Was ist ein echtes Bild? Hans Belting sucht unser Bedürfnis nach dem wahren, authentischen Bild, das wir vor allem in der Wissenschaft verlangen, zu ergründen. Er zeigt, wie sehr die europäische Geschichte der Religion bis heute unsere Bildbegriffe und unser Bilddenken bestimmt. Belting schlägt souverän den Bogen von der Spätantike bis hin zu Fernsehen und Film unserer Tage. Dabei präsentiert er dem Leser eine neue Sicht auf die Geschichte des Bildes und setzt dessen Aktualität in ein ungewohntes Licht. Hans Belting setzt sich hier mit Fragestellungen seines zum Klassiker gewordenen Werks Bild und Kult erneut auseinander. Sein altes Thema, die Bedeutung des Bildes in der europäischen Kultur, beleuchtet er hier jedoch im Licht der von ihm begründeten Bild-Anthropologie. Dabei zeigt sich, wie stark unser Bilddenken auch heute noch in den alten Debatten der Religion verwurzelt ist. In den Kontroversen um Körper und Zeichen oder um Bild und Wort hat sich eine spezifisch europäische Kultur entwickelt, deren christliche Prägung auch in der Moderne noch fortlebt. Belting richtet seinen Blick unter anderem auf zwei Schwellenzeiten, von denen die europäische Kultur geprägt wurde: zum einen die Spät-antike, in der sich das Christentum formierte, und zum anderen die Reformation und den Konfessionsstreit, der tiefe Spuren im neuzeitlichen Weltbild hinterließ. Es ist das Anliegen des Buches, Bildwissenschaft als Kulturwissenschaft zu etablieren und dabei Religions- und Bildgeschichte in einen überraschenden Bezug zueinander zu bringen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Die Wahrheit steckt im Farbenspektrum der Palette
Ein Vademecum: Hans Belting diskutiert echte Bilder und falsche Körper / Von Michael Diers
Das Frontispiz des Buches von Hans Belting zeigt eine ungewöhnliche Szene. Ein Maler, die Rechte auf die Brust gelegt, in der Linken die Palette und einen Pinsel vorweisend, ist unter das Kreuz getreten und blickt voller Inbrunst zum Gekreuzigten auf. Das stumme Zwiegespräch läßt sich als fromme Andacht, zugleich aber auch als Fachdiskurs zwischen Künstler und Gottessohn auffassen. Im Gemälde Francisco de Zurbaráns, das diese Unmittelbarkeit stiftet, fallen heilige Stätte und profanes Atelier in eins. Das Farbenspektrum der Palette enthält sämtliche Inkarnat-, Braun- und Schattentöne, die ein Maler benötigt, um den Crucifixus wie gezeigt darzustellen.
Handelt es sich demnach um einen leibhaftigen oder um einen künstlichen Körper, um ein Bild, eine Erscheinung oder eine reale Begegnung? Die ungeheure Begebenheit, die den Maler an die Stelle des wortmächtigen Täufers Johannes nachrücken und ihn als einen anderen Pygmalion auftreten läßt, kann man nicht in rationalistischer Weise, vielmehr nur in theologischer, genauer bildtheologischer Hinsicht ausloten. Ebendieser Aufgabe unterzieht sich Hans Belting, indem er, wie es im Untertitel seines Buches heißt, "Bildfragen als Glaubensfragen" behandelt.
Fragen nach dem Status und der Qualität eines Bildes bewegen die gelehrte Welt seit rund zweieinhalb Jahrzehnten intensiv. Dazu sind Zahlreiche bildwissenschaftliche Ansätze entstanden, und sie konkurrieren inzwischen miteinander um die Bestimmung des altneuen Mediums, das selbst Unsichtbares sichtbar zu machen versteht. Die Kunstgeschichte trägt wesentlich dazu bei, dem neuen Fach den historischen Boden einzuziehen. Hatte Gottfried Boehm im Titel seiner weit verbreiteten, 1994 publizierten Anthologie aus vornehmlich philosophischer Perspektive danach gefragt, was ein Bild sei, und mit dieser scheinbar schlichten Frage einen wichtigen Stein des Anstoßes zur transdisziplinären Diskussion geliefert, so wartet der erste Satz des Belting-Buches zehn Jahre später mit einer neuen Frage auf: "Was ist ein echtes Bild?"
Die Spezifikation überrascht und leuchtet nicht unmittelbar ein. Ist sie vergleichbar grundlegend? Und überdies aktuell? Echtheit ist gemeinhin eher eine Kategorie des (Kunst-)Marktes und der Werbung, keine der hehren Ideenwelt. Heute meint "echt" in der Regel nur den Gegensatz zu falsch, künstlich oder nachgemacht. Ursprünglich aber entstammt das Adjektiv der Rechtssprache und bedeutete "recht" im Sinne von gesetzmäßig. In dieser Etymologie klingt bereits von fern her jener Streit um das rechte Bild an, der jahrhundertelang die religiösen Bilddebatten geprägt hat. Bis heute begleiten uns Bildbegriffe, Bildwünsche und Bildängste, die einst in der Religion, wie es bei Belting heißt, "ihren Sitz im Leben" hatten.
