In den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg erlebte das schon fast totgesagte deutsche Kunstlied eine glanzvolle Renaissance - und dies nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die Virtuosität von Dietrich Fischer-Dieskau trug dazu maßgeblich bei. In seinem Buch richtet er das Licht der Aufmerksamkeit auf die Geschichte des deutschsprachigen Klavierlieds, wobei es ihm nicht um Vollständigkeit von Komponistennamen oder Werktiteln geht. Sein Augenmerk richtet sich auf Herausragendes und Beispielhaftes, das es dem Interessierten erleichtern soll, im Reichtum der musikalischen Schätze einen Weg des Kennenlernens zu finden. Im Zentrum steht dabei die vertonte deutsche Lyrik des 19. Jahrhunderts, die je nach Besetzung sehr verschieden gestaltet ist: Von der Einsamkeit oder Zweisamkeit, in singende oder spielende Personen unterteilt, sind Lied, Duett, Terzett und schließlich Ensemblekunst auf dem Wege zum Konzertsaal. Im 20. Jahrhundert erwuchsen dem gegenüber Abwehkräfte, um das Lied von der virtuosen Schaustellung auf das genuine Terrain seelischer Innenschau zurückzuführen. Den großen Meistern - wie Dietrich Fischer-Dieskau - gelang es, Form und Inhalt wieder einander entsprechend zu gestalten.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gerhard Stadelmaier hat sich viel versprochen von Dietrich Fischer-Dieskaus "Das deutsche Klavierlied" und will seine Enttäuschung nicht verbergen. Einiges hätte der Rezensent dem Verlag durchgehen lassen, da der Musiker nach seinem Tod im Mai dieses Jahres nicht mehr für autorisierte Änderungen zur Verfügung stand. Dass aber zahlreiche grobe Fehler einfach stehen geblieben seien, das betrachtet Stadelmaier als "prominentengeile Lieblosigkeit". Auch abgesehen von Rechtschreibung und inhaltlicher Genauigkeit bedauert er einiges: Fischer-Dieskaus Äußerungen über andere Komponisten wirken uneindringlich und leblos, findet der Rezensent, sein Ton sei ungeformt und häufig seien ihm nur reizsame Plattitüden eingefallen. Gerhard Stadelmaier empfiehlt, sich des Künstlers lieber hörend als lesend zu erinnern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2012Ein Sänger muss nicht schreiben können
Aber ein Verlag sollte einen Sänger begleiten können: Dietrich Fischer-Dieskaus "Deutsches Klavierlied"
Schon der Titel: ein einziges, großes Versprechen! Eine Vorlust! Bühne frei für ein gewaltiges, herzbewegendes Innerlichkeitsdrama! Bestritten, bespielt, ausgeschritten von einem Gewaltigen: "Das deutsche Klavierlied" aus der Feder von Dietrich Fischer-Dieskau. Dem größten aller deutschen Klavierliedsänger, der Jahrhundertfigur, die, als sie am 18. Mai dieses Jahres höchstbetagt starb, uns einen Schatz hinterließ.
Es ist der Schatz der Offenbarung, dass man mit den Ohren lesen kann. Hörend in große Dichtung dringend. Wenn er sie singend hochdramatisch artikulierte. Zum tief bewegten Empfindungssprechen brachte. Indem er sie auf Gedanken- und Analyse- und Durchdringungshöhen zu Ausdrucksereignissen machte. Der intelligente Sänger ist ja um noch eins empfindlicher als der Nur-Empfindungssänger. Und nun also die zu Papier gebrachte Summe seiner Sängerintelligenz? Die Essenz seiner großen Eindringlichkeitskunst, gespiegelt, gebrochen, verwandelt in eindringlicher Schrift- und Schreibkunst? Ein Testament gar?
Nichts von alledem. Abgesehen davon, dass der Siebenundachtzigjährige, von dem der Verlag behauptet, er habe "das Manuskript seines letzten Werkes für den Druck noch autorisieren" können, zu irgendeiner Art autorisierender Korrektur offenbar nicht mehr in der Lage war, wofür alle musikalische wie literarische Welt Verständnis hätte; abgesehen auch davon, dass er von Reichardt und Zelter über Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert bis hin zur Neuen Wiener Schule und Aribert Reimann Dichter wie Komponisten äußerst kursorisch und seltsam leblos, uneindringlich behandelt, als gingen sie ihn gar nichts an; abgesehen auch davon, dass Fischer-Dieskau wie in einem häuslichen, ungeformten, zuchtlos sprunghaften Privatissimum-Ton vor sich hin zu raunen scheint - der Verlag hätte den großen Sänger, der sich hier als seltsam verkrampft verrätselter Schreiber präsentiert, wenigstens vor dem Zweitschlimmsten bewahren müssen.
