Wie sollen Demokratien auf die Krisen in Ökonomie und Ökologie gerecht und nachhaltig reagieren?
Finanz- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, schwindende Ressourcen und der Raubbau an der Zukunft der kommenden Generationen bilden einen beispiellosen sozialen Sprengstoff. Die Analyse der sich auftürmenden Krisen zeigt, wie Demokratien dabei unter die Räder kommen, wenn sie nicht radikal erneuert werden und den Weg aus der Leitkultur der Verschwendung finden.
Finanz- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, schwindende Ressourcen und der Raubbau an der Zukunft der kommenden Generationen bilden einen beispiellosen sozialen Sprengstoff. Die Analyse der sich auftürmenden Krisen zeigt, wie Demokratien dabei unter die Räder kommen, wenn sie nicht radikal erneuert werden und den Weg aus der Leitkultur der Verschwendung finden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.20093. Warum machen wir so weiter?
Im vergangenen Jahr gab es Menschen, die behauptet haben, dass die Insolvenz der Lehman-Brothers-Bank im September 2008, sie nannten es das "9/15", für die Welt einen schwereren Schock bedeutet habe als "9/11", der Anschlag auf das World Trade Center als Symbol des westlichen Finanzkapitalismus. In Harald Welzers und Claus Leggewies Buch "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten - Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie" taucht diese Behauptung auf den ersten Seiten jetzt wieder auf. Lehman Brothers stehe für das keineswegs überwundene System organisierter Verantwortungslosigkeit, das nach irrwitzigen Hoffnungen auf Superrenditen Millionen Menschen die Arbeit und ihren Lebensunterhalt koste, Kinder und alte Leute in eine neue Armut stürze und die Handlungsfähigkeit von Staaten einschränke. Und man fragt sich natürlich, was solche Vergleiche überhaupt sollen; wem damit gedient ist, das eine inkommensurable Ereignis, immerhin ein Massaker, gegen das andere auszuspielen. Der Erkenntnis dienen solche Vergleiche ja meistens nicht, eher handelt es sich um rhetorische Argumentationstricks.
Allerdings wäre es ein Fehler, Welzers und Leggewies Buch deshalb gleich aus der Hand zu legen. In seiner Beharrlichkeit, seinem Realismus und der Aufforderung zum Handeln, die an jeden Einzelnen gerichtet ist und sich nicht in abstrakten Mutmaßungen verliert, gehört "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten" zu den interessantesten Beiträgen, die zuletzt zur Finanz- und Klimakrise erschienen sind. Während Investmentbanker längst wieder Boni kassieren und Regierungen sich heillos verschulden, hören Welzer und Leggewie nicht auf, jene Wachstumsideologie in Frage zu stellen, derzufolge die Gesellschaft und die sie tragende Wirtschaft unablässig expandieren sollen und mit welcher der Wachstumsbegriff längst "parareligiöse Qualität" erreicht hat - was man auch daran sieht, dass im Fall einer Rezession vom "negativen Wachstum" gesprochen wird. "Schrumpfen" klingt einfach zu unschön.
In einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum undenkbar; dass man trotzdem denke, das ginge, zeige nur, zu welchen Illusionen unser Habitus führe, sagen die Autoren, die dafür plädieren, den theologisch aufgeladenen Wachstumsbegriff endlich zu säkularisieren, und die auch sonst dazu anhalten, mit ein paar Mythen aufzuräumen, zum Beispiel mit dem Mythos Automobilindustrie. Die größte Massenbewegung nach der Finanzkrise im September 2008 war der Ansturm auf die Showrooms der Autohäuser, um die Abwrackprämie zu kassieren, deren Erfindung sich der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zuschrieb und die der zuständige Ressortminister Sigmar Gabriel gegen alle Vernunft als Umweltprämie verteidigte. Wer sich an der Autoindustrie vergreife, sei nicht "nah bei den Menschen", so Steinmeier. Man reibt sich da nachträglich noch mal die Augen. Wenn man einen Stahl- zu einem Tourismuskonzern umbauen kann (Beispiel TUI) oder einen verschlafenen Gummistiefelhersteller zu einem der führenden Handyproduzenten (Beispiel Nokia), warum kann dann die Automobilindustrie nur Autos und nichts anderes entwickeln? Und dann noch derart am Markt vorbei? Die Finanzkrise, so Welzer und Leggewie, habe verdeutlicht, auf welche Weise im Kapitalismus Individuen wie Kollektive ihre Zukunft vor der Zeit verbrauchen können. "Unsere Kinder sollen es mal schlechter haben", scheint das rigoros praktizierte Motto zu lauten. Die Rechnung dafür werden uns die nachfolgenden Generationen später vorlegen.
