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Im "Cambridge Quartett" lädt der berühmte Wissenschaftler John L. Casti den Leser ein, einem imaginären Abend mit fünf der intelligentesten Männern des 20. Jahrhunderts zu verbringen - Alan Turing, Erwin Schrödinger, C. P. Snow, J.B.S. Haldane und Ludwig Wittgenstein. Sie unterhalten sich darüber, wie Menschen denken, wie der Computer "denkt" und ob es eine künstliche Intelligenz geben kann.

Produktbeschreibung
Im "Cambridge Quartett" lädt der berühmte Wissenschaftler John L. Casti den Leser ein, einem imaginären Abend mit fünf der intelligentesten Männern des 20. Jahrhunderts zu verbringen - Alan Turing, Erwin Schrödinger, C. P. Snow, J.B.S. Haldane und Ludwig Wittgenstein. Sie unterhalten sich darüber, wie Menschen denken, wie der Computer "denkt" und ob es eine künstliche Intelligenz geben kann.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.07.1998

Smalltalk mit Wittgenstein
Grundkurs künstliche Intelligenz: John Castis "Cambridge Quintett"

John L. Casti, Mathematikprofessor aus New Mexico, betont bereits im ersten Satz seines neuen Buchs "Das Cambridge Quintett": "Das ist kein Roman." Er hat recht. Zu monoton wäre die Handlung, um Leser bei der Stange zu halten, die sich vom Aufeinandertreffen von fünf Geistesgrößen an einem regnerischen Juniabend 1949 mehr als den Austausch von wissenschaftlichen Ansichten zur Künstlichen Intelligenz versprochen hätten. Casti fährt in seinem Satz fort: "Es ist jedoch ein Werk der Fiktion, Teil eines neu aufkommenden Genres, das ich ,Wissenschaftsfiktion' (scientific fiction) nennen möchte." Er hat unrecht. Sein angeblich neues Genre gibt es bereits seit mehr als zweitausend Jahren, und sein Erfinder hieß Platon.

Denn "Das Cambridge Quintett" ist nicht mehr (und nicht weniger) als ein Gespräch zwischen Denkern. So wie Platon seinem Lehrer Sokrates die Hauptrolle zugesprochen hat, läßt Casti den Mathematiker Alan Turing zum Angelpunkt des Abends werden. Wie sich Sokrates in Platons Dialogen mit seinen Freunden und Gegnern gern abseits der Agora versammelte, so hat auch Charles Percy Snow, promovierter Physiker, 1949 Fellow am Christ's College und als Berater der britischen Regierung tätig, vier Gäste zu sich geladen, um das Problem zu erörtern, ob eine Maschine gebaut werden könne, die imstande sei, menschliches Denken zu simulieren. Außer Turing, einem noch jungen Genie, das im Zweiten Weltkrieg den Code der deutschen Enigma-Chiffriermaschine geknackt hatte, versammelt Snow den österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein, dessen Landsmann Erwin Schrödinger, den Pionier der Quantenmechanik, und den englischen Genetiker John Burdon Sanderson Haldane.

Natürlich entspringt der nasse Abend Castis Phantasie, und genau deshalb hätte man einiges mehr erwarten können. Zumindest eine gewisse Komplexität seiner Protagonisten, die zwar nach dem Leben gezeichnet sein, zugleich aber in der Fiktionauf bestimmte Marotten festgelegt werden sollen. Das mißlingt. Heißt es etwa von Wittgenstein, er sei "von Natur aus außerstande, das bei derlei Situationen übliche Geplapper und Getue zu ertragen", so wird nur vier Seiten später ein Thema ins Gespräch gebracht, "für das Wittgenstein beachtliche Energie aufbrachte", und dieses Thema ist nicht etwa ein wissenschaftliches Problem, sondern "das Leben außerhalb des akademischen Rahmens von Cambridge". Man kann sich wohl kaum einen typischeren Smalltalk zwischen Dozenten vorstellen, die einst derselben Hochschule angehört haben.

Casti wechselt ansatzlos vom Präteritum ins Präsens und zurück, ohne daß der geringste Grund dafür ersichtlich wäre. Spannungsbögen kennt er nicht, der Gipfel seiner Fähigkeiten in situativer Darstellung ist schnell erreicht: "Wittgenstein konnte sich nicht länger zurückhalten. Er warf seine Serviette hin und beugte sich über den Tisch, um Turings Behauptungen anzuzweifeln." Schmeißen, beugen, zweifeln - wir beben vor Neugier.

Immer wieder schlüpft Casti zudem in die Rolle des auktorialen Erzählers und zitiert aus den Gedanken seiner Akteure, die jedoch nichts mitzuteilen haben, was der Leser sich nicht auch selbst hätte denken können. Hauptstilmittel dieses "Romans" ist eine Rhetorik der Redundanz, wie sie einem Lehrbuch gut anstehen mag, einer scientific fiction aber nicht gerade den Anschein von Lebendigkeit verleiht.

Das gesamte Buch strahlt die Aura eines Grundkurses in Kybernetik aus. Zwischen den einzelnen Gängen des nächtlichen Mahls gibt es Pausen, in denen Snow die Gesprächspartner immer wieder zur Reflexion aufruft: "Vielleicht denken wir alle einmal über diese Frage nach, was Sprache mit menschlichen Denkvorgängen zu tun hat, und teilen einander unsere Ansichten mit, wenn wir an den Tisch zurückkehren." Vielleicht denken wir alle bei solchen Formulierungen an die derzeit so populären Persönlichkeitsschulungen oder Managementkurse, mit denen obskure Anbieter ihrer Kundschaft das Geld aus der Tasche ziehen.

Die Tatsache, daß dieses Buch erstens von Rezensenten als Sachbuch bezeichnet wird und zweitens in diversen Besprechungen blendend davongekommen ist, macht deutlich, wie niedrig die Ansprüche bei der Vermittlung von naturwissenschaftlich angehauchtem Wissen unter Geisteswissenschaftlern sind. In seinen "Szenarien der Zukunft" hat Casti vor sechs Jahren bewiesen, daß er eine geschliffene Fachprosa zu schreiben versteht (F.A.Z. vom 2. Februar 1993). In Ansätzen blinkt dieses Können auch im "Cambridge Quintett" auf, wenn er anschaulich Searles Problem des "Chinesischen Zimmers" oder die Modellierung von Elementarrechnungen vorstellt. Aber dann bricht immer wieder die Rahmenhandlung über die Diskussion hinein und verdunkelt die lichten Momente. Man kann das Buch nur auf den Tisch schmeißen, sich vorbeugen und tief verzweifeln. ANDREAS PLATTHAUS

John L. Casti: "Das Cambridge Quintett. An einem regnerischen Abend unterhalten sich Snow, Wittgenstein, Turing, Haldane und Schrödinger bei einem guten Dinner über künstliche Intelligenz". Eine wissenschaftliche Spekulation. Aus dem Englischen übersetzt von H. Jochen Bussmann. Berlin Verlag, Berlin 1998.

207 S., geb., 34,- DM.

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