»O Gott, erlöse uns.« Das Buch Fritze: ein trauriger Schelmenroman, eine Passionsgeschichte in zwölf Stationen, ein moderner Entwicklungsroman, bei dessen Lektüre wir nicht wissen, ob wir lachen oder weinen sollen. Fritze ist ein Mensch, der sich in der Gesellschaft nicht mit einem bürgerlichen Beruf oder einer künstlerischen Karriere zu verwirklichen sucht, sondern sein Talent in einer Reihe von dubiosen Abenteuern wegwirft. Denn er entwickelt lieber größenwahnsinnige Phantasien und Lebensentwürfe, die allesamt zum Scheitern verurteilt sind. Im Osten aufgewachsen, kommt er noch als Kind in die junge Bundesrepublik. Seine Abenteuer im Wirtschaftswunderland ergeben eine Geschichte mißglückter Anpassung, verfehlter Glücksansprüche und verqueren Widerstands. Egal, welche Rolle er spielt, ob er manierierter Schriftsteller ist, genialer Fußballer, abgefeimter Drogenhändler oder erfolgreicher Versicherungsagent, immer nimmt er das Maul zu voll, immer stimmt irgendwas nicht, immer geht etwas schief.
Das Buch Fritze ist ein lebensphilosophischer Roman, der mit den Rätseln des Daseins genauso spielt wie mit der Wirklichkeit des schönen neuen Lebens, mit einem Wort: ein kleines Meisterwerk, witzig und melancholisch, traurig und komisch zugleich.
Das Buch Fritze ist ein lebensphilosophischer Roman, der mit den Rätseln des Daseins genauso spielt wie mit der Wirklichkeit des schönen neuen Lebens, mit einem Wort: ein kleines Meisterwerk, witzig und melancholisch, traurig und komisch zugleich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2003Fritze Faustus
Friedmar Apels Debüt über einen Schelm im Wohlstandsland
Wer heißt denn heutzutage noch Fritze? Man denkt an Wilhelm Busch; an einen dieser frechen Burschen, die mit dem Blasrohr ihre Pfeile auf die Bürgerwelt abschießen und am Ende, wenn es dick kommt, zu Federviehfutter vermahlen werden. Tatsächlich könnte "Das Buch Fritze", mit dem der Bielefelder Germanist Friedmar Apel, Jahrgang 1948, sein Debüt als Romancier gibt, einen schönen Bilderbogen abgeben: gestochen scharfe Zeichnungen wären es, mit vielen komischen Details. Und auch hier gilt: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.
Der Roman erzählt eine Passionsgeschichte in zwölf Stationen. Es beginnt mit der Vertreibung aus dem Paradies. Das liegt in Fritzes Fall im thüringischen Eichsfeld, wo das Kind die ersten Jahre in ländlicher Idylle bei Oma und Opa verbringt. Die Eltern sind, gelockt vom Wirtschaftswunder, in den Westen gegangen. Fritze folgt später nach; das Elend beginnt.
Fritze trägt die Nase hoch. Überall eckt er mit seinem aufsässigen Gebaren an, ob im Fußballverein, bei den Pfadfindern oder beim eigenen Vater, dessen Mercedes der Junge mit von Johnnie Walker getrübten Sinnen zu Schrott fährt. Im Teich des Stadtparks schwimmen aufgeschlagene Klassenbücher wie Seerosen. Fritze war's. Er fliegt von der Schule.
Er geht nach Berlin, Mitte der sechziger Jahre, versucht es da noch mal mit dem Abitur, erlangt aber schneller die mittlere Reife im Umgang mit ungesetzlichen Rauschmitteln. Ein paar große Lieben gehen klein zu Ende. Bald sieht sich Fritze in Drogenschmuggel verwickelt; er bekommt es mit der Polizei zu tun. Nach einem Aufenthalt in "Bonnies Ranch" (der liebevolle Berliner Ausdruck für die Bonhoeffer-Nervenklinik) kehrt er gebrochen zurück in sein Heimatkaff, gezeichnet von "Schwären" und Eiterbeulen.
"Früher große Fresse und wenig dahinter, jetzt kleinlaut und gar nichts mehr dahinter", meint der Vater über den verlorenen Sohn. Aber noch beweist der sich als ebenso umtriebiges wie unergiebiges Multitalent. Man lernt ihn in den verschiedensten Rollen und Berufen kennen, als Bauzeichner etwa oder als Hausmann: "Morgens einen Joint, und der Staubsauger ist dein Freund."
Schließlich ist Fritze Versicherungsvertreter. Versicherungen sind das, wofür früher einmal die Religion zuständig war: Vorkehrungen gegen den unbarmherzigen Zufall, der sich in Fritzes Geschichte immer wieder geltend macht. Aber auch der Hochmut, der vor dem Fall kommt, spielt eine Rolle. Zwar wird dem "Kokser und Schluckspecht" nach einer Entziehungskur angeboten, die "Bezirksagentur Thüringen II" aufzubauen, womit sich der Roman am Ende wieder glücklich in Richtung Eichsfeld runden könnte. Aber natürlich vermasselt Fritze auch diese Chance. Sein Abstieg führt in die Kleinkriminalität: Ladendiebstähle, Beamtenbeleidigung. Am Ende trifft man ihn - krank, zerschlagen, therapieresistent - unter den Pennern im Stadtpark.
Eine traurige Geschichte also. Zugleich aber ist "Das Buch Fritze" bestens aufgelegte Erzählkunst, mit einer rundum geglückten Hauptfigur, die viel mehr ist als der Verlierer von der traurigen Gestalt. Fritze gehört in die Tradition der literarischen Schelme, und das ist merkwürdig genug. Denn eignet sich das Wohlstandsland Bundesrepublik als Bühne eines Pikaro-Romans?
Der Schelm ist eine Figur, die dank ihres Witzes, ihrer Verschlagenheit und Einfalt heil durch stachlige Zeitläufte kommt, wie der Simplicissimus durch den Dreißigjährigen Krieg oder Blechtrommler Oskar durchs "Dritte Reich". Fritze aber, dem die Einfalt fehlt, schafft sich Wirren und Widerstände ganz aus eigener Kraft. Und es geht ihm alles schief. Insofern ist er ein Schelm, mit dem man Mitleid haben kann. Über den man aber auch lacht, denn zu seinen Pikaro-Qualitäten gehört eine furiose Schlagfertigkeit mit selbstschädigender Tendenz. Da wird er zum Beispiel an der DDR-Grenze routinemäßig gefragt, ob er Waffen dabeihabe. "Wieso", sagt Fritze, "braucht man die hier?"
Wie es sich derzeit für einen Roman gehört, wird die Pop- und Produktgeschichte der jüngeren Vergangenheit eingearbeitet. Von "Prickel-Pit" über "Pink Floyd" bis "Kochkäse" werden historisch gewordene Genüsse aufgelistet, famose Lieder wie "Bleib auf der Schiene, wie eine Sex-Maschine" oder "Susanne nimmt dich mit zu einem Boot unten am Fluß" haben Tonspuren in Fritzes Leben hinterlassen. Dazu schmilzt Apel Realia und Spezialwissen verschiedenster Art ein, unter anderem aus den Lebensbereichen Moped, Fußball, Kegeln, Kokain. Verschmitzte Konkretion ist eine große Stärke des Buches. Nur selten geht das mal daneben, wenn etwa mitten in West-Berlin ein "Leniner Platz" angesiedelt wird. Dergleichen gab es selbst zu wildesten Apo-Zeiten nicht. Ein simpler Verschreiber? Oder Futter für Dekonstruktivisten? Man neigt bei einem Literaturprofessor dazu, selbst dem fehlenden "h" einen Überschuß an Intention zu unterstellen.
Die Figur Fritze hat eine außerordentliche Spannweite. Der renitente junge Mann ist im Innersten eine romantische (und ungemein belesene) Seele, mit der Neigung zu tieftraurig umrandeten Versen von Hofmannsthal oder George. Auch seine labile, selbstmordgefährdete Mutter liebt Fritze "für ihre Traurigkeit und Schönheit", als wäre sie ein Gedicht. Und dann die Religion. Schließlich hat das Eichsfeld Fritze eine doppelte Mitgift auf den Lebensweg gegeben. Zum einen das irdische Vergnügen: "Hier wird die beste Wurst der Welt gemacht." Zum anderen ist es spirituelles Gebiet, ein Eiland des Katholizismus, "umringt vom garstigen Meer des Protestantismus und des Heidentums". Und so wird auch Schmerzensmann Fritze eingesponnen in ein Netz religiöser Bezüge. Wenn ihn etwa das Motorrad aus der Kurve trägt, landet er nicht nur in einer Hecke, sondern auch - "den blutigen Kopf voller Dornen" - in der christlichen Ikonologie. Jesus, Hiob, Lazarus . . . Ecce-Homo, Fritze.
