In brillanter Analyse zerlegt Kohr die Ideologien des Größenwahns in der Politik und in der Wirtschaft. Er zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, warum große Einheiten zwangsweise scheitern müssen und nur die Einhaltung des richtigen Maßes die Menschheit vor dem Sturz in den Abgrund retten kann. Die Leopold-Kohr-Akademie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die bedeutenden Werke Kohrs in einer neuen Reihe herauszugeben, derer erster und wohl wichtigster Band hiermit vorliegt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2003Teilung statt Zusammenschluß
Leopold Kohr verweist auf den Menschen als Maß aller politischen Dinge
Leopold Kohr: Das Ende der Großen - zurück zum menschlichen Maß. Otto Müller Verlag, Salzburg 2002, 300 Seiten, 22 Euro.
Die zentralisierte Super- und Großmacht in Politik und Wirtschaft hat viele Bewunderer. Nicht so häufig erheben sich eindrucksvolle Stimmen zugunsten der "Nonzentralisation" (mit einem Ausdruck Robert Nefs), für die kleinen und mittel-ständischen Betriebsgrößen. Das "Große" imponiert und schüchtert ein - selbst wenn es mit sozialen Kosten und politischer Abdankung der Bürger verbunden ist. Diese Anbetung der Größe kann man in Europa an der dominierenden Art der Integration beobachten, an dem kaum kontrollierbaren Ehrgeiz, unter wohlklingenden Stichworten wie Harmonisierung, Binnenmarkt, einheitliche Währung oder Senkung der Transaktionskosten planierte Räume zu schaffen.
Die Freunde des Kleinen, Übersichtlichen, Menschengemäßen in der Sozialorganisation waren immer in der Minderheit - allerdings in einer glänzenden Minderheit. So sprach sich in der Antike Aristoteles eindrucksvoll für das "gute Leben" in kleinen Einheiten aus und später Augustinus, der am Römischen Großreich kaum einen guten Faden ließ, es für eine Art höherer Räuberei erklärte. In der neueren Zeit waren Lobredner des Kleinen zum Beispiel Jean Jacques Rousseau, Benjamin Constant und Jacob Burckhardt, in der neuesten Wilhelm Röpke, Denis de Rougemont und Werner Kagi. Wenig bekannt ist bis heute einer der unbedingtesten Apologeten des Kleindimensionierten, der Ökonom und Journalist Leopold Kohr, ein Amerikaner österreichischer Herkunft, der 1994 im britischen Gloucester gestorben ist. Sein Hauptwerk wurde 1957 zuerst publiziert und ist nun in deutscher Fassung neu aufgelegt. (Bekannter als Kohr ist sein Schüler E. F. Schumacher, der sich mit dem Buchtitel "Small is beautiful" einen Namen gemacht hat.)
Kohrs Anliegen ist eine Art "Soziophysik" der Macht und ihrer Auswirkungen. Hat nicht das Menschengeschlecht in den Abschnitten der Kleinstaaterei kulturell am besten geblüht? Zum Beispiel in der Antike zu Athens großer Zeit, dann im späten Mittelalter oder in der Renaissance, in der Zeit der reichen Städtekulturen Deutschlands und Italiens, oder während der klassischen Epoche deutscher "Pumpernickelstaaten" wie Sachsen-Weimar? Auch politische Gebilde unterliegen nach Kohr dem Gesetz abnehmenden Grenznutzens im Sinne der Werte, für die Staaten eigentlich da sind: die Wahrung der Selbstbestimmung, die vielseitige Entfaltung der Menschen durch breite Erfahrungsmöglichkeiten, die echte Personalsouveränität ihrer Bürger. Nur in kleinen Einheiten könne man sich zu Hause fühlen. Je größer die Staaten, desto kleiner ihre Produktivität im Sinne dieser Werte. Je größer die Staaten, desto größer auch die Dimension historischer Katastrophen, die sie verursachen.
