1948 wird das Davidschild, der Davidstern zum Symbol des neugegründeten Staates Israel, zum Emblem der israelischen Nationalflagge. Im selben Jahr zeichnet Gershom Scholem in einem auf hebräisch verfaßten Essay die erstaunliche Karriere dieses Symbols in der jüdischen Überlieferung nach. 1963 veröffentlicht er in dem Band Judaica eine überarbeitete Fassung seines Essays auf deutsch. Noch kurz vor seinem Tod im Februar 1982 plante der große jüdische Gelehrte eine erweiterte hebräische Fassung.Der vorliegende Band greift auf das bislang unveröffentlichte Material zum Davidschild in Gershom Scholems Nachlaß zurück und bietet eine grundlegende, erstmals auch um Quellennachweise ergänzte Neuedition dieser bedeutenden Studie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.06.2010Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein
Ein Klassiker der politischen Ikonographie: Gershom Scholems Abhandlung über das Davidschild analysiert die Geschichte des jüdischen Symbols. Die Neuausgabe ist hervorragend kommentiert.
Salomo ging in die Legende des Judentums und der muslimischen Araber nicht nur als der König und der Weise ein. Weisheit, so wollen es viele Märchen aus Tausendundeiner Nacht, bewährte Salomo in der Herrschaft über die Geister. Er bannte sie in Flaschen, verschloss diese mit Blei und zeichnete darin ein bannendes Siegel ein. Metallurgie und Magie treffen in den Legenden aufeinander. Und zu solchen Zauber-Siegeln gehörten auch zwei regelmäßige geometrische Figuren: der fünfzackige Stern, das Pentagramm, und das Hexagramm, der sechseckige Stern.
Natürlich ist dies eine späte, mittelalterliche Ausmalung und in keiner Weise ein Beleg für die Verwendung des Hexagramms als spezifisch jüdisches Symbol in der frühen Geschichte. Wo das Zeichen dennoch in spätantiken Synagogen erschien, war es eine rein ornamentale Bildung; es eignete sich - wie heute das Sechseck beim Fliesenlegen - dank seiner geometrischen Eigenschaften gut zur dekorativen Raumausfüllung. Und deshalb sind alle Versuche, dem "Siegel Salomonis" oder dem Davidschild, wie es später hieß, eine ehrwürdig-alte Vergangenheit als Inbegriff jüdischen religiösen Lebens anzudichten, gescheitert. Als den bedeutendsten Versuch in dieser Richtung - der aber philosophisch und gerade nicht philologisch-historisch angelegt war -, muss man Franz Rosenzweigs großartiges Spät-System "Stern der Erlösung" nehmen, in dem die Sternfigur nicht als ornamentales Beiwerk, sondern wirklich und wahrhaftig als Gedankenfigur ausgedeutet wurde.
Gershom Scholems Abhandlung kann man als Gegenentwurf des pragmatischen Historikers zu Rosenzweigs steilen Ableitungen verstehen. Erst einmal wird mit dem überkommenen Bild aufgeräumt: Die wissenschaftliche und publizistische Literatur zum Davidschild, so liest man gleich zu Anfang, bestehe aus einem "Wirrwarr von richtigen und phantastischen Behauptungen". Die "wahre Geschichte des Davidsterns" sei in ihren Ursprüngen weder religiös noch politisch zu verstehen, sondern nur mittelalterlich oder schon spätantik-magisch. Damit stellt der Davidstern wohl einen Sonderfall in der politischen Zeichenwelt dar. Denn das eigentlich religiöse Symbol des antiken Judentums war vielmehr der siebenarmige Leuchter; er firmiert heute im Staatssiegel Israels, eingefasst von Zweigen - das Bild geht zurück auf eine prophetische Vision bei der Rückkehr aus dem babylonischen Exil und ließ sich deshalb gerade im zionistischen Kontext auch erneuern.
Aber auch an Versuchen, eine vornehmere Genealogie des Zeichens in der Kabbala zu finden, fehlte es nicht. Hier war Scholem nun auf seinem ureigensten Gebiet, und an schroffer Polemik gegen solche Bemühungen ließ er es nicht fehlen. Das Zeichen soll bei Isaak Luria die sublimsten Geheimnisse versinnbildlicht haben? Da müsse man doch fragen, "warum niemand sich herbeiließ, die lurianischen Schriften selber zu öffnen und das Symbol und seine angebliche Erklärung dort zu suchen. Freilich hätte er dann gefunden, dass es mit den ganzen Redereien nichts auf sich hat."
Anders sieht es mit dem aus, was man später als "praktische Kabbala" bezeichnete: mit der jüdischen Magie. Für die Gravur in zauberkräftige Amulette griff man nun auf Pentagramm und Hexagramm zurück - ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Ansicht, Salomo habe mit seinem Siegelring dem Metall den Gottesnamen eingedrückt.
