München, Stunde null - ein grausames Verbrechen und eine alte Schuld. München, August 1945. Der Krieg ist zu Ende, die Stadt versinkt im Chaos. Die Reporterin Billa Löwenfeld, eine aus dem Exil zurückgekehrte Jüdin, soll den Kriegsheimkehrer Viktor von Dietlitz interviewen - und findet ihn erschossen auf. Der junge und noch unerfahrene Ermittler Emil Graf soll den vermeintlichen Routinefall aufklären. Schon bald geschehen zwei weitere Morde nach demselben Muster. Und Emil findet heraus, dass ausgerechnet Billa die gesuchte Verbindung zwischen den drei Opfern sein könnte ... Ein hervorragend recherchierter Kriminalroman im München der Nachkriegszeit über die Frage, was einen Menschen zum Täter macht
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2021Betreutes Lesen
Krimis in Kürze: Simenon, Rehn und Whish-Wilson
Wer Maigret kennt, kennt auch seine Mitarbeiter, ob sie nun Lucas, Janvier, Lapointe oder Torrence heißen. Sie sind die typischen Assistenten, die schon mal den Wagen holen dürfen, die schnell überfordert sind, wenn der Chef keine Arbeitsaufträge hinterlassen hat. Georges Simenon hat ihnen selten ihre fünfzehn Minuten Ruhm gegönnt - außer Torrence, dem großen Dicken, der schon ganz zu Anfang in "Maigret und Pietr der Lette" auftaucht.
Der Band "Aus den Akten der Agence O" (Kampa, 330 S., geb., 19,90 [Euro]) enthält sechs Torrence-Geschichten, fünf davon erscheinen jetzt zum ersten Mal auf Deutsch. Simenon hat sie 1938 schnell geschrieben, sie wurden als Serie veröffentlicht, er brauchte Geld, um sein neues Haus zu renovieren. Die Stories sind alle ziemlich schlicht gestrickt. Natürlich wäre Torrence nicht in der Lage, eine Agentur mit internationaler Reichweite zu führen. Er fungiert als eine Art Grüßaugust, der von seiner Vergangenheit mit Maigret zehrt. Der Mastermind ist der Mann, der sich als Agenturfotograf ausgibt: Émile, der durch einen Spion in das Büro von Torrence blickt und der die Fäden zieht.
Diese Konstellation hat eine gewisse Komik, die mitunter auch ganz nette Slapstickszenen hervorbringt. Die Fälle, die das ungleiche Duo zu lösen hat, sind allerdings weder aufregend noch filigran. Es ist ja bekannt, dass der Kampa Verlag vor allem gegründet wurde, um das Gesamtwerk von Simenon noch mal zirkulieren zu lassen. Aber mitunter denkt man dann, es gäbe schon gute Gründe, nicht alles vom großen Simenon zu übersetzen. Für Simenon-Forscher reicht das französische Original.
München im Jahre null, das ist zwar kein Filmtitel, aber es ist ein gutes Sujet, an dem man auch krachend scheitern kann. "Das doppelte Gesicht. Ein Fall für Emil Graf" von Heidi Rehn (Aufbau, 352 S., br., 12,99 [Euro]) spielt im August 1945. Eine jüdische Reporterin ist aus dem Exil mit den GIs in ihre alte Heimat gekommen. Sie soll einen adligen Kriegsheimkehrer interviewen. Und findet ihn erschossen vor. Ein unbescholtener junger Mann, dessen Bruder ein nationalsozialistischer Staatsanwalt war, ist als Ermittler bei der Polizei, die unter amerikanischer Kuratel steht, mit dem Fall befasst. Und aus dem einen toten Blaublütigen werden schnell drei.
