War Deutschland schon mit der britischen und französischen Kriegserklärung vom 3. September 1939 besiegt? Oder mit den Schlachten um Stalingrad und den Brückenkopf Tunesien? Oder erst mit der geglückten alliierten Landung in Nordfrankreich und dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Sommer 1944?
Die strategische Initiative war bis zum Frühjahr 1943 von den Achsenmächten endgültig auf die Anti-Hitler-Koalition übergegangen. Band 7 behandelt den Luftkrieg über Europa, den Krieg in Westeuropa von der alliierten Invasion bis zur gescheiterten Ardennen-Offensive sowie als Exkurs den Krieg in Ostasien bis zur japanischen Niederlage. Deutschland wie Japan sahen sich einer feindlichen Koalition gegenüber, auf deren Kriegführung sie nur noch reagieren konnten. Ihnen fehlten zusehends die benötigten personellen und materiellen Mittel. Beide Mächte hatten Vabanque gespielt und ihre Möglichkeiten überschätzt.
Hitler stand mit dem Rücken zur Wand. Die Autoren zeigen, in welche ausweglose Situation die deutsche Kriegführung durch Hitlers sozialdarwinistisch durchsetzte Devise des »Alles oder nichts« geraten war. Es wäre seine Pflicht gewesen, dem Sterben auf beiden Seiten der Fronten, von Soldaten wie von Zivilpersonen, ein Ende zu setzen. Aber Menschlichkeit und Verantwortung waren keine Kategorien, die Hitler für sein Handeln gelten ließ.
Die strategische Initiative war bis zum Frühjahr 1943 von den Achsenmächten endgültig auf die Anti-Hitler-Koalition übergegangen. Band 7 behandelt den Luftkrieg über Europa, den Krieg in Westeuropa von der alliierten Invasion bis zur gescheiterten Ardennen-Offensive sowie als Exkurs den Krieg in Ostasien bis zur japanischen Niederlage. Deutschland wie Japan sahen sich einer feindlichen Koalition gegenüber, auf deren Kriegführung sie nur noch reagieren konnten. Ihnen fehlten zusehends die benötigten personellen und materiellen Mittel. Beide Mächte hatten Vabanque gespielt und ihre Möglichkeiten überschätzt.
Hitler stand mit dem Rücken zur Wand. Die Autoren zeigen, in welche ausweglose Situation die deutsche Kriegführung durch Hitlers sozialdarwinistisch durchsetzte Devise des »Alles oder nichts« geraten war. Es wäre seine Pflicht gewesen, dem Sterben auf beiden Seiten der Fronten, von Soldaten wie von Zivilpersonen, ein Ende zu setzen. Aber Menschlichkeit und Verantwortung waren keine Kategorien, die Hitler für sein Handeln gelten ließ.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2000Letzte Überbürdung vor dem Untergang
Mobilisierung des deutschen Machtbereichs bis 1944/45: Wirtschaftliche und personelle Ressourcen waren von vornherein unzureichend
Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Band 5: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Zweiter Halbband: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942-1944/45. Von Bernhard R. Kroener, Rolf-Dieter Müller und Hans Umbreit. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 1096 Seiten, 78,- Mark.
Seit 1979 erscheint das auf zehn Titel beziehungsweise zwölf Bände konzipierte Reihenwerk "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg", das vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in unregelmäßiger Zeit- und Reihenfolge publiziert wird. Sechs teilweise chronologisch, teilweise systematisch angelegte Titel, die sieben Bände umfassen, sind inzwischen veröffentlicht. Vier Titel, die fünf Bände umfassen sollen, stehen noch aus.
Mittlerweile liegt der zweite Halbband des fünften Titels "Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs, Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen" vor, der in Fortsetzung des ersten Halbbandes über die Jahre 1939 bis 1942 den Zeitraum bis 1944/45 abdeckt.
In einem ersten Teil handelt Hans Umbreit "Die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten 1942-1944" ab; im zweiten Teil untersucht Rolf-Dieter Müller "Albert Speer und die Rüstungspolitik im totalen Krieg"; im dritten Teil setzt Bernhard R. Kroener sich mit den Problemen der ",Menschenbewirtschaftung', Bevölkerungsverteilung und personellen Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (1942-1944)" auseinander. Eine von den Autoren gemeinsam verfasste Zusammenfassung beschließt das Gesamte. So wenig einheitlich die Disposition des Reihenwerks über das Deutsche Reich und den Zweiten Weltkrieg wirkt, so unterschiedlich nehmen sich auch die einzelnen Beiträge dieses Halbbandes aus: Auf Umbreits soliden Tatsachenbericht folgt eine gedankenreiche Analyse aus der Feder von Müller, die ihre angemessene Fortsetzung in der problemorientierten Untersuchung von Kroener findet.
In allen drei Beiträgen geht es darum, Gründe zu benennen, die das Scheitern des Deutschen Reiches im Weltkrieg zu erklären vermögen. In diesem Sinne wird von "der immer mühsameren Beherrschung der besetzten Gebiete", über die "zusehends schwieriger zu steuernde Kriegswirtschaft" und das "immer hoffnungslosere Bemühen um Rekrutierung der benötigten Soldaten und Arbeitskräfte" berichtet. Schon in einem vergleichsweise frühen Stadium der Kriegführung, als vor dem Hintergrund der militärischen Erfolge des Deutschen Reiches in der Sowjetunion und in Nordafrika während des Frühjahrs und des Sommers 1942 die Siegeszuversicht noch einmal aufkeimte, machten sich diese Probleme und Defizite empfindlich bemerkbar. Die wirtschaftlichen und personellen Möglichkeiten waren, was die Herausforderungen eines Weltkriegs anging, von vornherein unzureichend: Das Moment der Überbürdung, das in gewisser Hinsicht zur preußischen und deutschen Geschichte gehört, trat immer schärfer hervor.
Dass die Masse der Bevölkerung trotz wachsender Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht lange Zeit "gläubig zum Regime" stand, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass es "zu ihrer Opferbereitschaft . . . keine Alternative" gab - "es sei denn den gefährlichen Weg von Widerstand oder Desertion". Zudem vermochte das Regime auf die "Volksgenossen", "wenn es sie zu weiteren Einschränkungen und Opfern aufrief", auch deshalb zu zählen, weil den Deutschen "auf Kosten der eroberten Länder gravierende Einschnitte in die gewohnte Lebensführung" erstaunlich lange erspart werden konnten.
Was das Schicksal des besetzten Europa betrifft, so wird deutlich, dass Hitler nicht die Absicht hatte, "vor Kriegsende über das künftige Schicksal der eroberten Länder zu befinden. Das sollte erst nach dem erhofften ,Endsieg' geschehen, wenn sich das Deutsche Reich in einer unumstößlichen Großmachtposition befand." Bis dahin war der Führung "im Wesentlichen nur . . . daran gelegen, dass die Herrschaft über die besetzten Gebiete gegen den sich ausbreitenden Widerstand gesichert blieb und dass die ihnen auferlegten Kontingente an Rohstoffen, Industrieprodukten, Kontributionen, Lebensmitteln und Arbeitskräften wenigstens annähernd an die Besatzungsmacht abgeführt wurden".
