Sie leben wie Fremde unter uns
Sie wirken, als seien sie ständig auf der Suche, sind impulsiv, hyperaktiv. Sie ritzen und schneiden sich, hungern sich manchmal beinahe zu Tode: Kinder einer halt- und schutzlosen Generation, Verstörte und Störenfriede in einer glitzernden Medienwelt. Wer sind diese Kinder und Jugendlichen, die häufig in auf den ersten Blick harmonischen Familien aufwachsen, denen dennoch etwas Entscheidendes fehlt?
In eindrucksvollen Fallgeschichten zeichnet Wolfgang Bergmann das Psychogramm einer Generation, die in hohem Maß durch die zeitgenössische Medienwelt mit ihren Idealbildern geprägt ist. Klar und schonungslos benennt er die eigentlichen Ursachen dafür, dass Kinder zu Zappelphilippen oder magersüchtigen Narzissten werden. Und macht dennoch Mut, wenn er Eltern wieder lehrt, rückhaltlos ihrer natürlichen Elternliebe zu vertrauen.
Sie wirken, als seien sie ständig auf der Suche, sind impulsiv, hyperaktiv. Sie ritzen und schneiden sich, hungern sich manchmal beinahe zu Tode: Kinder einer halt- und schutzlosen Generation, Verstörte und Störenfriede in einer glitzernden Medienwelt. Wer sind diese Kinder und Jugendlichen, die häufig in auf den ersten Blick harmonischen Familien aufwachsen, denen dennoch etwas Entscheidendes fehlt?
In eindrucksvollen Fallgeschichten zeichnet Wolfgang Bergmann das Psychogramm einer Generation, die in hohem Maß durch die zeitgenössische Medienwelt mit ihren Idealbildern geprägt ist. Klar und schonungslos benennt er die eigentlichen Ursachen dafür, dass Kinder zu Zappelphilippen oder magersüchtigen Narzissten werden. Und macht dennoch Mut, wenn er Eltern wieder lehrt, rückhaltlos ihrer natürlichen Elternliebe zu vertrauen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.09.2006Phantasie oder Medienbilder
Wolfgang Bergmann: „Das Drama des modernen Kindes”.
Unsere moderne Gesellschaftskultur kann mit Kindern eigentlich nichts anfangen. Sie stören an allen Ecken und Kanten, deshalb entwickeln sie Störungen.” Wolfgang Bergmann, renommierter Kindertherapeut und Verfasser mehrerer Bücher zu Erziehungsfragen, zeigt in diesem nicht nur für Eltern lesenswerten Buch Zusammenhänge auf zwischen derzeit grassierenden Störungsbildern wie AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen) oder Essstörungen und den Eigenheiten und Gesetzmäßigkeiten der modernen westlichen Gesellschaft, die von den Medien stärker geprägt ist, als sie sich eingestehen will.
Das Buch ist erstmals 2003 erschienen und wurde jetzt als Taschenbuch in der Beltz-Ratgeber-Reihe herausgegeben; an Aktualität hat es in den vergangenen Jahren eher dazu gewonnen. Es handelt sich jedoch nicht um einen Elternratgeber im herkömmlichen Sinn; Bergmann versucht vielmehr, ein atmosphärisches Zustandsbild der Gesellschaft zu entwerfen und durch vielerlei Fallgeschichten plastisch zu vermitteln und so den rapide zunehmenden Anstieg von „Modediagnosen” wie ADHS, Selbstverletzung und Magersucht in einen größeren, komplexeren Erklärungskontext zu stellen.
In einer Zeit des allgemeinen Suchens nach einfachen Erklärungen (im Falle von ADHS zum Beispiel einer Hirnstoffwechselstörung, der mit Psychopharmaka schnell und einfach beizukommen sein soll) ist es ihm hoch anzurechnen, keine linearen Erklärungen und schnellen Lösungen vorzuschlagen.
Das Buch ist leicht und unterhaltsam geschrieben und gut zu lesen, die komplexen Argumentationsstränge vor psychoanalytischem Hintergrund erschließen sich jedoch nicht so ohne weiteres. Bergmann stellt einzelne Kinder vor, nimmt ihnen gewissermaßen das Etikett, mit dem man sie versehen hat, und fächert die dahinterliegende individuelle Lebensgeschichte auf. Oft skizziert er sie unvollständig, assoziativ, pointiert, um dann die Phänomene zu bündeln zu einer Reihe allgemeiner Beobachtungen und Hypothesen. Er beschreibt zum Beispiel, wie Inhalte und Darstellungsweise moderner Medien in frappierender Weise kindlichen Tagträumen ähneln, welche durch Computerspiele „ersetzt” werden können. So setzen sich künstliche, vorgegebene Erlebniswelten unmerklich an Stelle der eigenen Phantasie und entfernen die Kinder von sich selbst. Es geht Bergmann um die gesellschaftliche Relevanz von kindlichen Störungen. Die Lebensbedingungen von Kindern und Familien werden immer schwieriger in einer schnelllebigen, auf größtmögliche Effizienz ausgerichteten Gesellschaft. Fortwährend müssen sie sich anpassen, der Medienkultur mit ihrem Bilder- und Informationsstrom und ihren realitätsverzerrenden Werbebotschaften sind sie wehrlos ausgeliefert, schon die Kleinsten können sich kaum noch entziehen.
Mit seinen Fallgeschichten illustriert Bergmann die enorme Verunsicherung moderner Familien in den westlichen Kulturen, denen ganze Wertesysteme verloren gegangen sind und ersetzt wurden durch die Erwartungen und Versprechungen aus den Medien. Vielen Kindern fehlt deshalb der emotionale Halt. Doch durch klare, verlässliche Bindungen, jenseits von Werbebotschaften und Leistungsnormen, können Eltern, könnte die Gesellschaft ein Gegengewicht setzen. Dies ist die dann am Ende doch ganz einfache Botschaft dieses wichtigen Buches.
SUSANNE MEINCKEN
WOLFGANG BERGMANN: Das Drama des modernen Kindes – Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung. Beltz Ratgeber Taschenbuch 891, 2006. 204 Seiten, 12,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Wolfgang Bergmann: „Das Drama des modernen Kindes”.
Unsere moderne Gesellschaftskultur kann mit Kindern eigentlich nichts anfangen. Sie stören an allen Ecken und Kanten, deshalb entwickeln sie Störungen.” Wolfgang Bergmann, renommierter Kindertherapeut und Verfasser mehrerer Bücher zu Erziehungsfragen, zeigt in diesem nicht nur für Eltern lesenswerten Buch Zusammenhänge auf zwischen derzeit grassierenden Störungsbildern wie AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen) oder Essstörungen und den Eigenheiten und Gesetzmäßigkeiten der modernen westlichen Gesellschaft, die von den Medien stärker geprägt ist, als sie sich eingestehen will.
Das Buch ist erstmals 2003 erschienen und wurde jetzt als Taschenbuch in der Beltz-Ratgeber-Reihe herausgegeben; an Aktualität hat es in den vergangenen Jahren eher dazu gewonnen. Es handelt sich jedoch nicht um einen Elternratgeber im herkömmlichen Sinn; Bergmann versucht vielmehr, ein atmosphärisches Zustandsbild der Gesellschaft zu entwerfen und durch vielerlei Fallgeschichten plastisch zu vermitteln und so den rapide zunehmenden Anstieg von „Modediagnosen” wie ADHS, Selbstverletzung und Magersucht in einen größeren, komplexeren Erklärungskontext zu stellen.
In einer Zeit des allgemeinen Suchens nach einfachen Erklärungen (im Falle von ADHS zum Beispiel einer Hirnstoffwechselstörung, der mit Psychopharmaka schnell und einfach beizukommen sein soll) ist es ihm hoch anzurechnen, keine linearen Erklärungen und schnellen Lösungen vorzuschlagen.
Das Buch ist leicht und unterhaltsam geschrieben und gut zu lesen, die komplexen Argumentationsstränge vor psychoanalytischem Hintergrund erschließen sich jedoch nicht so ohne weiteres. Bergmann stellt einzelne Kinder vor, nimmt ihnen gewissermaßen das Etikett, mit dem man sie versehen hat, und fächert die dahinterliegende individuelle Lebensgeschichte auf. Oft skizziert er sie unvollständig, assoziativ, pointiert, um dann die Phänomene zu bündeln zu einer Reihe allgemeiner Beobachtungen und Hypothesen. Er beschreibt zum Beispiel, wie Inhalte und Darstellungsweise moderner Medien in frappierender Weise kindlichen Tagträumen ähneln, welche durch Computerspiele „ersetzt” werden können. So setzen sich künstliche, vorgegebene Erlebniswelten unmerklich an Stelle der eigenen Phantasie und entfernen die Kinder von sich selbst. Es geht Bergmann um die gesellschaftliche Relevanz von kindlichen Störungen. Die Lebensbedingungen von Kindern und Familien werden immer schwieriger in einer schnelllebigen, auf größtmögliche Effizienz ausgerichteten Gesellschaft. Fortwährend müssen sie sich anpassen, der Medienkultur mit ihrem Bilder- und Informationsstrom und ihren realitätsverzerrenden Werbebotschaften sind sie wehrlos ausgeliefert, schon die Kleinsten können sich kaum noch entziehen.
Mit seinen Fallgeschichten illustriert Bergmann die enorme Verunsicherung moderner Familien in den westlichen Kulturen, denen ganze Wertesysteme verloren gegangen sind und ersetzt wurden durch die Erwartungen und Versprechungen aus den Medien. Vielen Kindern fehlt deshalb der emotionale Halt. Doch durch klare, verlässliche Bindungen, jenseits von Werbebotschaften und Leistungsnormen, können Eltern, könnte die Gesellschaft ein Gegengewicht setzen. Dies ist die dann am Ende doch ganz einfache Botschaft dieses wichtigen Buches.
SUSANNE MEINCKEN
WOLFGANG BERGMANN: Das Drama des modernen Kindes – Hyperaktivität, Magersucht, Selbstverletzung. Beltz Ratgeber Taschenbuch 891, 2006. 204 Seiten, 12,90 Euro.
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