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Blanche Wittman ist die Lieblingspatientin des Nervenarztes Charcot an der Pariser Salpetriere. Als er auf geheimnisvolle Weise stirbt, wird sie die Assistentin von Marie Curie. Noch ahnt niemand etwas von den Gefahren der radioaktiven Strahlung. Als Blanche erkrankt, lebt sie ganz bei Marie Curie und beginnt ein Buch über die Liebe zu schreiben, ein Buch, in dem sie von Marie Curies Affären erzählt, von ihrer eigenen Liebe zu Charcot und dem Geheimnis um seinen Tod. "Die Liebe kann man nicht erklären. Aber wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten?"

Produktbeschreibung
Blanche Wittman ist die Lieblingspatientin des Nervenarztes Charcot an der Pariser Salpetriere. Als er auf geheimnisvolle Weise stirbt, wird sie die Assistentin von Marie Curie. Noch ahnt niemand etwas von den Gefahren der radioaktiven Strahlung. Als Blanche erkrankt, lebt sie ganz bei Marie Curie und beginnt ein Buch über die Liebe zu schreiben, ein Buch, in dem sie von Marie Curies Affären erzählt, von ihrer eigenen Liebe zu Charcot und dem Geheimnis um seinen Tod. "Die Liebe kann man nicht erklären. Aber wer wären wir, wenn wir es nicht versuchten?"

Autorenporträt
Per Olov Enquist, 1934 in einem Dorf im Norden Schwedens geboren, lebte in Stockholm und starb am 25. April 2020 in Vaxholm. Nach dem Studium arbeitete er als Theater- und Literaturkritiker. Er zählt heute zu den bedeutendsten Autoren Schwedens. Bei Hanser erschienen unter anderem Der Besuch des Leibarztes (Roman, 2001), Der fünfte Winter des Magnetiseurs (Roman, 2002), Hamsun (Eine Filmerzählung, 2004), Das Buch von Blanche und Marie (Roman, 2005), Kapitän Nemos Bibliothek (Neuausgabe, 2006), seine Autobiographie Ein anderes Leben (2009), für die er den renommiertesten schwedischen Literaturpreis, den August-Preis, erhielt, Die Ausgelieferten (Neuausgabe, 2011) sowie Das Buch der Gleichnisse (Roman, 2013). 2003 erschien sein erstes Kinderbuch Großvater und die Wölfe; 2011 folgte Großvater und die Schmuggler. 2017 erschienen diese beiden erfolgreichen Einzeltitel als Sammelband Abenteuer mit Großvater.

Wolfgang Butt, geboren 1937, langjähriger Hochschuldozent für Skandinavistik und Kleinverleger von Literatur aus Skandinavien. Seit 1995 freiberuflicher übersetzer, u.a. von P.O. Enquist, Arne Dahl und sämtliche Kriminalromane von Henning Mankell.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Ausweitung der hysterogenen Zone
Wilder Phantomschmerz: Per Olov Enquist gerät in Wallung / Von Rose-Maria Gropp

Da ist Marie Curie, die berühmte Forscherin; sie lebt im Paris des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts zusammen mit Blanche Wittman, ihrer Assistentin, die einst die "Königin der Hysterikerinnen" in der Pariser Irrenanstalt Salpêtrière war. Blanche hilft Marie, das Radium aus der Pechblende zu isolieren, und sie wird von der gefährlichen Strahlung des "blauen Lichts" erfaßt; nach und nach werden ihr die Beine und der linke Arm amputiert. Marie läßt für Blanche einen Karren bauen, in dem die "beschnittene" Freundin sich fortbewegen kann.

Dieser "Torso in der Kiste" hat noch seine rechte Hand, um schreiben zu können: "Amor Omnia Vincit", das (umgestellte) Vergil-Zitat, steht auf dem Deckel einer braunen Mappe mit drei Notizbüchern von ihr, die das gelbe, das schwarze und das rote "Fragebuch" heißen und von Blanche und Marie handeln. "Die Liebe überwindet alles, als Arbeitshypothese, oder innerster Schmerzpunkt", so endet der erste Absatz des Romans, ein verstümmelter Satz ist das. Ein verstörend schöner Text beginnt, dessen Verfasser einige Seiten weiter bekennt: "Man kann auch sagen: Der Punkt, von dem aus wir die Erzählung betrachten, ist ein Torso." Wir also.

Nach erzählerischen, historischen Romanen wie dem "Besuch des Leibarztes" und "Lewis Reise" hat Enquist jetzt "Das Buch von Blanche und Marie" geschrieben. Raffiniert kleidet es sich in den Mantel geschichtlich verbürgter Ereignisse, bis in die Nennung genauer Daten hinein. Es kommt im Gewand der Realität, doch es ist ein Vexierspiel. Enquist oszilliert zwischen einer Geschichte und einer Form, die den Fortgang des Erzählens so in Fetzen reißt, wie er es zuvor nur in seinem grausam-zarten Buch "Gestürzter Engel" vor zwanzig Jahren tat. Wie dort umkreist Enquist, getrieben vom Wiederholungszwang, den innersten Punkt seiner Sehnsucht, den er niemals berühren kann, die vollkommene Vereinigung von Agape und Eros, das uneinholbar Reale der Liebe.

Beginnen wir mit dem Faßbaren in diesem Buch, das so fassungslos macht: Diese Menschen hat es alle gegeben. Da ist Marie Curie, die polnische Naturwissenschaftlerin, die zweimal den Nobelpreis erhielt, 1911 den für ihre Entdeckung des Radiums. Im selben Jahr brachte sie die nationalistische französische Presse im Nachklang zur Dreyfus-Affäre gegen sich auf, weil sie, die Ausländerin und vielleicht Jüdin, nach dem Tod ihres Mannes eine glühende Leidenschaft mit ihrem verheirateten Kollegen Paul Langevin verband, der sie indessen, als der Aufruhr anschwoll, fallenließ. Da ist Jean-Martin Charcot, seit 1862 Direktor der Salpêtrière in Paris. Seine hypnotische Methode brachte ein Krankheitsbild der Hysterie zum Vorschein, das er in spektakelhaften Vorlesungen, die gesellschaftliche und wissenschaftliche Höhepunkte vor der Jahrhundertwende waren, an seinen Patientinnen öffentlich demonstrierte und das mit seinem Tod im Jahr 1893 erstarb, um in Freuds Lehre, anders, aufzuerstehen.

Und da ist Blanche Wittman, die Figur, der Enquist die "Fragebücher" zuschreibt; auch Blanche hat existiert, niemals allerdings ihre Tagebücher. Sie ist in einem Gemälde André Brouillets, "Une leçon de clinique à la Salpêtrière" von 1887, dargestellt, dem Zentrum von Enquists Imagination: mit gelöstem Mieder gesunken in die Arme eines Assistenten, zurückgebogen in hoher Anmut vor einem animierten Publikum aus Männern. Sie war, neben "Augustine", hysterisches Lieblingsmannequin unter Charcot. Von Augustine weiß man, daß sie eines Tages in Männerkleidern aus der Salpêtrière auf Nimmerwiedersehen verschwand; aber Augustine ist Enquist zu grob. Er braucht eine aus dem "Schloß der Frauen", an die sich seine Wünsche ankristallisieren können. Von Blanche Wittmans Schicksal, nachdem sie die Salpêtrière verließ, weiß man gar nichts. Gewiß aber hat sie niemals mit Marie Curie gearbeitet, und wohl auch nicht in einem anderen radiologischen Labor.

Enquist braucht Blanche als den aus Strahlung gewonnenen Torso; ihm gibt er die Stimme seines Buchs, das mit dem "Gesang von der Amputierten" anhebt. Wenn er der schönen Blanche jenen Leib in seiner Vollständigkeit nimmt, der den grand cercle, Höhepunkt der hysterischen Performance, in Perfektion schlagen konnte, ist sie die um den körperlichen Ausdruck der Liebe beschnittene Frau. Sie kann sich nicht mehr aufbäumen; aber sie kann die Liebe erinnern: dunkler Traum der völligen Vereinigung. So mutiert Blanche nicht nur zur Königin Charcots, sondern auch zu der des Autors. Der "Gesang vom Schmetterling" beginnt mit dem Satz: "Es gibt wirklich eine Fotografie von Blanche." Wirklich gibt es wohl mehrere Fotografien von ihr im dritten Band der legendären "Iconographie photographique de la Salpêtrière". Aber Enquist braucht ein einziges Abbild, das er aufladen kann mit seinen Wünschen. So eignet sich der Autor Blanche konsequent an. Vielleicht verschweigt er in seinem Dank am Ende des Buchs deshalb gerade diejenige Literatur, die ihn auf ihre Spuren gesetzt haben mag - weil Blanche ihm gehört. Er hätte Henry F. Ellenbergers "Die Entdeckung des Unbewußten" nennen dürfen oder Georges Didi-Hubermans bahnbrechende Studie über die "Entdeckung der Hysterie".

Weil Enquist nichts Geringeres als das Geheimnis der Liebe sucht, kann er auch keine fortlaufende Geschichte erzählen. Er muß sich in Kreisen, in Windungen bewegen. Es ist ein labyrinthisches Buch: Wie man in einem Irrgarten stets mit der rechten Hand die Begrenzung des Wegs berühren muß, um den Ausgang zu finden, so muß man die Liebe ständig berühren wollen in diesem Roman. Wie Charcot, der Napoleon der Salpêtrière, der zum Mann mit einer einzigen Sehnsucht umgerüstet ist. "Am 3. Oktober 1880 zeichnete er zum ersten Mal sein wissenschaftliches Schema auf meinen Körper", schreibt Blanche im schwarzen Buch, "den er teilweise entkleidete, aber nicht auf unsittliche Weise, so daß meine Brüste sichtbar wurden. Die Krämpfe, die ich seit mehreren Jahren gehabt hatte und die nicht mit Epilepsie zu verwechseln waren, aber meinen Körper in einem Bogen zu dem schwarz werdenden Himmel aufwarfen, der keine Gnade kannte, ließen mir Zischlaute entfahren, wie aus Haß oder Verachtung für den Gott, den es nicht gab. Er strafte mich, als wäre ich ein Hiob, nicht ein Schmetterling auf der Flucht vom Himmel herab, sondern ein gestürzter Engel, von Rache verfolgt." Charcot gibt ihrem Körper die Koordinaten seiner "hysterogenen" Zonen; die Berührung dieser Punkte schenkt Blanche später unter Hypnose in Charcots zirzensischen "Dienstags-Vorlesungen" den Liebestraum ihres Lebens. Enquist fingiert die Ehrenerklärung für den Herrscher der Salpêtrière aus der Feder seiner Königin.

Wer über die Liebe handelt wie Enquist, entkommt dem Kitsch nicht immer, weil es keine Beschreibung der Liebe ohne ihn gibt: "Aus der Liebe kann Licht kommen, oder Dunkel. Die Liebenden können ihr Licht teilen, oder ihr Dunkel; daraus dann Leben oder Tod. Es ist nicht zu verstehen." Aber später, als Marie als ausländische Hure gejagt wird, flieht sie mit ihren zwei Töchtern nach Sceaux, dem Heimatort von Pierre Curie. Nach ihrer Rückkehr geht sie zu Blanche, die voller Angst auf sie gewartet hat. Marie nimmt den wie ein Kind so leichten Torso aus seiner Kiste hoch, "als wäre Blanche ein entlaufener Hund, der wiedergefunden worden war und dessen Wärme trösten konnte". Marie wiegt Blanche die ganze Nacht in ihren Armen, bis Blanche einschläft, und legt sie dann in ihre Kiste zurück. Wer Phantasie zur Liebe hat, der wird dieses Bild ein Leben lang nicht vergessen.

Im letzen, im roten Buch, das seinen Namen nach der Farbe der Liebe eben hat, verschmilzt der Erzähler ganz mit Blanche - mit seiner wahren Geliebten und bevor sie beschnitten wurde - zum Ich des Geschehens. Blanches seltsame, gelegentliche Behauptung, sie habe Charcot getötet, enthüllt sich als eine dunkel behutsame Vereinigung zwischen ihr und Charcot, in der Mann und Frau die Rollen tauschen. "Ich", schreibt Blanche, "glitt in ihn hinein"; er bäumte sich "auf wie in einem Bogen". Neben Blanche stirbt so Charcot, in der erhabensten Geste seiner Hysterika, deren Vorführungen in der Salpêtrière früher "selbstleuchtend" geheißen hatten. Blanche lebt weiter; sie hat eingelöst, was sie versprochen hatte, "nie von seiner Seite zu weichen". Es ist ein herrliches Buch, es ist wie ein wilder Phantomschmerz, der nicht aufhört, wenn man es schließt.

Per Olov Enquist: "Das Buch von Blanche und Marie". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt. Hanser Verlag, München 2005. 236 S., geb., 19,90 [Euro].

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"Die Geschichte ist ergreifend. Selten hat ein Autor würdevollere Frauenfiguren entworfen. Enquist führt seine Leser sehr nahe [an das Verstehen der Liebe]." Der SPIEGEL

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein großer Wurf, behauptet Andreas Breitenstein über Per Olov Enquists neuen Roman, dessen Aufwand er allerdings etwas in Frage stellt. Die in Frage gestellte Aufwendigkeit meint keineswegs den Seitenumfang, der mit 240 Seiten eher bescheiden wirkt. Gemeint ist die Mischung an "phantastischer Konstruktion und fortlaufender Verrätselung, psychologischer Befragung und symbolischer Überhöhung", die Enquist anhand zweier Frauenfiguren betreibt: Blanche Wittman, eine der bekanntesten, weil bei Charcot vorgeführten Hysterikerinnen, die nach ihrer Heilung als Laborassistentin in der Röntgenabteilung gearbeitet haben soll, sowie Marie Curie, die Entdeckerin des Radiums. Vermutlich haben sich die beiden Frauen gar nicht gekannt, hat Breitenstein recherchiert, aber Enquist präsentiere das Fiktive in Form eines "Fragebuchs" als so authentisch, dass er etwa die Hälfte des Buches gebraucht habe, um an dem Wirklichkeitsgehalt des Berichteten zu zweifeln. Die desolate Situation der Frauen damals, die unrühmliche Frühgeschichte der Psychiatrie, die erste Wissenschaftseuphorie, all das sind Themen, die Enquist verknüpft; sein Hauptthema aber sei die Liebe, meint Breitenstein, was zugleich die Stärke wie Schwäche des Buches ausmache. Je weniger sie sich fassen lasse, um so mehr neige der Autor in solchen Momenten zum Pathos. Momente, die der Faszination des Buches als Zeit- und Sittengemälde ansonsten nichts anhaben könnten.

© Perlentaucher Medien GmbH
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