Wir schauen in unsere Gene wie in die Kristallkugel der Wahrheit. Alles glauben wir dort zu erkennen. Aber wir zahlen einen Preis. Die Angst vor einer angeborenen Neigung zu Depression oder Alzheimer würde unser Leben vergiften. Keine Zukunft, die wir in den Genen lesen, kann dies wettmachen.
Richard Powers arbeitete an seinem Roman über das "Glücks-Gen", als er die Chance erhielt, der neunte Mensch auf der Erde zu werden, dessen Genom vollständig entschlüsselt wird. Er zögerte lange, aber die Neugier siegte. Powers flog nach Boston, traf die Forscher und Macher der neuen Industrie, lernte den komplizierten Prozess der Entschlüsselung kennen. Schließlich hielt er einen USB-Stick in Händen mit der Wahrheit. Näher kam noch nie ein Schriftsteller dieser Welt, und genauer konnte uns noch nie jemand davon erzählen, wie wir in Zukunft mit unseren Genen leben.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Richard Powers arbeitete an seinem Roman über das "Glücks-Gen", als er die Chance erhielt, der neunte Mensch auf der Erde zu werden, dessen Genom vollständig entschlüsselt wird. Er zögerte lange, aber die Neugier siegte. Powers flog nach Boston, traf die Forscher und Macher der neuen Industrie, lernte den komplizierten Prozess der Entschlüsselung kennen. Schließlich hielt er einen USB-Stick in Händen mit der Wahrheit. Näher kam noch nie ein Schriftsteller dieser Welt, und genauer konnte uns noch nie jemand davon erzählen, wie wir in Zukunft mit unseren Genen leben.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.08.2011Eine Doppelhelix aus Sorge und Euphorie
"Das Buch Ich": Richard Powers lässt sein Erbgut entschlüsseln
Aus sechs Milliarden Bausteinen besteht das menschliche Genom. Wäre es eine Melodie und die DNA-Basenpaare wären Noten, die man im flotten Allegro-Tempo spielte, würde dieser Song ein knappes Jahrhundert dauern. Mit solchen Vergleichen verdeutlicht Richard Powers die schwindelerregenden Dimensionen der genetischen Forschung. Powers hat Epen des digitalen Zeitalters geschrieben. Künstliche Intelligenz, Kybernetik, Molekularbiologie - er scheut vor keiner Leitwissenschaft zurück und bleibt der Forschung mit intellektueller Verve dicht auf den Fersen. Mehr noch: Er mischt sich ein. Als neunter Mensch überhaupt hat er unter Leitung des Harvard-Computergenetikers George Church am "Personal Genome Project" teilgenommen und sein komplettes Erbgut entschlüsseln lassen.
Aber wie macht man aus einer wissenschaftlichen Gen-Analyse einen literarischen Text? In "Das Buch Ich # 9" sind die nüchternen Vorgänge in wenigen Sätzen beschrieben. Da steht er, der Polonator G.007, das Sequenziergerät der neuesten Generation - und sieht aus wie eine klein geratene "Spülmaschine". Und George Church redet davon nicht wie ein mephistophelischer Doktor Faust, sondern als "hätte er ein neues Produktionsverfahren für Schuhe entwickelt".
So muss Powers den melodramatischen Effekt bemühen, um seinem Projekt ein bisschen Teufelspakt-Aroma beizugeben. "Vier Ampullen Blut und die glückliche Unwissenheit meines unerforschten Lebens" - so benennt er den Preis der Erkenntnis. Powers versteht das entschlüsselte Genom als Dramentext, der erst in Zukunft lesbar werden wird - wie eine Geheimschrift, die schon an der Wand steht, und der Mensch steht zaudernd davor und wartet, dass die schlimme Nachricht sich endlich abzeichne. Von all den genetischen Risiken, Krankheitswahrscheinlichkeiten, Suchtneigungen oder charakterlichen Dispositionen zu wissen, die im "Buch Ich" niedergelegt sind, werde das Lebensgefühl von Grund auf ändern. Andererseits hat heute längst jeder Raucher Kenntnis von seinem stark erhöhten Lungenkrebsrisiko, ohne dass die Konsequenzen für das Lebensgefühl deshalb grundstürzend wären. Ob das Kassandra-Raunen aus dem Genom so viel mehr Effekt machen wird?
