Der Bestseller von André Heller - jetzt im Taschenbuch
Julian Passauer ist ein »fleißiger Taugenichts« mit einer lebenslangen Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht nach dem Süden, vom Vater ererbt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien geboren, wuchs der Sohn des stellvertretenden Direktors des Kunsthistorischen Museums im Dachgeschoss von Schloss Schönbrunn auf. Eine Kindheit voller Verständnis, Zuwendung und Güte, das Schöne stets vor Augen, wird er als junger Mann Afrika auf einem Schiff umfahren, eine Zeit lang studieren, und schließlich sein Geld als Pokerspieler verdienen. Sein Verlangen nach dem Schönen, dem Erhabenen, wird ihn hierhin und dorthin treiben, in diese und jene Arme. Erst in einer alten Villa am Gardasee wird er schließlich seine Seelenruhe und die Frauen seines Lebens finden - bevor es ihn weiterzieht - nach Süden.
Julian Passauer ist ein »fleißiger Taugenichts« mit einer lebenslangen Sehnsucht. Es ist die Sehnsucht nach dem Süden, vom Vater ererbt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien geboren, wuchs der Sohn des stellvertretenden Direktors des Kunsthistorischen Museums im Dachgeschoss von Schloss Schönbrunn auf. Eine Kindheit voller Verständnis, Zuwendung und Güte, das Schöne stets vor Augen, wird er als junger Mann Afrika auf einem Schiff umfahren, eine Zeit lang studieren, und schließlich sein Geld als Pokerspieler verdienen. Sein Verlangen nach dem Schönen, dem Erhabenen, wird ihn hierhin und dorthin treiben, in diese und jene Arme. Erst in einer alten Villa am Gardasee wird er schließlich seine Seelenruhe und die Frauen seines Lebens finden - bevor es ihn weiterzieht - nach Süden.
André Heller ist der Meister der Sehnsüchte. Freia Oliv Münchner Merkur 20181219
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Gerhard Melzer entgehen nicht der Zwang zum fiktionalen Konstrukt, die bemühte Stilisierung, die gravitätische Ergriffenheit in André Hellers Debütroman. Dass der Autor seine gekonnten Skizzen und Anekdoten nur mit Mühe über die Klammer des Reifeprozesses seines Helden zum Roman, zum Bildungsroman, zusammentackert, scheint dem Rezensenten eher lästig. Andererseits gefallen ihm Hellers rasch hingeworfenen Situationen, Stimmungen, seine bildintensive Sprache, die feinen Menschenbeobachtungen und Beschreibungen, das Irrlichternde seiner Geschichten, die laut Melzer durchaus für sich stehen können. Wenn nur der allzu deutliche Hinweis auf die Zeichenhaftigkeit alles Erzählten nicht wäre, stöhnt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2016Im Hauptberuf möchte ich Taugenichts werden
Nur mal kurz einen Schriftsteller berühren: André Hellers Debütroman erstickt im Zuckerguss der Manier und leidet an einer Extraportion Poesie
André Heller muss man mögen, so wie man Ingwerkekse mögen muss oder Maiglöckchenparfum. Aber hier geht es ja nicht um den weltumspannenden Entrepreneur des Entertainments, den besessenen Impresario oder den Wunderkammersänger, kurzum: nicht um die Marke Heller, sondern um den Romancier. Hellers erster Roman verdient als ein Stück Literatur für sich und vor allem ernst genommen zu werden. Das wird dem Leser vom Autor nicht gerade leicht gemacht, denn dessen überlebensgroße Künstlergestalt schiebt sich formatfüllend vor den Helden Julian Passauer und die Geschichte. Nicht nur in der Erzählstimme begegnen uns des Meisters Duktus und Timbre, es reden eigentlich alle wichtigen Figuren wie André Heller: der Vater Gottfried Passauer, die Mutter Lotte, der Bonmot-Produzent Graf Eltz, die schöne äthiopische Köchin Mébrat - und natürlich Julian Passauer selbst. "Wovon redest du so geschwollen?", fragt die Gärtnersgattin Pribil den Zwölfjährigen. Der Leser fühlt es ihr nach.
