Sie schrieb genauso fundiert über Giftgas wie über die Diskriminierung der Frauen oder Musik im Stummfilm. Und das zu einer Zeit, in der der Holocaust nicht mehr als eine Ahnung war und Männer alle Bereiches des gesellschaftlichen Lebens zu dominieren schienen. Dora Benjamin war einmalig, auch wenn ihr Genie stets von dem ihres Ehemanns Walter Benjamin verdeckt blieb. Trotz ihrer ungewöhnlichen Selbstständigkeit war sie ihm verfallen und verzieh ihm seine zahllosen Affären. Das Echo deiner Frage thematisiert erstmals ausführlich die dramatische Beziehung des Paares zueinander, zweier Menschen, die aufgrund ihrer Unangepasstheit und ihrer jüdischen Abstammung stets heimatlos blieben, damit jedoch höchst unterschiedlich umgingen.
Eine spannende Paarbiographie, in deren Mittelpunkt eine Frau steht, deren von Selbstverwirklichung, aufopfernder Liebe, Flucht und Verfolgung geprägtes Leben auch heute noch brandaktuell ist.
Eine spannende Paarbiographie, in deren Mittelpunkt eine Frau steht, deren von Selbstverwirklichung, aufopfernder Liebe, Flucht und Verfolgung geprägtes Leben auch heute noch brandaktuell ist.
»Das quellenreiche Buch, das die erfahrene Biografin Eva Weissweiler recherchiert hat, löst sich ohne Aufheben von der Theoriegeschichte um Benjamin und erzählt lieber in Mikro-Milieuporträts, sozialhistorisch präzise, von einem asymmetrischen modernen Paar.« Elisabeth von Thadden ZEIT Literatur 20200312
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2020Und immer kehrten sie wieder zueinander zurück
Noch eine Frau, die aus dem Schatten eines berühmten Mannes ans Licht zu holen ist: Eva Weissweiler widmet sich Dora Kellner, verheirateter Benjamin
Prominente Herz-und-Schmerz-Geschichten haben bekanntlich ein Publikum. Inzwischen rekrutieren sie ihr Personal allerdings auch in ganz anderen Milieus als den gewohnten Fürstenhäusern. Da liest man dann auch gern einmal den Liebesbriefwechsel eines hermetischen Poeten, solange man sich damit sein Werk erspart. Für wen also ist diese "Biographie einer Beziehung"? Für die Leser Walter Benjamins gewiss nicht, überfliegt man die ebenso kurzen wie nichtssagenden Ausflüge in sein Denken. Für die Leser Dora Benjamins? Die müsste man erst schaffen.
Seit Jahr und Tag floriert ein biographisches Genre, das beansprucht, unterschätzte (meist weibliche) Mitmenschen einer (meist männlichen) Berühmtheit endlich in ihr ebenbürtiges Recht zu setzen. Allerdings leiden diese Versuche regelmäßig an einem leicht erkennbaren Widerspruch: Sie können den Gegenstand ihrer Aufwertung nur deshalb zum Gegenstand machen, weil sie ihn jenem Gegenüber verdanken, von dem sie ihn gerade emanzipieren wollen. Oder kurz: Hätte Dora Kellner nicht 1917 Walter Benjamin geheiratet, sie wäre auch ihrer Biographin bis heute völlig unbekannt. Folgt daraus aber schon eine Bedeutung, die ein ganzes Buch rechtfertigt?
Eva Weissweiler legt die Latte hoch: "Dora Benjamin ist als Autorin noch zu entdecken, da ihr Genie stets von dem Walter Benjamins verdeckt wurde." Das Buch allerdings enthält nichts, was diese Gleichsetzung rechtfertigt. Zum Schluss bemängelt die Autorin: "Eine umfassende Edition der Schriften von Dora Sophie Kellner/Benjamin steht noch aus." In der folgenden Bibliographie findet sich solider Tagesjournalismus, doch verlangen Artikel wie "Urlaub von der Ehe", "Die Lady und ihr Garten" oder selbst "Der neue Galsworthy" tatsächlich nach umfassender Edition? Und selbst Eva Weissweiler bescheinigt Dora Benjamins Fortsetzungsroman "Gas gegen Gas", dieses "Stück gelungener, politischer Unterhaltungsprosa, gewürzt mit Sarkasmus und Inselromantik", verliere sich bei Halbzeit "in komplizierten Dreier- und Vierer-Liebesgeschichten, die den Leser ermüden". Davon dürfte es noch mehr gegeben haben in der Berliner Zeitungswelt. Aber könnte es sein, dass sich der Wunsch nach Aufwertung und Nachlasseditionen eben doch nur wieder dem Namen des Ehemanns verdankt?
Also zurück an den Anfang. Dora und Walter Benjamin kannten sich aus der Jugendbewegung, waren von 1917 bis 1930 verheiratet, hatten einen Sohn, betrogen einander mit Freunden und mit Fremden, kamen sich aber nach der erbittert umkämpften Scheidung wieder sehr nahe, in jenen langen Exiljahren, als Dora Benjamin in Sanremo eine Pension betrieb, wo Walter lange und gern zu Gast war. All das ist bekannt. Etwas beizutragen hat Eva Weissweiler am ehesten zu Dora Kellners Jugendgeschichte, zu ihrem Vater, dem Mathematiker und Zionisten Leon Kellner, dann zum Leben der kleinen Familie im Berliner Haus von Benjamins Eltern und zu ihrer späteren Berufstätigkeit als Journalistin. Genretypisch natürlich auch viel zu den diversen Seitensprüngen, für den, den's interessiert.
Trotzdem macht einen die Lektüre nicht froh. Das liegt an dem mäandernden Stil der Autorin, die es in ein und demselben Satz von Benjamins mangelnder Vaterliebe über Zwischenstationen hinüberschafft bis zur Ko-Autorin einer psychologischen Monographie von William Stern; das liegt an ihrer Neigung zu floskelhaften Gemeinplätzen ("eine Neuigkeit jagte die andere", "Verrisse, die sich gewaschen haben"); an den unfreiwillig komischen Metaphern ("sie war jetzt kein dummes Gretchen mehr, das sich wegen ,ehewidrigen Verhaltens' abstrafen ließ wie ein Schulkind"); das liegt an ihrer romanhaft exakten Kenntnis, was die Heldin gerade fühlt, wünscht und denkt.
Für ein Buch, das eben kein Roman ist, sortiert Eva Weissweiler zudem ihre Quellen recht eigenmächtig. Dora Benjamins Aussagen gelten fast immer als Tatsachen, ebenso positive Charakterisierungen durch Dritte. Kaum wird eine kritische Stimme laut, ist sie voreingenommen, "diskriminierend" oder einfach "objektiv falsch"; schlimmstenfalls redet so einer - ob Gershom Scholem oder Herbert Belmore - "wahrscheinlich aus Frustration und verschmähter Liebe". Steht auf der einen Seite noch "Wahrscheinlich" oder "Vielleicht ahnte er", so wird die Sache auf der nächsten bereits als Tatsache verbucht, sofern die Logik nicht gleich die allermodernste Abkürzung nimmt: "Dieser Hass ist eigentlich nur durch sexuellen Missbrauch zu erklären." Psychologisiert wird ausgiebig - und Karl Kraus en passant zu den Verehrern Freuds sortiert.
Tut die Biographin ihrer Figur damit tatsächlich einen Gefallen? Dora Benjamin war nach vielen Zeugnissen eine interessante und eigenständige, charmante und intelligente Frau, die es nicht leicht hatte mit ihrem zwar genialen, aber auch extrem verschrobenen und zuweilen unangenehmen, ja illoyalen Ehemann. Doch Eva Weissweilers ständig im Vorhersehbaren bleibenden Versuche, ihr eine überragende Bedeutung zuzuschreiben, die sie nicht hatte, läuft Gefahr, ganz unverdient auf den Gegenstand dieser Lobhudelei abzufärben. Dazu kommen die ständigen Vorwürfe, nicht nur Benjamins Zeitgenossen, sondern auch seine späteren Biographen hätten sie systematisch als "böse Frau" verleumdet. Zumindest in den öffentlich zugänglichen Standardwerken sucht man vergebens; aber was soll's, das Programm braucht genretypisch die feindlichen Pappkameraden. Zur Gruppe der Pappkameradinnen wiederum zählt Benjamins zäh umworbene Geliebte Asja Lacis, an der die Biographin kein gutes Haar zu finden vermag. Der Leser aber fragt sich, warum Biographien tatsächlich Partei ergreifen müssen in einem fast hundert Jahre alten Rosenkrieg - und ahnt dabei bereits das griffige Konkurrenzprodukt über "Benjamins verleumdete Geliebte".
Und noch zwei Fragen stellt er sich. Warum eigentlich wird, dem emanzipatorischen Programm zum Trotz, die Frau durchgehend nur mit ihrem Vornamen Dora benannt und verkindlicht, während der Herr der Schöpfung Anrecht hat auf seinen Familiennamen Benjamin? Und warum verliert die Autorin eigentlich das Interesse an ihrer Heldin, sobald der Ehemann aus dem Blickfeld gerät? Denn nach der Scheidung bringt diese "Biografie einer Beziehung" nur noch ein paar kursorische Absätze - mit einem kuriosen Verweis auf die Sekundärliteratur: Über die Exiljahre sei "so unendlich viel geforscht und geschrieben worden, dass hier auf weitere Ausführungen verzichtet werden kann". Das hätte weiß Gott auch für anderes gegolten.
Was ist der Sinn biographischer Forschung? Doch sicher die Rekonstruktion von Gestalten, von intellektuellen Physiognomien; das Nachvollziehen einer geistigen Existenz im Zusammenhang ihrer Zeit, in Einklang, Gegnerschaft oder Gleichgültigkeit. Jedoch bestimmt nicht - was man ihr häufig vorwirft - die Aufdeckung von Privatissima bekannter Personen. Kann Eva Weissweiler ihr Programm einlösen? Treten Dora Benjamin und "ihr Genie" aus dem Schatten ihres Mannes? Sicher nicht. Kann sie etwas beitragen zum Verständnis, wie die Erfahrung des eigenen Lebens Impulse gegeben hat für eine intellektuelle Epoche und für den bedeutenden Intellektuellen, ohne den es dieses Buch nicht gäbe? Wenig. Das Genre der romanesken, einfühlenden, allwissenden, psychologisierenden Trivialbiografik über Leute, von denen man sonst nichts lesen oder wissen will, schafft vor allem eines: Es macht Geistes- zu Alltagsgeschichte. Die findet hier ihre kongeniale Form: "Nach langen Trennungen, in denen der Briefkontakt nie abriss, kehrten sie immer wieder zu-einander zurück und hatten sich viel zu erzählen. So wurde es niemals langweilig. Ganz im Gegenteil." Dem schließt der Leser sich nicht an.
WOLFGANG MATZ.
Eva Weissweiler: "Das Echo Deiner Frage". Dora und Walter Benjamin.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020. 368 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Noch eine Frau, die aus dem Schatten eines berühmten Mannes ans Licht zu holen ist: Eva Weissweiler widmet sich Dora Kellner, verheirateter Benjamin
Prominente Herz-und-Schmerz-Geschichten haben bekanntlich ein Publikum. Inzwischen rekrutieren sie ihr Personal allerdings auch in ganz anderen Milieus als den gewohnten Fürstenhäusern. Da liest man dann auch gern einmal den Liebesbriefwechsel eines hermetischen Poeten, solange man sich damit sein Werk erspart. Für wen also ist diese "Biographie einer Beziehung"? Für die Leser Walter Benjamins gewiss nicht, überfliegt man die ebenso kurzen wie nichtssagenden Ausflüge in sein Denken. Für die Leser Dora Benjamins? Die müsste man erst schaffen.
