Die Ehe normiert Beziehungen und Familie, kontrolliert Sexualität, den Besitz und die Arbeitskraft. Sie ist eine wichtige Stütze des Kapitalismus und lässt uns in binären Geschlechterrollen verharren. In ihrem mutigen und provokanten Buch ruft Emilia Roig daher das Ende einer patriarchalischen Institution aus. Sie hinterfragt die Übermacht der Paare und untersucht, ob man Männer lieben und zugleich das Patriarchat stürzen kann. Letztlich wäre eine Abschaffung der Ehe nicht nur für Frauen befreiend, sondern für alle. Denn nur dann können wir Liebe in Freiheit und auf Augenhöhe miteinander neu denken und leben.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Sonja Asal scheint zwiegespalten angesichts von Emilia Roigs Forderung nach einer Abschaffung der Institution Ehe. Roig hält die Ehe für das Emanzipationshindernis schlechthin, das Frauen in die Mehrfachbelastung und in sexuelle Gewaltverhältnisse treibt, laut Roig alles im Interesse von Staat und Kapitalismus. Asal stellt trotz aller Genauigkeit und Sachlichkeit der Beobachtungen im Buch fest, dass die Autorin mit solchen Gedanken auch Klischees bedient und mitunter ihre eigenen Forderungen unterläuft, so wenn sie einräumt, an der Ehe sei nicht alles schlecht. Dass am Ende des Buches die bekannten Forderungen nach der Abschaffung des Ehegattensplittings und einem Ausbau der Kinderbetreuung stehen, findet Asal etwas lahm.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"In ihrem neuen Buch geht Roig auf die ungleichen Machtverhältnisse innerhalb der bürgerlichen Kernfamilie ein. (...) Ihr Ton ist fragend und ruhig, das Buch theoretisch ambitioniert." Sarah Pines DIE ZEIT Literatur 20230316
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2023Das größte Hindernis der Emanzipation
Gegen das Regime der Heterosexualität: Emilia Roig macht in der Ehe den eigentlichen Kampfplatz der Geschlechter aus.
Vor wenigen Wochen erst beging man in Paris mit Empfängen und öffentlichen Festivitäten das zehnjährige Jubiläum der gleichgeschlechtlichen Ehe. Frankreich war das neunte Land in Europa, das die Ehe für alle einführte, nach den Niederlanden, wo Homosexuelle schon 2001 heiraten konnten, und noch einige Jahre vor Deutschland, wo dies erst seit 2017 möglich ist. Was nun nach langen politischen Kämpfen als gesellschaftliche Errungenschaft gefeiert wurde, betrachtet die Politikwissenschaftlerin und Gender-Aktivistin Emilia Roig allerdings mit gemischten Gefühlen. Sie fordert in ihrem neuen Buch die Abschaffung der Ehe - und zwar für alle.
Will man ihr Argument auf einen Nenner bringen, so hält sie die Ehe und die mit ihr transportierten Normen für das größte Emanzipationshindernis, und dies nicht nur für Frauen, sondern für alle Geschlechter. Denn je größer die Fortschritte der Gleichberechtigung auf politischer Ebene zu sein scheinen, desto unsichtbarer werden nach wie vor herrschende Formen der Unterdrückung, desto mehr verstecken sich hierarchische Verhältnisse in den privaten, ja den intimsten Beziehungen. Will man die patriarchale Gesellschaft aus den Angeln heben, dann ist für Roig die Ehe der Ort, an dem es den Hebel anzusetzen gilt.
An Belegen dafür, dass die Ehe trotz aller politischen Bemühungen nach wie vor kein Hort der Gleichberechtigung ist, herrscht bekanntermaßen kein Mangel. Die ökonomische und soziale Bilanz fällt insgesamt für die Frauen alles andere als positiv aus. Frauen übernehmen den Großteil der sogenannten Care-Arbeit, nach wie vor stehen vor allem sie unter der Mehrfachbelastung von Beruf, Haushalt und Kinderbetreuung. Wenn Kinder da sind, sind es immer noch mehrheitlich die Frauen, die mit der Erwerbsarbeit aussetzen und sie später oft nur in Teilzeit weiterführen. In der Folge können sie weniger Vermögen aufbauen und bekommen später niedrigere Renten. Ganz zu schweigen schließlich von der häuslichen, auch sexuellen Gewalt, der wiederum in den meisten Fällen Frauen zum Opfer fallen.
Die Benachteiligung der Frauen hat nach Roig machtvolle Unterstützung. Das ist auf der einen Seite der Staat, der nicht nur viel zu wenig gegen die systematische Ausbeutung von Frauen unternimmt, sondern sie auf vielfache Weise, etwa durch steuerliche Anreize wie das Ehegattensplitting, sogar noch fördert. Mehr noch: Das patriarchale kapitalistische System beruht nach Roigs Diagnose im Kern auf der Ehe. Denn sie ist eines seiner stärksten Machtinstrumente, erlaubt dem Staat "die Kontrolle über die Fortpflanzung der Bevölkerung". Und auf der anderen Seite sind es fest verankerte Wahrnehmungsmuster und Überzeugungen, die unsere Handlungen steuern und die es ebenfalls zu verändern gelte - wobei Roig dann doch oft beim Klischee landet: "Das ultimative Ziel im Leben vieler heterosexueller Frauen ist es, ihren Prinzen zu finden." Wirklich?
Allein mit der Abschaffung der Ehe als Rechtsform, darüber ist sich Roig im Klaren, würde sich an den fest zementierten Hierarchien und der Benachteiligung der Frauen wenig ändern. Ihre Forderung geht daher darüber hinaus: Es ist die binäre Geschlechterordnung, die aufgelöst werden muss, um "politische Regime der Heterosexualität, auf dem die Ehe und unsere gesamte Gesellschaft beruhen", zum Verschwinden zu bringen. Hier setzt der utopische Aspekt ihres Buches an, den sie auch als solchen benennt. Roigs Forderung nach Gerechtigkeit zielt nicht auf Quoten und nicht auf Repräsentation. Aber sie hat, getreu der Devise, dass das Private politisch sei, den Bereich des Privaten als den eigentlichen Kampfplatz der Geschlechter ausgemacht. Genau das ist gemeint, wenn sie neben dem Gender pay gap, tax gap und pension gap auch den orgasm gap als Resultat der in heterosexuellen Beziehungen mehrheitlich gepflegten Sexualpraktiken anführt - auch dies empirisch unterlegt. Von hier aus, sozusagen vom intimsten Inneren, schreitet die Argumentation dann wieder ins Politische zurück: Von der Fixierung auf die Penetration befreit, würden Geschlechterrollen fluider und damit immer schon hierarchische Beziehungen aufgelöst und schließlich andere Formen der Gemeinschaft jenseits der Zweierbeziehung möglich.
Roig schöpft für ihre Darstellung aus präzisen Beobachtungen und eigenen Erfahrungen. Dazu gehört ihre eigene, vier Jahre dauernde Ehe, die, wie statistisch etwa jede dritte Ehe in Deutschland, geschieden wurde. Bei aller Radikalität der Forderung nach einem "Ende der Ehe" bleibt Roig im Duktus sachlich und oft sogar konziliant. Genau dieses Bemühen darum, auch möglicherweise sogar glücklich verheiratete Leserinnen nicht zu verschrecken, gehört aber zu den Problemen des Buchs. Symptomatisch dafür ist ein Satz wie "Es ist nicht alles schlecht an der Ehe." Wer heiraten wolle, solle dies auch weiterhin tun. Angesichts der Szenen, die Roig schildert, klingt das allerdings nicht nach einer guten Idee. Roig berichtet von Situationen aus ihrem Bekanntenkreis, die man nicht anders als bedrückend nennen kann. Gibt es tatsächlich Männer, die ihrer Frau jeden Morgen zehn Euro als Taschengeld auf den Nachttisch legen? Und, müsste man nachsetzen, Frauen, die sich das gefallen lassen?
Roig selbst schildert das Ausbrechen aus dem permanenten Machtkampf mit ihrem Mann und ihre Hinwendung zum Queersein denn auch als Geschichte einer Befreiung. Und irgendwie verheddert sie sich gegen Ende des Buches dann zwischen der radikalen Utopie und dem Ruf nach dem Eingreifen des Staates. Ihre Forderung nicht nach Reform, sondern nach einer "radikalen Transformation" der Gesellschaft mündet wenig spektakulär in die nach der Abschaffung des Ehegattensplittings, der Einführung einer feministischen Steuer, dem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und danach, dass der Staat "mehr finanzielle Verantwortung für die Pflege von Kindern, älteren und anderen pflegebedürftigen Menschen übernehmen" solle. Schließlich sollten die Menschen mehr in Gemeinschaften zusammenleben, "die nicht auf biologischen Bindungen basieren".