Die Kernfrage in Müllers Beitrag lautet: "In welchem Umfang konnte und musste die Gesamtwirtschaft auf die Rüstungsbedürfnisse umgestellt werden?" Bis Anfang 1942 gab es dazu ganz unterschiedliche Auffassungen, die zwischen den Notwendigkeiten der Kriegführung und der Rücksichtnahme auf die Bevölkerung schwankten. Erst im Zeichen des sich totalisierenden Krieges und mit dem Aufstieg Albert Speers begann jene Zeit des "Rüstungswunders", in der zunehmend häufig und intensiv Entscheidungen zugunsten einer Unterstützung der Kriegführung durch die Wirtschaft getroffen wurden. Speers System unternehmerischer Selbstverwaltung führte zu einer "überraschenden Steigerung der Produktivität". In der Persönlichkeit des neuen Ministers, der zeitweise zum zweitmächtigsten Mann im "Dritten Reich" aufstieg und "im Herbst 1943 als Quasi-Kronprinz Hitlers" galt, paarten sich Rationalität und Irrationalität der nationalsozialistischen Tyrannis. Die Zweckmäßigkeit der Kräftekonzentration, auf die es Speer ankam, war von seinem persönlichen Verhältnis zum "Führer" abhängig, das Schwankungen unterlag. Müller stellt fest, dass Speers System einer partiellen "Selbstverwaltung" der Wirtschaft die fragile Balance hielt zwischen Privatindustrie und Staatsintervention. Dabei kann über den Ausgang dieses Experiments, also über die Zukunft von privatem Kapitalismus und staatlicher Planwirtschaft nach einem wie auch immer gearteten Ende des andauernden Weltkriegs, nichts Verlässliches gesagt werden. Bemerkenswert ist, dass Speer die Mängel einer sterilen Kommandowirtschaft aufdeckte und vor Industriellen sowie Ingenieuren bekannte, bei den internen Entscheidungsprozessen - also in einem sehr begrenzten, systemimmanenten Zusammenhang - stehe man im Begriff, "den parlamentarischen Staat wieder bei uns einzuführen". Er zeigte sich davon überzeugt, "dass eben verschiedene Dinge nicht nur militärisch, d. h. streng befehlsgemäß von oben nach unten geregelt werden können. Wir müssen uns auf diesen Gebieten die Ventile schaffen, die notwendig sind, um die Fehler, die durch ein derartiges System entstehen können, wieder zu eliminieren."
In Kroeners Beitrag, der den "circulus vitiosus einer strukturellen Personalarmut" aufdeckt, wird deutlich, dass Hitler die Überlegenheit der feindlichen Koalition sehr früh, 1942 bereits, "verinnerlichte". Er hoffte, da er für seine Person jeden Kompromiss ausschloss, von nun an darauf, den eigenen Untergang möglichst zu verzögern. Bezeichnenderweise vermochte er sich persönlich offenbar keine Waffentechnik vorzustellen, "die ihm tatsächlich ein ,Wunder', d. h. die Niederlage seiner Feinde und eine triumphale Siegesparade, versprechen konnte". Diese Disposition des Diktators, der "die letztlich entscheidende Instanz" darstellte, mag erklären, warum die Entwicklung neuer Waffen, die als "Wunderwaffen" den Durchhaltewillen der Bevölkerung anzufachen geeignet waren, stets hinter den Bedürfnissen der konventionellen Kriegführung zurückgeblieben ist. Kroener lässt keinen Zweifel daran, dass das Deutsche Reich vom Jahre 1943 an die personelle Kriegführungsfähigkeit definitiv verloren hatte. Was die Erfordernisse von Wehrmacht und Rüstung, von Front und Heimatfront betrifft, so vermochte eine klaffende Lücke nur durch Inkaufnahme einer anderen geschlossen zu werden. Das alles wurde bis zum Sommer 1944 in einem "eigentümlichen Schwebezustand" gehalten, in dem Hoffnung und Niedergeschlagenheit, Siegeszuversicht und Ahnungen von der Niederlage sich abwechselten. Im Einzelnen stellt Kroener die "Maßnahmen" der "Menschenbewirtschaftung" und der Bevölkerungsverteilung dar, von den Rekrutierungen bis hin zu den Lebensverhältnissen und dem Gesundheitszustand der Betroffenen - eine beachtliche Forscherleistung!
Die Ergebnisse der drei Beiträge sind, was vor allem die Präsentation der Einzelheiten angeht, kaum zu übertreffen. Es liegt ein Kompendium vor, das über die Besatzungspolitik, über die Wirtschaftspolitik und über die Fragen der personellen Ressourcen umfassend informiert. Die auf Detailgenauigkeit ausgerichtete Anlage des Werks erfordert es, dass verschiedene Autoren mit jeweils einem Band befasst werden. Faktentreue und Genauigkeit haben freilich ihren Preis: Eine Gesamtdarstellung kommt nur in einem sehr formalen Sinne zustande. Diese Feststellung gilt für das Reihenwerk insgesamt ebenso wie für den vorliegenden Band.
