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Die Slowakei: Kaum ein Land im Herzen Europas ist so unbekannt wie sie. Doch eines weiß man von ihr: Sie war in den Jahren des Zweiten Weltkriegs eine Verbündete des Deutsches Reiches. Entgegen einer weitverbreiteten Einschätzung war sie jedoch weit davon entfernt, ein Mustersatellit der Deutschen unter der Leitung einer Marionettenregierung zu sein. Dies mussten auch die deutschen Berater erkennen, die seit 1940 die slowakischen Institutionen auf breiter Ebene "gleichschalten" sollten. Die Analyse zeigt, dass die slowakische Politik vor allem dann, wenn es um die Organisation der Nation durch…mehr

Produktbeschreibung
Die Slowakei: Kaum ein Land im Herzen Europas ist so unbekannt wie sie. Doch eines weiß man von ihr: Sie war in den Jahren des Zweiten Weltkriegs eine Verbündete des Deutsches Reiches. Entgegen einer weitverbreiteten Einschätzung war sie jedoch weit davon entfernt, ein Mustersatellit der Deutschen unter der Leitung einer Marionettenregierung zu sein. Dies mussten auch die deutschen Berater erkennen, die seit 1940 die slowakischen Institutionen auf breiter Ebene "gleichschalten" sollten. Die Analyse zeigt, dass die slowakische Politik vor allem dann, wenn es um die Organisation der Nation durch die alleinregierende Hlinkapartei ging, "Eigensinn" bewies und sich auch gegen die Berater durchsetzte. Auf anderen Gebieten hingegen führten identische Interessen zu enger Kooperation, beispielsweise bei der Verfolgung der slowakischen Juden - der SS-Offizier Dieter Wisliceny konnte sich als "Judenberater" auf einen traditionell vorhandenen Antisemitismus stützen. 1942 wurden mehr als 60.000 slowakische Juden deportiert. Das Buch stützt sich auf eine breite Basis bisher nicht rezipierter deutscher und slowakischer Quellen. Es bietet eine facettenreiche Binnensicht auf den slowakischen Staat, z.B. auf die wirtschaftliche und militärische Kooperation mit Hitler und auf die Hlinkapartei und ihre Organisationen. Es zeigt auch, weshalb die heutigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Slowakei als weitgehend unbelastet gelten können.
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Autorenporträt
Prof. Dr. Tatjana Tönsmeyer (geb. 1968) ist Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Keine willenlosen Marionetten
Die Slowakei, der Nationalsozialismus und die "Endlösung"

Tatjana Tönsmeyer: Das Dritte Reich und die Slowakei 1939-1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004. 387 Seiten, 48,- [Euro].

Im Kreis jener Kleinstaaten, die das "Dritte Reich" durch Machtprojektion, Besetzung und Eroberung in seinen Griff nahm, zeigt sich die Slowakei als Sonderfall. Für Hitler gehörte das Land zum "großgermanischen Raum", und anders als die Territorien von Tschechen oder Polen blieben die slowakischen Gebiete unbesetzt. Gleichwohl war das Land den NS-Machthabern nicht gleichgültig. Sie versuchten seit Sommer 1940, den slowakischen Staat durch ein System von "Beratern" gefügig in die Eroberungspolitik einzupassen. Tatjana Tönsmeyer hat dieses "Beratersystem" erstmals eingehend in seinen Absichten und Zielen, aber auch in seiner begrenzten Wirkung analysiert. Ihre biographisch-strukturell konzipierte und auf breiter Quellenbasis fußende Studie präzisiert den generellen Blick auf den slowakischen Staat und differenziert zugleich eine Reihe bis in die Gegenwart verbreiteter Meinungen zum deutsch-slowakischen Verhältnis.

Da ist zunächst die Slowakei-Perzeption wichtiger deutscher Akteure, von Hitler über Himmler und Göring bis zum Auswärtigen Amt. Frau Tönsmeyer konstatiert, daß die Perzeption der deutschen Führung durch eine "Tradition der Nichtwahrnehmung" geprägt gewesen sei, deren Wurzeln bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurückreichen. Diese Perzeption unterschied sich markant von der gleichfalls tiefwurzelnden Tradition einer "Fixierung auf die negativ stereotypisierten Tschechen". Vor diesem Hintergrund entschwanden die Slowaken gleichsam aus dem Visier eines deutscherseits entworfenen europaweiten "Volkstumskampfes", so daß für sie vor allem die Assimilierung (und nicht die Aussiedlung) im Kontext einer künftigen "völkischen Flurbereinigung" projektiert wurde.