Die interessante Frage wird sein, ob nicht die aktuelle ökonomische und ökologische Situation auf ganz eigene Weise Entwicklungen vorantreiben wird, wie Roig sie anmahnt. Sichtbar wird dies gegenwärtig in Überlegungen, dem Fachkräftemangel durch eine Erhöhung der Erwerbsquote von Frauen zu begegnen. Und angesichts fehlenden Wohnraums, der notwendigen Verhinderung weiterer Flächenversiegelung und einer alternden Gesellschaft werden wohl auch neue Wohn- und damit Lebensformen jenseits des Einfamilienhäuschens im Grünen erdacht werden müssen. SONJA ASAL
Emilia Roig: "Das Ende der Ehe". Für eine Revolution der Liebe.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 384 S., geb., 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gegen das Regime der Heterosexualität: Emilia Roig macht in der Ehe den eigentlichen Kampfplatz der Geschlechter aus.
Vor wenigen Wochen erst beging man in Paris mit Empfängen und öffentlichen Festivitäten das zehnjährige Jubiläum der gleichgeschlechtlichen Ehe. Frankreich war das neunte Land in Europa, das die Ehe für alle einführte, nach den Niederlanden, wo Homosexuelle schon 2001 heiraten konnten, und noch einige Jahre vor Deutschland, wo dies erst seit 2017 möglich ist. Was nun nach langen politischen Kämpfen als gesellschaftliche Errungenschaft gefeiert wurde, betrachtet die Politikwissenschaftlerin und Gender-Aktivistin Emilia Roig allerdings mit gemischten Gefühlen. Sie fordert in ihrem neuen Buch die Abschaffung der Ehe - und zwar für alle.
Will man ihr Argument auf einen Nenner bringen, so hält sie die Ehe und die mit ihr transportierten Normen für das größte Emanzipationshindernis, und dies nicht nur für Frauen, sondern für alle Geschlechter. Denn je größer die Fortschritte der Gleichberechtigung auf politischer Ebene zu sein scheinen, desto unsichtbarer werden nach wie vor herrschende Formen der Unterdrückung, desto mehr verstecken sich hierarchische Verhältnisse in den privaten, ja den intimsten Beziehungen. Will man die patriarchale Gesellschaft aus den Angeln heben, dann ist für Roig die Ehe der Ort, an dem es den Hebel anzusetzen gilt.
An Belegen dafür, dass die Ehe trotz aller politischen Bemühungen nach wie vor kein Hort der Gleichberechtigung ist, herrscht bekanntermaßen kein Mangel. Die ökonomische und soziale Bilanz fällt insgesamt für die Frauen alles andere als positiv aus. Frauen übernehmen den Großteil der sogenannten Care-Arbeit, nach wie vor stehen vor allem sie unter der Mehrfachbelastung von Beruf, Haushalt und Kinderbetreuung. Wenn Kinder da sind, sind es immer noch mehrheitlich die Frauen, die mit der Erwerbsarbeit aussetzen und sie später oft nur in Teilzeit weiterführen. In der Folge können sie weniger Vermögen aufbauen und bekommen später niedrigere Renten. Ganz zu schweigen schließlich von der häuslichen, auch sexuellen Gewalt, der wiederum in den meisten Fällen Frauen zum Opfer fallen.
Die Benachteiligung der Frauen hat nach Roig machtvolle Unterstützung. Das ist auf der einen Seite der Staat, der nicht nur viel zu wenig gegen die systematische Ausbeutung von Frauen unternimmt, sondern sie auf vielfache Weise, etwa durch steuerliche Anreize wie das Ehegattensplitting, sogar noch fördert. Mehr noch: Das patriarchale kapitalistische System beruht nach Roigs Diagnose im Kern auf der Ehe. Denn sie ist eines seiner stärksten Machtinstrumente, erlaubt dem Staat "die Kontrolle über die Fortpflanzung der Bevölkerung". Und auf der anderen Seite sind es fest verankerte Wahrnehmungsmuster und Überzeugungen, die unsere Handlungen steuern und die es ebenfalls zu verändern gelte - wobei Roig dann doch oft beim Klischee landet: "Das ultimative Ziel im Leben vieler heterosexueller Frauen ist es, ihren Prinzen zu finden." Wirklich?