Wie sein Erfinder entstammt Julian einer großbürgerlichen Wiener Familie und hat seine Kindheit und Jugend im Nobelbezirk Hietzing verbracht. Weil sein Vater Vizedirektor des Naturhistorischen Museums ist, logiert man in einer prachtvollen Dienstwohnung im Schloss Schönbrunn. Vom Vater hat Julian seine Passion für den Süden geerbt, verbunden mit heftigem Phantomschmerz: Die Amputation der südlichen Kronländer der k.u.k. Monarchie hat Gottfried Passauer nie verwunden. Von seiner Inhaftierung in Dachau und Buchenwald blieb ihm eine unheilbare Melancholie und der Brauch, am 13. jedes Monats, Churchill zu Ehren, en famille ausschließlich Englisch zu sprechen. Heller hat sein Alter Ego nicht im jüdischen Milieu angesiedelt, doch Julian verfügt als "ausgezeichnete Mischkulanz" immerhin über eine jüdische Urgroßmutter. Vater und Sohn Passauer liefern einander ein Pingpong der goldenen Worte, das jener mit "Wisse, Sprössling" zu eröffnen pflegt. Rund um diese merkwürdige Familie versammelt Heller ein Kabinett der Käuze und Kuriositäten, der Unglückswürmer und Lebenskünstler, unter denen der Schürzenjäger Graf Eltz als souverän ordinärer Erzähler hervorsticht - ein Abbild des berüchtigten gräflichen Enfant terrible Adalbert Sternberg.
Im ersten Teil des Romans erfahren wir von Julians Bemühungen, die Damenwelt zu gewinnen und "im Hauptberuf" ein Taugenichts zu werden, was er schließlich mit Hilfe eines portugiesischen Pokerspielers auch umsetzt. Der zweite, zusehends ins Sentenzhafte driftende Teil erzählt, unleugbar autobiographisch, vom Sesshaftwerden des Kreuz-und-quer-Reisenden in einem Gartenparadies am Gardasee, bis er am Ende das "Tor zum vollkommenen Süden" in einer Vision des marokkanischen Fés zu erreichen meint. Ein Entwicklungsroman? Eher nicht. Wir sehen ein ewiges altkluges Kind, das noch Jahrzehnte später auf sein ewiges Kindsein stolz ist. Sein Ausgesetztsein in der Welt indes wirkt echt und sein Versuch, sich gut zuzureden, deshalb rührend. "Ich will mein eigener Freund sein", beschließt Julian und findet nichts dabei, die Segnung seiner Person selbst vorzunehmen.
Das Katholische dieser österreichischen Kindheit wird bald von allerlei privatmagischem Hokuspokus überwuchert. In einer Art Initiationsszene ermuntert Vater Passauer seinen Sohn einmal, den Lyriker Felix Braun heimlich zu berühren, weil das Berühren eines Dichters "zumindest von den lässlichen Sünden" befreie. Vielleicht liegt es daran, dass Felix Braun wohl bestenfalls ein mittelguter Dichter war, aber es stellt sich doch die Frage, ob vor dem Urteil der Weltliteratur das Verfassen eines Romans mit untauglichen Mitteln noch als lässliche Sünde durchgeht. Die Untauglichkeit ergibt sich zunächst aus der anekdotischen Struktur: Ein Sammelsurium ist noch kein Roman. Mit dem ehemaligen Weltklasseschwimmer Eltz hat der Autor auch dem ehemaligen Spitzenwasserballer Friedrich Torberg seine Reverenz erwiesen. Torbergs berühmtes Buch "Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten" (1975) will gar kein Roman sein und stellt doch in seiner stilistischen Brillanz einen Meilenstein der österreichischen Nachkriegsliteratur dar, der für Nachahmer leicht zum Stolperstein wird. So zeugt der unmögliche Graf Eltz von seines Autors "Sehnsucht nach aristokratischem Umgang" (wie Karl Kraus das nannte) und gibt allerlei Lustiges und noch mehr Halblustiges zum Besten. Torberg hat seinem postkakanischen Kaffeehaus-Kosmos wohlweislich die Konfrontation mit der Nazizeit erspart. Bei Heller kommt selbst das Buchenwald-Lied im Sound der kapriziösen Kurzweil vor.
Das ausgestellte Wienertum und dessen penetrante Beschwörung vermögen noch den nostalgischsten Patrioten zu ernüchtern und erweisen sich außerdem als inkonsequent. Zum Beispiel teilt André Heller mit seinen Passauers eine querköpfige Abneigung gegen das "Reichsdeutsche" und kultiviert Ausdrücke wie "Wimmerln" (Pickel), "miachteln" (streng riechen) und "zernepft" (zerzaust). Dazu passen dann aber weder die "Schnürsenkel" (statt Schuhbänder) noch die "Toilettenfrau" (statt Klofrau) noch "gestanden haben" (statt sein).
Wo es um das weite Feld des Eros geht, überschreitet Hellers Manieriertheit die Grenze des Erträglichen. Wenn Julian seiner schwarzen Köchin respektive Dienerin tief in die Augen schaut, wird sie ihm praktisch unter der Hand zum Gesamtkunstwerk: "Dann las er Note für Note die Melodie und deren Orchestrierung, das Gelesene begann in seinen Ohren zu klingen, und der Klang schuf Bilder großzügiger unbesudelter Landschaften, üppiger Vegetation, in denen er umherwandeln konnte wie in den Bühnendekorationen der Aufführung eines Stücks, das nichts Geringeres als seine eigene Seele zum Autor und Regisseur hatte." Das Rätsel Weib beschäftigt Julian überhaupt stark, neben der Köchin bieten ihm vor allem eine Sprunghafte und eine Unersättliche "rare Einsichten in die Strukturen des Weiblichen". Wie ihm andererseits auch die Vorstellung gefällt, seine Mutter und seine Gefährtinnen würden an einem Kongress zur "Erforschung des wissenschaftlichen Themas Julian Passauer" teilnehmen. Am meisten fasziniert von diesem Thema zeigt sich der Held selbst, etwa wenn er mit einer Gabe um das Herz einer Dame wirbt: "So sammelte Julian im Eidechsengarten Blätter in den berückendsten Formen und Farben, arrangierte sie in einer mit gelbem Samt ausgeschlagenen Wellkartonschachtel und legte zuoberst Walnüsse und Haselnüsse sowie ein Kinderfoto, das ihn als etwa Vierjährigen in der Pelzbekleidung eines Eskimos zeigte, die ihm sein Vater von einer Kanadaexpedition mitgebracht hatte. Auf eine Visitenkarte schrieb er auf Englisch: ,Es gibt mich!'" Wer könnte da widerstehen?
Es gibt auch schöne Szenen im Buch, etwa die zart hingetupfte Sterbeszene der Mutter, und schöne Sätze, zum Beispiel über die allzu propere Geliebte: "Selbst wenn sie schlief, schienen Engel an ihrer Tadellosigkeit zu arbeiten." Aber diese Fundstücke gehen unter in einem Meer des Zuviel, und es ergeht einem wie dem Grafen Eltz mit den berühmten Zauner-Doboschschnitten, den nach dem Essexzess "das Speiben eindrucksvoll an die Segnungen des Maßhaltens erinnert".
Der von André Heller verehrte H. C. Artmann hat über das Wesen des "Poetischen Acts" gemeint, dass man Dichter sein könne, "ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben". Aber man kann eben nicht Dichter sein, wenn man zu viele Worte spricht oder schreibt und dabei das Dichterseinwollen als treibende Kraft wirkt. Das Wesen des Dichterischen liegt in der Absichtslosigkeit des L'art pour l'art, die Extraportion Poesie verdirbt das Gericht.
Ein "Virtuose des Kargen" (so das Lernziel des Pokerlehrers) wird Heller wohl nicht mehr werden. Man kann ihn für vieles bewundern, für das Verfassen von Romanen leider nicht.
DANIELA STRIGL
André Heller: "Das Buch vom Süden". Roman.
Zsolnay Verlag, Wien 2016. 336 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nur mal kurz einen Schriftsteller berühren: André Hellers Debütroman erstickt im Zuckerguss der Manier und leidet an einer Extraportion Poesie
André Heller muss man mögen, so wie man Ingwerkekse mögen muss oder Maiglöckchenparfum. Aber hier geht es ja nicht um den weltumspannenden Entrepreneur des Entertainments, den besessenen Impresario oder den Wunderkammersänger, kurzum: nicht um die Marke Heller, sondern um den Romancier. Hellers erster Roman verdient als ein Stück Literatur für sich und vor allem ernst genommen zu werden. Das wird dem Leser vom Autor nicht gerade leicht gemacht, denn dessen überlebensgroße Künstlergestalt schiebt sich formatfüllend vor den Helden Julian Passauer und die Geschichte. Nicht nur in der Erzählstimme begegnen uns des Meisters Duktus und Timbre, es reden eigentlich alle wichtigen Figuren wie André Heller: der Vater Gottfried Passauer, die Mutter Lotte, der Bonmot-Produzent Graf Eltz, die schöne äthiopische Köchin Mébrat - und natürlich Julian Passauer selbst. "Wovon redest du so geschwollen?", fragt die Gärtnersgattin Pribil den Zwölfjährigen. Der Leser fühlt es ihr nach.
Wie sein Erfinder entstammt Julian einer großbürgerlichen Wiener Familie und hat seine Kindheit und Jugend im Nobelbezirk Hietzing verbracht. Weil sein Vater Vizedirektor des Naturhistorischen Museums ist, logiert man in einer prachtvollen Dienstwohnung im Schloss Schönbrunn. Vom Vater hat Julian seine Passion für den Süden geerbt, verbunden mit heftigem Phantomschmerz: Die Amputation der südlichen Kronländer der k.u.k. Monarchie hat Gottfried Passauer nie verwunden. Von seiner Inhaftierung in Dachau und Buchenwald blieb ihm eine unheilbare Melancholie und der Brauch, am 13. jedes Monats, Churchill zu Ehren, en famille ausschließlich Englisch zu sprechen. Heller hat sein Alter Ego nicht im jüdischen Milieu angesiedelt, doch Julian verfügt als "ausgezeichnete Mischkulanz" immerhin über eine jüdische Urgroßmutter. Vater und Sohn Passauer liefern einander ein Pingpong der goldenen Worte, das jener mit "Wisse, Sprössling" zu eröffnen pflegt. Rund um diese merkwürdige Familie versammelt Heller ein Kabinett der Käuze und Kuriositäten, der Unglückswürmer und Lebenskünstler, unter denen der Schürzenjäger Graf Eltz als souverän ordinärer Erzähler hervorsticht - ein Abbild des berüchtigten gräflichen Enfant terrible Adalbert Sternberg.
Im ersten Teil des Romans erfahren wir von Julians Bemühungen, die Damenwelt zu gewinnen und "im Hauptberuf" ein Taugenichts zu werden, was er schließlich mit Hilfe eines portugiesischen Pokerspielers auch umsetzt. Der zweite, zusehends ins Sentenzhafte driftende Teil erzählt, unleugbar autobiographisch, vom Sesshaftwerden des Kreuz-und-quer-Reisenden in einem Gartenparadies am Gardasee, bis er am Ende das "Tor zum vollkommenen Süden" in einer Vision des marokkanischen Fés zu erreichen meint. Ein Entwicklungsroman? Eher nicht. Wir sehen ein ewiges altkluges Kind, das noch Jahrzehnte später auf sein ewiges Kindsein stolz ist. Sein Ausgesetztsein in der Welt indes wirkt echt und sein Versuch, sich gut zuzureden, deshalb rührend. "Ich will mein eigener Freund sein", beschließt Julian und findet nichts dabei, die Segnung seiner Person selbst vorzunehmen.
Das Katholische dieser österreichischen Kindheit wird bald von allerlei privatmagischem Hokuspokus überwuchert. In einer Art Initiationsszene ermuntert Vater Passauer seinen Sohn einmal, den Lyriker Felix Braun heimlich zu berühren, weil das Berühren eines Dichters "zumindest von den lässlichen Sünden" befreie. Vielleicht liegt es daran, dass Felix Braun wohl bestenfalls ein mittelguter Dichter war, aber es stellt sich doch die Frage, ob vor dem Urteil der Weltliteratur das Verfassen eines Romans mit untauglichen Mitteln noch als lässliche Sünde durchgeht. Die Untauglichkeit ergibt sich zunächst aus der anekdotischen Struktur: Ein Sammelsurium ist noch kein Roman. Mit dem ehemaligen Weltklasseschwimmer Eltz hat der Autor auch dem ehemaligen Spitzenwasserballer Friedrich Torberg seine Reverenz erwiesen. Torbergs berühmtes Buch "Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten" (1975) will gar kein Roman sein und stellt doch in seiner stilistischen Brillanz einen Meilenstein der österreichischen Nachkriegsliteratur dar, der für Nachahmer leicht zum Stolperstein wird. So zeugt der unmögliche Graf Eltz von seines Autors "Sehnsucht nach aristokratischem Umgang" (wie Karl Kraus das nannte) und gibt allerlei Lustiges und noch mehr Halblustiges zum Besten. Torberg hat seinem postkakanischen Kaffeehaus-Kosmos wohlweislich die Konfrontation mit der Nazizeit erspart. Bei Heller kommt selbst das Buchenwald-Lied im Sound der kapriziösen Kurzweil vor.