Ein paar Einwände bleiben. Anfangs bleibt der Roman etwas zu sehr auf Augenhöhe des Kindes, mittels einer Extraportion Naivitätstonfall - einem oft bemühten Stilmittel. Das siebte Kapitel ist der unnötige Stolperstein einer ansonsten geschmeidigen Lektüre. Wir bekommen hier eine Erzählung aus Fritzes Feder zu lesen; auch in dieser Kunst hat er sich versucht. Und in dieser Erzählung, die mit kostbaren Worten zwielichtige Erlebnisse beschreibt, geht es natürlich wiederum um einen jungen Mann, der eine Erzählung schreibt.
Warum solche Verschachtelungen und Elaboriertheiten, warum vor allem die Apparatur eines fiktiven Herausgebers und dazwischenredenden Kommentators, dem Fritzes Aufzeichnungen in die Hände geraten sein sollen? Geht es nur um die Verrätselung einer sonst vielleicht allzu geradlinigen Geschichte? Wer ist diese ominöse Erzählerfigur, die Fritzes Hefte in eine "lesbare Form" bringt - als "Dokumentation, die dereinst vielleicht als Denkmal für einen merkwürdigen Menschen gelesen wird". Die Aufzeichnungen seien ursprünglich in Ich-Form geschrieben gewesen, verrät der Herausgeber. Er habe sie in die dritte Person gesetzt, weil die Distanzlosigkeit ihm nicht gutgetan hätte. "Bei aller Aufopferung darf der Editor schließlich sein eigenes Seelenheil nicht außer acht lassen." Dieser prätentiöse Stil läßt vermuten, daß Fritze Faustus seinen Serenus Zeitblom gefunden hat. Das Format dazu hat er ja. "Der Deubel hat gemacht mit dem Herrn eine Wette um seine Seele", meint Fritzes fromme Tante Erna.
Wie soll man diesem Herausgeber die flotte Bearbeitung der Aufzeichnungen abnehmen? Vor allem: Wieso versteht er Fritze so gut? Ist er etwa insgeheim (nämlich über das Scharnier des Autors selbst) mit ihm identisch, wie es Thomas Mann im Fall von Zeitblom und "Doktor Faustus" Leverkühn andeutete? Auch Apel gibt einige ominöse Fingerzeige. Einer davon betrifft Fritzes vollgültigen Namen, der möglicherweise Friedrich Apfelbaum lautet. Soll wohl heißen: der Apel fällt nicht weit vom Apfelbaum? Inwiefern sich der Philologe auf den Fritze reimt, das mögen gelehrte Kollegen Friedmar Apels herausfinden.
Friedmar Apel: "Das Buch Fritze". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 177 S., br., 7,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedmar Apels Debüt über einen Schelm im Wohlstandsland
Wer heißt denn heutzutage noch Fritze? Man denkt an Wilhelm Busch; an einen dieser frechen Burschen, die mit dem Blasrohr ihre Pfeile auf die Bürgerwelt abschießen und am Ende, wenn es dick kommt, zu Federviehfutter vermahlen werden. Tatsächlich könnte "Das Buch Fritze", mit dem der Bielefelder Germanist Friedmar Apel, Jahrgang 1948, sein Debüt als Romancier gibt, einen schönen Bilderbogen abgeben: gestochen scharfe Zeichnungen wären es, mit vielen komischen Details. Und auch hier gilt: Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe.
Der Roman erzählt eine Passionsgeschichte in zwölf Stationen. Es beginnt mit der Vertreibung aus dem Paradies. Das liegt in Fritzes Fall im thüringischen Eichsfeld, wo das Kind die ersten Jahre in ländlicher Idylle bei Oma und Opa verbringt. Die Eltern sind, gelockt vom Wirtschaftswunder, in den Westen gegangen. Fritze folgt später nach; das Elend beginnt.
Fritze trägt die Nase hoch. Überall eckt er mit seinem aufsässigen Gebaren an, ob im Fußballverein, bei den Pfadfindern oder beim eigenen Vater, dessen Mercedes der Junge mit von Johnnie Walker getrübten Sinnen zu Schrott fährt. Im Teich des Stadtparks schwimmen aufgeschlagene Klassenbücher wie Seerosen. Fritze war's. Er fliegt von der Schule.
Er geht nach Berlin, Mitte der sechziger Jahre, versucht es da noch mal mit dem Abitur, erlangt aber schneller die mittlere Reife im Umgang mit ungesetzlichen Rauschmitteln. Ein paar große Lieben gehen klein zu Ende. Bald sieht sich Fritze in Drogenschmuggel verwickelt; er bekommt es mit der Polizei zu tun. Nach einem Aufenthalt in "Bonnies Ranch" (der liebevolle Berliner Ausdruck für die Bonhoeffer-Nervenklinik) kehrt er gebrochen zurück in sein Heimatkaff, gezeichnet von "Schwären" und Eiterbeulen.