Der Rekonstruktion dieser Standards und Maßgaben, welche die Vorstellungen in den Köpfen ebenso wie die konkreten Darstellungen bestimmt haben, ist das Buch gewidmet. Auf den knapp zweihundertfünfzig Seiten seiner Untersuchung stellt der Autor deren Fortleben unter schlagenden Beweis. Verlangt wird dabei vom Leser nur, daß er sich auf eine Zeitreise begibt. Dabei fällt es Belting leicht, die Brücke in die Geschichte zu schlagen, da er es als (Kunst-)Historiker sachlich wie als Autor sprachlich bestens versteht, die Jetztzeit auch dann nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn er gerade von den Bildmythen um wundertätige Tuchbilder des sechsten Jahrhunderts oder von der Bildpolitik mit gedruckten Porträts des sechzehnten Jahrhunderts spricht.
Spätantike und Frühe Neuzeit bilden historisch die beiden Brennpunkte des Bandes, der seiner methodischen Fragestellung nach an Beltings im Jahr 2001 vorgelegte "Bildanthropologie" und dem Gehalt nach an dessen Standardwerk "Bild und Kult" von 1990, das eine "Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst" geliefert hat, anknüpft. Fast könnte man sagen, es handle bei dem vorliegenden Buch sich um eine Revision von "Bild und Kult" aus bildanthropologischem Blickwinkel; der Gegenstandsbereich ist eng verwandt, wird aber gänzlich neu gesehen.
Bilder, so Beltings These, sind durch die Ambivalenz zwischen Medialität und Körperlichkeit bestimmt, die Grenze zwischen Bild und körperlicher Welt ist fließend, und der Körper selbst ist ein "Ort der Bilder". Wenn man die Parameter Bild, Körper und Medium zur Grundlage seiner Forschung gewählt hat und diese Trias in den letzten Jahren zunächst entlang zeitgenössischer und moderner sowie außereuropäischer Kultur- und Kunstzeugnisse diskutiert hat, dann ist es nur konsequent, gerade auch dem historischen Ausgangspunkt und der Grundlegung dieser Idee einer geradezu existentiellen Relation der drei Kategorien untereinander nachzuspüren. Folglich kehrt man, die europäische Kultur in den Blick genommen, zur späten Antike und zum frühen Christentum zurück, als durch eine neue Medienpraxis auch das Bild als Instrument und Argument in die religiösen Dispute Einzug hielt und damit neben das Wort und die übermächtige Schrift in einer ringsum bilderlosen oder von heidnischen Praktiken geprägten Kultur trat.
Gott war Mensch geworden, hatte Gestalt angenommen und war somit sichtbar geworden. Allein die "echten" Bilder dokumentieren die veritable Körperlichkeit. Der Körper Christi, insbesondere sein Antlitz, wurde zur Richtschnur all jener Bilder, die sich authentisch von ihm herleiten. Während in der Spätantike um das Recht der Bilder und um ihre Wahrheit aufs heftigste gerungen wurde, versuchte die Reformation in einer Gegenbewegung der Bilderverehrung, die ihr als heidnische Idolatrie erschien, schlichtweg den Garaus zu machen, indem man die Bild- und Kunstwerke schlicht zertrümmerte und das vermeintlich unverbrüchliche Wort wieder ins Recht zu setzen suchte.
Es gelingt dem Verfasser glänzend, Geschichte gegenwärtig zu machen und im gleichen Zuge die Gegenwart historisch abzurücken. Die Fülle der diskutierten Beispiele und Aspekte, darunter Bild und Zeichen, Idol, Ikone, Corpus Christi, Vera Icon und Volto Santo, Maske, Gesicht und Karikatur, ist beeindruckend. Die zahlreichen, qualitätsvollen Abbildungen stützen die Argumentation und regen dazu an, auch punktuell in den Text einzusteigen, der angesichts der Ikonolatrie der Gegenwart als Vademecum fungiert.
Bleibt noch die Frage nach Zurbaráns einsamem Maler unter dem Kreuz zu stellen, der sein Gegenüber ebenso flehentlich ansieht wie wohlgefällig betrachtet. Kein Zweifel, daß sein Modell echt, das heißt zumindest wahr im Sinne der Kunst ist.
Hans Belting: "Das echte Bild". Bildfragen als Glaubensfragen. C. H. Beck Verlag, München 2005. 240 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Vademecum: Hans Belting diskutiert echte Bilder und falsche Körper / Von Michael Diers
Das Frontispiz des Buches von Hans Belting zeigt eine ungewöhnliche Szene. Ein Maler, die Rechte auf die Brust gelegt, in der Linken die Palette und einen Pinsel vorweisend, ist unter das Kreuz getreten und blickt voller Inbrunst zum Gekreuzigten auf. Das stumme Zwiegespräch läßt sich als fromme Andacht, zugleich aber auch als Fachdiskurs zwischen Künstler und Gottessohn auffassen. Im Gemälde Francisco de Zurbaráns, das diese Unmittelbarkeit stiftet, fallen heilige Stätte und profanes Atelier in eins. Das Farbenspektrum der Palette enthält sämtliche Inkarnat-, Braun- und Schattentöne, die ein Maler benötigt, um den Crucifixus wie gezeigt darzustellen.