Was jeweils auf welche Art und Weise und in welchem Umfang unterbreitet wird, hängt in hohem Maße vom einzelnen Autor ab. Insofern stehen die Reihe und jeder einzelne Band in der Gefahr, sich ins Unübersichtliche zu verlieren. Ob es gelingen wird, diese Uneinheitlichkeit einigermaßen zu lindern, wird sich zeigen, nicht zuletzt im Hinblick auf den abschließenden Band, von dem der Leser eine resümierende und würdigende Schlussbetrachtung erwarten darf. Zu hoffen ist, dass die noch ausstehenden Bände zügiger als bislang erscheinen werden. Insgesamt wird man, wenn alles vorliegt, beurteilen können, ob sich das Unternehmen gelohnt hat, ob Ertrag und Aufwand in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen.
KLAUS HILDEBRAND
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Mobilisierung des deutschen Machtbereichs bis 1944/45: Wirtschaftliche und personelle Ressourcen waren von vornherein unzureichend
Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Band 5: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Zweiter Halbband: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942-1944/45. Von Bernhard R. Kroener, Rolf-Dieter Müller und Hans Umbreit. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999. 1096 Seiten, 78,- Mark.
Seit 1979 erscheint das auf zehn Titel beziehungsweise zwölf Bände konzipierte Reihenwerk "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg", das vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in unregelmäßiger Zeit- und Reihenfolge publiziert wird. Sechs teilweise chronologisch, teilweise systematisch angelegte Titel, die sieben Bände umfassen, sind inzwischen veröffentlicht. Vier Titel, die fünf Bände umfassen sollen, stehen noch aus.
Mittlerweile liegt der zweite Halbband des fünften Titels "Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs, Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen" vor, der in Fortsetzung des ersten Halbbandes über die Jahre 1939 bis 1942 den Zeitraum bis 1944/45 abdeckt.
In einem ersten Teil handelt Hans Umbreit "Die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten 1942-1944" ab; im zweiten Teil untersucht Rolf-Dieter Müller "Albert Speer und die Rüstungspolitik im totalen Krieg"; im dritten Teil setzt Bernhard R. Kroener sich mit den Problemen der ",Menschenbewirtschaftung', Bevölkerungsverteilung und personellen Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (1942-1944)" auseinander. Eine von den Autoren gemeinsam verfasste Zusammenfassung beschließt das Gesamte. So wenig einheitlich die Disposition des Reihenwerks über das Deutsche Reich und den Zweiten Weltkrieg wirkt, so unterschiedlich nehmen sich auch die einzelnen Beiträge dieses Halbbandes aus: Auf Umbreits soliden Tatsachenbericht folgt eine gedankenreiche Analyse aus der Feder von Müller, die ihre angemessene Fortsetzung in der problemorientierten Untersuchung von Kroener findet.
In allen drei Beiträgen geht es darum, Gründe zu benennen, die das Scheitern des Deutschen Reiches im Weltkrieg zu erklären vermögen. In diesem Sinne wird von "der immer mühsameren Beherrschung der besetzten Gebiete", über die "zusehends schwieriger zu steuernde Kriegswirtschaft" und das "immer hoffnungslosere Bemühen um Rekrutierung der benötigten Soldaten und Arbeitskräfte" berichtet. Schon in einem vergleichsweise frühen Stadium der Kriegführung, als vor dem Hintergrund der militärischen Erfolge des Deutschen Reiches in der Sowjetunion und in Nordafrika während des Frühjahrs und des Sommers 1942 die Siegeszuversicht noch einmal aufkeimte, machten sich diese Probleme und Defizite empfindlich bemerkbar. Die wirtschaftlichen und personellen Möglichkeiten waren, was die Herausforderungen eines Weltkriegs anging, von vornherein unzureichend: Das Moment der Überbürdung, das in gewisser Hinsicht zur preußischen und deutschen Geschichte gehört, trat immer schärfer hervor.