"Früher große Fresse und wenig dahinter, jetzt kleinlaut und gar nichts mehr dahinter", meint der Vater über den verlorenen Sohn. Aber noch beweist der sich als ebenso umtriebiges wie unergiebiges Multitalent. Man lernt ihn in den verschiedensten Rollen und Berufen kennen, als Bauzeichner etwa oder als Hausmann: "Morgens einen Joint, und der Staubsauger ist dein Freund."
Schließlich ist Fritze Versicherungsvertreter. Versicherungen sind das, wofür früher einmal die Religion zuständig war: Vorkehrungen gegen den unbarmherzigen Zufall, der sich in Fritzes Geschichte immer wieder geltend macht. Aber auch der Hochmut, der vor dem Fall kommt, spielt eine Rolle. Zwar wird dem "Kokser und Schluckspecht" nach einer Entziehungskur angeboten, die "Bezirksagentur Thüringen II" aufzubauen, womit sich der Roman am Ende wieder glücklich in Richtung Eichsfeld runden könnte. Aber natürlich vermasselt Fritze auch diese Chance. Sein Abstieg führt in die Kleinkriminalität: Ladendiebstähle, Beamtenbeleidigung. Am Ende trifft man ihn - krank, zerschlagen, therapieresistent - unter den Pennern im Stadtpark.
Eine traurige Geschichte also. Zugleich aber ist "Das Buch Fritze" bestens aufgelegte Erzählkunst, mit einer rundum geglückten Hauptfigur, die viel mehr ist als der Verlierer von der traurigen Gestalt. Fritze gehört in die Tradition der literarischen Schelme, und das ist merkwürdig genug. Denn eignet sich das Wohlstandsland Bundesrepublik als Bühne eines Pikaro-Romans?
Der Schelm ist eine Figur, die dank ihres Witzes, ihrer Verschlagenheit und Einfalt heil durch stachlige Zeitläufte kommt, wie der Simplicissimus durch den Dreißigjährigen Krieg oder Blechtrommler Oskar durchs "Dritte Reich". Fritze aber, dem die Einfalt fehlt, schafft sich Wirren und Widerstände ganz aus eigener Kraft. Und es geht ihm alles schief. Insofern ist er ein Schelm, mit dem man Mitleid haben kann. Über den man aber auch lacht, denn zu seinen Pikaro-Qualitäten gehört eine furiose Schlagfertigkeit mit selbstschädigender Tendenz. Da wird er zum Beispiel an der DDR-Grenze routinemäßig gefragt, ob er Waffen dabeihabe. "Wieso", sagt Fritze, "braucht man die hier?"
Wie es sich derzeit für einen Roman gehört, wird die Pop- und Produktgeschichte der jüngeren Vergangenheit eingearbeitet. Von "Prickel-Pit" über "Pink Floyd" bis "Kochkäse" werden historisch gewordene Genüsse aufgelistet, famose Lieder wie "Bleib auf der Schiene, wie eine Sex-Maschine" oder "Susanne nimmt dich mit zu einem Boot unten am Fluß" haben Tonspuren in Fritzes Leben hinterlassen. Dazu schmilzt Apel Realia und Spezialwissen verschiedenster Art ein, unter anderem aus den Lebensbereichen Moped, Fußball, Kegeln, Kokain. Verschmitzte Konkretion ist eine große Stärke des Buches. Nur selten geht das mal daneben, wenn etwa mitten in West-Berlin ein "Leniner Platz" angesiedelt wird. Dergleichen gab es selbst zu wildesten Apo-Zeiten nicht. Ein simpler Verschreiber? Oder Futter für Dekonstruktivisten? Man neigt bei einem Literaturprofessor dazu, selbst dem fehlenden "h" einen Überschuß an Intention zu unterstellen.
Die Figur Fritze hat eine außerordentliche Spannweite. Der renitente junge Mann ist im Innersten eine romantische (und ungemein belesene) Seele, mit der Neigung zu tieftraurig umrandeten Versen von Hofmannsthal oder George. Auch seine labile, selbstmordgefährdete Mutter liebt Fritze "für ihre Traurigkeit und Schönheit", als wäre sie ein Gedicht. Und dann die Religion. Schließlich hat das Eichsfeld Fritze eine doppelte Mitgift auf den Lebensweg gegeben. Zum einen das irdische Vergnügen: "Hier wird die beste Wurst der Welt gemacht." Zum anderen ist es spirituelles Gebiet, ein Eiland des Katholizismus, "umringt vom garstigen Meer des Protestantismus und des Heidentums". Und so wird auch Schmerzensmann Fritze eingesponnen in ein Netz religiöser Bezüge. Wenn ihn etwa das Motorrad aus der Kurve trägt, landet er nicht nur in einer Hecke, sondern auch - "den blutigen Kopf voller Dornen" - in der christlichen Ikonologie. Jesus, Hiob, Lazarus . . . Ecce-Homo, Fritze.