Das Schlimmste ist ja schon das ganze Buch. Das Zweitschlimmste aber sind die grausigen Fehler, die man ihm offenbar in aller prominentengeiler Lieblosigkeit hat stehen lassen. Keinem Lektor, keinem Korrektor ist offensichtlich aufgefallen, dass es einen Dichter namens "Höltyl" nicht gibt (wohl aber einen Hölty), dass wir uns heute nicht "mit dem zweiten Vers des Deutschlandlieds" als Nationalhymnentext "begnügen" (!), sondern bekanntlich mit der dritten Strophe, dass sich in Haydns "Schöpfung" der Leviathan nicht, wie Fischer-Dieskau vermutet, "über die Erde wälzt", sondern "in der Tiefe" des Ozeans, denn Leviathan ist der Walfisch, dass es nicht "ein Don-Juan-Drama von Tirso de Molinal" gibt, sondern das Don-Juan-Drama schlechthin - und eben von Tirso de Molina, der das "l" hinten nicht nötig hat. Und wenn Schubert "weder den biedermeierlichen Vormärz noch die Zeit Metternichs vertrat", dann hat er ja wohl ein und das selbe nicht vertreten - was aber dann?
Über derartige Schlampereien lässt sich nicht streiten. Wohl aber darüber, ob bei der Fülle an Liedersängern das Klavierlied wirklich derart auf dem absteigenden Ast rumhängt, bedroht "von der Pop-Unkultur", wie Fischer-Dieskau vermutet. Obwohl er Zeilen zuvor sich stolz (und zu Recht!) bescheinigt, zur Renaissance des Klavierliedes nach dem Kriege Entscheidendes beigetragen zu haben.
Streiten lässt sich auch darüber, ob "das Feuilleton noch immer nicht verstanden hatte, welche neuen Elemente mit Beethoven in die Komposition deutschen Ursprungs Einzug gehalten hatten", wobei "das Feuilleton" auch ihn, Fischer-Dieskau, nicht verstanden habe. Was, halten zu Genie-Gnaden, purer Unfug und allenfalls greisenhafter Irrung zugute zu halten ist. Aber wenn der große Sänger davon schwadroniert, dass Brahms "von gemütsbedingten Verfeinerungen der allgemeinen Entwicklung erfasst und beglückt" worden sei, dass Hindemith halt "ein Bratscheninstrumentalist" gewesen sei und dass es von Richard Strauss "teils sensationell angehauchte, noch heute sehr lebendige Bühnenwerke" gebe, aber beklagt, dass Hugo Wolf mit seinem Liedschaffen "aus dem häuslichen Musizierkreis ins Konzert" gedrängt habe, aber jeder "gute Hörer sich mit ihm in adliger Gesellschaft" befinde, dann darf man sich doch wundern, dass oberhalb "reizsamer" (sein Lieblingswort) Plattitüden dem großen Manne nicht viel eingefallen ist.
Und wenn er "Pfitzners innere Größe, die ihn uns unvergessen macht", und dessen "Lauschen auf die kühltropfende Todesquelle" etwas hilflos etikettenpathetisch feiert, dann würde man sich auch einen Lektor gewünscht haben, der dem Verehrten "Und die Nazis, die Pfitzner so liebte?" als Einwand an den Manuskriptrand hingekritzelt hätte.
Also: Alle Liebhaber von Dietrich Fischer-Dieskaus großer Kunst sollten um dieses hilflose, hingeschlampte, fahrlässig verlegte Buch einen großen Bogen machen. Jeder Umweg zum Schallplattenschrank ist lohnender. Nicht lesen! Hören!
GERHARD STADELMAIER.
Dietrich Fischer-Dieskau: "Das deutsche Klavierlied".
Berlin University Press, Berlin 2012. 95 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aber ein Verlag sollte einen Sänger begleiten können: Dietrich Fischer-Dieskaus "Deutsches Klavierlied"
Schon der Titel: ein einziges, großes Versprechen! Eine Vorlust! Bühne frei für ein gewaltiges, herzbewegendes Innerlichkeitsdrama! Bestritten, bespielt, ausgeschritten von einem Gewaltigen: "Das deutsche Klavierlied" aus der Feder von Dietrich Fischer-Dieskau. Dem größten aller deutschen Klavierliedsänger, der Jahrhundertfigur, die, als sie am 18. Mai dieses Jahres höchstbetagt starb, uns einen Schatz hinterließ.
Es ist der Schatz der Offenbarung, dass man mit den Ohren lesen kann. Hörend in große Dichtung dringend. Wenn er sie singend hochdramatisch artikulierte. Zum tief bewegten Empfindungssprechen brachte. Indem er sie auf Gedanken- und Analyse- und Durchdringungshöhen zu Ausdrucksereignissen machte. Der intelligente Sänger ist ja um noch eins empfindlicher als der Nur-Empfindungssänger. Und nun also die zu Papier gebrachte Summe seiner Sängerintelligenz? Die Essenz seiner großen Eindringlichkeitskunst, gespiegelt, gebrochen, verwandelt in eindringlicher Schrift- und Schreibkunst? Ein Testament gar?
Nichts von alledem. Abgesehen davon, dass der Siebenundachtzigjährige, von dem der Verlag behauptet, er habe "das Manuskript seines letzten Werkes für den Druck noch autorisieren" können, zu irgendeiner Art autorisierender Korrektur offenbar nicht mehr in der Lage war, wofür alle musikalische wie literarische Welt Verständnis hätte; abgesehen auch davon, dass er von Reichardt und Zelter über Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert bis hin zur Neuen Wiener Schule und Aribert Reimann Dichter wie Komponisten äußerst kursorisch und seltsam leblos, uneindringlich behandelt, als gingen sie ihn gar nichts an; abgesehen auch davon, dass Fischer-Dieskau wie in einem häuslichen, ungeformten, zuchtlos sprunghaften Privatissimum-Ton vor sich hin zu raunen scheint - der Verlag hätte den großen Sänger, der sich hier als seltsam verkrampft verrätselter Schreiber präsentiert, wenigstens vor dem Zweitschlimmsten bewahren müssen.
Das Schlimmste ist ja schon das ganze Buch. Das Zweitschlimmste aber sind die grausigen Fehler, die man ihm offenbar in aller prominentengeiler Lieblosigkeit hat stehen lassen. Keinem Lektor, keinem Korrektor ist offensichtlich aufgefallen, dass es einen Dichter namens "Höltyl" nicht gibt (wohl aber einen Hölty), dass wir uns heute nicht "mit dem zweiten Vers des Deutschlandlieds" als Nationalhymnentext "begnügen" (!), sondern bekanntlich mit der dritten Strophe, dass sich in Haydns "Schöpfung" der Leviathan nicht, wie Fischer-Dieskau vermutet, "über die Erde wälzt", sondern "in der Tiefe" des Ozeans, denn Leviathan ist der Walfisch, dass es nicht "ein Don-Juan-Drama von Tirso de Molinal" gibt, sondern das Don-Juan-Drama schlechthin - und eben von Tirso de Molina, der das "l" hinten nicht nötig hat. Und wenn Schubert "weder den biedermeierlichen Vormärz noch die Zeit Metternichs vertrat", dann hat er ja wohl ein und das selbe nicht vertreten - was aber dann?
Über derartige Schlampereien lässt sich nicht streiten. Wohl aber darüber, ob bei der Fülle an Liedersängern das Klavierlied wirklich derart auf dem absteigenden Ast rumhängt, bedroht "von der Pop-Unkultur", wie Fischer-Dieskau vermutet. Obwohl er Zeilen zuvor sich stolz (und zu Recht!) bescheinigt, zur Renaissance des Klavierliedes nach dem Kriege Entscheidendes beigetragen zu haben.
Streiten lässt sich auch darüber, ob "das Feuilleton noch immer nicht verstanden hatte, welche neuen Elemente mit Beethoven in die Komposition deutschen Ursprungs Einzug gehalten hatten", wobei "das Feuilleton" auch ihn, Fischer-Dieskau, nicht verstanden habe. Was, halten zu Genie-Gnaden, purer Unfug und allenfalls greisenhafter Irrung zugute zu halten ist. Aber wenn der große Sänger davon schwadroniert, dass Brahms "von gemütsbedingten Verfeinerungen der allgemeinen Entwicklung erfasst und beglückt" worden sei, dass Hindemith halt "ein Bratscheninstrumentalist" gewesen sei und dass es von Richard Strauss "teils sensationell angehauchte, noch heute sehr lebendige Bühnenwerke" gebe, aber beklagt, dass Hugo Wolf mit seinem Liedschaffen "aus dem häuslichen Musizierkreis ins Konzert" gedrängt habe, aber jeder "gute Hörer sich mit ihm in adliger Gesellschaft" befinde, dann darf man sich doch wundern, dass oberhalb "reizsamer" (sein Lieblingswort) Plattitüden dem großen Manne nicht viel eingefallen ist.
Und wenn er "Pfitzners innere Größe, die ihn uns unvergessen macht", und dessen "Lauschen auf die kühltropfende Todesquelle" etwas hilflos etikettenpathetisch feiert, dann würde man sich auch einen Lektor gewünscht haben, der dem Verehrten "Und die Nazis, die Pfitzner so liebte?" als Einwand an den Manuskriptrand hingekritzelt hätte.
Also: Alle Liebhaber von Dietrich Fischer-Dieskaus großer Kunst sollten um dieses hilflose, hingeschlampte, fahrlässig verlegte Buch einen großen Bogen machen. Jeder Umweg zum Schallplattenschrank ist lohnender. Nicht lesen! Hören!
GERHARD STADELMAIER.
Dietrich Fischer-Dieskau: "Das deutsche Klavierlied".
Berlin University Press, Berlin 2012. 95 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main