Handelt es sich demnach um einen leibhaftigen oder um einen künstlichen Körper, um ein Bild, eine Erscheinung oder eine reale Begegnung? Die ungeheure Begebenheit, die den Maler an die Stelle des wortmächtigen Täufers Johannes nachrücken und ihn als einen anderen Pygmalion auftreten läßt, kann man nicht in rationalistischer Weise, vielmehr nur in theologischer, genauer bildtheologischer Hinsicht ausloten. Ebendieser Aufgabe unterzieht sich Hans Belting, indem er, wie es im Untertitel seines Buches heißt, "Bildfragen als Glaubensfragen" behandelt.
Fragen nach dem Status und der Qualität eines Bildes bewegen die gelehrte Welt seit rund zweieinhalb Jahrzehnten intensiv. Dazu sind Zahlreiche bildwissenschaftliche Ansätze entstanden, und sie konkurrieren inzwischen miteinander um die Bestimmung des altneuen Mediums, das selbst Unsichtbares sichtbar zu machen versteht. Die Kunstgeschichte trägt wesentlich dazu bei, dem neuen Fach den historischen Boden einzuziehen. Hatte Gottfried Boehm im Titel seiner weit verbreiteten, 1994 publizierten Anthologie aus vornehmlich philosophischer Perspektive danach gefragt, was ein Bild sei, und mit dieser scheinbar schlichten Frage einen wichtigen Stein des Anstoßes zur transdisziplinären Diskussion geliefert, so wartet der erste Satz des Belting-Buches zehn Jahre später mit einer neuen Frage auf: "Was ist ein echtes Bild?"
Die Spezifikation überrascht und leuchtet nicht unmittelbar ein. Ist sie vergleichbar grundlegend? Und überdies aktuell? Echtheit ist gemeinhin eher eine Kategorie des (Kunst-)Marktes und der Werbung, keine der hehren Ideenwelt. Heute meint "echt" in der Regel nur den Gegensatz zu falsch, künstlich oder nachgemacht. Ursprünglich aber entstammt das Adjektiv der Rechtssprache und bedeutete "recht" im Sinne von gesetzmäßig. In dieser Etymologie klingt bereits von fern her jener Streit um das rechte Bild an, der jahrhundertelang die religiösen Bilddebatten geprägt hat. Bis heute begleiten uns Bildbegriffe, Bildwünsche und Bildängste, die einst in der Religion, wie es bei Belting heißt, "ihren Sitz im Leben" hatten.
Der Rekonstruktion dieser Standards und Maßgaben, welche die Vorstellungen in den Köpfen ebenso wie die konkreten Darstellungen bestimmt haben, ist das Buch gewidmet. Auf den knapp zweihundertfünfzig Seiten seiner Untersuchung stellt der Autor deren Fortleben unter schlagenden Beweis. Verlangt wird dabei vom Leser nur, daß er sich auf eine Zeitreise begibt. Dabei fällt es Belting leicht, die Brücke in die Geschichte zu schlagen, da er es als (Kunst-)Historiker sachlich wie als Autor sprachlich bestens versteht, die Jetztzeit auch dann nicht aus dem Blick zu verlieren, wenn er gerade von den Bildmythen um wundertätige Tuchbilder des sechsten Jahrhunderts oder von der Bildpolitik mit gedruckten Porträts des sechzehnten Jahrhunderts spricht.
Spätantike und Frühe Neuzeit bilden historisch die beiden Brennpunkte des Bandes, der seiner methodischen Fragestellung nach an Beltings im Jahr 2001 vorgelegte "Bildanthropologie" und dem Gehalt nach an dessen Standardwerk "Bild und Kult" von 1990, das eine "Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst" geliefert hat, anknüpft. Fast könnte man sagen, es handle bei dem vorliegenden Buch sich um eine Revision von "Bild und Kult" aus bildanthropologischem Blickwinkel; der Gegenstandsbereich ist eng verwandt, wird aber gänzlich neu gesehen.
Bilder, so Beltings These, sind durch die Ambivalenz zwischen Medialität und Körperlichkeit bestimmt, die Grenze zwischen Bild und körperlicher Welt ist fließend, und der Körper selbst ist ein "Ort der Bilder". Wenn man die Parameter Bild, Körper und Medium zur Grundlage seiner Forschung gewählt hat und diese Trias in den letzten Jahren zunächst entlang zeitgenössischer und moderner sowie außereuropäischer Kultur- und Kunstzeugnisse diskutiert hat, dann ist es nur konsequent, gerade auch dem historischen Ausgangspunkt und der Grundlegung dieser Idee einer geradezu existentiellen Relation der drei Kategorien untereinander nachzuspüren. Folglich kehrt man, die europäische Kultur in den Blick genommen, zur späten Antike und zum frühen Christentum zurück, als durch eine neue Medienpraxis auch das Bild als Instrument und Argument in die religiösen Dispute Einzug hielt und damit neben das Wort und die übermächtige Schrift in einer ringsum bilderlosen oder von heidnischen Praktiken geprägten Kultur trat.
Gott war Mensch geworden, hatte Gestalt angenommen und war somit sichtbar geworden. Allein die "echten" Bilder dokumentieren die veritable Körperlichkeit. Der Körper Christi, insbesondere sein Antlitz, wurde zur Richtschnur all jener Bilder, die sich authentisch von ihm herleiten. Während in der Spätantike um das Recht der Bilder und um ihre Wahrheit aufs heftigste gerungen wurde, versuchte die Reformation in einer Gegenbewegung der Bilderverehrung, die ihr als heidnische Idolatrie erschien, schlichtweg den Garaus zu machen, indem man die Bild- und Kunstwerke schlicht zertrümmerte und das vermeintlich unverbrüchliche Wort wieder ins Recht zu setzen suchte.
Es gelingt dem Verfasser glänzend, Geschichte gegenwärtig zu machen und im gleichen Zuge die Gegenwart historisch abzurücken. Die Fülle der diskutierten Beispiele und Aspekte, darunter Bild und Zeichen, Idol, Ikone, Corpus Christi, Vera Icon und Volto Santo, Maske, Gesicht und Karikatur, ist beeindruckend. Die zahlreichen, qualitätsvollen Abbildungen stützen die Argumentation und regen dazu an, auch punktuell in den Text einzusteigen, der angesichts der Ikonolatrie der Gegenwart als Vademecum fungiert.
Bleibt noch die Frage nach Zurbaráns einsamem Maler unter dem Kreuz zu stellen, der sein Gegenüber ebenso flehentlich ansieht wie wohlgefällig betrachtet. Kein Zweifel, daß sein Modell echt, das heißt zumindest wahr im Sinne der Kunst ist.
Hans Belting: "Das echte Bild". Bildfragen als Glaubensfragen. C. H. Beck Verlag, München 2005. 240 S., Abb., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.10.2005Feindliche Fülle
Der Kunsthistoriker Hans Belting sucht das „echte Bild”
Dass Bilder nicht immer Kunst gewesen sind, dafür hat Hans Belting wie kein anderer unseren Blick geschärft. Nimmt man seine Forschungsergebnisse ernst, dann darf man von „mittelalterlicher Kunst” eigentlich nicht sprechen. Lässt sich doch das christliche Bild im ersten Jahrtausend seiner Geschichte als Stellvertreter oder Kultobjekt, Erinnerung oder Verweis verstehen - nur eben nicht als Kunst, deren Epoche streng genommen erst mit der Renaissance begonnen hat und heute vermutlich noch längst nicht zu Ende ist.
Diese Hauptthese von „Bild und Kult”, Beltings vor 15 Jahren erschienenem Hauptwerk, liefert dem Autor jetzt den Anknüpfungspunkt für weitere Überlegungen zu Geschichte und Status des Bildes in Europa seit der Spätantike. Unter dem Titel „Das echte Bild - Bildfragen als Glaubensfragen” bringt Belting ein Buch auf den Markt, in dem er auf ältere Forschungen zur Genese des christlichen Bildes zurückgreift, diese aber mit dem seither von ihm erhobenen Anspruch verknüpft, einen anthropologisch verankerten Bildbegriff zu etablieren. Kunstgeschichtliche Erfahrung, so das Versprechen der Publikation, werde auf diese Weise für die kulturelle Praxis der Gegenwart neu verfügbar gemacht.
Aktuelle Probleme im Umgang mit Bildern kommen dann vor allem in der Einleitung zur Sprache, die das Eigenleben eines Kapitels gewinnt. Belting entfaltet seine Argumentation von der Feststellung her, dass sich in der gesamten westlichen Tradition bis hin zur modernen Wissenschaft Schrift und Zeichen als autoritative Systeme gegen das Bild verbündet haben. Zugleich erreiche der Konsum von Bildern aber in der digital bestimmten Gegenwartskultur eine beinahe beliebige Verfügbarkeit, ohne dass für einen reflektierten Umgang mit der von ökonomischen Interessen gesteuerten Bildfülle auch nur halbwegs taugliche Instrumentarien zur Verfügung stünden. Das Gespür für die immerhin mögliche Authentizität von Bildern drohe in dieser fatalen Situation endgültig verschüttet zu werden. Würde heute der Dekalog noch einmal formuliert, so müsse das zweite Gebot heißen: „Du sollst dir keine virtuelle Realität erfinden und auch nicht deinen eigenen Markt im Kultbild verehren.”
Körperspur und Foto
Ein kulturkritischer, wenn nicht kulturpessimistischer Impuls kommt hier unverbrämt zum Vorschein. Allerdings gelingt es Belting kaum, den in der Tat erklärungsbedürftigen Sachverhalt digitaler Bildstreuung in seiner ganzen Problematik auszuleuchten - hauptsächlich weil er die Kategorien seiner Medienkritik von Autoren der vor-digitalen Ära wie Günther Anders und Guy Debord bezieht, denen die künftige Entwicklung der visuellen Informationsmärkte allenfalls umrisshaft vorgeschwebt haben mag. So bleibt aus der manchmal unkonzentriert und assoziativ entwickelten Problemerhebung in erster Linie die Forderung bestehen, Muster der zeitgenössische Bildproduktion und Bildwahrnehmung auf ihre historischen Wurzeln zurückzuführen. Und diese Wurzeln reichen weit in die Geschichte des christlichen Bildverständnisses zurück.
Was Belting dem Leser in den folgenden Kapiteln an Materialien erschließt, um ihn in die höchst konfliktreiche Frühgeschichte christlicher Bildkultur einzuführen, ist imposant. Eine fesselnde Darstellung widmet er zunächst der Genese des Christusbildes selbst. Konnte sich in der Kirchengeschichte der Anspruch, von der Physiognomie Jesu ein glaubhaftes Bild zu vermitteln, auch letztlich durchsetzen, so wurde er anfangs doch nur zögernd erhoben - gegen eine tief verwurzelte Bildskepsis der apostolischen Generation. Jüdischem Verständnis entsprechend legte noch für Paulus und Johannes jedes Menschenbild von vornherein den Verdacht auf heidnische Götzenverehrung nahe. Das christliche Heilsversprechen von dieser Kontamination freizuhalten und sich in der Verkündigung stattdessen ganz auf das Wort zu verlassen, war ein entschiedenes Anliegen früher Katechese.
Bis ins beginnende Mittelalter hinein behinderten theologische Erklärungsnöte die Ausformung eines traditionsfähigen Christusbildes. Anfangs vermitteln die Bilder Jesu noch ganz verschiedene Vorstellungen von seinem Aussehen, der wunderliche Magier konkurriert in den ersten Jahrhunderten unverdrossen mit dem apollinischen Jüngling. Diese Disparitäten, so Belting, erinnern an die Wandlungsfähigkeit von Schauspielern, die auf der antiken Theaterbühne unter verschiedenen Masken agierten. Und damit erklären sie sich ganz handfest als Folge jener Zwei-Naturen-Lehre, die den Gelehrten der Spätantike die Koexistenz einer göttlichen und einer menschlichen Person in Jesus erklären half. Kennt nämlich das Griechische für „Gesicht” und „Maske” nur ein Wort, so verselbständigten sich beide Vorstellungen bei den Lateinern zu verschiedenen Begriffen - vultus oder facies für das natürliche Gesicht, persona für die dramatische Maske. Diese Vieldeutigkeit des antiken Personalitätsbegriffs fand, so Belting, nicht nur in der theologischen Diskussion, sondern ebenso im freien Wettbewerb der Christusbilder ihren Niederschlag.
Ein konsolidiertes Christusbild mit Anspruch auf Authentizität zu etablieren, gelang erst seit dem 6. Jahrhundert, also im Übergang zur institutionalisierten Kirche des Mittelalters. Wie sich diese Bildfindung, die eigentlich Erfindung war, im Einzelnen vollzog, zeigt Belting mit hoher Trennschärfe auf. Schließlich konnte kein Künstler den Anspruch erheben, zu wissen, wie Jesus „wirklich” ausgesehen habe. Hier kamen die nicht gemachten, der Legende nach von Christus selbst gestifteten Urbilder ins Spiel: Ikonen, die vom Himmel fielen, oder - für Belting besonders aussagekräftig - vorgebliche Abdrücke seines Gesichts in textilen Reliquien, die dann in ungezählten Kopien Verbreitung finden sollten. Kann doch das Bild, so das Credo des Kulturanthropologen Belting, immer dann Präsenz behaupten, wenn der Körper, den es abbildet, der Sichtbarkeit entzogen ist.
Wie komplex man sich die Struktur von Bildern vorzustellen hat, die den Anspruch erheben, Körperspuren zu sein, weiß Belting an der Geschichte des Turiner Grabtuchs von den Anfängen bis hin zur ersten fotografischen Fixierung der Reliquie am Beginn des 20. Jahrhunderts souverän darzustellen.