Seit Jahr und Tag floriert ein biographisches Genre, das beansprucht, unterschätzte (meist weibliche) Mitmenschen einer (meist männlichen) Berühmtheit endlich in ihr ebenbürtiges Recht zu setzen. Allerdings leiden diese Versuche regelmäßig an einem leicht erkennbaren Widerspruch: Sie können den Gegenstand ihrer Aufwertung nur deshalb zum Gegenstand machen, weil sie ihn jenem Gegenüber verdanken, von dem sie ihn gerade emanzipieren wollen. Oder kurz: Hätte Dora Kellner nicht 1917 Walter Benjamin geheiratet, sie wäre auch ihrer Biographin bis heute völlig unbekannt. Folgt daraus aber schon eine Bedeutung, die ein ganzes Buch rechtfertigt?
Eva Weissweiler legt die Latte hoch: "Dora Benjamin ist als Autorin noch zu entdecken, da ihr Genie stets von dem Walter Benjamins verdeckt wurde." Das Buch allerdings enthält nichts, was diese Gleichsetzung rechtfertigt. Zum Schluss bemängelt die Autorin: "Eine umfassende Edition der Schriften von Dora Sophie Kellner/Benjamin steht noch aus." In der folgenden Bibliographie findet sich solider Tagesjournalismus, doch verlangen Artikel wie "Urlaub von der Ehe", "Die Lady und ihr Garten" oder selbst "Der neue Galsworthy" tatsächlich nach umfassender Edition? Und selbst Eva Weissweiler bescheinigt Dora Benjamins Fortsetzungsroman "Gas gegen Gas", dieses "Stück gelungener, politischer Unterhaltungsprosa, gewürzt mit Sarkasmus und Inselromantik", verliere sich bei Halbzeit "in komplizierten Dreier- und Vierer-Liebesgeschichten, die den Leser ermüden". Davon dürfte es noch mehr gegeben haben in der Berliner Zeitungswelt. Aber könnte es sein, dass sich der Wunsch nach Aufwertung und Nachlasseditionen eben doch nur wieder dem Namen des Ehemanns verdankt?
Also zurück an den Anfang. Dora und Walter Benjamin kannten sich aus der Jugendbewegung, waren von 1917 bis 1930 verheiratet, hatten einen Sohn, betrogen einander mit Freunden und mit Fremden, kamen sich aber nach der erbittert umkämpften Scheidung wieder sehr nahe, in jenen langen Exiljahren, als Dora Benjamin in Sanremo eine Pension betrieb, wo Walter lange und gern zu Gast war. All das ist bekannt. Etwas beizutragen hat Eva Weissweiler am ehesten zu Dora Kellners Jugendgeschichte, zu ihrem Vater, dem Mathematiker und Zionisten Leon Kellner, dann zum Leben der kleinen Familie im Berliner Haus von Benjamins Eltern und zu ihrer späteren Berufstätigkeit als Journalistin. Genretypisch natürlich auch viel zu den diversen Seitensprüngen, für den, den's interessiert.
Trotzdem macht einen die Lektüre nicht froh. Das liegt an dem mäandernden Stil der Autorin, die es in ein und demselben Satz von Benjamins mangelnder Vaterliebe über Zwischenstationen hinüberschafft bis zur Ko-Autorin einer psychologischen Monographie von William Stern; das liegt an ihrer Neigung zu floskelhaften Gemeinplätzen ("eine Neuigkeit jagte die andere", "Verrisse, die sich gewaschen haben"); an den unfreiwillig komischen Metaphern ("sie war jetzt kein dummes Gretchen mehr, das sich wegen ,ehewidrigen Verhaltens' abstrafen ließ wie ein Schulkind"); das liegt an ihrer romanhaft exakten Kenntnis, was die Heldin gerade fühlt, wünscht und denkt.
Für ein Buch, das eben kein Roman ist, sortiert Eva Weissweiler zudem ihre Quellen recht eigenmächtig. Dora Benjamins Aussagen gelten fast immer als Tatsachen, ebenso positive Charakterisierungen durch Dritte. Kaum wird eine kritische Stimme laut, ist sie voreingenommen, "diskriminierend" oder einfach "objektiv falsch"; schlimmstenfalls redet so einer - ob Gershom Scholem oder Herbert Belmore - "wahrscheinlich aus Frustration und verschmähter Liebe". Steht auf der einen Seite noch "Wahrscheinlich" oder "Vielleicht ahnte er", so wird die Sache auf der nächsten bereits als Tatsache verbucht, sofern die Logik nicht gleich die allermodernste Abkürzung nimmt: "Dieser Hass ist eigentlich nur durch sexuellen Missbrauch zu erklären." Psychologisiert wird ausgiebig - und Karl Kraus en passant zu den Verehrern Freuds sortiert.