Aus dieser Ausgangskonstellation ließe sich etwas machen. Man müsste nur wissen, wie das geht. Heidi Rehn, die einige historische Romane geschrieben und solide recherchiert hat, fällt jedoch immer nur das Nächstliegende ein. Eine spannende Mordermittlung kommt daher nie in Gang. Und mitunter fühlt man sich wie beim betreuten Lesen. Irgendjemand muss Rehn eingeflüstert haben, die schlichte Inquit-Formel, ein "sagte" oder "fragte", sei unliterarisch. Da kommt jemand "barsch auf den Punkt" oder tut andere merkwürdige Dinge, da herrscht immer wieder starke Adjektivinflation, und die Floskeldichte ist erschreckend hoch. Wer es schafft, in zwanzig Zeilen "in schneidendem Ton" zu reden, "auf glühenden Kohlen" zu sitzen, "eiskalt getötet" zu werden und "ein mit allen Wassern gewaschener Ermittler" zu sein, sollte schon mal über erzählerische Belastungssteuerung nachdenken. Dass der Roman mit einem Cliffhanger endet, hinterlässt, so muss man das wohl sagen, gemischte Gefühle.
Gegen die hilft "Das große Aufräumen" (Suhrkamp, 327 S., br., 10,- [Euro]). So heißt der Thriller von David Whish-Wilson auf Deutsch. Der Originaltitel "Old Scores" war auch nicht so schlecht, weil viele alte Rechnungen beglichen werden. Wir sind in Perth, im Westen Australiens, wo der Privatdetektiv und ehemalige Polizist Frank Swann einen merkwürdigen Job annimmt: den Premierminister von Westaustralien abzuschirmen gegen Abhör- und Korruptionsversuche und zugleich den "Babysitter" für dessen exzentrischen Vater zu spielen.
Whish-Wilson hat schon in "Die Ratten von Perth" (F.A.Z. vom 6. November 2017) gezeigt, dass der Privatdetektiv Swann ein gutes Medium ist, um von Verwerfungen in der australischen Gesellschaft zu erzählen. Es geht um Immobilienspekulationen, um den meistgesuchten Verbrecher Australiens und um Drogen. Swann ist mittendrin, er riskiert viel, er ist kein Moralapostel, er kann austeilen, und vor allem muss er, der bei alldem auch ein Familienmensch ist, viel einstecken. So wie Whish-Wilson erzählt, wird der Kriminalroman zum anschaulichen Gesellschaftsbild.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Simenon, Rehn und Whish-Wilson
Wer Maigret kennt, kennt auch seine Mitarbeiter, ob sie nun Lucas, Janvier, Lapointe oder Torrence heißen. Sie sind die typischen Assistenten, die schon mal den Wagen holen dürfen, die schnell überfordert sind, wenn der Chef keine Arbeitsaufträge hinterlassen hat. Georges Simenon hat ihnen selten ihre fünfzehn Minuten Ruhm gegönnt - außer Torrence, dem großen Dicken, der schon ganz zu Anfang in "Maigret und Pietr der Lette" auftaucht.
Der Band "Aus den Akten der Agence O" (Kampa, 330 S., geb., 19,90 [Euro]) enthält sechs Torrence-Geschichten, fünf davon erscheinen jetzt zum ersten Mal auf Deutsch. Simenon hat sie 1938 schnell geschrieben, sie wurden als Serie veröffentlicht, er brauchte Geld, um sein neues Haus zu renovieren. Die Stories sind alle ziemlich schlicht gestrickt. Natürlich wäre Torrence nicht in der Lage, eine Agentur mit internationaler Reichweite zu führen. Er fungiert als eine Art Grüßaugust, der von seiner Vergangenheit mit Maigret zehrt. Der Mastermind ist der Mann, der sich als Agenturfotograf ausgibt: Émile, der durch einen Spion in das Büro von Torrence blickt und der die Fäden zieht.