Ein paar Einwände bleiben. Anfangs bleibt der Roman etwas zu sehr auf Augenhöhe des Kindes, mittels einer Extraportion Naivitätstonfall - einem oft bemühten Stilmittel. Das siebte Kapitel ist der unnötige Stolperstein einer ansonsten geschmeidigen Lektüre. Wir bekommen hier eine Erzählung aus Fritzes Feder zu lesen; auch in dieser Kunst hat er sich versucht. Und in dieser Erzählung, die mit kostbaren Worten zwielichtige Erlebnisse beschreibt, geht es natürlich wiederum um einen jungen Mann, der eine Erzählung schreibt.
Warum solche Verschachtelungen und Elaboriertheiten, warum vor allem die Apparatur eines fiktiven Herausgebers und dazwischenredenden Kommentators, dem Fritzes Aufzeichnungen in die Hände geraten sein sollen? Geht es nur um die Verrätselung einer sonst vielleicht allzu geradlinigen Geschichte? Wer ist diese ominöse Erzählerfigur, die Fritzes Hefte in eine "lesbare Form" bringt - als "Dokumentation, die dereinst vielleicht als Denkmal für einen merkwürdigen Menschen gelesen wird". Die Aufzeichnungen seien ursprünglich in Ich-Form geschrieben gewesen, verrät der Herausgeber. Er habe sie in die dritte Person gesetzt, weil die Distanzlosigkeit ihm nicht gutgetan hätte. "Bei aller Aufopferung darf der Editor schließlich sein eigenes Seelenheil nicht außer acht lassen." Dieser prätentiöse Stil läßt vermuten, daß Fritze Faustus seinen Serenus Zeitblom gefunden hat. Das Format dazu hat er ja. "Der Deubel hat gemacht mit dem Herrn eine Wette um seine Seele", meint Fritzes fromme Tante Erna.
Wie soll man diesem Herausgeber die flotte Bearbeitung der Aufzeichnungen abnehmen? Vor allem: Wieso versteht er Fritze so gut? Ist er etwa insgeheim (nämlich über das Scharnier des Autors selbst) mit ihm identisch, wie es Thomas Mann im Fall von Zeitblom und "Doktor Faustus" Leverkühn andeutete? Auch Apel gibt einige ominöse Fingerzeige. Einer davon betrifft Fritzes vollgültigen Namen, der möglicherweise Friedrich Apfelbaum lautet. Soll wohl heißen: der Apel fällt nicht weit vom Apfelbaum? Inwiefern sich der Philologe auf den Fritze reimt, das mögen gelehrte Kollegen Friedmar Apels herausfinden.
Friedmar Apel: "Das Buch Fritze". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 177 S., br., 7,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2003Im Zweifelsfalle Kalle
Ein Philologe prahlt mit seinem Alter Ego: Friedmar Apels „Das Buch Fritze”
Fritze ist nicht mehr zu retten. Der Mann hat Potential, doch ein böser Teufel reitet ihn. Was könnte Fritze nicht alles werden: Bauzeichner, Versicherungsmanager, ja vielleicht sogar Literaturwissenschaftler in Bielefeld wie sein Schöpfer Friedmar Apel. Aber in Fritze nagt die Sehnsucht nach dem ganz anderen Leben, nach Freiheit, Abenteuer und Rock ’n’ Roll. Und was rockt weniger als Bielefeld und Literaturwissenschaft?
In zwölf Kapiteln zeichnet Friedmar Apel die Passionsgeschichte eines sympathischen Rebellen, der die ganze glühende Revolte der sechziger Jahre in seiner Brust trägt. Fritze und die Bundesrepublik werden zusammen erwachsen. Die schönsten Momente verbringt er als Kind in einem Dorf im Osten bei seinen Großeltern. Wenn er etwas Dummes tut, nennt ihn seine Großmutter Karlchen, wenn er etwas Lustiges macht, nennt sie ihn Kasper. Das zeigt Fritzens Handlungsspektrum: zwischen Blödsinn und Unsinn verstreichen seine Tage. Die Flucht in den Westen ist die Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit. In der jungen Republik warten schon der strenge Vater, die alkoholkranke Mutter, pädophile Offiziersonkel aus der nagelneuen Bundeswehr und überhaupt das ganze Schweinesystem. Fritze lässt sich nichts gefallen. Er ist um keine rotzige Antwort verlegen, ist ein wahrer Fritze Teufel. Aus harmlosen Bubenstreichen und den üblichen Oberstufenpatzigkeiten werden schnell Drogentransporte und allerlei krumme Dinger. Fritze wird drogensüchtig, spritzt sich Heroin unters Augenlid und spült mit Bier und Korn nach. Die Revolte frisst die Lebern ihrer Kinder, und Fritze endet als biertrinkender Schwadroneur im Stadtpark.
Hat man erst einmal jene etwas alberne Heitschi-Bumm-Beitschi-Perspektive überwunden, aus der Fritzens Kindheit erzählt wird, lesen sich die Abenteuer des jungen Rebellen sehr gut. Man hat es schwer als James Dean in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Apel hat einen sehr geschmeidigen, atemlosen Ton gefunden, der Fritze von einer Katastrophe in die nächste jagt. Alle Stationen aus Fritzens Leben nehmen die schlechtest mögliche Wendung. Apel verschmilzt kommentarlos Rock- und Pop-Songs und sonstiges kulturelles Strandgut mit seiner Erzählung, was nur hin und wieder in etwas alberne Bildungskalauer ausartet: „So schaut Fritze in die schwedische Landschaft, ob er vielleicht wilde Erdbeeren sieht. Es sind aber keine da, oder sie sind so klein, dass man sie nicht sehen kann.”
Mit seinen Kapitelüberschriften aus der Requisite des epischen Theaters erinnert „Das Buch Fritze” an einen anderen großen Passionsroman über ein lebenshungriges Energiebündel: Fritze leidet an derselben gutmütigen Hybris wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz”. Irgendwann geht Fritze in Fetzen durch die Stadt und ist überzogen mit Pusteln und Schwären. Er ist ein moderner Hiob, doch hat er keinen Gott, der seine skurrilen Gebete erhört. „Das Buch Fritze” hätte ein bewegendes, trauriges Buch über einen Menschen werden können, der mehr will als die Krümelchen, die vom Tisch des großen Lebensabenteuers herunterfallen. Ein kleiner Roman, in dem noch einmal das Feuer der sechziger Jahre auflodert, um die treudoofen Wackeldackel der Generation Golf ein bisschen anzukokeln.
Lieber schnell und schmutzig
Aber leider wollte Apel partout erzähltechnische Kinkerlitzchen in seinem Text. Irgendwann muss sich der Literaturwissenschaftler im Rocker gemeldet haben und nach Ironie, Distanzierung und sonstigen Verfremdungseffekten verlangt haben. So muss der Leser nun die Fiktion eines besserwisserischen Erzählers ertragen, der aus Fritzens obskuren Aufzeichnungen, seinen „Heften”, dieses Büchlein destilliert. Das ist etwas viel literarischer Apparat für dieses Bändchen. Man hätte es lieber schnell und schmutzig als so halbgescheit zurechtgezupft. Und so käut Apel noch einmal den langweiligen Topos des fiktiven Herausgebers wieder. Es bleibt wenig plausibel, warum ein so konsequenter Kokser und ein so ungenierter Bildzeitungsleser wie Fritze seine Gedanken fein säuberlich in Schulheftchen kritzeln soll, damit sich ein schlaumeiernder Erzähler darüber beugen kann. Franz Biberkopf hatte schließlich auch kein Poesiealbum, und James Dean braucht keine Fußnoten.
Am lästigsten jedoch ist Apels zähes Kokettieren mit autobiographischen Anklängen in Fritzens Abenteuern. Der Autor konnte der Versuchung nicht widerstehen, Fritze so viele autobiographische Eigenschaften wie möglich in die Wiege zu legen. Und schließlich tauft er Fritze auch noch Apfelbaum, womit er suggeriert, dass der trotzige Rebell nicht weit vom Stamme seines Schöpfers fällt. Es ist schade, dass einzig durch erzähltechnische Faux-Pas ein eigentlich schönes Buch in den Ruch augenzwinkernder autobiographischer Protzerei verkommt. Es ist, als wollte Apel sagen: Hätte sich der Friedmar nicht ordentlich zusammengenommen, hätte aus ihm sehr leicht ein Fritze werden können. Denn eigentlich ist der Friedmar ja ein Rolling Stone.
Solche Koketterie macht einen ähnlich lächerlichen Eindruck wie die Versicherung von CDU-Fritze Merz, er sei ein motorradfahrender Satansbraten gewesen und auch heute noch ein wilder Steppenwolf. Irgendwann muss diese Peinlichkeit auch Apel aufgegangen sein, und er versucht es mit Ironie: „Zu einer respektablen Biographie gehört neuerdings, dass man in seiner Jugend ein wilder Mopedfahrer war, zur Berichterstattung, dass man dies bezweifelt.” Es wäre so einfach gewesen, ein wirklich gutes „Buch Fritze” zu schreiben: Apel hätte sich die faden Einschübe des Ich-Erzählers einfach sparen und seinen Helden statt Fritze Kalle taufen sollen. Bleibt zu hoffen, dass Apel beim nächsten Buch mehr auf den Fritze als den Friedmar in sich hört.
STEPHAN MAUS
FRIEDMAR APEL: Das Buch Fritze. Roman. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2003. 177 Seiten, 7 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Ein Philologe prahlt mit seinem Alter Ego: Friedmar Apels „Das Buch Fritze”
Fritze ist nicht mehr zu retten. Der Mann hat Potential, doch ein böser Teufel reitet ihn. Was könnte Fritze nicht alles werden: Bauzeichner, Versicherungsmanager, ja vielleicht sogar Literaturwissenschaftler in Bielefeld wie sein Schöpfer Friedmar Apel. Aber in Fritze nagt die Sehnsucht nach dem ganz anderen Leben, nach Freiheit, Abenteuer und Rock ’n’ Roll. Und was rockt weniger als Bielefeld und Literaturwissenschaft?
In zwölf Kapiteln zeichnet Friedmar Apel die Passionsgeschichte eines sympathischen Rebellen, der die ganze glühende Revolte der sechziger Jahre in seiner Brust trägt. Fritze und die Bundesrepublik werden zusammen erwachsen. Die schönsten Momente verbringt er als Kind in einem Dorf im Osten bei seinen Großeltern. Wenn er etwas Dummes tut, nennt ihn seine Großmutter Karlchen, wenn er etwas Lustiges macht, nennt sie ihn Kasper. Das zeigt Fritzens Handlungsspektrum: zwischen Blödsinn und Unsinn verstreichen seine Tage. Die Flucht in den Westen ist die Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit. In der jungen Republik warten schon der strenge Vater, die alkoholkranke Mutter, pädophile Offiziersonkel aus der nagelneuen Bundeswehr und überhaupt das ganze Schweinesystem. Fritze lässt sich nichts gefallen. Er ist um keine rotzige Antwort verlegen, ist ein wahrer Fritze Teufel. Aus harmlosen Bubenstreichen und den üblichen Oberstufenpatzigkeiten werden schnell Drogentransporte und allerlei krumme Dinger. Fritze wird drogensüchtig, spritzt sich Heroin unters Augenlid und spült mit Bier und Korn nach. Die Revolte frisst die Lebern ihrer Kinder, und Fritze endet als biertrinkender Schwadroneur im Stadtpark.
Hat man erst einmal jene etwas alberne Heitschi-Bumm-Beitschi-Perspektive überwunden, aus der Fritzens Kindheit erzählt wird, lesen sich die Abenteuer des jungen Rebellen sehr gut. Man hat es schwer als James Dean in den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Apel hat einen sehr geschmeidigen, atemlosen Ton gefunden, der Fritze von einer Katastrophe in die nächste jagt. Alle Stationen aus Fritzens Leben nehmen die schlechtest mögliche Wendung. Apel verschmilzt kommentarlos Rock- und Pop-Songs und sonstiges kulturelles Strandgut mit seiner Erzählung, was nur hin und wieder in etwas alberne Bildungskalauer ausartet: „So schaut Fritze in die schwedische Landschaft, ob er vielleicht wilde Erdbeeren sieht. Es sind aber keine da, oder sie sind so klein, dass man sie nicht sehen kann.”
Mit seinen Kapitelüberschriften aus der Requisite des epischen Theaters erinnert „Das Buch Fritze” an einen anderen großen Passionsroman über ein lebenshungriges Energiebündel: Fritze leidet an derselben gutmütigen Hybris wie Franz Biberkopf aus Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz”. Irgendwann geht Fritze in Fetzen durch die Stadt und ist überzogen mit Pusteln und Schwären. Er ist ein moderner Hiob, doch hat er keinen Gott, der seine skurrilen Gebete erhört. „Das Buch Fritze” hätte ein bewegendes, trauriges Buch über einen Menschen werden können, der mehr will als die Krümelchen, die vom Tisch des großen Lebensabenteuers herunterfallen. Ein kleiner Roman, in dem noch einmal das Feuer der sechziger Jahre auflodert, um die treudoofen Wackeldackel der Generation Golf ein bisschen anzukokeln.