Es liegt nahe, den magischen Schutz, den das Zeichen versprach, mit der marginalisierten Stellung der Juden in der mittelalterlichen Welt in Verbindung zu bringen: Wo politische oder gar militärische Macht außerhalb jeder Reichweite lagen, konnte es geheimen Trost spenden. Langsam trat das Hexagramm aus dem Bereich volkstümlicher Esoterik über in die exoterische Politik jüdischer Gemeinden. Die wichtigste Station war, wenn wir Scholem folgen, die festliche "Judenfahne" in Prag, die für 1354 urkundlich verbürgt ist. Eine weitere sehr verwickelte Frage, die Scholem historisch beantwortet, ist die nach der Verbindung des Zeichens selbst mit den Namen der großen Könige. Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde durch praktische Erwägungen - oder Verlegenheiten - beim Bau neuer repräsentativer Synagogen das Zeichen verbreiteter: Man benötigte ein Symbol, das sofort die Unterscheidung zu den Kirchen versinnbildlichen konnte.
Läuft also die Abhandlung auf eine Demontage des Symbols hinaus? Nein. Als "Judenstern" trat das Zeichen in die Vorbereitung der Vernichtungspolitik ein. Die Juden, so Scholem, sind "unter diesem Zeichen ermordet worden; unter diesem Zeichen sind sie nach Israel gekommen". Größe und Legitimität habe der sechseckige Stern nicht von jeher besessen, aber er sei "in unseren eigenen Tagen durch Leid und Grauen geheiligt worden". Die neue und erweiterte Ausgabe dieser Schrift lässt in puncto Kommentierung nichts zu wünschen übrig. Ein Desiderat - das deuten Scholems Arbeiten an - bleibt die Erforschung der Kabbala-Rezeption und der Aufnahme des Davidschildes in die Bilder- und Gedankenwelt der Hochgrad-Freimaurerei des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts.
LORENZ JÄGER
Gershom Scholem: "Das Davidschild". Geschichte eines Symbols. Aus dem Hebräischen und mit einem Nachwort von Gerold Necker. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 76 S. , geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Klassiker der politischen Ikonographie: Gershom Scholems Abhandlung über das Davidschild analysiert die Geschichte des jüdischen Symbols. Die Neuausgabe ist hervorragend kommentiert.
Salomo ging in die Legende des Judentums und der muslimischen Araber nicht nur als der König und der Weise ein. Weisheit, so wollen es viele Märchen aus Tausendundeiner Nacht, bewährte Salomo in der Herrschaft über die Geister. Er bannte sie in Flaschen, verschloss diese mit Blei und zeichnete darin ein bannendes Siegel ein. Metallurgie und Magie treffen in den Legenden aufeinander. Und zu solchen Zauber-Siegeln gehörten auch zwei regelmäßige geometrische Figuren: der fünfzackige Stern, das Pentagramm, und das Hexagramm, der sechseckige Stern.
Natürlich ist dies eine späte, mittelalterliche Ausmalung und in keiner Weise ein Beleg für die Verwendung des Hexagramms als spezifisch jüdisches Symbol in der frühen Geschichte. Wo das Zeichen dennoch in spätantiken Synagogen erschien, war es eine rein ornamentale Bildung; es eignete sich - wie heute das Sechseck beim Fliesenlegen - dank seiner geometrischen Eigenschaften gut zur dekorativen Raumausfüllung. Und deshalb sind alle Versuche, dem "Siegel Salomonis" oder dem Davidschild, wie es später hieß, eine ehrwürdig-alte Vergangenheit als Inbegriff jüdischen religiösen Lebens anzudichten, gescheitert. Als den bedeutendsten Versuch in dieser Richtung - der aber philosophisch und gerade nicht philologisch-historisch angelegt war -, muss man Franz Rosenzweigs großartiges Spät-System "Stern der Erlösung" nehmen, in dem die Sternfigur nicht als ornamentales Beiwerk, sondern wirklich und wahrhaftig als Gedankenfigur ausgedeutet wurde.
Gershom Scholems Abhandlung kann man als Gegenentwurf des pragmatischen Historikers zu Rosenzweigs steilen Ableitungen verstehen. Erst einmal wird mit dem überkommenen Bild aufgeräumt: Die wissenschaftliche und publizistische Literatur zum Davidschild, so liest man gleich zu Anfang, bestehe aus einem "Wirrwarr von richtigen und phantastischen Behauptungen". Die "wahre Geschichte des Davidsterns" sei in ihren Ursprüngen weder religiös noch politisch zu verstehen, sondern nur mittelalterlich oder schon spätantik-magisch. Damit stellt der Davidstern wohl einen Sonderfall in der politischen Zeichenwelt dar. Denn das eigentlich religiöse Symbol des antiken Judentums war vielmehr der siebenarmige Leuchter; er firmiert heute im Staatssiegel Israels, eingefasst von Zweigen - das Bild geht zurück auf eine prophetische Vision bei der Rückkehr aus dem babylonischen Exil und ließ sich deshalb gerade im zionistischen Kontext auch erneuern.
Aber auch an Versuchen, eine vornehmere Genealogie des Zeichens in der Kabbala zu finden, fehlte es nicht. Hier war Scholem nun auf seinem ureigensten Gebiet, und an schroffer Polemik gegen solche Bemühungen ließ er es nicht fehlen. Das Zeichen soll bei Isaak Luria die sublimsten Geheimnisse versinnbildlicht haben? Da müsse man doch fragen, "warum niemand sich herbeiließ, die lurianischen Schriften selber zu öffnen und das Symbol und seine angebliche Erklärung dort zu suchen. Freilich hätte er dann gefunden, dass es mit den ganzen Redereien nichts auf sich hat."
Anders sieht es mit dem aus, was man später als "praktische Kabbala" bezeichnete: mit der jüdischen Magie. Für die Gravur in zauberkräftige Amulette griff man nun auf Pentagramm und Hexagramm zurück - ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Ansicht, Salomo habe mit seinem Siegelring dem Metall den Gottesnamen eingedrückt.
Es liegt nahe, den magischen Schutz, den das Zeichen versprach, mit der marginalisierten Stellung der Juden in der mittelalterlichen Welt in Verbindung zu bringen: Wo politische oder gar militärische Macht außerhalb jeder Reichweite lagen, konnte es geheimen Trost spenden. Langsam trat das Hexagramm aus dem Bereich volkstümlicher Esoterik über in die exoterische Politik jüdischer Gemeinden. Die wichtigste Station war, wenn wir Scholem folgen, die festliche "Judenfahne" in Prag, die für 1354 urkundlich verbürgt ist. Eine weitere sehr verwickelte Frage, die Scholem historisch beantwortet, ist die nach der Verbindung des Zeichens selbst mit den Namen der großen Könige. Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde durch praktische Erwägungen - oder Verlegenheiten - beim Bau neuer repräsentativer Synagogen das Zeichen verbreiteter: Man benötigte ein Symbol, das sofort die Unterscheidung zu den Kirchen versinnbildlichen konnte.
Läuft also die Abhandlung auf eine Demontage des Symbols hinaus? Nein. Als "Judenstern" trat das Zeichen in die Vorbereitung der Vernichtungspolitik ein. Die Juden, so Scholem, sind "unter diesem Zeichen ermordet worden; unter diesem Zeichen sind sie nach Israel gekommen". Größe und Legitimität habe der sechseckige Stern nicht von jeher besessen, aber er sei "in unseren eigenen Tagen durch Leid und Grauen geheiligt worden". Die neue und erweiterte Ausgabe dieser Schrift lässt in puncto Kommentierung nichts zu wünschen übrig. Ein Desiderat - das deuten Scholems Arbeiten an - bleibt die Erforschung der Kabbala-Rezeption und der Aufnahme des Davidschildes in die Bilder- und Gedankenwelt der Hochgrad-Freimaurerei des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts.
LORENZ JÄGER
Gershom Scholem: "Das Davidschild". Geschichte eines Symbols. Aus dem Hebräischen und mit einem Nachwort von Gerold Necker. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 76 S. , geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Den ersten Satz in Gershom Scholems Buch "Das Davidschild" findet Rezensent Arno Widmann völlig blödsinnig. Denn dort schreibe der Autor, Symbole würden aus dem "fruchtbaren Boden des Gefühls des Menschen wachsen", dabei wisse er genau, - wie dann auch in seinem Buch zu lesen ist, - dass Symbole nicht wachsen, sondern von verschiedenen Menschen gemacht werden. Diesen Prozess verfolgt Scholem anhand des Davidsterns, welcher eine interessante Geschichte aufweist. Über Jahrhunderte hinweg führte das Symbol ein Schattendasein neben der Menora; es wurde als Ornament, aber nicht als religiöses Symbol verwendet. Der Leser erfahre, dass im 19. Jahrhundert der Siegeszug des Davidschildes einsetze, leider habe Scholem aber nicht herausgefunden, warum er plötzlich zum Symbol des Judentums geworden sei. Während das Schild im Nationalsozialismus zu einem Mal der Erniedrigung gemacht wurde, ist er heute "würdig geworden, den Weg zum Leben und zum Aufbau zu erleuchten", zitiert der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Die deutsche Neuedition füllt eine Leerstelle. Unverzichtbare Zusatzlektüre sind das ausgezeichnete, spannende Nachwort des Hg. und seine editorische Notiz. Die Darlegung der Intentionen Scholems und die Informationen zur Textgestalt vertiefen das Textverständnis, kulturgeschichtliche Erläuterungen erweitern den Verstehenshorizont, und historische Angaben präzisieren das jüdisch-zionistische Bezugsfeld, aus dem das Davidschild 1948 zum Staatssymbol Israels aufstieg.« Elisabeth Fuchshuber-Weiß ZBKG. Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte