Zur musikalischen Aufführungspraxis der Vergangenheit, insbesondere des 18. Jahrhunderts, existieren mittlerweile zahllose Veröffentlichungen. Dennoch fehlt es bisher an einer kurzgefassten, zuverlässigen Übersicht der zeitgenössischen Quellen, mit deren Hilfe sich der Musiker ein Urteil bilden und zu seinen eigenen Interpretationslösungen finden kann.Diesem Mangel soll mit diesem Handbuch abgeholfen werden. Anhand ausgewählter Dokumente wird der Leser mit der Tastenspielkunst, also der Spielweise auf allen Clavierinstrumenten der Zeit und der Orgel, und den damit befassten Schriften vertraut gemacht. Im Zentrum steht die durch Johann Sebastian Bach verkörperte mitteldeutsche Tradition, die sich in den Äußerungen seiner Schüler, Freunde und Enkelschüler fortsetzt, aber ebenso unter dem Einfluss der stilistischen Neuerungen der Zeit deutlich wandelt.
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CLAVIERSPIEL. Im Barock hießen alle Tasteninstrumente einschließlich der Orgel schlicht "Clavier", aber auch das Manual, die Tastatur, wurde so genannt. Wie sie gespielt wurden, ist ein zentrales Thema der historischen Aufführungspraxis. Ausgangspunkt sind die Lehrbücher und Traktate des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, aus denen Paul Heuser gewissenhaft Schlüsselstellen ausgewählt und kommentiert hat. Mit seinem "aufführungspraktischen Handbuch nach den Quellen" möchte er dem Musiker, der sich mit Kompositionen der Bach-Zeit befaßt, eine Orientierungshilfe bieten, damit er sich ein Urteil bilden und zu seinen eigenen Interpretationslösungen finden kann. Heuser geht auf die Wechselwirkung zwischen Instrumentalbau, Stimmung (mitteltönig, temperiert) und Werkcharakter ein, er widmet sich Sitzposition, Fingerhaltung und -satz. Auch Metrum, Takt, Tempo und Notation (einschließlich der Verzierungen) werden anhand der Quellen eingehend erörtert. Im Zentrum steht Bach, vertreten durch Äußerungen seiner Söhne, Freunde, Schüler und Enkelsschüler.
Zu Recht behandelt der Autor die musikalische Rhetorik besonders ausgiebig. Denn in Phrasierung und Artikulation, der sinnvollen Gliederung des Ablaufs also, kommen "Affect" und "Gemüthsbewegung" der Musik erst eigentlich "zur Sprache". Die heute vieldiskutierte "Klangrede" ist keineswegs eine wolkige Metapher, sondern benannte in konkreten Klangfiguren Parallelen zwischen Wort und Ton. Heusers Handbuch ist für den Praktiker vor allem deshalb nützlich, weil es ihm die Mühe abnimmt, sich die Quellen selbst zusammenzusuchen. Obendrein regt ein ausführliches Literaturverzeichnis zum Weiterstudium an. Doch wie die überlieferten Anweisungen und Regeln heute zu verstehen und anzuwenden sind, muß jeder Interpret für sich selbst und das gerade einstudierte Werk herausfinden. Dabei dürfte ihm der barocke Lieblingsbegriff "Gusto" helfen, der musikalische Geschmack, der mit der stilistischen Einfühlung und Erfahrung wächst. Dies und Heusers übersichtliche Quellensammlung können ihm helfen, um mit dem Kantor und Musikschriftsteller Martin Heinrich Fuhrmann (1666 bis 1745) zu sprechen, nicht "alles gerade wegzuspielen wie eine Wassersuppe ohne Saltz und Schmaltz". (Paul Heuser: "Das Clavierspiel der Bachzeit". Ein aufführungspraktisches Handbuch nach den Quellen. Verlag Schott, Mainz 1999. 178 S., zahlr. Notenbeispiele, br., 29,80 DM.)
ek.
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