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Autorenporträt
Gérard Bökenkamp Dr. phil., ist Historiker und arbeitet als Referent für Grundsatz und Forschung am Liberalen Institut der Friedrich- Naumann-Stiftung für die Freiheit in Potsdam. Er promovierte über die Geschichte der Sozial-, Wirtschaftsund Finanzpolitik der Bundesrepublik zwischen 1969 und 1998. Als Autor veröffentlichte er zahlreiche Beiträge zu Liberalismus, Wirtschaftsgeschichte und Zeitgeschehen
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2010

Alles eine Frage der Mischung
Vom Ende des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders bis zum Abschied von der dynamischen Rente

In den späten achtziger Jahren ging es den Bundesbürgern so gut wie nie. Massenwohlstand und hohe Wachstumsraten, schließlich eine rückläufige Arbeitslosenquote nährten die Erwartungshaltung, dass es ihnen immer besser gehen werde. Bis heute - trotz ganz anderer Gegenwartserfahrungen - prägt die Erfahrung dieser goldenen Jahre die gesellschaftlich-politischen Maßstäbe der Westdeutschen. Dabei stellten die späteren siebziger und achtziger Jahre, als die Bundesrepublik sich die "Erfolgsgeschichte" vom "Modell Deutschland" erzählte, schon eine Spätblüte des Wohlfahrtsstaates der Nachkriegszeit dar. Verschiedene Entwicklungen hatten bereits begonnen, seine Fundamente zu unterspülen: die demographische Entwicklung, der Wandel der Arbeitswelt, Strukturprobleme des Sozialstaats und die gesamtökonomische Entwicklung. Anfang der siebziger Jahre nämlich war der große, lange Boom der Nachkriegszeit, den die Westdeutschen als das "Wirtschaftswunder" erlebten, zu Ende gegangen.

"Das Ende des Wirtschaftswunders" im großen zeitlichen Bogen vom Beginn der sozial-liberalen Koalition bis zum Ende der Regierung Kohl 1998 nimmt Gérard Bökenkamp in den Blick, wobei es nicht um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung geht, sondern um die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik dreier Bundesregierungen in drei Jahrzehnten. Ist dieser thematische Horizont für eine Dissertation untypisch weit gespannt, so liegt ihr Quellenfundament allein in der Wirtschaftsberichterstattung ausgewählter Wochenmagazine und Tageszeitungen sowie den Gutachten des Sachverständigenrats und den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank. Neue Erkenntnisse und weiterführende Analysen lassen sich daraus - gerade angesichts des notorischen Alarmismus des "Spiegel" - kaum gewinnen, und die These, dass sich nach dem Krisenjahr 1973 mit dem Ende des Nachkriegsbooms ein "Bruch" vollzog, "der nicht nur einen neuen Rahmen für die Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Gesellschaftspolitik setzte, sondern auch den Status der Politik veränderte", ist ein zeithistorischer Gemeinplatz. Was bleibt, ist eine von methodischen und theoretischen Überlegungen freie, von Schreibfehlern durchsetzte, zugleich informative und "anschauliche Beschreibung der wirtschaftspolitischen Zusammenhänge" aus einer liberalen Warte.

Dabei gelingen durchaus treffende Beobachtungen, vor allem zur zweiten Hälfte der Regierung Kohl, aber auch zu vorherigen Zeiten: etwa, dass Helmut Schmidt die "Hauptverantwortung für den Übergang zu dauerhaften zweistelligen Defiziten" trägt und wenig gegen das Problem der wachsenden Staatsverschuldung tat, während er sich öffentlich als "Krisenmanager" inszenierte; oder dass der Sozialstaat "ebenso Teil der Lösung als auch Teil des Problems" von Arbeitslosigkeit und Armut ist. Denn "durch das Zusammenspiel von Hochlohnpolitik, Rationalisierung und Sozialstaatsausweitung" entstand "eine neue soziale Schicht, für die man den Begriff ,Prekariat' gefunden hat" und die dadurch gekennzeichnet ist, "dass die Langzeitarbeitslosen zwar nicht im herkömmlichen Sinne arm, aber eben auf Transferzahlungen angewiesen sind und es selbst in wirtschaftlich schwierigen Zeiten schwer haben, eine Beschäftigung zu finden."

Die "Ambivalenz des Sozialstaats", der die Freiheit des Einzelnen durch die Abwendung von Not befördert und ihn zugleich fortschreitender bürokratischer Regulierung unterwirft, hat auch Gerhard A. Ritter, der grand old man der historischen Sozialstaatsforschung, immer betont. Er hat diesem Phänomen im Schnittfeld von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft die notwendige historische Aufmerksamkeit verschafft und einen der dynamischsten Forschungszweige in der Zeitgeschichte vorangetrieben, der insbesondere mit der elfbändigen "Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945" reiche Frucht getragen hat. Dass der "Sozialstaat Deutschland" als Festschrift zu Ritters achtzigstem Geburtstag erschienen ist, erklärt die thematische Breite und zugleich die Heterogenität dieser Sammlung von oftmals sehr ins Einzelne gehenden Beiträgen zur "Geschichte und Gegenwart".