Die auratische Kraft der Urbilder hat sich, auch das lernt man bei Belting, über Jahrhunderte nicht verbraucht, ebenso wenig wie der theologische Zündstoff, den diese in sich bargen. Eine Zeitreise zu Schlüsselstationen der Glaubensgeschichte macht das deutlich. Die dogmatischen Ausformungen des Christusbildes sind über das ganze Mittelalter von den figurativen nicht zu trennen, beide Konzeptionen haben sich gegenseitig befruchtet, sind aber auch heftig aneinander geraten. Am deutlichsten wird das im großen Bilderstreit der Ostkirche, der vom 8. bis zum 10. Jahrhundert die kirchlichen Bilder im Einflussbereich Konstantinopels nicht nur materiell fast vollständig zerstörte, sondern zugleich das über Generationen kunstvoll gefügte Bildgedächtnis einer ganzen Kultur vernichtete. Belting macht einsichtig, wie der Ikonoklasmus seine destruktive Energie aus dem Anpassungsdruck an die strikte Schriftfixierung konkurrierender Religionen der Nachbarschaft, vor allem des entstehenden Islam, gewann. Und er vermag in kühner, aber überzeugender Parallelsetzung auch die konfessionellen Bildkonflikte im Gefolge der Reformation noch als Auseinandersetzung um Möglichkeit und Unmöglichkeit „echter” Bilder des Glaubens zu deuten.
Am Schluss des Bandes dehnt Belting seine Untersuchung bis in die beginnende Neuzeit aus, in das „Zeitalter der Kunst”. Können die Künste, die sich in der Renaissance die Würden theoretischer Begründung zulegen und bald die Ansprüche einer profanierten Religion erheben werden, doch große Areale jener Brache in Besitz nehmen, die der Niedergang der kultischen Bildpraxis hinterlassen hat. Sie machen sich dabei, das zeigen Beltings Analysen, im Gewand neuer Bildtypen - vor allem des Porträts - vieles von der Substanz jenes alten Bildwissens zu eigen, das in einer veränderten Gegenwart seinen Ort verloren hat.
Belting legt dem visuell verwöhnten Publikum von heute ein gelehrtes, durchaus auch belehrendes Buch vor, das sich als Warnung vor unkontrolliertem Bildhunger und zugleich als Anleitung zu einem reflektierten Genuss der Betrachtung verstehen lässt. Dass der Bezug von der Geschichte des Sehens zur Gegenwart des Bildkonsums anfangs vehement eingefordert, später aber nur noch selten explizit hergestellt wird, gefährdet zuweilen die Balance der Textkomposition. Ein Nachteil ist der Verzicht auf allzu vordergründige Aktualisierung der historischen Problemanalysen aber kaum. Gewinnen diese doch für Leser, die sich mit Belting in Tiefen und Untiefen der Bildgeschichte vorwagen, aus sich selbst heraus eine Evidenz, die den stetigen Verweis auf das Heute entbehrlich macht.
ANDREAS TÖNNESMANN
HANS BELTING: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. Verlag C. H. Beck, München 2005. 224 Seiten, 29,90 Euro.
Das erste Foto des Turiner Grabtuchs wurde im Jahr 1898 aufgenommen. Kurz danach pilgerten Scharen von Gläubigen zum Studio des Fotografen, weil dort das „echte Bild” Christi, nämlich diese Fotografie, ausgestellt sei. Die Reliquie selbst hatte nie derartiges Aufsehen erregt. Erst das Abbild verschaffte dem Bild seine wahre Magie.
Abb. aus dem bespr. Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Der Kunsthistoriker Hans Belting sucht das „echte Bild”
Dass Bilder nicht immer Kunst gewesen sind, dafür hat Hans Belting wie kein anderer unseren Blick geschärft. Nimmt man seine Forschungsergebnisse ernst, dann darf man von „mittelalterlicher Kunst” eigentlich nicht sprechen. Lässt sich doch das christliche Bild im ersten Jahrtausend seiner Geschichte als Stellvertreter oder Kultobjekt, Erinnerung oder Verweis verstehen - nur eben nicht als Kunst, deren Epoche streng genommen erst mit der Renaissance begonnen hat und heute vermutlich noch längst nicht zu Ende ist.
Diese Hauptthese von „Bild und Kult”, Beltings vor 15 Jahren erschienenem Hauptwerk, liefert dem Autor jetzt den Anknüpfungspunkt für weitere Überlegungen zu Geschichte und Status des Bildes in Europa seit der Spätantike. Unter dem Titel „Das echte Bild - Bildfragen als Glaubensfragen” bringt Belting ein Buch auf den Markt, in dem er auf ältere Forschungen zur Genese des christlichen Bildes zurückgreift, diese aber mit dem seither von ihm erhobenen Anspruch verknüpft, einen anthropologisch verankerten Bildbegriff zu etablieren. Kunstgeschichtliche Erfahrung, so das Versprechen der Publikation, werde auf diese Weise für die kulturelle Praxis der Gegenwart neu verfügbar gemacht.
Aktuelle Probleme im Umgang mit Bildern kommen dann vor allem in der Einleitung zur Sprache, die das Eigenleben eines Kapitels gewinnt. Belting entfaltet seine Argumentation von der Feststellung her, dass sich in der gesamten westlichen Tradition bis hin zur modernen Wissenschaft Schrift und Zeichen als autoritative Systeme gegen das Bild verbündet haben. Zugleich erreiche der Konsum von Bildern aber in der digital bestimmten Gegenwartskultur eine beinahe beliebige Verfügbarkeit, ohne dass für einen reflektierten Umgang mit der von ökonomischen Interessen gesteuerten Bildfülle auch nur halbwegs taugliche Instrumentarien zur Verfügung stünden. Das Gespür für die immerhin mögliche Authentizität von Bildern drohe in dieser fatalen Situation endgültig verschüttet zu werden. Würde heute der Dekalog noch einmal formuliert, so müsse das zweite Gebot heißen: „Du sollst dir keine virtuelle Realität erfinden und auch nicht deinen eigenen Markt im Kultbild verehren.”
