrt erscheinen. Eine Grundaufgabe historischer Kritik, nämlich die, in Bezug auf die Quellen Überlieferungsstadien und ihr jeweiliges Interesse herauszuarbeiten, findet in Lüdemann einen überzeugenden, nur selten polemisch auftretenden Anwalt.
Das Urteil Lüdemanns, der Papst missbrauche in seiner Darstellung das Buch Jacob Neusners "Ein Rabbi spricht mit Jesus" (1993) für die eigenen Absichten, wird freilich gleich widerlegt durch Neusners eigene Reaktion auf die Veröffentlichung aus Rom. Sie stellt einen der beiden besonders lesenswerten Beiträge in dem von Thomas Söding herausgegebenen "Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches" dar. Neusner, einer der international produktivsten Vertreter gegenwärtiger Judaistik, begrüßt das Papstbuch als ein "einzigartiges Ereignis in 2000 Jahren" und als Zeichen der "religiösen Erneuerung, die im Pontifikat Benedikts XVI. Gestalt annimmt".
Für den nordamerikanischen Rabbi Neusner liegt die Bedeutung von Ratzingers Zugang gerade nicht darin, dass ein christlicher Theologe einmal mehr auf die jüdischen Wurzeln des Christentums verweise: "Das Christentum ist keine ,Tochter-Religion', und es gibt keine gemeinsame, fortlaufende ,jüdisch-christliche Tradition'." Dem kirchlichen und theologischen common speak widerspricht der Verfasser provokant: "So nimmt man heute allgemein an, es gebe einen jüdisch-christlichen Dialog. Ich behaupte, dass dies nicht so ist." In Wirklichkeit handele es sich bei dem, was Wohlwollende (zumal in Deutschland) Dialog nennen, um Selbstgespräche beider Religionen, die den jeweils anderen für sich entwerfen. Indem der Papst nun aber eine authentische jüdische Lektüre des Neuen Testaments wahrnehme und auf sie freundlich, aber sachlich klar und ehrlich reagiere, entstehe die Chance zum Dialog: "Nur ein in Deutschland geborener Papst konnte so mutig die Herausforderung eines theologischen Dialogs mit dem Judentum nach dem Holocaust annehmen." Vielleicht sollte man das "nur" durch ein "erst jetzt" ersetzen.
Aus christlich-reformierter Sicht beleuchtet Gottfried Wilhelm Locher das Buch Ratzingers - freundlich, doch deutlich. Das Konzept einer "doppelten Autorschaft" wird einer scharfsichtigen Kritik unterzogen. Die wissenschaftliche Einladung, die der Akademiker Ratzinger ausspricht, werde zwangsläufig konterkariert durch die Amtsautorität, die der Papstname impliziert. Und die Frage der Autorität präge nicht nur eine mögliche Rezeption durch fromme oder gehorsame Leser, sondern das Vorgehen selbst: "Nur eine Kirche, die sich in ihrer sichtbaren und geschichtlich verfassten Gestalt als wahrhaften Leib Christ verstehen kann, wird es sich zutrauen wollen, aus ihrer eigenen Autorität heraus den historischen Jesus zu deuten." Wer diesem Anspruch nicht folgen kann, für den ist das Buch Ratzingers keine wissenschaftliche Darstellung des "wirklichen, historischen" Jesus, sondern ein Christusbuch, eine Predigt, ein Bekenntnis, ja, ein "undogmatisches Kompendium der Dogmatik". Locher warnt aber vor protestantischer Überheblichkeit, wenn er nach der Verantwortung für eine Deutung des historischen Jesus fragt: "Wer, wenn nicht die Kirche?" Auch die Reformierten sind offenbar nicht mehr das, was sie einmal waren.