Dieser nähert sich Hans Günter Hockerts unter dem Titel "Abschied von der dynamischen Rente" mit hörbar kritischem Unterton gegenüber dem "rentenpolitischen Umbau 1997-2007", wie überhaupt in dem Band ein dem tradierten Sozialstaat affiner Ton vorherrscht. Die Riester-Reform von 2001, die zu einer Absenkung des Leistungsniveaus führte und die private Altersvorsorge ausdehnte, sowie das Nachhaltigkeitsgesetz von 2004, das den demographischen Faktor wieder einführte, bedeuteten - so Hockerts dezidiert - einen Paradigmenwechsel, weil das "Ziel der Lebensstandardsicherung" und das "Prinzip der gleichgewichtigen Entwicklung von Löhnen und Renten" aufgegeben wurden. Hockerts stellt dar, wie die verschiedenen Diskurse, mit denen Probleme markiert wurden, Einzug in die rentenpolitische Debatte hielten und somit das Feld für die schließlich erfolgten Entscheidungen bereiteten: zunächst der seit den späteren siebziger Jahren in der Expertenöffentlichkeit geführte Diskurs über die Demographie, dann das Interesse der Finanzindustrie am "Megageschäft Altersvorsorge" im diskursiven Umfeld der globalisierten Finanzmarktökonomie in den neunziger Jahren, und schließlich der Diskurs über "Generationengerechtigkeit", den Hockerts zu Recht als "überkomplex" und reduziert zugleich kritisiert, lässt er doch, nur zum Beispiel, die gesamte private Vererbung bilanziell völlig außer Betracht. Hockerts folgert eine moderat optimistische Zukunftsperspektive: "Abbau der Arbeitslosigkeit, steigende Erwerbsquote, eine kluge Bildungs- und Weiterbildungspolitik, Fortschritte in der Produktivität: Auf diese Weise kann das demographische Altern aus der Sphäre des schrillen Alarmismus herausgeführt werden."

Alles also halb so schlimm? Oder ist der Sozialstaat nicht doch strukturell überfordert? Und wie verhält es sich mit seinem Verhältnis zur Zivilgesellschaft, jenem Tätigkeitsfeld zwischen Staat, Markt und Privatsphäre, oder auch zur bürgerlichen Selbstverantwortung? Jürgen Kocka benennt in einem essayistischen Aufriss das Problem des crowding out: dass sozialstaatliche Vorkehrungen die zivilgesellschaftlichen Selbsthilfe-Anstrengungen zurückdrängen. Zugleich stellt er eine umgekehrte Korrelation in den Vordergrund: eine Korrelation zwischen hoher Sozialstaatsquote und zivilgesellschaftlichen Partizipationsraten, wobei die sozialstaatliche Absicherung gerade die Grundlage zivilgesellschaftlichen Engagements darstellt. Hier sieht er Zukunftspotentiale für eine alternde Gesellschaft, indem ein aktivierender Sozialstaat die Flexibilisierung der klassisch dreigeteilten Lebensverläufe (Sozialisations-, Erwerbsarbeits- und Ruhestandsphase) unterstützt und dadurch seiner eigenen Überforderung entgegenwirkt. In der Tat spricht vieles dafür, dass der Gesellschaft der Zukunft gar nichts anderes übrig bleiben wird, als verstärkt auf bürgerschaftliches Engagement zurückzugreifen. Die Frage ist gleichwohl, ob sich dies gesellschaftlich-politisch wird aktivieren lassen oder ob ein immer weiter in die Gesellschaft vordringender, daseinsvorsorgender Sozialstaat nicht gerade auf kultureller Ebene die Bereitschaft zur Eigenverantwortung nachhaltig beeinträchtigt hat.

Schon vor zwanzig Jahren hat Gerhard A. Ritter die "jeweils richtige Mischung" zwischen Selbstverantwortung des Einzelnen, gesellschaftlicher Selbstorganisation und staatlicher Grundverantwortung als die entscheidende Aufgabe des Sozialstaats benannt. Mehr denn je ist es in einer Zeit, da die Grundlagen des Wohlfahrtsstaates der Nachkriegszeit nachhaltig ins Rutschen gekommen sind, die zentrale gesellschaftlich-politische Frage, auf die man sich von diesem Band zu seinen Ehren mehr Antworten, zumindest Denkanstöße gewünscht hätte.

ANDREAS RÖDDER

Gérard Bökenkamp: Das Ende des Wirtschaftswunders. Geschichte der Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesrepublik 1969-1998. Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart 2010. 569 S., 49,- [Euro].

Ulrich Becker/Hans Günter Hockerts/Klaus Tenfelde (Herausgeber): Sozialstaat Deutschland. Geschichte und Gegenwart. Dietz Verlag, Bonn 2010. 354 S., 38,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ohne Begeisterung folgt Andreas Rödder dem Autor und seiner Dissertation, dem "weiten Bogen" von der sozial-liberalen Koalition bis zum Exitus der Regierung Kohl, zum Ende des Wirtschaftswunders. Den liberalen Blick fest auf die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gerichtet, und hier der erste Kritikpunkt des Rezensenten, stützt sich der Autor ausschließlich auf die Berichterstattung von Spiegel und Co.,einiger Tageszeitungen sowie auf den Sachverständigenrat und die Deutsche Bank. Außer Gemeinplätzen kommt für Rödder auf die Art nichts ans Licht. Methodisch und theoretisch entdeckt er ebenfalls nichts, was ihn bewegt, dafür stößt er allenthalben auf Schreibfehler. Zusammen mit ein paar treffenden Beobachtungen ist das dem Rezensenten wohl zu wenig.

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