Körperspur und Foto
Ein kulturkritischer, wenn nicht kulturpessimistischer Impuls kommt hier unverbrämt zum Vorschein. Allerdings gelingt es Belting kaum, den in der Tat erklärungsbedürftigen Sachverhalt digitaler Bildstreuung in seiner ganzen Problematik auszuleuchten - hauptsächlich weil er die Kategorien seiner Medienkritik von Autoren der vor-digitalen Ära wie Günther Anders und Guy Debord bezieht, denen die künftige Entwicklung der visuellen Informationsmärkte allenfalls umrisshaft vorgeschwebt haben mag. So bleibt aus der manchmal unkonzentriert und assoziativ entwickelten Problemerhebung in erster Linie die Forderung bestehen, Muster der zeitgenössische Bildproduktion und Bildwahrnehmung auf ihre historischen Wurzeln zurückzuführen. Und diese Wurzeln reichen weit in die Geschichte des christlichen Bildverständnisses zurück.
Was Belting dem Leser in den folgenden Kapiteln an Materialien erschließt, um ihn in die höchst konfliktreiche Frühgeschichte christlicher Bildkultur einzuführen, ist imposant. Eine fesselnde Darstellung widmet er zunächst der Genese des Christusbildes selbst. Konnte sich in der Kirchengeschichte der Anspruch, von der Physiognomie Jesu ein glaubhaftes Bild zu vermitteln, auch letztlich durchsetzen, so wurde er anfangs doch nur zögernd erhoben - gegen eine tief verwurzelte Bildskepsis der apostolischen Generation. Jüdischem Verständnis entsprechend legte noch für Paulus und Johannes jedes Menschenbild von vornherein den Verdacht auf heidnische Götzenverehrung nahe. Das christliche Heilsversprechen von dieser Kontamination freizuhalten und sich in der Verkündigung stattdessen ganz auf das Wort zu verlassen, war ein entschiedenes Anliegen früher Katechese.
Bis ins beginnende Mittelalter hinein behinderten theologische Erklärungsnöte die Ausformung eines traditionsfähigen Christusbildes. Anfangs vermitteln die Bilder Jesu noch ganz verschiedene Vorstellungen von seinem Aussehen, der wunderliche Magier konkurriert in den ersten Jahrhunderten unverdrossen mit dem apollinischen Jüngling. Diese Disparitäten, so Belting, erinnern an die Wandlungsfähigkeit von Schauspielern, die auf der antiken Theaterbühne unter verschiedenen Masken agierten. Und damit erklären sie sich ganz handfest als Folge jener Zwei-Naturen-Lehre, die den Gelehrten der Spätantike die Koexistenz einer göttlichen und einer menschlichen Person in Jesus erklären half. Kennt nämlich das Griechische für „Gesicht” und „Maske” nur ein Wort, so verselbständigten sich beide Vorstellungen bei den Lateinern zu verschiedenen Begriffen - vultus oder facies für das natürliche Gesicht, persona für die dramatische Maske. Diese Vieldeutigkeit des antiken Personalitätsbegriffs fand, so Belting, nicht nur in der theologischen Diskussion, sondern ebenso im freien Wettbewerb der Christusbilder ihren Niederschlag.
Ein konsolidiertes Christusbild mit Anspruch auf Authentizität zu etablieren, gelang erst seit dem 6. Jahrhundert, also im Übergang zur institutionalisierten Kirche des Mittelalters. Wie sich diese Bildfindung, die eigentlich Erfindung war, im Einzelnen vollzog, zeigt Belting mit hoher Trennschärfe auf. Schließlich konnte kein Künstler den Anspruch erheben, zu wissen, wie Jesus „wirklich” ausgesehen habe. Hier kamen die nicht gemachten, der Legende nach von Christus selbst gestifteten Urbilder ins Spiel: Ikonen, die vom Himmel fielen, oder - für Belting besonders aussagekräftig - vorgebliche Abdrücke seines Gesichts in textilen Reliquien, die dann in ungezählten Kopien Verbreitung finden sollten. Kann doch das Bild, so das Credo des Kulturanthropologen Belting, immer dann Präsenz behaupten, wenn der Körper, den es abbildet, der Sichtbarkeit entzogen ist.
Wie komplex man sich die Struktur von Bildern vorzustellen hat, die den Anspruch erheben, Körperspuren zu sein, weiß Belting an der Geschichte des Turiner Grabtuchs von den Anfängen bis hin zur ersten fotografischen Fixierung der Reliquie am Beginn des 20. Jahrhunderts souverän darzustellen.