Kleinstaaten sind Kohr schon deswegen so sympathisch, weil ihr Schadenspotential strukturell gering ist. Vielleicht gab es in der Kleinstaatenzeit mehr Kriege, aber wie sahen diese aus? "Der Herzog von Tirol erklärte dem Markgrafen von Bayern den Krieg, weil jemandem das Pferd gestohlen war. Der Krieg dauerte zwei Wochen. Es gab einen Toten und sechs Verwundete. Ein Dorf wurde eingenommen, dabei wurde der Wein getrunken, der im Keller des Gasthofes lagerte. Dann wurde Frieden geschlossen und die Summe von 100 Talern als Entschädigung gezahlt. Die geographisch nahe liegenden Länder, die Erzbischof-Residenz von Salzburg und das Fürstentum von Liechtenstein, erfuhren von den Vorgängen ein paar Wochen später, und der Rest Europas hörte davon überhaupt nichts." Man vergleiche damit die totalen Kriege von heute: Je mehr Staat, desto weniger zählt der einzelne Mensch. So wird auch Kohrs "Lob der Grenzen" - statt ihrer Aufhebung zugunsten von Großräumen - verständlich, womit er sich nicht gegen internationalen Freihandel stellen will.
Der Autor schlägt vor, die Großstaaten aufzulösen und sie in ihre historischen Bestandteile aufzuteilen, etwa Deutschland in Hessen, Baden, Bayern und so weiter. Nur gleichmäßig schwache Staaten sind nach Kohrs Meinung dazu in der Lage, sich erfolgreich in Konföderationen zu vereinigen. Die Europäische Gemeinschaft mit ihren internen Ungleichgewichten (Großstaaten wie Frankreich und Deutschland neben Ländern wie Dänemark oder Luxemburg) sieht er auf dem falschen Weg und sagt das Scheitern dieses Modells voraus. Gewiß rutscht der Verfasser mit seinen zum Teil humorvoll überspitzten Betrachtungen manchmal in das Reich der Sozialromantik. Aber er ist ironisch genug, ein Kapitel seines Buches mit der Frage zu überschreiben: "Wird es geschehen?" Die Antwort besteht nur aus einem einzigen Wort: "Nein!"
Gleichwohl, dem Leser wird mit diesem Buch ein nützlicher Kompaß zur Beurteilung der politischen Entwicklung gegeben. Er wird, wenn ihn die Thesen dieses Buches überzeugen, jeder Bewegung seine Unterstützung entziehen, die in Richtung einer Zentralisation der Macht geht, und er wird unterstützen, was Kohrs Ideale begünstigt: das Subsidiaritätsprinzip in der europäischen Debatte zum Beispiel oder den deutschen Wettbewerbsföderalismus. Es kann nicht überraschen, daß die Schweiz - eine Vereinigung von "souveränen" kleinen Kantonalstaaten - Kohrs leuchtendes Vorbild ist. Auch Amerika sieht er vor allem als einen Verbund von kleinen Staaten an und leitet seinen Erfolg daraus ab (wobei er freilich das Ausmaß der dort inzwischen gegebenen Zentralisation unterschätzt).
Kohrs Buch ist ein Mittel gegen die Magie des Großen, ein Gegengewicht gegen den Kult des Kolossalen und eine Waffenkammer für die Freunde des "Menschengemäßen", des Mittelständischen in Politik und Wirtschaft. "Das Maß aller Dinge ist daher der Mensch, nicht die Menschheit, die Gesellschaft, die Nation oder der Staat. Da der Mensch klein ist, müssen auch seine Institutionen - Familie, Betrieb, Wirtshaus, Spital, Dorf, Stadt, Gesangverein - relativ klein bleiben, wenn sie ihn nicht zerquetschen sollen. Aus demselben Grund ist die beste Regierung nicht die stärkste, sondern die schwächste, die gerade ausreicht, dem Bürger ein aristotelisch gutes Leben zu sichern; eine Regierung, die nicht am meisten für ihn tut, sondern sich am wenigsten in seine Privatsphäre einmischt und ihn in Ruhe läßt." Eine sympathische Philosophie.
GERD HABERMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leopold Kohr verweist auf den Menschen als Maß aller politischen Dinge
Leopold Kohr: Das Ende der Großen - zurück zum menschlichen Maß. Otto Müller Verlag, Salzburg 2002, 300 Seiten, 22 Euro.
Die zentralisierte Super- und Großmacht in Politik und Wirtschaft hat viele Bewunderer. Nicht so häufig erheben sich eindrucksvolle Stimmen zugunsten der "Nonzentralisation" (mit einem Ausdruck Robert Nefs), für die kleinen und mittel-ständischen Betriebsgrößen. Das "Große" imponiert und schüchtert ein - selbst wenn es mit sozialen Kosten und politischer Abdankung der Bürger verbunden ist. Diese Anbetung der Größe kann man in Europa an der dominierenden Art der Integration beobachten, an dem kaum kontrollierbaren Ehrgeiz, unter wohlklingenden Stichworten wie Harmonisierung, Binnenmarkt, einheitliche Währung oder Senkung der Transaktionskosten planierte Räume zu schaffen.
Die Freunde des Kleinen, Übersichtlichen, Menschengemäßen in der Sozialorganisation waren immer in der Minderheit - allerdings in einer glänzenden Minderheit. So sprach sich in der Antike Aristoteles eindrucksvoll für das "gute Leben" in kleinen Einheiten aus und später Augustinus, der am Römischen Großreich kaum einen guten Faden ließ, es für eine Art höherer Räuberei erklärte. In der neueren Zeit waren Lobredner des Kleinen zum Beispiel Jean Jacques Rousseau, Benjamin Constant und Jacob Burckhardt, in der neuesten Wilhelm Röpke, Denis de Rougemont und Werner Kagi. Wenig bekannt ist bis heute einer der unbedingtesten Apologeten des Kleindimensionierten, der Ökonom und Journalist Leopold Kohr, ein Amerikaner österreichischer Herkunft, der 1994 im britischen Gloucester gestorben ist. Sein Hauptwerk wurde 1957 zuerst publiziert und ist nun in deutscher Fassung neu aufgelegt. (Bekannter als Kohr ist sein Schüler E. F. Schumacher, der sich mit dem Buchtitel "Small is beautiful" einen Namen gemacht hat.)
Kohrs Anliegen ist eine Art "Soziophysik" der Macht und ihrer Auswirkungen. Hat nicht das Menschengeschlecht in den Abschnitten der Kleinstaaterei kulturell am besten geblüht? Zum Beispiel in der Antike zu Athens großer Zeit, dann im späten Mittelalter oder in der Renaissance, in der Zeit der reichen Städtekulturen Deutschlands und Italiens, oder während der klassischen Epoche deutscher "Pumpernickelstaaten" wie Sachsen-Weimar? Auch politische Gebilde unterliegen nach Kohr dem Gesetz abnehmenden Grenznutzens im Sinne der Werte, für die Staaten eigentlich da sind: die Wahrung der Selbstbestimmung, die vielseitige Entfaltung der Menschen durch breite Erfahrungsmöglichkeiten, die echte Personalsouveränität ihrer Bürger. Nur in kleinen Einheiten könne man sich zu Hause fühlen. Je größer die Staaten, desto kleiner ihre Produktivität im Sinne dieser Werte. Je größer die Staaten, desto größer auch die Dimension historischer Katastrophen, die sie verursachen.
Kleinstaaten sind Kohr schon deswegen so sympathisch, weil ihr Schadenspotential strukturell gering ist. Vielleicht gab es in der Kleinstaatenzeit mehr Kriege, aber wie sahen diese aus? "Der Herzog von Tirol erklärte dem Markgrafen von Bayern den Krieg, weil jemandem das Pferd gestohlen war. Der Krieg dauerte zwei Wochen. Es gab einen Toten und sechs Verwundete. Ein Dorf wurde eingenommen, dabei wurde der Wein getrunken, der im Keller des Gasthofes lagerte. Dann wurde Frieden geschlossen und die Summe von 100 Talern als Entschädigung gezahlt. Die geographisch nahe liegenden Länder, die Erzbischof-Residenz von Salzburg und das Fürstentum von Liechtenstein, erfuhren von den Vorgängen ein paar Wochen später, und der Rest Europas hörte davon überhaupt nichts." Man vergleiche damit die totalen Kriege von heute: Je mehr Staat, desto weniger zählt der einzelne Mensch. So wird auch Kohrs "Lob der Grenzen" - statt ihrer Aufhebung zugunsten von Großräumen - verständlich, womit er sich nicht gegen internationalen Freihandel stellen will.
