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Produktdetails
  • Verlag: DuMont Buchverlag
  • Originaltitel: La doppia vita di M. Laurent
  • Seitenzahl: 345
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 522g
  • ISBN-13: 9783770148806
  • ISBN-10: 3770148800
  • Artikelnr.: 24591747
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2001

Die Liebe zum Oxymoron
Ausverkauf der Sprache: Santo Piazzese verfehlt Palermo

Daß die beste aller Welten noch aussteht, dafür spricht - unter anderem - das weltweit tätige Heer der Kommissare und Detektive. Rastlos sind sie nach wie vor dabei, anfallende Verbrechen ihrer Art von Aufklärung zuzuführen. Unter ihnen macht sich öfter ein Außenseiter bemerkbar, der Amateur. Er wird erst im Laufe der Geschichte zum Detektiv. Sosehr er die Professionellen stört, das Publikum mag ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil mit ihm auch die Person des Detektivs selbst interessant wird. Warum verläßt er, mit besten Absichten, wie Chestertons Pater Brown seinen Platz und dringt in die fremde Welt des Verbrechens ein?

Interessanten Anschauungsunterricht geben die beiden Romane von Santo Piazzese, "Die Verbrechen in der Via Medina-Sidonia" und "Das Doppelleben von M. Laurent". Beide Male läßt sich der Biologieprofessor Lorenzo La Marca in eine kriminelle Handlung verwickeln. Schauplatz ist jeweils Palermo: Auch Santo Piazzese ist Palermer und Biologieprofessor. Der Autor rüstet seine Ermittler also autobiographisch aus, die Ich-Form des Romans tut ein übriges. Doch Beruf und Universität sind geradezu demonstrativ abwesend, zwei abgebrühte Doktorandinnen ausgenommen. All das spielt für die Intrige keine Rolle. La Marca könnte genausogut einer anderen Beschäftigung nachgehen.

Nicht viel besser steht es im Grunde mit Palermo. Hundert Straßen und Orte werden genannt. Aber einem Straßenverzeichnis entsteigt kein genius loci. Und das Verbrechen: Es könnte sich überall ereignet haben. Monsieur Laurent restauriert Antiquitäten. Er hat ein Verhältnis mit der Frau des Kollegen Ghini; dieser eines mit seiner Filialleiterin in Wien; und die Tochter Laurents eines mit La Marca. Beste Voraussetzungen also für eine Kettenreaktion. Der erste Dominostein, der fällt, ist Ghini. Zufällig - wie oft zieht in solchen Geschichten der Zufall die Fäden, ohne daß er als Problem der Kontingenz ernsthaft zum Akteur gemacht würde - kommt La Marca an den Tatort. Doch es dauert fast die Hälfte des Romans, bis der Amateur den Fall übernimmt: erst als Laurent, der Vater seiner Geliebten, in Verdacht gerät.

Nach und nach gewinnt die Ermittlung im Erzählten die Oberhand. Einigermaßen spannend, mit zwei weiteren Toten, kommt schließlich heraus, daß es um einen Versicherungsbetrug ging. Keineswegs erstaunlich ist auch, daß der private Detektiv besser ist als die professionellen. Laurent wird von allem Verdacht befreit; die Liebe La Marcas, des Aufklärers, zu seiner schönen Tochter gefestigt. So weit, je nachdem, so gut.

Was aber geschieht in der anderen Hälfte des Romans? Der Erzähler nutzt den perspektivischen Vorteil der Ich-Form, um sich selbst in Szene zu setzen. Der Fall Ghini ist mindestens ebensosehr für den Detektiv da wie dieser für ihn. Und diese Kehrseite macht den Roman überhaupt erst interessant. Denn in zweiter Hinsicht führt Piazzese einen Altachtundsechziger-Blues auf. So lautet die Frage: Wie kann jemand, der damals militant gegen alle etablierten Ordnungen war, sich jetzt für ebendiese öffentliche Ordnung einsetzen? Gewiß, er ist inzwischen arriviert, ja angepaßt und spielt problemlos auf der Seite der Wohlmeinenden mit. Und natürlich hilft er der Frau, die er liebt.

Seine eigentlichen Motive liegen jedoch woanders. Was La Marca selbst darüber bekundet, ist merkwürdig nichtssagend. Von Neugier ist die Rede; der Stoffwechsel steuere ihn; der allmächtige Zeus wird bemüht; ein Autopilot sei am Werk; die Ereignisse sendeten Signale aus und so weiter - reichlich opake Beweggründe für einen intellektuellen Aufklärer.