Allein mit der Abschaffung der Ehe als Rechtsform, darüber ist sich Roig im Klaren, würde sich an den fest zementierten Hierarchien und der Benachteiligung der Frauen wenig ändern. Ihre Forderung geht daher darüber hinaus: Es ist die binäre Geschlechterordnung, die aufgelöst werden muss, um "politische Regime der Heterosexualität, auf dem die Ehe und unsere gesamte Gesellschaft beruhen", zum Verschwinden zu bringen. Hier setzt der utopische Aspekt ihres Buches an, den sie auch als solchen benennt. Roigs Forderung nach Gerechtigkeit zielt nicht auf Quoten und nicht auf Repräsentation. Aber sie hat, getreu der Devise, dass das Private politisch sei, den Bereich des Privaten als den eigentlichen Kampfplatz der Geschlechter ausgemacht. Genau das ist gemeint, wenn sie neben dem Gender pay gap, tax gap und pension gap auch den orgasm gap als Resultat der in heterosexuellen Beziehungen mehrheitlich gepflegten Sexualpraktiken anführt - auch dies empirisch unterlegt. Von hier aus, sozusagen vom intimsten Inneren, schreitet die Argumentation dann wieder ins Politische zurück: Von der Fixierung auf die Penetration befreit, würden Geschlechterrollen fluider und damit immer schon hierarchische Beziehungen aufgelöst und schließlich andere Formen der Gemeinschaft jenseits der Zweierbeziehung möglich.
Roig schöpft für ihre Darstellung aus präzisen Beobachtungen und eigenen Erfahrungen. Dazu gehört ihre eigene, vier Jahre dauernde Ehe, die, wie statistisch etwa jede dritte Ehe in Deutschland, geschieden wurde. Bei aller Radikalität der Forderung nach einem "Ende der Ehe" bleibt Roig im Duktus sachlich und oft sogar konziliant. Genau dieses Bemühen darum, auch möglicherweise sogar glücklich verheiratete Leserinnen nicht zu verschrecken, gehört aber zu den Problemen des Buchs. Symptomatisch dafür ist ein Satz wie "Es ist nicht alles schlecht an der Ehe." Wer heiraten wolle, solle dies auch weiterhin tun. Angesichts der Szenen, die Roig schildert, klingt das allerdings nicht nach einer guten Idee. Roig berichtet von Situationen aus ihrem Bekanntenkreis, die man nicht anders als bedrückend nennen kann. Gibt es tatsächlich Männer, die ihrer Frau jeden Morgen zehn Euro als Taschengeld auf den Nachttisch legen? Und, müsste man nachsetzen, Frauen, die sich das gefallen lassen?
Roig selbst schildert das Ausbrechen aus dem permanenten Machtkampf mit ihrem Mann und ihre Hinwendung zum Queersein denn auch als Geschichte einer Befreiung. Und irgendwie verheddert sie sich gegen Ende des Buches dann zwischen der radikalen Utopie und dem Ruf nach dem Eingreifen des Staates. Ihre Forderung nicht nach Reform, sondern nach einer "radikalen Transformation" der Gesellschaft mündet wenig spektakulär in die nach der Abschaffung des Ehegattensplittings, der Einführung einer feministischen Steuer, dem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und danach, dass der Staat "mehr finanzielle Verantwortung für die Pflege von Kindern, älteren und anderen pflegebedürftigen Menschen übernehmen" solle. Schließlich sollten die Menschen mehr in Gemeinschaften zusammenleben, "die nicht auf biologischen Bindungen basieren".
Die interessante Frage wird sein, ob nicht die aktuelle ökonomische und ökologische Situation auf ganz eigene Weise Entwicklungen vorantreiben wird, wie Roig sie anmahnt. Sichtbar wird dies gegenwärtig in Überlegungen, dem Fachkräftemangel durch eine Erhöhung der Erwerbsquote von Frauen zu begegnen. Und angesichts fehlenden Wohnraums, der notwendigen Verhinderung weiterer Flächenversiegelung und einer alternden Gesellschaft werden wohl auch neue Wohn- und damit Lebensformen jenseits des Einfamilienhäuschens im Grünen erdacht werden müssen. SONJA ASAL
Emilia Roig: "Das Ende der Ehe". Für eine Revolution der Liebe.
Ullstein Verlag, Berlin 2023. 384 S., geb., 22,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main