"Mein Buch ist die Antwort auf eine ironische Zeit. Ironie ist bei uns zu einem Zeichen von Weltläufigkeit und Reife geworden. Der ironische Mensch pflegt einen Sprach- und Verhaltensstil, der jeden Schein von Naivität meidet ..." Jedediah Purdy erkennt einen Wert darin, Hoffnungen auszusprechen, auch wenn sie sich nicht sofort umsetzen lassen. Seine Absicht beim Schreiben dieses Buches war, Hemmungen ernst zu nehmen und zu fragen, wessen es bedarf, um sie zu überwinden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2002Wie werde ich Cowboy?
Jedediah Purdy warnt vor ironischen Ausritten / Von Florian Illies
Man wunderte sich ja schon die ganze Zeit, daß der amerikanische Präsident so locker damit umging, daß er von Gerhard Schröder so übel gelinkt wurde. Sollte Bushs Rache ausschließlich darin bestehen, daß er Gerhard Schröder nicht zum Wahlsieg gratulierte? Das wäre dann doch ein wenig matt für einen Mann, den viele als schießwütigen Cowboy beschreiben. Doch offenbar hat er viel dazugelernt, er hat jetzt sogar Schröder in Prag die Hand geschüttelt, damit es so aussieht, als sei alles wieder halbwegs in Ordnung. In Wahrheit jedoch hat Bush längst einen Giftpfeil in Richtung Germany abgesandt, der so subtil ist und so langsam fliegt, daß er Schröders üblichen Abfangjägern Doris Schröder-Köpf, Tilman Spengler und Manfred Bissinger nicht weiter aufgefallen ist. So liegt jetzt in allen deutschen Buchhandlungen plötzlich ein Buch mit einem hellblauen Cover und heißt "Das Elend der Ironie". Der Autor trägt den Namen Jedediah Purdy, auch das klingt zunächst ungefährlich. Skeptisch allerdings hätte die SPD-Medienbeobachtung werden sollen, daß dieses Buch in Amerika schon vor fast vier Jahren erschienen ist - und nun ganz urplötzlich von der Europäischen Verlagsanstalt als aktueller Kommentar zur gegenwärtigen Seelenlage der Nation angeboten wird.
Was Bush da nach Deutschland eingeschleust hat, ist ein Trojanisches Pferd. Auf den ersten sechzig Seiten schreibt der Autor derart langatmig und genau über das abscheuliche Weltbild der amerikanischen Magazine "Wired" und "Fast Company", die der deutsche Durchschnittsleser höchstens vom Namen her kennt, daß die Zensoren das Werk wohl unbesorgt passieren ließen. Was dann jedoch anhebt, ist, wenn man so will, eine solch zynische Abrechnung mit der gegenwärtigen - auch: deutschen - Politik, ihrem Verlust jeglicher Bodenhaftung, ihrem Verlust an Verantwortungsgefühl und an echtem Wertebewußtsein, daß es das Zeug hätte, zur Bibel der Bürger zu werden, die auf die Barrikaden gehen.
Zunächst schäumt Purdy eindrucksvoll gegen eine Politik, die immer nur therapeutisch vorgeht - und die nicht von eigenen Zielen getragen wird. Die zweite These ist so schön, daß Purdy eigentlich umgehend in die nächste Sabine-Christiansen-Sendung eingeladen werden müßte: Purdy beschreibt die "Prozac"-Mentalität der Politiker als eine Politik der Stimmungsaufhellung mit nur noch simulierter Betroffenheit - und ohne echtes Verantwortungsgefühl. Und auch die detaillierte Kritik an der ironischen Sprache der Politik liest sich über lange Strecken wie eine Analyse der letzten Wirklichkeitsbeschreibungen Gerhard Schröders in der Bundespressekonferenz. Bush schien zu ahnen, daß die Deutschen sich erst wieder getrauen, Schröder mißtrauisch zu begegnen, wenn ihnen ein junger Amerikaner die Erlaubnis dazu gegeben hat. Darum also dieses Buch.
Wenn man mag, kann man "Das Elend der Ironie" tatsächlich so lesen. Und es ist eigentlich eine ganz wirksame Methode, dann übersteht man auch die langen Passagen, in denen Purdy Unterricht in Staatsbürgerkunde erteilt und die Lehren Rousseaus, Montaignes und Toquevilles Revue passieren läßt und mit modernen amerikanischen Vorabendserien zusammendenkt. Auch ansonsten empfiehlt es sich oft, das Gelesene zu abstrahieren, wie man so schön sagt. Denn die Lektüre von sehr vielen Seiten über die verheerenden Auswirkungen des Steinkohlebergbaus in den Appalachen in West Virginia, wo Purdy aufgewachsen ist, gewinnt deutlich mehr an Prägnanz, wenn man sie als Stärkung des grünen Koalitionspartners zu lesen versucht. Sein Plädoyer für eine weltweite Dominanz der Ökologie in der Politik liest sich so wütend und auch hoffnungsfroh, daß man das Buch sehr guten Herzens allen Eltern und Großeltern als Weihnachtsverschenkbuch ans Herz legen kann, die wollen, daß ihre ökologisch bewegten Kinder nicht verzweifeln, weil sie die einzigen in der ganzen Klasse sind, die nicht Einkaufstüten, sondern Kröten über die Straße tragen. Es macht tatsächlich Mut, zu sehen, mit welcher Leidenschaft Purdy aufzeigt, daß für ihn, den 1974 geborenen Autor, und seine Generation "natürliche Ökologie nicht ohne moralische Ökologie möglich ist".
Und man nimmt für dieses energische politische Plädoyer auch in Kauf, daß sich in dem Buch immer wieder Passagen finden, die an die Timotei-Werbespots in den achtziger Jahren erinnern, als Frauen und Männern in wallenden Kleidern durch die Wiesen hüpften. Purdy beschwört sein Aufwachsen in einer ländlichen Kommune im tiefsten Amerika als eine Möglichkeit für eine Wiedergeburt der gemeinschaftlichen Verantwortung für die "Allmende", schwärmt von der Arbeit mit bloßen Händen und dem Geruch der Erde und redet von den "wahren Empfindungen", als habe er zuviel Peter Handke gelesen. Zum Glück aber will er uns dann nicht auch noch weismachen, daß wir nach Serbien gehen müssen, um zu wissen, was Sinnlichkeit und gegenwartsgesättigte Zukunft bedeuten - seine Helden wohnen woanders.
Überrascht, aber auch mit großer Neugier liest man, wie Purdy die osteuropäischen Intellektuellen wie Michnik, Milosz und Havel zu den Pionieren einer neuen Politik mit Prinzipien ernennt, die für Worte wie "Freiheit" oder "Verantwortung" noch ins Gefängnis gingen, die im Westen längst zu bloßen Floskeln erstarrt seien. Die Abschnitte über Osteuropa sind sicherlich die faszinierendsten in diesem seltsamen Buch. Sehr oft hat man das Gefühl, hier spräche ein alter, trauriger Mann über unser "geschwätziges Dasein", sehr oft hat man das Gefühl, daß Purdy in seinem Furor allein die weltweite Zunahme an Ironie für das Ozonloch verantwortlich macht. Aber wenn es ihm, wie in den kleinen Skizzen über die ost- und mitteleuropäischen Dissidenten, gelingt, eine Sprachkritik zur Gesellschaftskritik zu machen, dann gewinnt sein Weltschmerz plötzlich an Konkretion. Aber selbst das kann man natürlich außenpolitisch lesen: Denn worüber haben eigentlich Havel und Bush vor zwei Wochen in Prag so vertraulich getuschelt, als sich Gerhard Schröder gerade ironisch grinsend abwendete? Wir vermuten, es ging um einen jungen Literaten, Amerikas Wunderwaffe für die moralische Aufrüstung Europas.
Jedediah Purdy: "Das Elend der Ironie". Aus dem Amerikanischen von Holger Fliessbach. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002. 212 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jedediah Purdy warnt vor ironischen Ausritten / Von Florian Illies
Man wunderte sich ja schon die ganze Zeit, daß der amerikanische Präsident so locker damit umging, daß er von Gerhard Schröder so übel gelinkt wurde. Sollte Bushs Rache ausschließlich darin bestehen, daß er Gerhard Schröder nicht zum Wahlsieg gratulierte? Das wäre dann doch ein wenig matt für einen Mann, den viele als schießwütigen Cowboy beschreiben. Doch offenbar hat er viel dazugelernt, er hat jetzt sogar Schröder in Prag die Hand geschüttelt, damit es so aussieht, als sei alles wieder halbwegs in Ordnung. In Wahrheit jedoch hat Bush längst einen Giftpfeil in Richtung Germany abgesandt, der so subtil ist und so langsam fliegt, daß er Schröders üblichen Abfangjägern Doris Schröder-Köpf, Tilman Spengler und Manfred Bissinger nicht weiter aufgefallen ist. So liegt jetzt in allen deutschen Buchhandlungen plötzlich ein Buch mit einem hellblauen Cover und heißt "Das Elend der Ironie". Der Autor trägt den Namen Jedediah Purdy, auch das klingt zunächst ungefährlich. Skeptisch allerdings hätte die SPD-Medienbeobachtung werden sollen, daß dieses Buch in Amerika schon vor fast vier Jahren erschienen ist - und nun ganz urplötzlich von der Europäischen Verlagsanstalt als aktueller Kommentar zur gegenwärtigen Seelenlage der Nation angeboten wird.
Was Bush da nach Deutschland eingeschleust hat, ist ein Trojanisches Pferd. Auf den ersten sechzig Seiten schreibt der Autor derart langatmig und genau über das abscheuliche Weltbild der amerikanischen Magazine "Wired" und "Fast Company", die der deutsche Durchschnittsleser höchstens vom Namen her kennt, daß die Zensoren das Werk wohl unbesorgt passieren ließen. Was dann jedoch anhebt, ist, wenn man so will, eine solch zynische Abrechnung mit der gegenwärtigen - auch: deutschen - Politik, ihrem Verlust jeglicher Bodenhaftung, ihrem Verlust an Verantwortungsgefühl und an echtem Wertebewußtsein, daß es das Zeug hätte, zur Bibel der Bürger zu werden, die auf die Barrikaden gehen.
Zunächst schäumt Purdy eindrucksvoll gegen eine Politik, die immer nur therapeutisch vorgeht - und die nicht von eigenen Zielen getragen wird. Die zweite These ist so schön, daß Purdy eigentlich umgehend in die nächste Sabine-Christiansen-Sendung eingeladen werden müßte: Purdy beschreibt die "Prozac"-Mentalität der Politiker als eine Politik der Stimmungsaufhellung mit nur noch simulierter Betroffenheit - und ohne echtes Verantwortungsgefühl. Und auch die detaillierte Kritik an der ironischen Sprache der Politik liest sich über lange Strecken wie eine Analyse der letzten Wirklichkeitsbeschreibungen Gerhard Schröders in der Bundespressekonferenz. Bush schien zu ahnen, daß die Deutschen sich erst wieder getrauen, Schröder mißtrauisch zu begegnen, wenn ihnen ein junger Amerikaner die Erlaubnis dazu gegeben hat. Darum also dieses Buch.
Wenn man mag, kann man "Das Elend der Ironie" tatsächlich so lesen. Und es ist eigentlich eine ganz wirksame Methode, dann übersteht man auch die langen Passagen, in denen Purdy Unterricht in Staatsbürgerkunde erteilt und die Lehren Rousseaus, Montaignes und Toquevilles Revue passieren läßt und mit modernen amerikanischen Vorabendserien zusammendenkt. Auch ansonsten empfiehlt es sich oft, das Gelesene zu abstrahieren, wie man so schön sagt. Denn die Lektüre von sehr vielen Seiten über die verheerenden Auswirkungen des Steinkohlebergbaus in den Appalachen in West Virginia, wo Purdy aufgewachsen ist, gewinnt deutlich mehr an Prägnanz, wenn man sie als Stärkung des grünen Koalitionspartners zu lesen versucht. Sein Plädoyer für eine weltweite Dominanz der Ökologie in der Politik liest sich so wütend und auch hoffnungsfroh, daß man das Buch sehr guten Herzens allen Eltern und Großeltern als Weihnachtsverschenkbuch ans Herz legen kann, die wollen, daß ihre ökologisch bewegten Kinder nicht verzweifeln, weil sie die einzigen in der ganzen Klasse sind, die nicht Einkaufstüten, sondern Kröten über die Straße tragen. Es macht tatsächlich Mut, zu sehen, mit welcher Leidenschaft Purdy aufzeigt, daß für ihn, den 1974 geborenen Autor, und seine Generation "natürliche Ökologie nicht ohne moralische Ökologie möglich ist".
Und man nimmt für dieses energische politische Plädoyer auch in Kauf, daß sich in dem Buch immer wieder Passagen finden, die an die Timotei-Werbespots in den achtziger Jahren erinnern, als Frauen und Männern in wallenden Kleidern durch die Wiesen hüpften. Purdy beschwört sein Aufwachsen in einer ländlichen Kommune im tiefsten Amerika als eine Möglichkeit für eine Wiedergeburt der gemeinschaftlichen Verantwortung für die "Allmende", schwärmt von der Arbeit mit bloßen Händen und dem Geruch der Erde und redet von den "wahren Empfindungen", als habe er zuviel Peter Handke gelesen. Zum Glück aber will er uns dann nicht auch noch weismachen, daß wir nach Serbien gehen müssen, um zu wissen, was Sinnlichkeit und gegenwartsgesättigte Zukunft bedeuten - seine Helden wohnen woanders.
Überrascht, aber auch mit großer Neugier liest man, wie Purdy die osteuropäischen Intellektuellen wie Michnik, Milosz und Havel zu den Pionieren einer neuen Politik mit Prinzipien ernennt, die für Worte wie "Freiheit" oder "Verantwortung" noch ins Gefängnis gingen, die im Westen längst zu bloßen Floskeln erstarrt seien. Die Abschnitte über Osteuropa sind sicherlich die faszinierendsten in diesem seltsamen Buch. Sehr oft hat man das Gefühl, hier spräche ein alter, trauriger Mann über unser "geschwätziges Dasein", sehr oft hat man das Gefühl, daß Purdy in seinem Furor allein die weltweite Zunahme an Ironie für das Ozonloch verantwortlich macht. Aber wenn es ihm, wie in den kleinen Skizzen über die ost- und mitteleuropäischen Dissidenten, gelingt, eine Sprachkritik zur Gesellschaftskritik zu machen, dann gewinnt sein Weltschmerz plötzlich an Konkretion. Aber selbst das kann man natürlich außenpolitisch lesen: Denn worüber haben eigentlich Havel und Bush vor zwei Wochen in Prag so vertraulich getuschelt, als sich Gerhard Schröder gerade ironisch grinsend abwendete? Wir vermuten, es ging um einen jungen Literaten, Amerikas Wunderwaffe für die moralische Aufrüstung Europas.
Jedediah Purdy: "Das Elend der Ironie". Aus dem Amerikanischen von Holger Fliessbach. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002. 212 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Franziska Meier kanzelt diesen Essay gnadenlos ab und wettert, der amerikanische Autor entwürdige das kritische Instrument der Ironie zu einem "Synonym eines faden Zynismus". Schon die Beschreibung der Gegenwart als "ironisches Zeitalter", in dem statt politischem Engagement das Sich-Mokieren und -Distanzieren die herrschende Welthaltung sei, findet die Rezensentin nicht grad neu. Wenig kann sie den Aufrufen des Autors für mehr Verantwortung abgewinnen. Am meisten aber missfällt ihr das "Zurück zur Natur", das der Autor propagiere und von dem man heute wisse, dass auch diese Lebensweise mehr Fragen als Antworten biete. Gut gemeinte Ermahnungen hat Meier viele gefunden in diesem Band, Analysen dagegen hat sie vergeblich gesucht. Und so räumt sie zwar ein, dass Purdys Einsichten im Großen und Ganzen ja richtig sind, doch eben auch ziemlich "banal".
© Perlentaucher Medien GmbH
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