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Ein Chalet in der Schweiz, wo er früher die Winterferien verbrachte, gehört zu den wichtigsten Kindheitserinnerungen von Tony Judt. Als ihn eine Krankheit ans Bett fesselte, wurde ihm dieses Chalet in schlaflosen Nächten zur inneren Heimat: von hier aus unternahm er im Kopf Reisen an die Schauplätze seines Lebens, die er in Prosastücke, in seine Autobiographie verwandelte. Tony Judt hat mit diesem Buch ein Zeugnis von hoher Intellektualität hinterlassen, das bereits jetzt ein Klassiker der Erinnerungsliteratur ist. Es ist das Vermächtnis eines einzigartigen Intellektuellen, der wie kaum ein…mehr

Produktbeschreibung
Ein Chalet in der Schweiz, wo er früher die Winterferien verbrachte, gehört zu den wichtigsten Kindheitserinnerungen von Tony Judt. Als ihn eine Krankheit ans Bett fesselte, wurde ihm dieses Chalet in schlaflosen Nächten zur inneren Heimat: von hier aus unternahm er im Kopf Reisen an die Schauplätze seines Lebens, die er in Prosastücke, in seine Autobiographie verwandelte.
Tony Judt hat mit diesem Buch ein Zeugnis von hoher Intellektualität hinterlassen, das bereits jetzt ein Klassiker der Erinnerungsliteratur ist. Es ist das Vermächtnis eines einzigartigen Intellektuellen, der wie kaum ein anderer unsere Geschichte beobachtete und reflektierte.

"Erfahrene Vielfalt prägt die Erinnerungen dieses großen Historikers."
Wolf Lepenies, Die Welt
Autorenporträt
Tony Judt (1948-2010) studierte in Cambridge und Paris und lehrte in Cambridge, Oxford und Berkeley. Seit 1995 war er Erich-Maria-Remarque-Professor für Europäische Studien in New York. Er starb am 6. August 2010 in New York. Er war Mitglied der Royal Historical Society, der American Academy of Arts and Sciences und der John Simon Guggenheim Memorial Foundation. Seine 'Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart' (Bd. 18031) gilt als Klassiker der Geschichtsschreibung. Im Fischer Taschenbuch ist ebenfalls lieferbar: 'Das vergessene 20. Jahrhundert' (Bd. 19186). Literaturpreise: 2006: Bruno-Kreisky-Preis 2007: Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis 2007: Hannah-Arendt-Preis
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieses Vermächtnis Tony Judts in Händen staunt Matthias Weichelt über die mnemotechnischen Raffinessen des Autors. Judt, erkrankt an einer unheilbaren Störung des motorischen Nervensystems, imaginiert sich zum Zweck der Erinnerung an seine nächtlichen Lebensbilder zurück in eine Schweizer Berghütte, in der er als Kind mit seinen Eltern einen Urlaub verbracht hat. Die Topografie der Hütte ermöglicht ihm ein "Ablegen" und Wiederfinden der Geschichten, die er anderntags zur Niederschrift diktiert. Das Ergebnis, eine Zusammenschau von Privatem und Politischem, Erinnerung und Gefühl, Verstand und Intuition, überzeugt Weichelt durch seine poetische Kraft und seinen existentiellen Ernst, aber auch durch die ironische Melancholie, wenn Judt sich an seine Studienjahre, an das London der 50er Jahre oder an vergangene Sommer im Kibbuz erinnert. Und in allem spürt er noch den Furor - gegen falsch verstandene Identität etwa oder gegen den Sprachverfall.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2012

Von wirklichen Reisen und solchen im Kopf entlang den Spuren des eigenen Lebens
Gedächtniskunst ganz unverwechselbarer Art: Tony Judts postum erschienenes "Chalet der Erinnerungen" ist eine große Autobiographie in berührenden Miniaturen

Mühsam und anstrengend sind die Tage. Dann kommt die Nacht. Der Patient wird aus dem Rollstuhl gehoben, in halb aufrechter Position auf seinem Lager fixiert, die eingewickelten Arme auf der Decke, der Beatmungsschlauch auf dem Mund, die Brille auf dem Nachttisch. Eine letzte Gelegenheit, sich an dem Dutzend juckender Stellen kratzen zu lassen. Und dann "liege ich da, eingepackt, kurzsichtig und reglos wie eine moderne Mumie, allein in meinem Körpergefängnis, und nur meine Gedanken begleiten mich durch die Nacht".

Seine Erinnerungen an Menschen und Orte, an sein bisheriges Leben wurden für Tony Judt, den großen englischen Historiker, zu Rettungsankern, zur einzigen Möglichkeit, Schlaflosigkeit und Schmerzen und das allnächtliche Einsamkeitsmartyrium zu ertragen. Mit sechzig Jahren war er an Amyotropher Lateralsklerose erkrankt, einer seltenen, unheilbaren Störung des motorischen Nervensystems, die immer größere Teile der Muskulatur, die Gliedmaßen und schließlich auch Stimme und Atmung außer Kraft setzt und ihn nach und nach fast vollständig lähmte. Nur der Geist blieb hellwach.

Doch die nächtlich heranflutenden, immer lebendigeren und deutlicheren Lebensbilder können nicht mehr notiert oder aufgezeichnet werden. Notizbuch und Laptop sind nutzlos geworden, die Hände versagen den Dienst, der Mund ist verschlossen. Bis zum nächsten Tag muss das Erinnerte in einem imaginären Speicher abgelegt werden, um dort am Morgen, nachdem der Schlaf doch noch kam, wieder abgerufen und diktiert werden zu können. Tony Judt findet diese mnemotechnische Stütze nicht in weitläufigen Palästen, wie sie alte Anleitungen zur Gedächtniskunst heranzogen, sondern in einem kleinen Chalet in den Schweizer Bergen, wo er als Zehnjähriger mit seinen Eltern einen Urlaub verbrachte und dessen Grundriss und Ausstattung er sich fünfzig Jahre später immer noch vergegenwärtigen kann.

Über ein Jahr lang kehrt er jede Nacht in Gedanken in das vertraute Gebäude zurück, setzt sich in einen der alten Sessel und wartet auf die Erinnerungen, die sich zu Geschichten und Gedankenverkettungen fügen. Ist eine von ihnen abgeschlossen, nimmt er noch einmal den Weg zur Eingangstür und geht von dort in eines der Zimmer, wo die Geschichte abgelegt wird, um am nächsten Morgen auf demselben Weg wieder aufgerufen zu werden.

Der Autor weiß, dass die so entstehenden Aufzeichnungen anders sind als alles, was er bis dahin geschrieben hat. Ihre poetische Kraft, ihr existentieller Ernst beruhen auf dem Versuch, "das Private und das Politische, Verstand und Intuition, Erinnerung und Gefühl miteinander zu verknüpfen". Den Vorzug der erzählerischen Verbindung von Forschungswissen mit persönlich Erlebtem hatte Judt allerdings schon als Historiker der Nachkriegszeit, als Autor von Werken wie der "Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart", als glückhafte Konstellation empfunden. Im Angesicht des Todes gelingen ihm berührende Erinnerungsstücke voll ironischer Melancholie: an das mit Bus und U-Bahn immer wieder von Endstation zu Endstation durchquerte London der fünfziger Jahre, an den unerbittlichen Deutschlehrer Joe, an Eisenbahnreisen und Schiffspassagen, an die im Kibbuz verbrachten Sommer, die Studienjahre in Cambridge und Paris, die Achtundsechziger-Erlebnisse, an die mit Tschechisch-Unterricht besiegte Midlife-Crisis und Begegnungen mit Czeslaw Milosz und Adam Zagajewski.

Doch der akademische Freigeist Judt, der 2008 ein Buch über die "Rückkehr des politischen Intellektuellen" veröffentlichte und noch nach Ausbruch seiner Krankheit einen "Traktat über unsere Unzufriedenheit" herausbrachte ("Dem Land geht es schlecht", 2010), sorgt sich auch in der Zuflucht seines "Chalets der Erinnerungen" um den dünnen Firnis unserer Zivilisation, will noch ein letztes Mal gegen ein alles vereinnahmendes schönes neues Zeitalter Stellung beziehen, in dem "die Toleranten fehlen, die Außenseiter, die Menschen am Rand. Meine Leute." Das "warme Bad der Identität" war ihm, der sich niemals nur als Jude oder Engländer fühlen wollte, immer fremd geblieben, auch deshalb erkennt er in der bedingungslosen Loyalität gegenüber Staaten oder Glaubensgemeinschaften ein Grundübel der Epoche.

Und auch der Jargon vieler Fachgenossen bleibt ihm ein Greuel - wie sprachliche Nachlässigkeit überhaupt. Er beobachtet ein um sich greifendes Sprechen auf Kurznachrichtenniveau, durch das die Wörter genauso wie die mit ihnen formulierten Gedanken ihre Integrität verlieren: "Wenn wir den individuellen Ausdruck über formale Konventionen stellen, privatisieren wir, neben vielem anderen, auch die Sprache."

Gerade seine Krankheit habe ihm diese Gefährdung bewusstgemacht, das Wunder des Sich-mitteilen-Könnens vor Augen geführt. "Das Sein in Gedanken übersetzen, Gedanken in Worte und Worte in Kommunikation - das wird bald nicht mehr möglich sein. Dann bleibt mir nur noch die Landschaft meiner inneren Reflexion." Im August 2010 starb Tony Judt, dieses anrührende Buch gehört zu seinem Vermächtnis.

MATTHIAS WEICHELT

Tony Judt: "Das Chalet der Erinnerungen".

Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Hanser Verlag, München 2012. 224 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Tony Judt verkörpert den Geist der Kritik: Ohne defätistisch zu sein oder einer nostalgischen Verklärung der Vergangenheit aufzusitzen, benennt er Schwächen in unserer Gesellschaft. Eine Rückbesinnung auf intellektuelle Tugenden dieser Art ist überfällig." Maike Albath, Deutschlandradio Kultur, 27.02.12

"Ein heiteres und tröstliches Buch mit autobiografischen Vignetten. Ein persönliches Buch über die europäische Nachkriegszeit." Ina Boesch, NZZ am Sonntag, 26.02.12

"Erfahrene Vielfalt prägt die Erinnerungen dieses großen Historikers." Wolf Lepenies, Die Welt, 17.03.12

"Eine große Autobiographie in berührenden Miniaturen" Matthias Weichelt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.04.12

"Mit Stolz und Bewunderung, aber auch mit Trauer und Beschämung müssen wir feststellen, welch einzigartiger, geisteskühner Zeitgenosse dieser Weggefährte war." Oliver vom Hove, Wiener Zeitung, 21.04.12

"...ein künftiger Klassiker der Memoirenliteratur." Günter Kaindlstorfer, ORF Kontext, 06.12