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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2004

Sogtest du nikt mol, du hättest einen Unkel?
Der erste wiederentdeckte deutsche Stan-und-Ollie-Film

Der schönste Satz, den Stan Laurel und Oliver Hardy jemals auf deutsch gesprochen haben, ist reines Latein. "Gaudeamus igitur, juvenes dum sumus!" singt Mr. Hardy, der bekanntlich einst in Georgia nicht nur die Rechte, sondern am Konservatorium auch Gesang studiert hat - und Mr. Laurel, der überhaupt gar nichts studiert hat, aber auch so alles wußte, was für ein Alter ego nötig ist, bestätigt mit entschlossenem Kopfnicken "Sumus!"

Jawohl, sie sind es, und kraft des Kinos gewissermaßen ewig, jung nämlich. So ausgesprochen und bekräftigt in einem Film, der als historischer Fund ersten Ranges gerade vom Münchner Filmmuseum fast 75 Jahre nach seinem Entstehen erstmals in restaurierter Fassung gezeigt wurde. "The Laurel-Hardy Murder Case" von 1930 ist der bislang einzige wiederaufgetauchte der in deutscher Sprache gedrehten Stan-und-Ollie-Filme: die haarsträubende Geschichte zweier Landstreicher, die schon drei Jahre auf der Suche nach Arbeit und darum dringend ferienbedürftig sind. Aber daraus wird nichts, weil sie einen Namensverwandten von Laurel - "Du heißt doch Laurel?" "Ja, aber nur mütterlicherseits" - beerben wollen, wodurch sie in die polizeiliche Untersuchung seiner Ermordung hineingeraten und in ein Spukhaus mit nosferatuhaftem Diener, Fledermäusen, die unter Bettlaken durch die Zimmer flattern, und einer Falltür, in die so gut wie alle Nebenrollen hinabstürzen. Nach Spiel und Machart ein Stummfilm mit Ton.

Vermutlich gab es zwischen acht und zehn solcher deutscher Versionen von Laurel-und-Hardy-Filmen, sicher ist sich die Filmhistorie bei dreien: außer dem 1931 deutsch als "Spuk um Mitternacht" herausgekommenen "Murder Case" noch der Gefängnistumult "Pardon Us" und "Brats", die in übergroßen Kulissen gedrehte "Glückliche Kindheit" des Duos aus demselbem Jahr. Anfang 2004 hatte Stefan Drößler, der Leiter des Münchner Filmmuseums, "Spuk um Mitternacht" in Moskau, wohin nach dem Krieg das Reichsfilmarchiv verbracht worden war, entdeckt. Was in der dortigen Kopie fehlte, hat man seitdem aus dem englischen Original ergänzt, und so ist die variantenreiche Geschichte von Laurel und Hardy in Deutschland um eines ihrer ersten Kapitel sichtbar reicher.

Und weil es in der Welt der beiden keine Höchstleistung gibt, die nicht eine Doppelhöchstleistung wäre, hat pünktlich zur zweiten Premiere Norbert Aping, ein Buxtehuder Amtsrichter, der zeigt, wozu Freizeit verwendet werden kann, die gesamte Chronik in einem meisterhaften Handbuch vorgelegt ("Das Dick-und-Doof-Buch". Die Geschichte von Laurel und Hardy in Deutschland. Schüren Verlag, Marburg 2004. 576 S. und 600 S. digitaler Anhang, 2200 Abb., geb., 34 [Euro]). Was immer man in Sachen "Dick und Dof", so die Schreibweise vor dem Krieg, wissen möchte - von der Zensur und den Reaktionen der deutschen Filmkritik über die Biographie der beiden bis zu den Privataufführungen von Stan-und-Ollie-Filmen 1938 auf dem Obersalzberg (Hitler fand "eine Menge sehr netter Einfälle"), der Geschichte des Handels mit ihren Rechten und ihrer mitunter schändlichen Bearbeitung für das Fernsehen: Hier steht es.

Was man wissen muß, um zu verstehen, warum Laurel, meist mit falscher Betonung, und Hardy, gar nicht so schlecht, überhaupt deutsch redeten: Als die Bilder ab 1927 sprechen lernten, entstand für die Filmindustrie ein Absatzproblem. Denn der Stummfilm hatte die Weltsprache der Gesten, Tänze, Handgemenge und Grimassen verwendet. Nun aber, als der Tonfilm aufkam, sah sich man sich in Hollywood und anderen Produktionsstätten wieder Babylon, also einem Exporthindernis gegenüber. Die naheliegende Überwindung der Sprachgrenzen durch Synchronsprecher stieß zunächst auf den Widerstand der Filmkritik. Man könne einen Menschen doch nicht seiner eigenen Stimme berauben und ihn damit als bloße Marionette behandeln. Und wo bleibe das Typische, das gerade an der Landessprache hänge? Wer Bekannte in Skandinavien hat, wo im Fernsehen fremdsprachige Filme nach wie vor untertitelt statt synchronisiert werden, begegnet diesem intuitiven Widerstand noch heute in ungläubigen Kinderfragen: "Bei euch sprechen die Cowboys deutsch?"

Untertitel erschienen damals jedoch ebenfalls nicht als einwandfreie Lösung. Gleichzeitig sehen und lesen zu sollen, sei eine Zumutung. Also experimentierten fast alle Studios auch mit einem dritten Verfahren. Sie drehten fremdsprachige Versionen ihrer Filme, in denen die Schauspieler der Originalversion entweder durch Ausländer aus der Zielgruppe ersetzt wurden, oder, wenn ihre Prominenz das nicht erlaubte, zum oft verständnisfreien Aufsagen des fremdsprachigen Textes angehalten wurden. Mitunter wurde der Ton dabei auf einer Schallplatte festgehalten, die während der Aufführungen abzuspielen war. Das ging zwei, drei Jahre so - Greta Garbo, Buster Keaton, Lilian Harvey drehten Fremdsprachenversionen ihrer Filme, und sogar von den kleinen Strolchen soll es einen bislang nicht wiederaufgefundenen deutschen Streifen gegeben haben -, bis Kostenargumente die metaphysischen Einwände gegen die höhere Bauchrednerei beim Synchronisieren aus dem Feld schlugen.

In die Zeit dieses technologischen Intermezzos fiel der Aufstieg von Laurel und Hardy, die sich 1927 in "The Second Hundred Years", einer Knastausbrecherklamotte, als Duo gefunden hatten. Ihr Produzent Hal Roach erkannte, daß der Anteil an nur choreographierten, sprachlosen Slapstick-Szenen ihrer Filme hoch genug war, um die Kosten von Sprachversionen begrenzt zu halten. Denn selbstverständlich drehte man nur Dialogszenen neu, die stummen Schlägereien aber, Verfolgungsjagden oder vergeblichen Versuche zweier Männer, sich auf einer Gefängnispritsche eine Decke zu teilen, wurden in die Exportfassung einfach aus dem Originla hineingeschnitten.

Daß es in "Spuk um Mitternacht" eine solche zehnminütige Szene gibt, die in der englischen Fassung fehlt, verdankt sich einem anderen ökonomischen Umstand. Die Kurzfilme der beiden liefen unter dem Vertragsregiment von Metro-Goldwyn-Mayer in amerikanischen Kinos nur als Vorprogramm, weshalb sie kaum länger als zwanzig Minuten dauern durften. In deutschen Lichtspielen hingegen wurden sie auch gern als einer der Hauptfilme gezeigt und darum bei der Produktion gern gestreckt.

So haben wir also auf deutsch eines der frühesten Beispiele für die raffinierteste Antwort, die Laurel und Hardy auf die Frage "Wie entsteht soziale Unordnung?" gegeben haben. Denn während einer Eisenbahnfahrt, die sie nur in der deutschen Sprachfassung nach Chicago zur Testamentseröffnung des vermeinten Onkels antreten, kommt es nicht nur zum vergeblichen Versuch zweier Männer, sich auf einem Hochbett zu entkleiden, sondern in derselben Szene auch zu einem der ersten "Slow burns": jenem Motiv eines langsam sich entwickelnden Zerstörungssystems, in dem, der Gerechtigkeit halber, jeder Gegenschlag immer erst den Schlag abwartet, um strikt reziprok reagieren zu können.

Hier sind es drei Mitreisende, die beginnen, einander aufgrund einer sich fortpflanzenden falschen Aggressionsvermutung die Sakkos aufzureißen. Wenn die Kamera nach dem Hochbettdebakel von Laurel und Hardy ins Abteil zurückblendet, ist inzwischen der ganze Waggon damit beschäftigt, sich auf diese oberbekleidungszerstörende Weise - keinesfalls aber, aus Gerechtigkeitsgründen, auf eine andere! - zu malträtieren. So sollst du geben: Beule um Beule, Jackett um Jackett! In "Them Thar Hills" und "Tit for Tat", vor allem aber in der berühmten Frischei-Eskalation mit der gefährlichen Mexikanerin Lupe Velez in "Hollywood Park" haben Laurel und Hardy 1934/35, im Zenit ihrer Zerstörungskraft, es dann selber übernommen, auf solche Weise den Konfliktstil wahrer Gentlemen zu demonstrieren.

In "Spuk um Mitternacht", der sich selbst am Ende als Alpwunschtraum der Landstreicher herausstellt, sind die Freunde zwar noch nicht ganz auf ihrer Höhe: Noch borgen sie sich die Szene und den Plot, noch spielt die Handlung nicht in Bad Obermies an der Nulle. Doch schon wird Mr. Laurels später oft bewiesene Schwierigkeit beim Erkennen elementarerer Strukturmuster spürbar: "Septober, Oktember, Novunder" zählt er auf deutsch an den Fingern ab, um herauszufinden, ob der 15. November nun der Tag vor oder der Tag nach Weihnachten ist. Auch die Fähigkeit der Objekte zur Wiederherstellung von Sicherheit in einer Welt, in der sozial mit fast allem gerechnet werden muß, zeigt sich schon: Beispielsweise brennen Kerzen, wenn sie schmerzhafterweise in Pyjamahosen gefallen sind und wieder herausgezogen werden, immer noch. Warum? Natürlich damit man noch etwas sieht! Und schließlich ist auch hier schon, ganz zu Anfang ihres Gegeneinanderarbeitens, eines der Grundgesetze von Laurel und Hardy am Werk: Die Sprache gehört zur Welt des Plänemachens oder des Zurechtweisens - zum ersten Mal sagt Mr. Hardy hier seinen berühmtesten Satz "Da hast Du jo wieder schön wos angerichtet" für "Well here's another nice mess you've gotten me into!" - und ist insofern nur der Auf- und Abtakt für das sprachlose Demolieren, das Erschrecken, das Fallen und das Geniertsein als wahrhaft elementare Wirklichkeiten.

Aber eben ein entscheidender Takt, weil nur durch Sprache der Widerspruch zwischen den Ideen Mr. Hardys und der Tatsache, daß er bei deren Erfüllung Mr. Laurel dabeihaben will, spürbar wird. Insofern war es gerade für ihre Welt gut, daß das Reiseführerdeutsch, das sie in der wiederaufgetauchten Fassung sprechen - "Sieh mal sieh!" -, am Ende doch durch Synchronstimmen, darunter die unvergeßliche Walter Bluhms für Stan Laurel, ersetzt wurde.

JÜRGEN KAUBE

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