Eine Frau möchte zum zehnten Geburtstag ihres Sohnes, der vor Jahren durch einen tragischen Unfall ums Leben kam, in einer Konditorei zwei Erdbeertörtchen kaufen. Doch als sie den Laden betritt, kommt niemand, um sie zu bedienen. Die zierliche Konditorin steht mit dem Telefonhörer am Ohr hinten in der Küche und weint stumm vor sich hin. Einige Jahre zuvor bekommt eine Schriftstellerin von einer alten Witwe, bei der sie zur Untermiete wohnt, eine Karotte geschenkt, die einer menschlichen Hand ähnelt. Sogar die Lokalnachrichten interessieren sich für die merkwürdige Karotte. Doch kurz darauf macht die Polizei im Gemüsegarten der Witwe einen grausigen Fund. Was hat eine Mutter, die ihr Kind verloren hat, mit einer alten Witwe zu tun, deren Mann vor Jahren unter mysteriösen Umständen verschwunden ist? Welche Verbindung gibt es zwischen einer Schriftstellerin, die regelmäßig bis spät in die Nacht arbeitet, und einer Konditorin, die als Mädchen in ein ehemaliges Postamt eingebrochen war? Y ko Ogawa spinnt ein feines Netz von Geschichten, die in einer rätselhaften Welt spielen. Alle Figuren folgen ihrem eigenen unergründlichen Schicksal, und doch kreuzen sich ihre Wege, während sie wie im Traum an den Abgründen des Lebens entlangwandeln.
"Yoko Ogawa schreibt so poetisch und konkret, so fremd und vertraut, dass ihr Werk ein kleines Wunder ist." -- BRIGITTE
"Ogawas Prosa bleibt stets beherrscht. So entwickelt sich der Sog ihrer faszinierenden Geschichten." -- BERLINER ZEITUNG
"Wie die Autorin es vermag, ihre Figuren leichthändig durch Zustände der Angst zu führen, ist schlicht famos." -- DEUTSCHLANDRADIO
"Yoko Ogawa lässt berückend schöne Welten entstehen." -- kulturSPIEGEL
"Ogawas Prosa bleibt stets beherrscht. So entwickelt sich der Sog ihrer faszinierenden Geschichten." -- BERLINER ZEITUNG
"Wie die Autorin es vermag, ihre Figuren leichthändig durch Zustände der Angst zu führen, ist schlicht famos." -- DEUTSCHLANDRADIO
"Yoko Ogawa lässt berückend schöne Welten entstehen." -- kulturSPIEGEL
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.09.2011Lauter Giftblumen
Ein shintoistischer Roman von Yôko Ogawa
"Fertigen Sie mir bitte eine Tasche an, in der ich mein Herz aufbewahren kann" - der Auftrag einer jungen Frau an einen Sattler belegt das ebenso kühl-konkrete wie poetisch-surreale Universum, in dem die Geschichten der 1962 geborenen Yôko Ogawa spielen. Die Erosion der Erinnerung und Archivierung der Gefühle sind die Leitlinien ihrer Prosa. In elf Variationen beleuchtet das im Original "Stumme Leiche, obszönes Begräbnis" betitelte Werk von 1998 japanische Alltagsmythen.
Der Roman, eine Art religiöses Austreibungs- und Reinigungsritual der Konsum- und Leistungsgesellschaft, schildert Frauen in Konfliktsituationen. So verarbeitet eine Mutter den Unfalltod ihres Sohnes, der "im Innern eines Kühlschranks" starb, indem sie Zeitungsartikel sammelt, die vom Tod von Kindern berichten: "Wie Psalmen rezitierte ich sie vor mich hin, so lange, bis ich schlafen konnte." Ogawas labyrinthische Prosa bietet Platz für Liebe und Obsessionen, morbide Stillleben bis hin zu stilisierten Morden. Die Helden verstricken sich in asymmetrischen, ungesunden Beziehungen. In "Giftige Blumen" skizziert eine Kunststudentin im Auftrag eines älteren Mäzens toxische Pflanzen: "Nachdem ich sämtliche Giftgewächse im Garten gemalt hatte, heirateten wir."
Im Zentrum der um Fragen der Identität, den "Kokon der Stille" und mangelnde Kommunikation kreisenden Texte stehen Figuren wie Stenotypisten, Sänger im Stimmbruch oder Schriftsteller, die ihre um die Wahrheit wissenden Manuskripte immer bei sich tragen. Im Einerlei der Marketing- und Werbesprache begibt sich Ogawa auf eine Suche nach den verlorenen Worten. Einen Ausweg sieht sie im Ewigkeitsstreben der Kunst, symbolisiert etwa im "Aufschrei der Violine" in der zweiten Erzählung und der Beredtheit der Natur. In "Weiße Kittel" und "Der Korsetthändler" entwickelt sie passgenaue Metaphern für zwischenmenschliche Abhängigkeiten und gesellschaftliche Uniformität.
