Das Vergessen ist besser als sein Ruf.
Das Standardwerk über den Nutzen und Nachteil des Vergessens für das Leben
Warum erinnern wir uns so schlecht an unsere Träume? Was passiert mit verdrängten Erinnerungen - wo bleiben sie? Warum ist die Vorstellung eines absoluten Gedächtnisses für uns so verführerisch, ja faszinierend? Warum gibt es Gedächtnistrainings, aber keine Vergessenstechnik?
Mit solchen und vielen anderen Fragen nähert sich der holländische Bestsellerautor Douwe Draaisma in Das Buch des Vergessens umfassend, erhellend und unterhaltsam dem interessantesten Aspekt der Gehirnforschung: dem Vergessen. Unser Gedächtnis, so Draaisma, ist wie ein unfolgsames Kind: Woran wir uns erinnern, und woran nicht - darauf haben wir keinen Einfluss. Kein Wunder, dass es so schwer ist, die dahinterstehenden Mechanismen zu erkennen.Douwe Draaisma lädt seine Leser ein zu einem Streifzug durch Psychologie, Philosophie und Gehirnforschung, die sich seit Jahrhunderten mit dem Vergessen befassen. Er erzählt von Schlaflabors und Traumprotokollen, von Gehirnoperationen und Patientenschicksalen, er beschäftigt sich mit den neusten Techniken der Traumatherapie genauso wie er seinen Blick auf die Pioniere der Gedächtnisforschung richtet.
Ein spannendes Buch, das vor allem eins klarmacht: Vergessen ist besser als sein Ruf.
Das Standardwerk über den Nutzen und Nachteil des Vergessens für das Leben
Warum erinnern wir uns so schlecht an unsere Träume? Was passiert mit verdrängten Erinnerungen - wo bleiben sie? Warum ist die Vorstellung eines absoluten Gedächtnisses für uns so verführerisch, ja faszinierend? Warum gibt es Gedächtnistrainings, aber keine Vergessenstechnik?
Mit solchen und vielen anderen Fragen nähert sich der holländische Bestsellerautor Douwe Draaisma in Das Buch des Vergessens umfassend, erhellend und unterhaltsam dem interessantesten Aspekt der Gehirnforschung: dem Vergessen. Unser Gedächtnis, so Draaisma, ist wie ein unfolgsames Kind: Woran wir uns erinnern, und woran nicht - darauf haben wir keinen Einfluss. Kein Wunder, dass es so schwer ist, die dahinterstehenden Mechanismen zu erkennen.Douwe Draaisma lädt seine Leser ein zu einem Streifzug durch Psychologie, Philosophie und Gehirnforschung, die sich seit Jahrhunderten mit dem Vergessen befassen. Er erzählt von Schlaflabors und Traumprotokollen, von Gehirnoperationen und Patientenschicksalen, er beschäftigt sich mit den neusten Techniken der Traumatherapie genauso wie er seinen Blick auf die Pioniere der Gedächtnisforschung richtet.
Ein spannendes Buch, das vor allem eins klarmacht: Vergessen ist besser als sein Ruf.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2013Der Kopf ist kein Laufwerk
Douwe Draaisma erklärt die Volten des Gedächtnisses
Gute Gedanken scheiden das Wichtige vom Unwichtigen. Ein mühsamer Prozess, der auch in dem deutschen Wort "dichten" anklingt und etwas anderes ist, als einen Haufen Fakten auf Knopfdruck wiederzugeben. Wenn aber das Wichtige vom Unwichtigen geschieden wird, hat es Sinn, Letzteres zu vergessen. Deshalb funktioniert auch das Gedächtnis, das wir zum Denken brauchen, anders als die Festplatte eines Computers. Diesen entscheidenden Punkt in seinem Facettenreichtum herauszuarbeiten ist das Verdienst von Douwe Draaismas Buch. Der Holländer ist Professor für Psychologiegeschichte an der Universität Groningen, und er hat schon einige Bücher über das Gedächtnis geschrieben. Das vorliegende ist sein bestes und originellstes.
Draaisma nähert sich dem Phänomen des Gedächtnisses sozusagen durch die Hintertür und führt minutiös aus, was es nicht ist. Für Platon war das Gedächtnis noch ein Wachstäfelchen, auf dem geschrieben wurde, mehr als 2000 Jahre später glich es einer Fotografie, dann abwechselnd einem Laserhologramm oder einer Computerfestplatte. Alle diese Analogien werden dem Gedächtnis nicht gerecht. Sie werfen nur ein Licht auf das fragwürdige Verfahren, natürliche Phänomene im Kontext zeitgenössischer Technologien falsch zu verstehen.
Draaisma zeigt, dass das Gedächtnis eben kein Lebensarchiv ist, in dem Erfahrungen feinsäuberlichst sortiert und abgelegt wurden, um bei Bedarf erinnert zu werden. Es ist, zumindest, was seinen autobiographischen Teil angeht, ein hochgradig dynamisches System, das dem Jetzt und der Zukunft verhaftet ist. Die individuelle Wirklichkeit wird laufend neu konstruiert. Und dieser Konstruktionsprozess macht auch vor der Erinnerung nicht halt, die sich im Lichte gegenwärtiger Erfahrungen verändert.
Dieses grundlegende Funktionsprinzip des Gedächtnisses kann Ursache menschlicher Tragik sein. In einer Episode beschreibt Draaisma das Schicksal des ungarischen Schriftstellers Peter Esterházy, der erleben musste, wie mit einer einzigen Information - der Enthüllung, dass sein bewunderter Vater ein Spitzel der Kommunisten gewesen war - eine schmerzhafte Umcodierung seiner Erinnerungen stattfand. Ähnlich bewegend sind viele andere Geschichten in diesem Buch. Draaisma schafft es nicht nur, bekannte Tatsachen aus einem überraschenden Blickwinkel zu beschreiben. Er weiß seine Geschichten auch mit wesentlichen Fragen des Lebens zu verweben.
MARCO WEHR
Douwe Draaisma: "Das Buch des Vergessens". Warum Träume so schnell verlorengehen und Erinnerungen sich ständig verändern.
Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer. Verlag Galiani, Berlin 2012. 320 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Douwe Draaisma erklärt die Volten des Gedächtnisses
Gute Gedanken scheiden das Wichtige vom Unwichtigen. Ein mühsamer Prozess, der auch in dem deutschen Wort "dichten" anklingt und etwas anderes ist, als einen Haufen Fakten auf Knopfdruck wiederzugeben. Wenn aber das Wichtige vom Unwichtigen geschieden wird, hat es Sinn, Letzteres zu vergessen. Deshalb funktioniert auch das Gedächtnis, das wir zum Denken brauchen, anders als die Festplatte eines Computers. Diesen entscheidenden Punkt in seinem Facettenreichtum herauszuarbeiten ist das Verdienst von Douwe Draaismas Buch. Der Holländer ist Professor für Psychologiegeschichte an der Universität Groningen, und er hat schon einige Bücher über das Gedächtnis geschrieben. Das vorliegende ist sein bestes und originellstes.
Draaisma nähert sich dem Phänomen des Gedächtnisses sozusagen durch die Hintertür und führt minutiös aus, was es nicht ist. Für Platon war das Gedächtnis noch ein Wachstäfelchen, auf dem geschrieben wurde, mehr als 2000 Jahre später glich es einer Fotografie, dann abwechselnd einem Laserhologramm oder einer Computerfestplatte. Alle diese Analogien werden dem Gedächtnis nicht gerecht. Sie werfen nur ein Licht auf das fragwürdige Verfahren, natürliche Phänomene im Kontext zeitgenössischer Technologien falsch zu verstehen.
Draaisma zeigt, dass das Gedächtnis eben kein Lebensarchiv ist, in dem Erfahrungen feinsäuberlichst sortiert und abgelegt wurden, um bei Bedarf erinnert zu werden. Es ist, zumindest, was seinen autobiographischen Teil angeht, ein hochgradig dynamisches System, das dem Jetzt und der Zukunft verhaftet ist. Die individuelle Wirklichkeit wird laufend neu konstruiert. Und dieser Konstruktionsprozess macht auch vor der Erinnerung nicht halt, die sich im Lichte gegenwärtiger Erfahrungen verändert.
Dieses grundlegende Funktionsprinzip des Gedächtnisses kann Ursache menschlicher Tragik sein. In einer Episode beschreibt Draaisma das Schicksal des ungarischen Schriftstellers Peter Esterházy, der erleben musste, wie mit einer einzigen Information - der Enthüllung, dass sein bewunderter Vater ein Spitzel der Kommunisten gewesen war - eine schmerzhafte Umcodierung seiner Erinnerungen stattfand. Ähnlich bewegend sind viele andere Geschichten in diesem Buch. Draaisma schafft es nicht nur, bekannte Tatsachen aus einem überraschenden Blickwinkel zu beschreiben. Er weiß seine Geschichten auch mit wesentlichen Fragen des Lebens zu verweben.
MARCO WEHR
Douwe Draaisma: "Das Buch des Vergessens". Warum Träume so schnell verlorengehen und Erinnerungen sich ständig verändern.
Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer. Verlag Galiani, Berlin 2012. 320 S., Abb., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kurz, aber voll Begeisterung bespricht Marco Wehr das neue Buch des niederländischen Gedächtnisforschers, das er schlicht als sein bisher bestes bezeichnet. Deutlich wurde ihm darin, dass alle technologischen Vergleiche für die Gedächtnisleistung des menschlichen Hirns irreführend sind: Das Gedächtnis ist keine Wachstafel, wie Platon meinte, aber auch keine Festplatte, wie heute manchmal gesagt wird. Denn nichts an ihm ist unveränderlich, so Wehr, der mit dem Autor des Buchs betont, dass sich das Gedächtnis nach den Bedürfnissen und Konjunkturen der Gegenwart und im Blick auf die Zukunft stets neu kristallisiert. Gedächtnis, so hat Wehr bei Draaisma gelernt, ist ein "hochgradig dynamisches System".
© Perlentaucher Medien GmbH
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