Tut die Biographin ihrer Figur damit tatsächlich einen Gefallen? Dora Benjamin war nach vielen Zeugnissen eine interessante und eigenständige, charmante und intelligente Frau, die es nicht leicht hatte mit ihrem zwar genialen, aber auch extrem verschrobenen und zuweilen unangenehmen, ja illoyalen Ehemann. Doch Eva Weissweilers ständig im Vorhersehbaren bleibenden Versuche, ihr eine überragende Bedeutung zuzuschreiben, die sie nicht hatte, läuft Gefahr, ganz unverdient auf den Gegenstand dieser Lobhudelei abzufärben. Dazu kommen die ständigen Vorwürfe, nicht nur Benjamins Zeitgenossen, sondern auch seine späteren Biographen hätten sie systematisch als "böse Frau" verleumdet. Zumindest in den öffentlich zugänglichen Standardwerken sucht man vergebens; aber was soll's, das Programm braucht genretypisch die feindlichen Pappkameraden. Zur Gruppe der Pappkameradinnen wiederum zählt Benjamins zäh umworbene Geliebte Asja Lacis, an der die Biographin kein gutes Haar zu finden vermag. Der Leser aber fragt sich, warum Biographien tatsächlich Partei ergreifen müssen in einem fast hundert Jahre alten Rosenkrieg - und ahnt dabei bereits das griffige Konkurrenzprodukt über "Benjamins verleumdete Geliebte".
Und noch zwei Fragen stellt er sich. Warum eigentlich wird, dem emanzipatorischen Programm zum Trotz, die Frau durchgehend nur mit ihrem Vornamen Dora benannt und verkindlicht, während der Herr der Schöpfung Anrecht hat auf seinen Familiennamen Benjamin? Und warum verliert die Autorin eigentlich das Interesse an ihrer Heldin, sobald der Ehemann aus dem Blickfeld gerät? Denn nach der Scheidung bringt diese "Biografie einer Beziehung" nur noch ein paar kursorische Absätze - mit einem kuriosen Verweis auf die Sekundärliteratur: Über die Exiljahre sei "so unendlich viel geforscht und geschrieben worden, dass hier auf weitere Ausführungen verzichtet werden kann". Das hätte weiß Gott auch für anderes gegolten.
Was ist der Sinn biographischer Forschung? Doch sicher die Rekonstruktion von Gestalten, von intellektuellen Physiognomien; das Nachvollziehen einer geistigen Existenz im Zusammenhang ihrer Zeit, in Einklang, Gegnerschaft oder Gleichgültigkeit. Jedoch bestimmt nicht - was man ihr häufig vorwirft - die Aufdeckung von Privatissima bekannter Personen. Kann Eva Weissweiler ihr Programm einlösen? Treten Dora Benjamin und "ihr Genie" aus dem Schatten ihres Mannes? Sicher nicht. Kann sie etwas beitragen zum Verständnis, wie die Erfahrung des eigenen Lebens Impulse gegeben hat für eine intellektuelle Epoche und für den bedeutenden Intellektuellen, ohne den es dieses Buch nicht gäbe? Wenig. Das Genre der romanesken, einfühlenden, allwissenden, psychologisierenden Trivialbiografik über Leute, von denen man sonst nichts lesen oder wissen will, schafft vor allem eines: Es macht Geistes- zu Alltagsgeschichte. Die findet hier ihre kongeniale Form: "Nach langen Trennungen, in denen der Briefkontakt nie abriss, kehrten sie immer wieder zu-einander zurück und hatten sich viel zu erzählen. So wurde es niemals langweilig. Ganz im Gegenteil." Dem schließt der Leser sich nicht an.
WOLFGANG MATZ.
Eva Weissweiler: "Das Echo Deiner Frage". Dora und Walter Benjamin.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2020. 368 S., br., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main