Der Autor schlägt vor, die Großstaaten aufzulösen und sie in ihre historischen Bestandteile aufzuteilen, etwa Deutschland in Hessen, Baden, Bayern und so weiter. Nur gleichmäßig schwache Staaten sind nach Kohrs Meinung dazu in der Lage, sich erfolgreich in Konföderationen zu vereinigen. Die Europäische Gemeinschaft mit ihren internen Ungleichgewichten (Großstaaten wie Frankreich und Deutschland neben Ländern wie Dänemark oder Luxemburg) sieht er auf dem falschen Weg und sagt das Scheitern dieses Modells voraus. Gewiß rutscht der Verfasser mit seinen zum Teil humorvoll überspitzten Betrachtungen manchmal in das Reich der Sozialromantik. Aber er ist ironisch genug, ein Kapitel seines Buches mit der Frage zu überschreiben: "Wird es geschehen?" Die Antwort besteht nur aus einem einzigen Wort: "Nein!"
Gleichwohl, dem Leser wird mit diesem Buch ein nützlicher Kompaß zur Beurteilung der politischen Entwicklung gegeben. Er wird, wenn ihn die Thesen dieses Buches überzeugen, jeder Bewegung seine Unterstützung entziehen, die in Richtung einer Zentralisation der Macht geht, und er wird unterstützen, was Kohrs Ideale begünstigt: das Subsidiaritätsprinzip in der europäischen Debatte zum Beispiel oder den deutschen Wettbewerbsföderalismus. Es kann nicht überraschen, daß die Schweiz - eine Vereinigung von "souveränen" kleinen Kantonalstaaten - Kohrs leuchtendes Vorbild ist. Auch Amerika sieht er vor allem als einen Verbund von kleinen Staaten an und leitet seinen Erfolg daraus ab (wobei er freilich das Ausmaß der dort inzwischen gegebenen Zentralisation unterschätzt).
Kohrs Buch ist ein Mittel gegen die Magie des Großen, ein Gegengewicht gegen den Kult des Kolossalen und eine Waffenkammer für die Freunde des "Menschengemäßen", des Mittelständischen in Politik und Wirtschaft. "Das Maß aller Dinge ist daher der Mensch, nicht die Menschheit, die Gesellschaft, die Nation oder der Staat. Da der Mensch klein ist, müssen auch seine Institutionen - Familie, Betrieb, Wirtshaus, Spital, Dorf, Stadt, Gesangverein - relativ klein bleiben, wenn sie ihn nicht zerquetschen sollen. Aus demselben Grund ist die beste Regierung nicht die stärkste, sondern die schwächste, die gerade ausreicht, dem Bürger ein aristotelisch gutes Leben zu sichern; eine Regierung, die nicht am meisten für ihn tut, sondern sich am wenigsten in seine Privatsphäre einmischt und ihn in Ruhe läßt." Eine sympathische Philosophie.
GERD HABERMANN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gerd Habermann hat Leopold Kohrs Plädoyer für die kleine Einheit mit sehr viel Sympathie gelesen. Er sieht mit dem Buch ein hervorragendes Gegengewicht zum Kult des Kolossalen gesetzt, der in Politik und Wirtschaft immer mehr den Menschen als Maß aller Dinge verdränge. Kohrs leuchtendes Vorbild ist dabei natürlich die Schweiz, wie wir von Habermann erfahren, sein stärkstes Argument ist das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens, das Habermann so erklärt: Je größer die Staaten, desto größer auch die Katastrophen. So schlägt der Autor vor, die Großstaaten wieder aufzulösen und sie in ihre historischen Bestandteile zu zerlegen. Kohr weiß um die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens, und so tröstet ihn der Rezensent mit dem Hinweis, dass sich die Freunde des Kleinen, Menschengemäßen immer in einer Minderheit befunden hätten, aber einer glänzenden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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