Was ihn wirklich bewegt, geht nicht eigentlich aus dem hervor, was er tut, sondern wie er darüber spricht. In seinem Stil steckt seine Absicht. Und darin ist er deutlich. Der ganze Roman ist wie überzogen von einer flotten, modischen, geistreichen, vor allem aber ironischen bis sarkastischen Sprache. Das Oxymoron, bescheinigt La Marca sich selbst, sei seine schlimmste Leidenschaft. Mit dem Effekt, daß niemand und nichts seinem verbalen Mißtrauensvotum entgeht - auch nicht er selbst. Dabeizusein, ohne dazuzugehören, scheint seine Devise. Vielleicht ist das der Preis, den ein Altachtundsechziger für seine Anpassung zu entrichten hat, daß er sie zugleich ständig ironisch enteignen muß. Das könnte auch der fatale Grund für die Anziehungskraft des Verbrechens sein. Nur dort findet noch ein Durchbruch zu wahrer Identität statt. Jedenfalls hätte La Marca dafür ein gutes Motiv. Er ist sich wohl bewußt, daß auch er, zumal als Detektiv, ein indirektes Leben führt. Seine Referenzwelt, das sind Filme, Bücher und Musik.

Etwas anderes kommt hinzu. Was immer er, gesprochen oder gedacht, vorbringt, es trägt Züge eines sprachlichen Räumungsverkaufs. Wenn ihm etwas wahre Lust zu bereiten scheint, dann dieses: seine ganzen Wort- und Bildungsvorräte über der Geschichte auszuschütten. Darin ist er virtuos. Er beherrscht alle Register: den Slang der jungen Leute, die deftige (sizilianische) Umgangssprache, den musikalischen Szene-Jargon, mit amerikanischem Set-up versetzt; Fachwörter neben kühnen, aber auch gewollten Metaphern und verblüffenden Vergleichen, und dies alles verwirbelt durch ein fortgesetztes name-dropping. Hinzu kommt der Blick für das treffende Detail und vor allem eines: Palermo zu entsizilianisieren. Er identifiziert sich mit dieser komplizierten Stadt, aber wohl vor allem, weil er zeigen will, daß es dort ein modernes Leben gibt wie woanders auch.

Ob beabsichtigt oder nicht: Piazzese vermengt, über alle Sprach- und Stilunterschiede hinweg, alles mit allem. Man könnte es für verbale Pop-art halten. Doch scheint mehr im Spiel zu sein. Weil es "nichts Endgültigeres gibt als das Provisorische", sind die Wörter und die Dinge letztlich gleichgültig. Da sie im Grunde nichts Bestimmtes zu sagen haben, kann man sie frei ausspielen. Und hieraus könnte sich schließlich ein überraschender Zusammenhang des Romans ergeben: daß der Altachtundsechziger, der alles Autoritäre (außer seiner eigenen Wut) bekämpfte, gerade dadurch einem postmodernen Spiel mit den Beständen des Lebens Vorschub geleistet hat.

Die eigentliche Pointe der Geschichte besteht deshalb weniger darin, daß die Tat, wie es sich gehört, aufgeklärt wird, sondern daß die selbsternannten Aufklärer sich dabei schuldig machen. Ohne sie, so die beschließende Einsicht, hätte es wohl zwei Opfer weniger gegeben. Das Leben ist eben kein Spiel. Piazzese schickt seinen Detektiv - deshalb? - in den einstweiligen Ruhestand. Im nächsten Roman soll ein richtiger Kommissar zum Einsatz kommen. Er ist allerdings La Marcas Freund.

WINFRIED WEHLE

Santo Piazzese: "Das Doppelleben von M. Laurent". Aus dem Italienischen übersetzt von Monika Lustig. DuMont Buchverlag, Köln 2000. 347 S., geb., 42,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Zwiespältig aber interessiert verfolgt Rezensent Winfried Wehle die Entwicklungen in diesem Kriminalroman, den er lediglich "einigermaßen spannend" findet. Auch atmosphärisch scheint es deutliche Mängel zu geben. Sprachlich schließlich fühlt der Rezensent sich an einen "Räumungsverkauf" erinnert, weil ständig sämtliche Wort- und Bildungsvorräte über ihm ausgeschüttet werden. Nur der Erzähler selbst fesselt seine Aufmerksamkeit. Denn der nutze den "perspektivischen Vorteil der Ich-Form", um sich selber in Szene zu setzen. Ergebnis: ein "Altachtundsechziger-Blues", der bei Wehle die Frage aufwirft, wie jemand, der einst so militant gegen alle Ordnung war, sich jetzt für eben diese Ordnung öffentlich einsetzen könne. Wehle vermutet, dass der Erzähler diesem Dilemma verbal zu entgehen versucht. Der ganze Roman sei "wie überzogen" von einer "flotten, modischen geistreichen, vor allem aber ironischen bis sarkastischen Sprache". Nichts und niemand entgehe diesem "verbalen Misstrauensvotum" - auch der Erzähler selber nicht.

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