Dass die Masse der Bevölkerung trotz wachsender Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht lange Zeit "gläubig zum Regime" stand, hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass es "zu ihrer Opferbereitschaft . . . keine Alternative" gab - "es sei denn den gefährlichen Weg von Widerstand oder Desertion". Zudem vermochte das Regime auf die "Volksgenossen", "wenn es sie zu weiteren Einschränkungen und Opfern aufrief", auch deshalb zu zählen, weil den Deutschen "auf Kosten der eroberten Länder gravierende Einschnitte in die gewohnte Lebensführung" erstaunlich lange erspart werden konnten.
Was das Schicksal des besetzten Europa betrifft, so wird deutlich, dass Hitler nicht die Absicht hatte, "vor Kriegsende über das künftige Schicksal der eroberten Länder zu befinden. Das sollte erst nach dem erhofften ,Endsieg' geschehen, wenn sich das Deutsche Reich in einer unumstößlichen Großmachtposition befand." Bis dahin war der Führung "im Wesentlichen nur . . . daran gelegen, dass die Herrschaft über die besetzten Gebiete gegen den sich ausbreitenden Widerstand gesichert blieb und dass die ihnen auferlegten Kontingente an Rohstoffen, Industrieprodukten, Kontributionen, Lebensmitteln und Arbeitskräften wenigstens annähernd an die Besatzungsmacht abgeführt wurden".
Die Kernfrage in Müllers Beitrag lautet: "In welchem Umfang konnte und musste die Gesamtwirtschaft auf die Rüstungsbedürfnisse umgestellt werden?" Bis Anfang 1942 gab es dazu ganz unterschiedliche Auffassungen, die zwischen den Notwendigkeiten der Kriegführung und der Rücksichtnahme auf die Bevölkerung schwankten. Erst im Zeichen des sich totalisierenden Krieges und mit dem Aufstieg Albert Speers begann jene Zeit des "Rüstungswunders", in der zunehmend häufig und intensiv Entscheidungen zugunsten einer Unterstützung der Kriegführung durch die Wirtschaft getroffen wurden. Speers System unternehmerischer Selbstverwaltung führte zu einer "überraschenden Steigerung der Produktivität". In der Persönlichkeit des neuen Ministers, der zeitweise zum zweitmächtigsten Mann im "Dritten Reich" aufstieg und "im Herbst 1943 als Quasi-Kronprinz Hitlers" galt, paarten sich Rationalität und Irrationalität der nationalsozialistischen Tyrannis. Die Zweckmäßigkeit der Kräftekonzentration, auf die es Speer ankam, war von seinem persönlichen Verhältnis zum "Führer" abhängig, das Schwankungen unterlag. Müller stellt fest, dass Speers System einer partiellen "Selbstverwaltung" der Wirtschaft die fragile Balance hielt zwischen Privatindustrie und Staatsintervention. Dabei kann über den Ausgang dieses Experiments, also über die Zukunft von privatem Kapitalismus und staatlicher Planwirtschaft nach einem wie auch immer gearteten Ende des andauernden Weltkriegs, nichts Verlässliches gesagt werden. Bemerkenswert ist, dass Speer die Mängel einer sterilen Kommandowirtschaft aufdeckte und vor Industriellen sowie Ingenieuren bekannte, bei den internen Entscheidungsprozessen - also in einem sehr begrenzten, systemimmanenten Zusammenhang - stehe man im Begriff, "den parlamentarischen Staat wieder bei uns einzuführen". Er zeigte sich davon überzeugt, "dass eben verschiedene Dinge nicht nur militärisch, d. h. streng befehlsgemäß von oben nach unten geregelt werden können. Wir müssen uns auf diesen Gebieten die Ventile schaffen, die notwendig sind, um die Fehler, die durch ein derartiges System entstehen können, wieder zu eliminieren."