Der respektvolle Kammerton herrscht in einem weiteren von Thomas Söding herausgegebenen Band vor, der nach Auskunft des Untertitels "Die Antwort der Neutestamentler" (man beachte die bestimmten Artikel!) auf das Papstbuch darstellen soll. In Wahrheit handelt es sich um knappe Stellungnahmen namhafter deutscher Exegeten beider großer Konfessionen. Allein durch sein Konzept erinnert der Band damit an einen Sieg der Ökumene, der in den kirchlichen Bekümmernissen der Gegenwart allzu leicht vergessen wird: die Entwicklung zu freier wissenschaftlicher Gemeinschaft, die sich zwischen protestantischer und katholischer Exegese, zumal infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und nicht ohne kräftige Mitwirkung Ratzingers selbst, ergeben hat. Hier und da meint man zwischen den Zeilen - oder in Fußnoten, so in Knut Backhaus' Wendung gegen Christoph Kardinal Schönborns Vorstellung des Papstbuches - die Sorge zu spüren, ein Beitrag des Papstes zur wissenschaftlichen Exegese könne (ungewollt) normierend wirken, und so unterstreicht man Benedikts Ja zur historischen Kritik vielleicht mehr, als dieser selbst wollte. Das Gesamturteil der mal mehr, mal weniger eindringenden Rezensionen fällt zumeist differenziert positiv aus; wo Polemik laut wird, stammt sie erfrischenderweise von den Katholiken.
Die Berücksichtigung altkirchlicher Auslegungen für das Verständnis des Neuen Testaments bei Ratzinger wird als notwendige Korrektur einer manchmal traditionsvergessenen Exegese gelobt. Das Vorgehen des Papstes sucht man mit dem Verweis auf "geistliche Schriftauslegung", "allegorische" oder "kanonische Lektüre" auf den Begriff zu bringen. Vorsichtig werden das Eigenrecht historischer Forschung und die ihr innewohnende Tendenz zur Differenzierung angemahnt. Jens Schröters Beitrag versucht, das Jesusbuch des Papstes in den weiteren Horizont der Verhältnisbestimmung von Vernunft und Glaube einzuzeichnen, unter anderem unter Berücksichtigung der notorischen "Regensburger Rede". Der fundamentalen These Ratzingers, das frühe Christentum habe die antike Welt "rationalisiert", widerspricht der Autor mit Verweis auf magische Vorstellungen, Kultmahlzeiten. Religion bleibt Religion, und das heißt: Mysterium.
Nicht als kritische Erörterung oder Sammlung von Rezensionen, sondern als weiterführende Arbeitshilfe, etwa für Erwachsenenbildung oder Religionsunterricht, ist der von Georg Bubolz besorgte Band zu verstehen, der Anregungen und Materialien zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Jesusbuch des Papstes bietet. Hat man nach dem Vorwort, in dem der Autor sich an frühere Seminare mit Ratzinger und Heinrich Schlier erinnert, vielleicht die Befürchtung, hier leite ein Musterschüler zum rechten Verständnis des über alle Zweifel erhabenen Papstbuches an, so zerstreuen sich solche Bedenken leicht bei weiterer Lektüre: Bubolz bringt, wesentlich mit Hilfe manchmal recht ausführlicher Zitate, Grundpositionen Ratzingers in ein durchaus kritisches und anregendes Gespräch mit dem Lehramt, mit der wissenschaftlichen, zumal katholisch-deutschen Theologie und Exegese, mit jüdischer Theologie.
Trotz gelegentlicher Schwächen erweist sich Bubolz als hilfreicher Regisseur eines für Laien verständlichen wissenschaftlichen Diskurses und bringt, etwa in den Ausführungen zu Metapher und Symbol oder zu Jesus als Schüler, wichtige, in der sonstigen Diskussion wenig berücksichtigte Aspekte zur Reflexion ein. So ist der Band ein schöner Beleg dafür, dass im "Geist des Konzils" auch heute noch ein gewiss papsttreues, aber dennoch offenes wissenschaftlich-theologisches Gespräch möglich ist. Was könnte man sich als Gastgeber Besseres wünschen?
HERMUT LÖHR
Gerd Lüdemann: "Das Jesusbild des Papstes". Über Joseph Ratzingers kühnen Umgang mit den Quellen. zu Klampen Verlag, Springe 2007. 157 S., geb., 9,95 [Euro].
Thomas Söding (Hrsg.): "Ein Weg zu Jesus". Schlüssel zu einem tieferen Verständnis des Papstbuches. Herder Verlag, Freiburg 2007. 110 S., br., 7,90 [Euro].
Thomas Söding (Hrsg.): "Das Jesus-Buch des Papstes". Die Antwort der Neutestamentler. Herder Verlag, Freiburg 2007. 158 S., br., 9,90 [Euro].
Georg Bubolz: "Das Buch des Papstes: Jesus von Nazareth". Informationen, Hintergründe, Denkanstöße. Patmos Verlag, Düsseldorf 2007. 162 S., br., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main