Die auratische Kraft der Urbilder hat sich, auch das lernt man bei Belting, über Jahrhunderte nicht verbraucht, ebenso wenig wie der theologische Zündstoff, den diese in sich bargen. Eine Zeitreise zu Schlüsselstationen der Glaubensgeschichte macht das deutlich. Die dogmatischen Ausformungen des Christusbildes sind über das ganze Mittelalter von den figurativen nicht zu trennen, beide Konzeptionen haben sich gegenseitig befruchtet, sind aber auch heftig aneinander geraten. Am deutlichsten wird das im großen Bilderstreit der Ostkirche, der vom 8. bis zum 10. Jahrhundert die kirchlichen Bilder im Einflussbereich Konstantinopels nicht nur materiell fast vollständig zerstörte, sondern zugleich das über Generationen kunstvoll gefügte Bildgedächtnis einer ganzen Kultur vernichtete. Belting macht einsichtig, wie der Ikonoklasmus seine destruktive Energie aus dem Anpassungsdruck an die strikte Schriftfixierung konkurrierender Religionen der Nachbarschaft, vor allem des entstehenden Islam, gewann. Und er vermag in kühner, aber überzeugender Parallelsetzung auch die konfessionellen Bildkonflikte im Gefolge der Reformation noch als Auseinandersetzung um Möglichkeit und Unmöglichkeit „echter” Bilder des Glaubens zu deuten.
Am Schluss des Bandes dehnt Belting seine Untersuchung bis in die beginnende Neuzeit aus, in das „Zeitalter der Kunst”. Können die Künste, die sich in der Renaissance die Würden theoretischer Begründung zulegen und bald die Ansprüche einer profanierten Religion erheben werden, doch große Areale jener Brache in Besitz nehmen, die der Niedergang der kultischen Bildpraxis hinterlassen hat. Sie machen sich dabei, das zeigen Beltings Analysen, im Gewand neuer Bildtypen - vor allem des Porträts - vieles von der Substanz jenes alten Bildwissens zu eigen, das in einer veränderten Gegenwart seinen Ort verloren hat.
Belting legt dem visuell verwöhnten Publikum von heute ein gelehrtes, durchaus auch belehrendes Buch vor, das sich als Warnung vor unkontrolliertem Bildhunger und zugleich als Anleitung zu einem reflektierten Genuss der Betrachtung verstehen lässt. Dass der Bezug von der Geschichte des Sehens zur Gegenwart des Bildkonsums anfangs vehement eingefordert, später aber nur noch selten explizit hergestellt wird, gefährdet zuweilen die Balance der Textkomposition. Ein Nachteil ist der Verzicht auf allzu vordergründige Aktualisierung der historischen Problemanalysen aber kaum. Gewinnen diese doch für Leser, die sich mit Belting in Tiefen und Untiefen der Bildgeschichte vorwagen, aus sich selbst heraus eine Evidenz, die den stetigen Verweis auf das Heute entbehrlich macht.
ANDREAS TÖNNESMANN
HANS BELTING: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen. Verlag C. H. Beck, München 2005. 224 Seiten, 29,90 Euro.
Das erste Foto des Turiner Grabtuchs wurde im Jahr 1898 aufgenommen. Kurz danach pilgerten Scharen von Gläubigen zum Studio des Fotografen, weil dort das „echte Bild” Christi, nämlich diese Fotografie, ausgestellt sei. Die Reliquie selbst hatte nie derartiges Aufsehen erregt. Erst das Abbild verschaffte dem Bild seine wahre Magie.
Abb. aus dem bespr. Band
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eindrucksvoll findet Andreas Tönnesmann dieses Buch, in dem der Kunsthistoriker Hans Belting der Geschichte und dem Status des Bildes seit der Spätantike nachgeht. Dabei greife er auf ältere Forschungen zur Genese des christlichen Bildes zurück, verknüpfe diese aber mit dem Anspruch, einen anthropologisch verankerten Bildbegriff zu etablieren. Damit wolle Belting kunstgeschichtliche Erfahrung für die kulturelle Praxis der Gegenwart neu verfügbar machen. Aktuelle Probleme im Umgang mit Bildern sieht Tönnesmann vor allem in der Einleitung behandelt, wobei er einen kulturkritischen, wenn auch nicht kulturpessimistischen Impuls des Autors nicht verschweigen will. "Imposant" erscheint ihm, was Belting in den folgenden Kapiteln an Materialien erschließt, um in die höchst konfliktreiche Frühgeschichte christlicher Bildkultur einzuführen. Ausführlich widmet er sich Beltings "fesselnder Darstellung" der Genese des Christusbildes. Insgesamt würdigt Tönnesmann diese Studie als "gelehrtes, durchaus auch belehrendes Buch", das sich als Warnung vor unkontrolliertem Bildhunger und zugleich als Anleitung zu einem reflektierten Genuss der Betrachtung verstehen lasse.
© Perlentaucher Medien GmbH
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