In Kroeners Beitrag, der den "circulus vitiosus einer strukturellen Personalarmut" aufdeckt, wird deutlich, dass Hitler die Überlegenheit der feindlichen Koalition sehr früh, 1942 bereits, "verinnerlichte". Er hoffte, da er für seine Person jeden Kompromiss ausschloss, von nun an darauf, den eigenen Untergang möglichst zu verzögern. Bezeichnenderweise vermochte er sich persönlich offenbar keine Waffentechnik vorzustellen, "die ihm tatsächlich ein ,Wunder', d. h. die Niederlage seiner Feinde und eine triumphale Siegesparade, versprechen konnte". Diese Disposition des Diktators, der "die letztlich entscheidende Instanz" darstellte, mag erklären, warum die Entwicklung neuer Waffen, die als "Wunderwaffen" den Durchhaltewillen der Bevölkerung anzufachen geeignet waren, stets hinter den Bedürfnissen der konventionellen Kriegführung zurückgeblieben ist. Kroener lässt keinen Zweifel daran, dass das Deutsche Reich vom Jahre 1943 an die personelle Kriegführungsfähigkeit definitiv verloren hatte. Was die Erfordernisse von Wehrmacht und Rüstung, von Front und Heimatfront betrifft, so vermochte eine klaffende Lücke nur durch Inkaufnahme einer anderen geschlossen zu werden. Das alles wurde bis zum Sommer 1944 in einem "eigentümlichen Schwebezustand" gehalten, in dem Hoffnung und Niedergeschlagenheit, Siegeszuversicht und Ahnungen von der Niederlage sich abwechselten. Im Einzelnen stellt Kroener die "Maßnahmen" der "Menschenbewirtschaftung" und der Bevölkerungsverteilung dar, von den Rekrutierungen bis hin zu den Lebensverhältnissen und dem Gesundheitszustand der Betroffenen - eine beachtliche Forscherleistung!
Die Ergebnisse der drei Beiträge sind, was vor allem die Präsentation der Einzelheiten angeht, kaum zu übertreffen. Es liegt ein Kompendium vor, das über die Besatzungspolitik, über die Wirtschaftspolitik und über die Fragen der personellen Ressourcen umfassend informiert. Die auf Detailgenauigkeit ausgerichtete Anlage des Werks erfordert es, dass verschiedene Autoren mit jeweils einem Band befasst werden. Faktentreue und Genauigkeit haben freilich ihren Preis: Eine Gesamtdarstellung kommt nur in einem sehr formalen Sinne zustande. Diese Feststellung gilt für das Reihenwerk insgesamt ebenso wie für den vorliegenden Band.
Was jeweils auf welche Art und Weise und in welchem Umfang unterbreitet wird, hängt in hohem Maße vom einzelnen Autor ab. Insofern stehen die Reihe und jeder einzelne Band in der Gefahr, sich ins Unübersichtliche zu verlieren. Ob es gelingen wird, diese Uneinheitlichkeit einigermaßen zu lindern, wird sich zeigen, nicht zuletzt im Hinblick auf den abschließenden Band, von dem der Leser eine resümierende und würdigende Schlussbetrachtung erwarten darf. Zu hoffen ist, dass die noch ausstehenden Bände zügiger als bislang erscheinen werden. Insgesamt wird man, wenn alles vorliegt, beurteilen können, ob sich das Unternehmen gelohnt hat, ob Ertrag und Aufwand in einem vertretbaren Verhältnis zueinander stehen.
KLAUS HILDEBRAND
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Joachim Käppner bespricht vier Bücher über die Bombenangriffe der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs und die "moralische Debatte", die um das Bombardement geführt wird. Den Band "Das Deutsche Reich in der Defensive" lobt der Rezensent für seine präzise Darstellung der alliierten Luftangriffe, und den Militärhistoriker Boog würdigt er gar als "besten deutschen Kenner" des Themas. Insbesondere die Bombenangriffe mittels der Fernstrecken-Begleitjäger P-51 Mustang würden in dem Buch, das als 7. Band eines "Standardwerks" über den Zweiten Weltkrieg erschienen ist, als kriegsentscheidend gewertet, so der Rezensent, der ihnen darin zustimmt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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