Noch immer sind die Bilder der fallenden Schlagbäume an den Grenzübergängen, der jubelnden Massen auf der Mauer am Brandenburger Tor und der sich stauenden Trabis auf dem Kurfürstendamm im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Inzwischen ist die Euphorie verflogen, und es sind vor allem die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der deutschen Einheit, die den Freudenrausch von damals in Ernüchterung gewandelt und vehemente Kritik an den Entscheidungen der politischen Akteure hervorgerufen haben. Aber gab es angesichts der Dramatik des innen- und außenpolitischen Umbruchs wirklich ernst zu nehmende Alternativen? Wäre es möglich gewesen, das Tempo der Wiedervereinigung zu drosseln, um die beiden Teile Deutschlands behutsamer zusammenwachsen zu lassen?
In seinem Bericht über das Wendejahr von 1989/1990 erzählt Claus J. Duisberg, der als Leiter des "Arbeitsstabes Deutschlandpolitik" im Bundeskanzleramt maßgeblich an den innerdeutschen Verhandlungen beteiligt war, von der elementaren Dynamik der Ereignisse, denen sich die politisch Verantwortlichen gegenübersahen. Sein Bericht ist nicht nur eine präzise, detaillierte und brillant erzählte Darstellung eines der glücklichsten Jahre in der Geschichte des 20. Jahrhunderts; er ist zugleich auch ein Lehrstück, dass in Zeiten revolutionärer Umbrüche die Geschichte selbst handelnde Kraft besitzt.
In seinem Bericht über das Wendejahr von 1989/1990 erzählt Claus J. Duisberg, der als Leiter des "Arbeitsstabes Deutschlandpolitik" im Bundeskanzleramt maßgeblich an den innerdeutschen Verhandlungen beteiligt war, von der elementaren Dynamik der Ereignisse, denen sich die politisch Verantwortlichen gegenübersahen. Sein Bericht ist nicht nur eine präzise, detaillierte und brillant erzählte Darstellung eines der glücklichsten Jahre in der Geschichte des 20. Jahrhunderts; er ist zugleich auch ein Lehrstück, dass in Zeiten revolutionärer Umbrüche die Geschichte selbst handelnde Kraft besitzt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2006Seitenhiebe
Die Einheit Deutschlands
Zeitzeugenberichte über die "glücklichsten Jahre in der Geschichte des 20. Jahrhunderts" liegen zwar schon mehrere vor. Sie alle erzählen die Geschichte der Wiedervereinigung, geben Eindrücke und Reminiszenzen zum besten. Doch stechen die Erinnerungen Claus J. Duisbergs - von 1986 bis Mitte Juni 1990 Leiter des Arbeitsstabes Deutschland-Politik im Bundeskanzleramt, dann ins Bundesinnenministerium zur Unterstützung der Verhandlungen über den Einigungsvertrag abgeordnet - hervor. Der gelernte Diplomat legt zugleich einen Erfahrungsbericht mit kritischen Untertönen vor. Aus der Sicht der Arbeitsebene schildert er subtil und präzise die im Sommer 1989 allmählich heraufziehende Krise in der DDR, das zähe Ringen um die Freilassung der Botschaftsflüchtlinge und die Tage um den Mauerfall. Deutlich wird, welche Herausforderung der rasche Zerfall der DDR für die Bonner Regierung bedeutete.