Warum aber machen wir immer so weiter? Die Autoren haben dafür nachvollziehbare sozialpsychologische Erklärungen. Menschen, erläutern sie anhand von Forschungsergebnissen, reagieren weitaus stärker auf aktuelle Anforderungen, handeln nur selten aus Überzeugung und entwickeln selektive Wahrnehmungsmuster, die es dem überzeugten Öko erlauben, äußere Umstände anzugeben, wenn er erklären soll, warum er, gegen seine eigenen Ideale, mit dem Flugzeug fliegt. Irgendeinen Grund gibt es immer, Dinge lieber nicht zu tun.
Harald Welzer und Claus Leggewie setzen einen Handlungskatalog dagegen: "APO 2.0" lautet ihre Parole, die, als grüner Aufkleber, ihrem Buch beigefügt ist. Die Zeit der Aufkleber, denkt man, ist eigentlich vorbei. Aber noch ist Zeit zu handeln.
Julia Encke.
Harald Welzer/Claus Leggewie: "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten - Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie". S. Fischer, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im vergangenen Jahr gab es Menschen, die behauptet haben, dass die Insolvenz der Lehman-Brothers-Bank im September 2008, sie nannten es das "9/15", für die Welt einen schwereren Schock bedeutet habe als "9/11", der Anschlag auf das World Trade Center als Symbol des westlichen Finanzkapitalismus. In Harald Welzers und Claus Leggewies Buch "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten - Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie" taucht diese Behauptung auf den ersten Seiten jetzt wieder auf. Lehman Brothers stehe für das keineswegs überwundene System organisierter Verantwortungslosigkeit, das nach irrwitzigen Hoffnungen auf Superrenditen Millionen Menschen die Arbeit und ihren Lebensunterhalt koste, Kinder und alte Leute in eine neue Armut stürze und die Handlungsfähigkeit von Staaten einschränke. Und man fragt sich natürlich, was solche Vergleiche überhaupt sollen; wem damit gedient ist, das eine inkommensurable Ereignis, immerhin ein Massaker, gegen das andere auszuspielen. Der Erkenntnis dienen solche Vergleiche ja meistens nicht, eher handelt es sich um rhetorische Argumentationstricks.
Allerdings wäre es ein Fehler, Welzers und Leggewies Buch deshalb gleich aus der Hand zu legen. In seiner Beharrlichkeit, seinem Realismus und der Aufforderung zum Handeln, die an jeden Einzelnen gerichtet ist und sich nicht in abstrakten Mutmaßungen verliert, gehört "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten" zu den interessantesten Beiträgen, die zuletzt zur Finanz- und Klimakrise erschienen sind. Während Investmentbanker längst wieder Boni kassieren und Regierungen sich heillos verschulden, hören Welzer und Leggewie nicht auf, jene Wachstumsideologie in Frage zu stellen, derzufolge die Gesellschaft und die sie tragende Wirtschaft unablässig expandieren sollen und mit welcher der Wachstumsbegriff längst "parareligiöse Qualität" erreicht hat - was man auch daran sieht, dass im Fall einer Rezession vom "negativen Wachstum" gesprochen wird. "Schrumpfen" klingt einfach zu unschön.
In einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum undenkbar; dass man trotzdem denke, das ginge, zeige nur, zu welchen Illusionen unser Habitus führe, sagen die Autoren, die dafür plädieren, den theologisch aufgeladenen Wachstumsbegriff endlich zu säkularisieren, und die auch sonst dazu anhalten, mit ein paar Mythen aufzuräumen, zum Beispiel mit dem Mythos Automobilindustrie. Die größte Massenbewegung nach der Finanzkrise im September 2008 war der Ansturm auf die Showrooms der Autohäuser, um die Abwrackprämie zu kassieren, deren Erfindung sich der Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zuschrieb und die der zuständige Ressortminister Sigmar Gabriel gegen alle Vernunft als Umweltprämie verteidigte. Wer sich an der Autoindustrie vergreife, sei nicht "nah bei den Menschen", so Steinmeier. Man reibt sich da nachträglich noch mal die Augen. Wenn man einen Stahl- zu einem Tourismuskonzern umbauen kann (Beispiel TUI) oder einen verschlafenen Gummistiefelhersteller zu einem der führenden Handyproduzenten (Beispiel Nokia), warum kann dann die Automobilindustrie nur Autos und nichts anderes entwickeln? Und dann noch derart am Markt vorbei? Die Finanzkrise, so Welzer und Leggewie, habe verdeutlicht, auf welche Weise im Kapitalismus Individuen wie Kollektive ihre Zukunft vor der Zeit verbrauchen können. "Unsere Kinder sollen es mal schlechter haben", scheint das rigoros praktizierte Motto zu lauten. Die Rechnung dafür werden uns die nachfolgenden Generationen später vorlegen.
Warum aber machen wir immer so weiter? Die Autoren haben dafür nachvollziehbare sozialpsychologische Erklärungen. Menschen, erläutern sie anhand von Forschungsergebnissen, reagieren weitaus stärker auf aktuelle Anforderungen, handeln nur selten aus Überzeugung und entwickeln selektive Wahrnehmungsmuster, die es dem überzeugten Öko erlauben, äußere Umstände anzugeben, wenn er erklären soll, warum er, gegen seine eigenen Ideale, mit dem Flugzeug fliegt. Irgendeinen Grund gibt es immer, Dinge lieber nicht zu tun.
Harald Welzer und Claus Leggewie setzen einen Handlungskatalog dagegen: "APO 2.0" lautet ihre Parole, die, als grüner Aufkleber, ihrem Buch beigefügt ist. Die Zeit der Aufkleber, denkt man, ist eigentlich vorbei. Aber noch ist Zeit zu handeln.
Julia Encke.
Harald Welzer/Claus Leggewie: "Das Ende der Welt, wie wir sie kannten - Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie". S. Fischer, 19,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
"Überfüllt mit allem Wissen, das man aufschreiben kann, um umzulernen", findet Rezensentin Elisabeth von Thadden dieses Buch über den Klimawandel. Auch fällt es aus ihrer Sicht angenehm im Stapel der übrigen alarmistischen Klimakatastrophenbücher auf, da es den Lesern zutraut, die beschriebenen unhaltbaren Zustände auch zu verändern. Ohnehin ist der zivile Charakter des Buchs, der sozusagen das Handeln zur Bürgersache macht, für Thadden das auffälligste Merkmal dieser Publikation. Kleine Defizite hat die Rezensentin allerdings auch aufzulisten: etwa das grundsätzlich "Schlaumeierische", mit dem hier für ihren Geschmack auch viel Bekanntes ausgebreitet wird, das Fehlen einer Diskussion über die Frage, warum manche Länder manche Technologien fördern und andere nicht. Auch hätte sie gern den "Gefühlskapitalismus" näher beleuchtet gesehen, der den Menschen so stark (und umweltzerstörend) an das Käufliche bindet.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH