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Minus 40 Grad Celsius im Winter 1939, die Sowjetunion überfällt Finnland. Es ist der seltsamste Tag im Leben von Timo Vatanen. Der leutselig-stoische Holzfäller ist der Einzige in seinem finnischen Heimatort Suomussalmi, der nicht vor den Russen flieht, sondern in aller Seelenruhe auf die heranrückenden Truppen wartet. Vor diesem Hintergrund wird die Geschichte von Timo erzählt, der in die Fänge der Russen gerät, aber durch sein Wissen für sie unentbehrlich wird. Denn nur dieser Sonderling weiß, wie man im eisigen finnischen Winter überlebt. So wird er zufällig vom unbeholfenen Außenseiter zum…mehr

Produktbeschreibung
Minus 40 Grad Celsius im Winter 1939, die Sowjetunion überfällt Finnland. Es ist der seltsamste Tag im Leben von Timo Vatanen. Der leutselig-stoische Holzfäller ist der Einzige in seinem finnischen Heimatort Suomussalmi, der nicht vor den Russen flieht, sondern in aller Seelenruhe auf die heranrückenden Truppen wartet. Vor diesem Hintergrund wird die Geschichte von Timo erzählt, der in die Fänge der Russen gerät, aber durch sein Wissen für sie unentbehrlich wird. Denn nur dieser Sonderling weiß, wie man im eisigen finnischen Winter überlebt. So wird er zufällig vom unbeholfenen Außenseiter zum Retter. Bald spielen Nationalitäten keine Rolle mehr: ein kleiner Frieden in den Wirren des Krieges. Dem Schriftsteller Roy Jacobsen ist ein großer Roman darüber gelungen, was Menschen vermögen, wenn sie nur zu sich selber stehen.
Autorenporträt
Dr. Gabriele Haefs studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem Dänischen, Englischen, Niederländischen und Walisischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem Gustav- Heinemann-Friedenspreis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, 2008 mit dem Sonderpreis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. 2011 wurde Gabriele Haefs als Königlich Norwegische Ritterin des St.Olavs Ordens in der Norwegischen Botschaft in Berlin ausgezeichnet u.a. für ihre Übersetzungen, für die Vermittlung von norwegischen Büchern nach Deutschland sowie für das Knüpfen von Kontakten im Kulturbereich ganz allgemein.

Roy Jacobsen, geboren 1954 in Oslo, ist einer der meistgelesenen Schriftsteller Norwegens, der sich mit Kurzgeschichten und zahlreichen Romanen auch über die Grenzen Norwegens hinaus einen Namen gemacht hat. Sein Werk wurde in seiner Heimat bereits mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2011

Aus feinstem Holz geschnitzt
Der Norweger Roy Jacobsen erklärt uns Zähigkeit auf Finnisch

Der Dorftrottel ist so ein halb freiwilliger Einsiedler. Er ist naiv und einfältig, hat aber meist eine nicht zu unterschätzende Bauernschläue, vor allem jedoch einen unverdrossenen Optimismus und eine unerschöpfliche Energie. Als Held eines Romans haben solche Leute natürlich sofort unsere Sympathie. Vor allem wenn sie Angehörige eines kleinen, aber drahtigen Volkes sind, dessen Identitätswort Sisu sein soll, was so etwas wie "Zähigkeit, Ausdauer" bedeutet, und das nun auch noch von einem übermächtigen, herzlosen Nachbarn überfallen und annektiert wird.

Der kleine Ort Suomussalmi hat in der finnischen Geschichte einen besonderen Klang: Hier schlug im Dezember 1939 während des sogenannten Winterkriegs ein kleines bewegliches, gut getarntes Regiment - die Soldaten hatten weiße Schneeanzüge an und huschten auf Skiern durch die Wälder - zwei schwerfällige sowjetische Divisionen und trug einen psychologisch unschätzbaren Sieg davon.

Der heimliche Held in diesem Roman des sechsundfünfzigjährigen Norwegers Roy Jacobsen ist der einfältige Timo, denn als die Finnen den Ort verlassen und anzünden, damit die Russen nichts zu erobern haben, bleibt Timo einfach da. Die Russen töten ihn tatsächlich nicht, sie brauchen ihn nämlich, weil er Holzfäller ist. Ihm wird eine Gruppe Zwangsarbeiter zugeordnet, sie fällen für die Russen Holz, wohnen in einem der wenigen stehengebliebenen Häuser und werden im Laufe der kurzen Zeit (die Schlacht von Suomussalmi dauerte einen Monat) von ihm gerettet: Timo ist ein guter Engel und die Verkörperung der finnischen Sisu.

Aber obwohl er die Hauptfigur ist, wird auch jede Nebenfigur lebendig, weil eben jede ihr Leben hat, jede ist ein Individuum: die beiden jüdischen Brüder aus Kiew, der russische Bauer aus Karelien oder Suslow, der furchtsame Lehrer. Sie erzählen von sich, aber doch nicht alles. Sie haben ihre Geheimnisse, Sehnsüchte, Hoffnungen, aber durch den Krieg erhalten diese Gefühle ihre besondere Tiefe. So wie sich Timo erst durch den kriegerischen Ausnahmezustand bewähren kann und zur Freiheit gelangt, durch seinen freien Willen und seine verantwortungsvolle Wahl: Er entschließt sich für das Leben gegen die Absurdität. Das klingt jetzt nach Sartre und ist es auch, aber Jacobsen ist ein unprätentiöser, manchmal selbst naiver Autor, man merkt das gar nicht. Die Zeichnung seiner Figuren und die Spannungen und Interessen zwischen ihnen überlagern das theoretische Gerüst eines alt gewordenen Existentialismus. Selbst die russischen Militärs sind psychologisch plausibel ausgeleuchtet, genau wie die unheimliche, undurchsichtige Figur Nikolaj, der Dolmetscher, der schon wegen seines Jobs keiner Seite anzugehören scheint.

Timo hat ein besonderes Verhältnis zum Holz, er erkennt "sein" Holz noch nach Monaten, nach der Art, wie es gespaltet wurde. So ist er ein ferner Verwandter von Naturgenies wie Høegs Fräulein Smilla oder Grenouille aus Süskinds "Parfüm", mit dem bezeichnenden Unterschied, dass Timo weder besonders intelligent noch böse ist. Er ist schlicht ein guter Kerl. In Jacobsens Roman wird Tragisches, Empörendes nebenbei erzählt. Er lässt einen nicht deprimiert zurück, selbst wenn Timo später doch noch der Tod holt, aber er hat seine Aufgabe erfüllt und darf sich guten Gewissens verabschieden.

PETER URBAN-HALLE

Roy Jacobsen: "Das Dorf der Wunder". Roman.

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Osburg Verlag, Berlin 2010. 237 S., geb., 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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