Powers aber wartet beklommen auf das Ergebnis der Sequenzierung und bemüht sogar das "Damoklesschwert" für seinen Zustand befristeter Unwissenheit. Welche roten Risiko-Fähnchen wird er in die Landkarte seines Lebens zu stecken haben? Morbus Crohn, Schizophrenie, eine frühe Alzheimer-Erkrankung? Wird er in Zukunft ständig seine genetischen Daten mit den neuen medizinischen Erkenntnissen abgleichen und "leben wie jene bedauernswerten Investoren, die nicht anders können, als alle fünf Minuten den Stand ihrer Aktien abzufragen?"
Interessanter als diese Zukunftsmusik, als die Doppelhelix aus Sorge und Euphorie sind die Schilderungen der Durchdringungen von Kommerz und Wissenschaft. Powers bewegt sich in einer Bio-Industrie, die in Goldrausch-Manier ihre Claims absteckt. Schwindel erfasst ihn, als ihm klar wird, an wie vielen Firmengründungen, Bio-Dienstleistern und "Genotyp-Boutiquen" sein Mentor George Church beteiligt ist und dass er immer auch die Konkurrenz berät. "Ich war in einen Pynchon-Roman des biokapitalistischen Zeitalters geraten." Sein Blut wird dann übrigens nach China geschickt, weil am Beijing Genomics Institute die Entschlüsselung billiger ist. Ein gewisser Verpuffungseffekt stellt sich ein, als der Projektleiter ihn mit verlegenem Ton auf das Fettleibigkeits-Risiko hinweist, das sich aus seinem Genom ablesen lasse - Powers hat sein Leben lang tapfer gegen das Untergewicht gekämpft. Soll er "die 248 genetischen Varianten, die das Risiko erhöhen, an ungefähr 77 Krankheiten zu erkranken", nun ernster nehmen als die Aussicht, als "Fettkloß" zu enden? Das Buch der Gene, so viel ist klar, bietet derzeit noch hermetische Nucleotid-Lyrik, die ein weites Interpretationsspektrum und nur vage Prognosen zulässt. Wir sind erst im Grundkurs Textverständnis.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Powers: "Das Buch Ich # 9". Eine Reportage.
Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 78 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Buch Ich": Richard Powers lässt sein Erbgut entschlüsseln
Aus sechs Milliarden Bausteinen besteht das menschliche Genom. Wäre es eine Melodie und die DNA-Basenpaare wären Noten, die man im flotten Allegro-Tempo spielte, würde dieser Song ein knappes Jahrhundert dauern. Mit solchen Vergleichen verdeutlicht Richard Powers die schwindelerregenden Dimensionen der genetischen Forschung. Powers hat Epen des digitalen Zeitalters geschrieben. Künstliche Intelligenz, Kybernetik, Molekularbiologie - er scheut vor keiner Leitwissenschaft zurück und bleibt der Forschung mit intellektueller Verve dicht auf den Fersen. Mehr noch: Er mischt sich ein. Als neunter Mensch überhaupt hat er unter Leitung des Harvard-Computergenetikers George Church am "Personal Genome Project" teilgenommen und sein komplettes Erbgut entschlüsseln lassen.
Aber wie macht man aus einer wissenschaftlichen Gen-Analyse einen literarischen Text? In "Das Buch Ich # 9" sind die nüchternen Vorgänge in wenigen Sätzen beschrieben. Da steht er, der Polonator G.007, das Sequenziergerät der neuesten Generation - und sieht aus wie eine klein geratene "Spülmaschine". Und George Church redet davon nicht wie ein mephistophelischer Doktor Faust, sondern als "hätte er ein neues Produktionsverfahren für Schuhe entwickelt".
So muss Powers den melodramatischen Effekt bemühen, um seinem Projekt ein bisschen Teufelspakt-Aroma beizugeben. "Vier Ampullen Blut und die glückliche Unwissenheit meines unerforschten Lebens" - so benennt er den Preis der Erkenntnis. Powers versteht das entschlüsselte Genom als Dramentext, der erst in Zukunft lesbar werden wird - wie eine Geheimschrift, die schon an der Wand steht, und der Mensch steht zaudernd davor und wartet, dass die schlimme Nachricht sich endlich abzeichne. Von all den genetischen Risiken, Krankheitswahrscheinlichkeiten, Suchtneigungen oder charakterlichen Dispositionen zu wissen, die im "Buch Ich" niedergelegt sind, werde das Lebensgefühl von Grund auf ändern. Andererseits hat heute längst jeder Raucher Kenntnis von seinem stark erhöhten Lungenkrebsrisiko, ohne dass die Konsequenzen für das Lebensgefühl deshalb grundstürzend wären. Ob das Kassandra-Raunen aus dem Genom so viel mehr Effekt machen wird?
Powers aber wartet beklommen auf das Ergebnis der Sequenzierung und bemüht sogar das "Damoklesschwert" für seinen Zustand befristeter Unwissenheit. Welche roten Risiko-Fähnchen wird er in die Landkarte seines Lebens zu stecken haben? Morbus Crohn, Schizophrenie, eine frühe Alzheimer-Erkrankung? Wird er in Zukunft ständig seine genetischen Daten mit den neuen medizinischen Erkenntnissen abgleichen und "leben wie jene bedauernswerten Investoren, die nicht anders können, als alle fünf Minuten den Stand ihrer Aktien abzufragen?"
Interessanter als diese Zukunftsmusik, als die Doppelhelix aus Sorge und Euphorie sind die Schilderungen der Durchdringungen von Kommerz und Wissenschaft. Powers bewegt sich in einer Bio-Industrie, die in Goldrausch-Manier ihre Claims absteckt. Schwindel erfasst ihn, als ihm klar wird, an wie vielen Firmengründungen, Bio-Dienstleistern und "Genotyp-Boutiquen" sein Mentor George Church beteiligt ist und dass er immer auch die Konkurrenz berät. "Ich war in einen Pynchon-Roman des biokapitalistischen Zeitalters geraten." Sein Blut wird dann übrigens nach China geschickt, weil am Beijing Genomics Institute die Entschlüsselung billiger ist. Ein gewisser Verpuffungseffekt stellt sich ein, als der Projektleiter ihn mit verlegenem Ton auf das Fettleibigkeits-Risiko hinweist, das sich aus seinem Genom ablesen lasse - Powers hat sein Leben lang tapfer gegen das Untergewicht gekämpft. Soll er "die 248 genetischen Varianten, die das Risiko erhöhen, an ungefähr 77 Krankheiten zu erkranken", nun ernster nehmen als die Aussicht, als "Fettkloß" zu enden? Das Buch der Gene, so viel ist klar, bietet derzeit noch hermetische Nucleotid-Lyrik, die ein weites Interpretationsspektrum und nur vage Prognosen zulässt. Wir sind erst im Grundkurs Textverständnis.
WOLFGANG SCHNEIDER
Richard Powers: "Das Buch Ich # 9". Eine Reportage.
Aus dem Amerikanischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 78 S., geb., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Der amerikanische Erfolgsautor Richard Powers hat ein erhöhtes Risiko zur Fettleibigkeit, und auch die Gefahr an Alzheimer zu erkranken, sollte er nicht unterschätzen. In Powers Reportage "Das Buch Ich #9" hat Rezensent Arno Widmann dies, aber auch wesentlich mehr erfahren: Die Frage des Gentlemen's Quarterly, ob er nicht für einen Artikel sein eigenes Genom sequenzieren lassen wolle, machte Powers zunächst skeptisch. Das Interesse daran, ob man sich irgendwann wissenschaftlich zur eigenen Existenz verhalten könne, wenn mehr Menschen ihre individuellen Genomanalysen erstellen lassen, ließ ihn schließlich aber doch zustimmen, so Widmann. Abgesehen von seinem unspektakulären Krankheitsbild erzähle Powers eine "lustvolle" Geschichte der Wissenschaft und verdeutliche überdies, wie lukrativ das Geschäft der Biotechniker sei. Auch wenn noch mehr Genomsequenzen erfasst werden müssen, um irgendwann vielleicht genauere Aussagen treffen zu können, freut sich der Rezensent über diese spannende Reportage.
© Perlentaucher Medien GmbH
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