Lieber schnell und schmutzig
Aber leider wollte Apel partout erzähltechnische Kinkerlitzchen in seinem Text. Irgendwann muss sich der Literaturwissenschaftler im Rocker gemeldet haben und nach Ironie, Distanzierung und sonstigen Verfremdungseffekten verlangt haben. So muss der Leser nun die Fiktion eines besserwisserischen Erzählers ertragen, der aus Fritzens obskuren Aufzeichnungen, seinen „Heften”, dieses Büchlein destilliert. Das ist etwas viel literarischer Apparat für dieses Bändchen. Man hätte es lieber schnell und schmutzig als so halbgescheit zurechtgezupft. Und so käut Apel noch einmal den langweiligen Topos des fiktiven Herausgebers wieder. Es bleibt wenig plausibel, warum ein so konsequenter Kokser und ein so ungenierter Bildzeitungsleser wie Fritze seine Gedanken fein säuberlich in Schulheftchen kritzeln soll, damit sich ein schlaumeiernder Erzähler darüber beugen kann. Franz Biberkopf hatte schließlich auch kein Poesiealbum, und James Dean braucht keine Fußnoten.
Am lästigsten jedoch ist Apels zähes Kokettieren mit autobiographischen Anklängen in Fritzens Abenteuern. Der Autor konnte der Versuchung nicht widerstehen, Fritze so viele autobiographische Eigenschaften wie möglich in die Wiege zu legen. Und schließlich tauft er Fritze auch noch Apfelbaum, womit er suggeriert, dass der trotzige Rebell nicht weit vom Stamme seines Schöpfers fällt. Es ist schade, dass einzig durch erzähltechnische Faux-Pas ein eigentlich schönes Buch in den Ruch augenzwinkernder autobiographischer Protzerei verkommt. Es ist, als wollte Apel sagen: Hätte sich der Friedmar nicht ordentlich zusammengenommen, hätte aus ihm sehr leicht ein Fritze werden können. Denn eigentlich ist der Friedmar ja ein Rolling Stone.
Solche Koketterie macht einen ähnlich lächerlichen Eindruck wie die Versicherung von CDU-Fritze Merz, er sei ein motorradfahrender Satansbraten gewesen und auch heute noch ein wilder Steppenwolf. Irgendwann muss diese Peinlichkeit auch Apel aufgegangen sein, und er versucht es mit Ironie: „Zu einer respektablen Biographie gehört neuerdings, dass man in seiner Jugend ein wilder Mopedfahrer war, zur Berichterstattung, dass man dies bezweifelt.” Es wäre so einfach gewesen, ein wirklich gutes „Buch Fritze” zu schreiben: Apel hätte sich die faden Einschübe des Ich-Erzählers einfach sparen und seinen Helden statt Fritze Kalle taufen sollen. Bleibt zu hoffen, dass Apel beim nächsten Buch mehr auf den Fritze als den Friedmar in sich hört.
STEPHAN MAUS
FRIEDMAR APEL: Das Buch Fritze. Roman. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2003. 177 Seiten, 7 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Wolfgang Schneider hat das Vergnügen, in der FAZ das Debüt eines Kollegen zu rezensieren. Allerdings ist dies Vergnügen nicht ungeteilt. Es beginnt ganz friedlich: der Roman erzähle eine Passionsgeschichte in zwölf Stationen, und eigentlich könnte das Buch einen schönen Bilderbogen abgeben - "gestochen scharfe Bilder wären es, mit vielen komischen Details". Bestens aufgelegte Erzählkunst mit einer rundum geglückten Hauptfigur, lesen wir auch. Bloß gegen Ende macht der Roman selbst allerbeste Rezensentenabsichten zunichte. Denn dieser Protagonist Fritze gehört für Schneider in die Tradition der literarischen Schelme. Aber "eignet sich das Wohlstandsland Bundesrepublik", in dem er offensichtlich spielt, als Bühne eines Pikaro-Romans? Nicht wirklich, lesen wir zwischen den Zeilen. Zwar werde, wie es sich derzeit gehöre, auch Pop- und Produktgeschichte eingearbeitet. Verschmitzte Konkretion ist hierbei für Schneider eine große Stärke. Ab Kapitel sieben gerät die geschmeidige Erzählung dann für Schneider ins Stolpern. Sie verschachtelt und verzettelt sich und man hat den Eindruck "Fritze Faustus" und der prätentiöse Stil des Buches beginnt dem Rezensenten auf die Nerven zu fallen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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