Diese Konstellation hat eine gewisse Komik, die mitunter auch ganz nette Slapstickszenen hervorbringt. Die Fälle, die das ungleiche Duo zu lösen hat, sind allerdings weder aufregend noch filigran. Es ist ja bekannt, dass der Kampa Verlag vor allem gegründet wurde, um das Gesamtwerk von Simenon noch mal zirkulieren zu lassen. Aber mitunter denkt man dann, es gäbe schon gute Gründe, nicht alles vom großen Simenon zu übersetzen. Für Simenon-Forscher reicht das französische Original.
München im Jahre null, das ist zwar kein Filmtitel, aber es ist ein gutes Sujet, an dem man auch krachend scheitern kann. "Das doppelte Gesicht. Ein Fall für Emil Graf" von Heidi Rehn (Aufbau, 352 S., br., 12,99 [Euro]) spielt im August 1945. Eine jüdische Reporterin ist aus dem Exil mit den GIs in ihre alte Heimat gekommen. Sie soll einen adligen Kriegsheimkehrer interviewen. Und findet ihn erschossen vor. Ein unbescholtener junger Mann, dessen Bruder ein nationalsozialistischer Staatsanwalt war, ist als Ermittler bei der Polizei, die unter amerikanischer Kuratel steht, mit dem Fall befasst. Und aus dem einen toten Blaublütigen werden schnell drei.
Aus dieser Ausgangskonstellation ließe sich etwas machen. Man müsste nur wissen, wie das geht. Heidi Rehn, die einige historische Romane geschrieben und solide recherchiert hat, fällt jedoch immer nur das Nächstliegende ein. Eine spannende Mordermittlung kommt daher nie in Gang. Und mitunter fühlt man sich wie beim betreuten Lesen. Irgendjemand muss Rehn eingeflüstert haben, die schlichte Inquit-Formel, ein "sagte" oder "fragte", sei unliterarisch. Da kommt jemand "barsch auf den Punkt" oder tut andere merkwürdige Dinge, da herrscht immer wieder starke Adjektivinflation, und die Floskeldichte ist erschreckend hoch. Wer es schafft, in zwanzig Zeilen "in schneidendem Ton" zu reden, "auf glühenden Kohlen" zu sitzen, "eiskalt getötet" zu werden und "ein mit allen Wassern gewaschener Ermittler" zu sein, sollte schon mal über erzählerische Belastungssteuerung nachdenken. Dass der Roman mit einem Cliffhanger endet, hinterlässt, so muss man das wohl sagen, gemischte Gefühle.
Gegen die hilft "Das große Aufräumen" (Suhrkamp, 327 S., br., 10,- [Euro]). So heißt der Thriller von David Whish-Wilson auf Deutsch. Der Originaltitel "Old Scores" war auch nicht so schlecht, weil viele alte Rechnungen beglichen werden. Wir sind in Perth, im Westen Australiens, wo der Privatdetektiv und ehemalige Polizist Frank Swann einen merkwürdigen Job annimmt: den Premierminister von Westaustralien abzuschirmen gegen Abhör- und Korruptionsversuche und zugleich den "Babysitter" für dessen exzentrischen Vater zu spielen.
Whish-Wilson hat schon in "Die Ratten von Perth" (F.A.Z. vom 6. November 2017) gezeigt, dass der Privatdetektiv Swann ein gutes Medium ist, um von Verwerfungen in der australischen Gesellschaft zu erzählen. Es geht um Immobilienspekulationen, um den meistgesuchten Verbrecher Australiens und um Drogen. Swann ist mittendrin, er riskiert viel, er ist kein Moralapostel, er kann austeilen, und vor allem muss er, der bei alldem auch ein Familienmensch ist, viel einstecken. So wie Whish-Wilson erzählt, wird der Kriminalroman zum anschaulichen Gesellschaftsbild.
PETER KÖRTE
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»Sehr schöner historischer Krimi mit beeindruckender Nachkriegs und Münchenatmosphäre in dem die Autorin mehr als eine Frage aufwirft...« BR 5 20210102