Das ausgestellte Wienertum und dessen penetrante Beschwörung vermögen noch den nostalgischsten Patrioten zu ernüchtern und erweisen sich außerdem als inkonsequent. Zum Beispiel teilt André Heller mit seinen Passauers eine querköpfige Abneigung gegen das "Reichsdeutsche" und kultiviert Ausdrücke wie "Wimmerln" (Pickel), "miachteln" (streng riechen) und "zernepft" (zerzaust). Dazu passen dann aber weder die "Schnürsenkel" (statt Schuhbänder) noch die "Toilettenfrau" (statt Klofrau) noch "gestanden haben" (statt sein).
Wo es um das weite Feld des Eros geht, überschreitet Hellers Manieriertheit die Grenze des Erträglichen. Wenn Julian seiner schwarzen Köchin respektive Dienerin tief in die Augen schaut, wird sie ihm praktisch unter der Hand zum Gesamtkunstwerk: "Dann las er Note für Note die Melodie und deren Orchestrierung, das Gelesene begann in seinen Ohren zu klingen, und der Klang schuf Bilder großzügiger unbesudelter Landschaften, üppiger Vegetation, in denen er umherwandeln konnte wie in den Bühnendekorationen der Aufführung eines Stücks, das nichts Geringeres als seine eigene Seele zum Autor und Regisseur hatte." Das Rätsel Weib beschäftigt Julian überhaupt stark, neben der Köchin bieten ihm vor allem eine Sprunghafte und eine Unersättliche "rare Einsichten in die Strukturen des Weiblichen". Wie ihm andererseits auch die Vorstellung gefällt, seine Mutter und seine Gefährtinnen würden an einem Kongress zur "Erforschung des wissenschaftlichen Themas Julian Passauer" teilnehmen. Am meisten fasziniert von diesem Thema zeigt sich der Held selbst, etwa wenn er mit einer Gabe um das Herz einer Dame wirbt: "So sammelte Julian im Eidechsengarten Blätter in den berückendsten Formen und Farben, arrangierte sie in einer mit gelbem Samt ausgeschlagenen Wellkartonschachtel und legte zuoberst Walnüsse und Haselnüsse sowie ein Kinderfoto, das ihn als etwa Vierjährigen in der Pelzbekleidung eines Eskimos zeigte, die ihm sein Vater von einer Kanadaexpedition mitgebracht hatte. Auf eine Visitenkarte schrieb er auf Englisch: ,Es gibt mich!'" Wer könnte da widerstehen?
Es gibt auch schöne Szenen im Buch, etwa die zart hingetupfte Sterbeszene der Mutter, und schöne Sätze, zum Beispiel über die allzu propere Geliebte: "Selbst wenn sie schlief, schienen Engel an ihrer Tadellosigkeit zu arbeiten." Aber diese Fundstücke gehen unter in einem Meer des Zuviel, und es ergeht einem wie dem Grafen Eltz mit den berühmten Zauner-Doboschschnitten, den nach dem Essexzess "das Speiben eindrucksvoll an die Segnungen des Maßhaltens erinnert".
Der von André Heller verehrte H. C. Artmann hat über das Wesen des "Poetischen Acts" gemeint, dass man Dichter sein könne, "ohne auch irgendjemals ein Wort geschrieben oder gesprochen zu haben". Aber man kann eben nicht Dichter sein, wenn man zu viele Worte spricht oder schreibt und dabei das Dichterseinwollen als treibende Kraft wirkt. Das Wesen des Dichterischen liegt in der Absichtslosigkeit des L'art pour l'art, die Extraportion Poesie verdirbt das Gericht.
Ein "Virtuose des Kargen" (so das Lernziel des Pokerlehrers) wird Heller wohl nicht mehr werden. Man kann ihn für vieles bewundern, für das Verfassen von Romanen leider nicht.
DANIELA STRIGL
André Heller: "Das Buch vom Süden". Roman.
Zsolnay Verlag, Wien 2016. 336 S., geb., 24,90 [Euro].
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