Japans Naturreligion des Shintoismus, die Phänomene wie Wasser und Wind und die dingliche Welt als belebt und göttlich ansieht, durchdringt Ogawas Prosa. Indem sie postmoderne und klassische Einflüsse vereint, entsteht eine knallbunte Symbolwelt nachwirkender Bilder: Unmengen aufeinandergestapelter Kiwis in einem verfallenen Postamt oder blutrote Tomaten, die, vom Deck eines Unfalllasters gerollt, die Landstraße bedecken. Das Eigenleben der Objekte geht mit einer Ästhetik der bedrohten Organe wie den Fingern einer Geigerin, Zungen oder Herzen als Symbole des Todes alles Kunstsinnigen einher. Fast autobiographisch wirkt schließlich das Porträt der Dichterin in "Tomaten und Vollmond": "Hinter ihren Worten rauschte ein kühler Strom, in den ich mein Herz eintauchen konnte."
STEFFEN GNAM
Yôko Ogawa: "Das Ende des Bengalischen Tigers". Ein Roman in elf Geschichten.
Aus dem Japanischen von Sabine Mangold. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2011. 224 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein shintoistischer Roman von Yôko Ogawa
"Fertigen Sie mir bitte eine Tasche an, in der ich mein Herz aufbewahren kann" - der Auftrag einer jungen Frau an einen Sattler belegt das ebenso kühl-konkrete wie poetisch-surreale Universum, in dem die Geschichten der 1962 geborenen Yôko Ogawa spielen. Die Erosion der Erinnerung und Archivierung der Gefühle sind die Leitlinien ihrer Prosa. In elf Variationen beleuchtet das im Original "Stumme Leiche, obszönes Begräbnis" betitelte Werk von 1998 japanische Alltagsmythen.
Der Roman, eine Art religiöses Austreibungs- und Reinigungsritual der Konsum- und Leistungsgesellschaft, schildert Frauen in Konfliktsituationen. So verarbeitet eine Mutter den Unfalltod ihres Sohnes, der "im Innern eines Kühlschranks" starb, indem sie Zeitungsartikel sammelt, die vom Tod von Kindern berichten: "Wie Psalmen rezitierte ich sie vor mich hin, so lange, bis ich schlafen konnte." Ogawas labyrinthische Prosa bietet Platz für Liebe und Obsessionen, morbide Stillleben bis hin zu stilisierten Morden. Die Helden verstricken sich in asymmetrischen, ungesunden Beziehungen. In "Giftige Blumen" skizziert eine Kunststudentin im Auftrag eines älteren Mäzens toxische Pflanzen: "Nachdem ich sämtliche Giftgewächse im Garten gemalt hatte, heirateten wir."
Im Zentrum der um Fragen der Identität, den "Kokon der Stille" und mangelnde Kommunikation kreisenden Texte stehen Figuren wie Stenotypisten, Sänger im Stimmbruch oder Schriftsteller, die ihre um die Wahrheit wissenden Manuskripte immer bei sich tragen. Im Einerlei der Marketing- und Werbesprache begibt sich Ogawa auf eine Suche nach den verlorenen Worten. Einen Ausweg sieht sie im Ewigkeitsstreben der Kunst, symbolisiert etwa im "Aufschrei der Violine" in der zweiten Erzählung und der Beredtheit der Natur. In "Weiße Kittel" und "Der Korsetthändler" entwickelt sie passgenaue Metaphern für zwischenmenschliche Abhängigkeiten und gesellschaftliche Uniformität.
Japans Naturreligion des Shintoismus, die Phänomene wie Wasser und Wind und die dingliche Welt als belebt und göttlich ansieht, durchdringt Ogawas Prosa. Indem sie postmoderne und klassische Einflüsse vereint, entsteht eine knallbunte Symbolwelt nachwirkender Bilder: Unmengen aufeinandergestapelter Kiwis in einem verfallenen Postamt oder blutrote Tomaten, die, vom Deck eines Unfalllasters gerollt, die Landstraße bedecken. Das Eigenleben der Objekte geht mit einer Ästhetik der bedrohten Organe wie den Fingern einer Geigerin, Zungen oder Herzen als Symbole des Todes alles Kunstsinnigen einher. Fast autobiographisch wirkt schließlich das Porträt der Dichterin in "Tomaten und Vollmond": "Hinter ihren Worten rauschte ein kühler Strom, in den ich mein Herz eintauchen konnte."
STEFFEN GNAM
Yôko Ogawa: "Das Ende des Bengalischen Tigers". Ein Roman in elf Geschichten.
Aus dem Japanischen von Sabine Mangold. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2011. 224 S., geb., 18,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Ein Gefühl der Beklemmung haben Yoko Ogawas Erzählungen bei Rezensentin Katharina Granzin immer wieder ausgelöst. Die motivisch gekonnt miteinander verknüpften Geschichten etwa um eine Frau, die ihr Herz außerhalb des Körpers trägt oder einen Garten, in dem Möhren in Form von menschlichen Händen wachsen, zeichnen sich für sie aus durch ihre eindringliche Mischung aus Horror und Poesie. Sie hebt die starken morbiden Bilder hervor, die die Autorin souverän in ihre reduzierte, einfache Prosa einwebt und die oft erst auf den zweiten Blick, dann aber umso stärker ihre Wirkung entfalten. Ihren feinen, ausgeklügelten Horror beziehen die Geschichten nach Einschätzung der Rezensentin vor allem daraus, dass die entworfenen Szenen aus dem Leben im Grunde Bilder des Todes meinen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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