Zwischen den Zeilen kommen gleichfalls die internen Auseinandersetzungen um den einzuschlagenden Kurs zum Vorschein. Duisberg schreckt keineswegs vor gelegentlichen Seitenhieben auf Vorgesetzte und Kollegen zurück. So mokiert er sich über die geringe Neigung des damaligen Kanzleramtschefs Rudolf Seiters, eine herausgehobene politische Rolle zu spielen, oder über den seit Jahren angehäuften Sachverstand alteingesessener Karrierebeamter im Bundesinnenministerium, die mehr ihre Rechtspositionen als das große politische Ziel im Auge hatten. Besonders lesenswert sind jene Kapitel, die den komplizierten Verhandlungsablauf über den Einigungsvertrag nachzeichnen. Parteienzwist in Bonn und mit der Regierung in Ost-Berlin gehörte ebenso dazu wie die Bund-Länder-Konflikte und administrativen Streitereien, welche Neujustierung der innenpolitischen Strukturen und welche Verfassungsänderungen für das wiedervereinigte Deutschland vorzunehmen waren. Bei allem weiß der Autor natürlich die Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Ministerialbürokratie gebührend zu würdigen. Ohne sie wäre die Einheit nicht so schnell vonstatten gegangen. Wer mehr über Hintergründe und das Denken der Bonner Administration in den aufregenden Monaten der Wiedervereinigung erfahren will, sollte auf die nuancierte Darstellung dieses Beamten zurückgreifen, der sich gelegentlich als Querdenker entpuppt.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS
Claus J. Duisberg: Das deutsche Jahr. Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/90. WJS Verlag, Berlin 2005. 392 S., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Einheit Deutschlands
Zeitzeugenberichte über die "glücklichsten Jahre in der Geschichte des 20. Jahrhunderts" liegen zwar schon mehrere vor. Sie alle erzählen die Geschichte der Wiedervereinigung, geben Eindrücke und Reminiszenzen zum besten. Doch stechen die Erinnerungen Claus J. Duisbergs - von 1986 bis Mitte Juni 1990 Leiter des Arbeitsstabes Deutschland-Politik im Bundeskanzleramt, dann ins Bundesinnenministerium zur Unterstützung der Verhandlungen über den Einigungsvertrag abgeordnet - hervor. Der gelernte Diplomat legt zugleich einen Erfahrungsbericht mit kritischen Untertönen vor. Aus der Sicht der Arbeitsebene schildert er subtil und präzise die im Sommer 1989 allmählich heraufziehende Krise in der DDR, das zähe Ringen um die Freilassung der Botschaftsflüchtlinge und die Tage um den Mauerfall. Deutlich wird, welche Herausforderung der rasche Zerfall der DDR für die Bonner Regierung bedeutete.
Zwischen den Zeilen kommen gleichfalls die internen Auseinandersetzungen um den einzuschlagenden Kurs zum Vorschein. Duisberg schreckt keineswegs vor gelegentlichen Seitenhieben auf Vorgesetzte und Kollegen zurück. So mokiert er sich über die geringe Neigung des damaligen Kanzleramtschefs Rudolf Seiters, eine herausgehobene politische Rolle zu spielen, oder über den seit Jahren angehäuften Sachverstand alteingesessener Karrierebeamter im Bundesinnenministerium, die mehr ihre Rechtspositionen als das große politische Ziel im Auge hatten. Besonders lesenswert sind jene Kapitel, die den komplizierten Verhandlungsablauf über den Einigungsvertrag nachzeichnen. Parteienzwist in Bonn und mit der Regierung in Ost-Berlin gehörte ebenso dazu wie die Bund-Länder-Konflikte und administrativen Streitereien, welche Neujustierung der innenpolitischen Strukturen und welche Verfassungsänderungen für das wiedervereinigte Deutschland vorzunehmen waren. Bei allem weiß der Autor natürlich die Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Ministerialbürokratie gebührend zu würdigen. Ohne sie wäre die Einheit nicht so schnell vonstatten gegangen. Wer mehr über Hintergründe und das Denken der Bonner Administration in den aufregenden Monaten der Wiedervereinigung erfahren will, sollte auf die nuancierte Darstellung dieses Beamten zurückgreifen, der sich gelegentlich als Querdenker entpuppt.
HANNS JÜRGEN KÜSTERS
Claus J. Duisberg: Das deutsche Jahr. Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/90. WJS Verlag, Berlin 2005. 392 S., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wer wissen will, wie die Bonner Ministerialbürokratie in den spannenden Monaten vor und während der Wiedervereinigung dachte und agierte, dem legt Hanns Jürgen Küsters diesen "Erfahrungsbericht" ans Herz. "Subtil und präzise" , gelegentlich auch mit "kritischen Untertönen" schildere der gelernte Diplomat Claus J. Duisberg den Zerfall der DDR und die Reaktionen in den Bonner Amtstuben, die von professionellem Krisenmanagment bis hin zu endlosem Kompetenzgerangel der Behörden reichten. Überzeugend zeichnet Duisberg vor allem den komplizierten Verhandlungsprozess zwischen beiden deutschen Staaten nach, erklärt der Rezensent. Und auch wenn er dabei mit "gelegentlichen Seitenhieben" gegen die Bonner Kollegen aufwarte, wüsste er doch insgesamt deren "Einsatzbereitschaft und Leistungsfähigkeit" angemessen zu würdigen. Alles in allem, so Küsters, enthalte Duisbergs Buch eine "nuancierte Darstellung eines Beamten, der sich gelegentlich als Querdenker entpuppt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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