Als das Auswärtige Amt im Zuge der Siegeseuphorie des Sommers 1940 die Slowakei stärker ins Visier nahm, begann auch die hohe Zeit des "Beratersystems". Bis zum Herbst 1940 wurde diese Gruppe von SA- und SS-Experten, die mitsamt ihren Stäben rund 80 Personen umfaßte, in nahezu jedem Bereich des slowakischen öffentlichen Lebens installiert. Sie sollte sicherstellen, daß das Land im Krieg "auf Vordermann marschiert", wie Manfred von Killinger formulierte, der bis zum Dezember 1940 an der Spitze des Beratersystems stand. Dessen praktische Wirkung allerdings war, wie detailliert herausgearbeitet wird, vergleichsweise gering und von zahlreichen Fehlperzeptionen auf beiden Seiten durchzogen. Die deutschen Berater trafen auf ein hohes Maß an Kollaborationswilligkeit, das sie oft mit Einfluß verwechselten. Sie wurden erfolgreich "abgeblockt", sobald sie zu sehr in die Organisation der slowakischen Gesellschaft einzugreifen suchten. Auch die Slowakei offenbarte sich im übrigen als verlängerter Kampfplatz der allgegenwärtigen Institutionen-Polykratie zwischen Auswärtigem Amt, SD/SS und Reichsinnenministerium. Frau Tönsmeyer kommt zu dem Ergebnis, daß das Auswärtige Amt "die gestaltende Kraft in der Slowakei" blieb und dessen Vorgehen insgesamt als Teil der "revolutionären Außenpolitik" des Außenministers Joachim von Ribbentrop zu interpretieren ist.

Mit Blick auf die Behandlung der jüdischen Slowaken im Kontext der deutschen "Endlösungs"-Politik - hier fungierte der gerade 30 Jahre alte Dieter Wisliceny als Berater - wendet sich Frau Tönsmeyer gegen die in der Literatur häufig zu findende These, wonach sich "die antijüdische Politik des slowakischen Staates bis zum Sommer 1940 . . . als Entgegenkommen gegenüber deutschen Wünschen interpretieren" lasse. Sie betont demgegenüber, daß die antijüdische Gesetzgebung "unmittelbar" nach der Staatsbildung im März 1939 mit "erstaunlicher Geschwindigkeit und Dichte" einsetzte. Und sie identifiziert ein "klares ,slowakisches Profil'", dessen Wurzeln bis in die Judenfeindschaft des 19. Jahrhunderts zurückreichen.

Frau Tönsmeyer zeigt schließlich, wie bis in die jüngste Vergangenheit Forschungsfragen von politischen Determinanten der Nachkriegszeit geprägt blieben: Vor 1989 wurden weite Bereiche der Archivbestände zum slowakischen Staat absichtlich nicht inventarisiert, um Forschungen zu erschweren. Man wollte verhindern, daß der mögliche Rekurs auf einen slowakischen Nationalstaat Nahrung erhielt und so einen erneuten Keil in die wieder zusammengefügte Tschechoslowakei hätte treiben können. Der slowakische Staat im Zweiten Weltkrieg war keineswegs ein schlichter Befehlsausführer Berliner Direktiven, seine Politiker waren keineswegs willenlose Marionetten an den Fäden des "Dritten Reiches". Vielmehr handelte es sich um eine komplexe Mischung von Kollaboration, Interessenidentität und eigensinnigem slowakischen Beharrungsvermögen.

MAGNUS BRECHTKEN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Magnus Brechtken hat neue Perspektiven in Tatjana Tönsmeyers Studie über "Das Dritte Reich und die Slowakei 1939-1945" entdeckt, eine Differenzierung des deutsch-slowakischen Verhältnis während der nationalsozialistischen Besatzungszeit. Dieses stellt sich Tönsmeyers genauem Blick dar als "eine komplexe Mischung von Kollaboration, Interessenidentität und eigensinnigem slowakischen Beharrungsvermögen". Hitlers Überzeugung, die Slowakei sei ein "großgermanischer Raum", gab dem Land den Status eines Sonderfalls. Die Nationalsozialisten implementierten ein Berater-System, das Tönsmeyer nun "biografisch-strukturell" und von breiter Quellenbasis aus angeht. Es stellt sich heraus, so Brechtken, dass die Slowakei sich als durchaus williger Helfer erwies. Die rund 80 SA- und SS-Experten mit ihren Berater-Mitarbeitern gerierten sich zwar als einflussmächtig, in Wahrheit jedoch agierten die Slowaken durchaus selbständig und verstanden es sogar, zu weit gehende Einflussnahmen zu vereiteln. Auch der grassierende Antisemitismus, so Tönsmeyers Befund, ist nicht allein auf deutsches Drängen zurückzuführen, sondern hat Wurzeln, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen.

© Perlentaucher Medien GmbH