Der Erste Weltkrieg war auch ein Krieg um Kolonien. Ostafrika gehörte zu den am längsten umkämpften Schlachtfeldern. Die Mehrzahl der Kriegsbeteiligten waren, neben den Europäern, Afrikaner und Inder. Ohne die Hunderttausende afrikanischer Arbeiter und Träger hätte der Krieg von keiner Seite geführt werden können. Michael Pesek schildert das Los der afrikanischen Soldaten und das Leben der Zivilbevölkerung, wo Zwangsarbeit und Kriegsverbrechen alsbald Teil des Systems waren.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2011Durch der Wüsten Mitten ...
Deutsche Schutztruppen in Ostafrika im Ersten Weltkrieg
Unter den Linden hoch zu Roß an der Spitze seiner noch verbliebenen 143 Soldaten paradierend, so empfing Berlin im März 1919 begeistert den "im Felde unbesiegten" Kommandeur der deutschen Schutztruppen in Ostafrika, Paul von Lettow-Vorbeck. Das triumphale Bild dieser Parade prägte lange in Deutschland die öffentliche Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs in Ostafrika. Auch die bald darauf erscheinende Kolonialliteratur, an der Spitze wiederum Lettow-Vorbecks "Heia Safari", die Heldensagen und abenteuerlichen Geschichten von Siegen gegen einen übermächtigen Gegner in den Dschungeln des fernen Afrika, haben den Blick der Deutschen auf ihre Kolonialgeschichte in der Weimarer Republik maßgeblich beeinflusst. Sie beschreiben "die Entstehung eines heroischen Narrativs, welches zur dominanten Diskursfigur in der deutschen und teilweise auch britischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Ostafrika werden sollte. Nicht zuletzt ist dieses Narrativ eine Reaktion auf die Krise des europäischen Subjekts auf den ostafrikanischen Schlachtfeldern", so das Resümee, das Michael Pesek in seiner nicht immer leicht lesbaren Darstellung über "Das Ende eines Kolonialreiches, Ostafrika im Ersten Weltkrieg" zieht.
Pesek skizziert zunächst den Kriegsverlauf in Ostafrika und beschreibt dann den "Langen Zug", mit dem Lettow-Vorbeck in ständiger Bewegung eine möglichst hohe Zahl gegnerischer Truppen zu binden und über die geringe eigene Mannschaftszahl im Unklaren zu lassen suchte. Auf einen Krieg in Afrika war Deutschland nicht vorbereitet. Nachschub aus Europa war wegen der britischen Seeblockade nicht möglich. Zahlenmäßig waren die deutschen Kräfte den britischen, belgischen und portugiesischen Gegnern weit unterlegen. Die sozialgeschichtlichen Aspekte dieses Bewegungskrieges, die Auswirkungen des Krieges auf die Kolonialverwaltung und auf die Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanern sind die Schwerpunktthemen, zu denen Pesek auf der Basis umfassender Studien in den einschlägigen Archiven in Belgien, Deutschland, Großbritannien und Tansania aufschlussreiche Erkenntnisse vorlegen kann.
Eine Infrastruktur zur Verlagerung von Truppen und Material war kaum vorhanden, zum Transport konnten in dem unwegsamen Gelände nur Pferde und Träger eingesetzt werden. Die Trennung der Schutztruppe in deutsche und afrikanische Kompanien wurde rasch aufgegeben zugunsten gemischter Einheiten, Mut und Kampfkraft der Askaris waren vorbildlich. Schon vor dem Krieg hatte die deutsche Kolonialverwaltung mit der gezielten Erfassung der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung begonnen, die nun als Träger herangezogen werden konnte. Auf einen Soldaten kamen bis zu sechs Träger, die Mehrzahl der Soldaten wurde von ihren Familien begleitet, es waren Bilder, die an marodierende Landsknechtszüge des Dreißigjährigen Krieges erinnerten.
Die Verpflegung der ständig umherziehenden Massen ließ sich kaum organisieren. Raubzüge waren an der Tagesordnung. Die Leiden der Bevölkerung, die sich meist nur durch Flucht vor den Übergriffen der deutschen und der alliierten Truppen schützen konnte, schildert Pesek eindrücklich. Um den fehlenden Nachschub aus Deutschland und die geringe Zahl der eigenen Truppen auszugleichen und die gegnerischen Kräfte an neuen Fronten zu binden, wurde im September 1916 bei einer Konferenz der Deutschen Gesellschaft für islamische Kultur und Vertretern des Osmanischen Reiches in Berlin überlegt, den Panislamismus als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus zu nutzen. Wegen der guten Beziehungen des Deutschen Reiches zum Osmanischen Reich werde sich ein Jihad der muslimischen Bevölkerung in Afrika nur gegen die Alliierten und nicht gegen deutsche Interessen richten, fünf Millionen Reichsmark wurden für entsprechende Maßnahmen bereitgestellt und deutsche Offiziere zu den Senussi entsandt, die weite Teile der Handelsrouten im Tschad und in Zentrallibyen kontrollierten.
Der Erfolg blieb gering, immerhin verstärkte dies die Sympathien der Muslime in der deutschen Kolonialverwaltung und bei den meist muslimischen Askaris. Die aggressive Missionierung durch Islam-Bruderschaften war, ebenso wie die Bildung unabhängiger afrikanischer Kirchen, eher eine Reaktion der Bevölkerung auf die Krise der kolonialen Ordnung in den Kriegshandlungen. Pesek legt in dieser Studie eine beeindruckende Fülle von Details und neuen Erkenntnissen vor; eine straffere Lektorierung hätte Gewinn und Lesbarkeit der Arbeit gutgetan.
HANS JOCHEN PRETSCH
Michael Pesek: Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010. 419 S., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsche Schutztruppen in Ostafrika im Ersten Weltkrieg
Unter den Linden hoch zu Roß an der Spitze seiner noch verbliebenen 143 Soldaten paradierend, so empfing Berlin im März 1919 begeistert den "im Felde unbesiegten" Kommandeur der deutschen Schutztruppen in Ostafrika, Paul von Lettow-Vorbeck. Das triumphale Bild dieser Parade prägte lange in Deutschland die öffentliche Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs in Ostafrika. Auch die bald darauf erscheinende Kolonialliteratur, an der Spitze wiederum Lettow-Vorbecks "Heia Safari", die Heldensagen und abenteuerlichen Geschichten von Siegen gegen einen übermächtigen Gegner in den Dschungeln des fernen Afrika, haben den Blick der Deutschen auf ihre Kolonialgeschichte in der Weimarer Republik maßgeblich beeinflusst. Sie beschreiben "die Entstehung eines heroischen Narrativs, welches zur dominanten Diskursfigur in der deutschen und teilweise auch britischen Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Ostafrika werden sollte. Nicht zuletzt ist dieses Narrativ eine Reaktion auf die Krise des europäischen Subjekts auf den ostafrikanischen Schlachtfeldern", so das Resümee, das Michael Pesek in seiner nicht immer leicht lesbaren Darstellung über "Das Ende eines Kolonialreiches, Ostafrika im Ersten Weltkrieg" zieht.
Pesek skizziert zunächst den Kriegsverlauf in Ostafrika und beschreibt dann den "Langen Zug", mit dem Lettow-Vorbeck in ständiger Bewegung eine möglichst hohe Zahl gegnerischer Truppen zu binden und über die geringe eigene Mannschaftszahl im Unklaren zu lassen suchte. Auf einen Krieg in Afrika war Deutschland nicht vorbereitet. Nachschub aus Europa war wegen der britischen Seeblockade nicht möglich. Zahlenmäßig waren die deutschen Kräfte den britischen, belgischen und portugiesischen Gegnern weit unterlegen. Die sozialgeschichtlichen Aspekte dieses Bewegungskrieges, die Auswirkungen des Krieges auf die Kolonialverwaltung und auf die Beziehungen zwischen Europäern und Afrikanern sind die Schwerpunktthemen, zu denen Pesek auf der Basis umfassender Studien in den einschlägigen Archiven in Belgien, Deutschland, Großbritannien und Tansania aufschlussreiche Erkenntnisse vorlegen kann.
Eine Infrastruktur zur Verlagerung von Truppen und Material war kaum vorhanden, zum Transport konnten in dem unwegsamen Gelände nur Pferde und Träger eingesetzt werden. Die Trennung der Schutztruppe in deutsche und afrikanische Kompanien wurde rasch aufgegeben zugunsten gemischter Einheiten, Mut und Kampfkraft der Askaris waren vorbildlich. Schon vor dem Krieg hatte die deutsche Kolonialverwaltung mit der gezielten Erfassung der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung begonnen, die nun als Träger herangezogen werden konnte. Auf einen Soldaten kamen bis zu sechs Träger, die Mehrzahl der Soldaten wurde von ihren Familien begleitet, es waren Bilder, die an marodierende Landsknechtszüge des Dreißigjährigen Krieges erinnerten.
Die Verpflegung der ständig umherziehenden Massen ließ sich kaum organisieren. Raubzüge waren an der Tagesordnung. Die Leiden der Bevölkerung, die sich meist nur durch Flucht vor den Übergriffen der deutschen und der alliierten Truppen schützen konnte, schildert Pesek eindrücklich. Um den fehlenden Nachschub aus Deutschland und die geringe Zahl der eigenen Truppen auszugleichen und die gegnerischen Kräfte an neuen Fronten zu binden, wurde im September 1916 bei einer Konferenz der Deutschen Gesellschaft für islamische Kultur und Vertretern des Osmanischen Reiches in Berlin überlegt, den Panislamismus als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus zu nutzen. Wegen der guten Beziehungen des Deutschen Reiches zum Osmanischen Reich werde sich ein Jihad der muslimischen Bevölkerung in Afrika nur gegen die Alliierten und nicht gegen deutsche Interessen richten, fünf Millionen Reichsmark wurden für entsprechende Maßnahmen bereitgestellt und deutsche Offiziere zu den Senussi entsandt, die weite Teile der Handelsrouten im Tschad und in Zentrallibyen kontrollierten.
Der Erfolg blieb gering, immerhin verstärkte dies die Sympathien der Muslime in der deutschen Kolonialverwaltung und bei den meist muslimischen Askaris. Die aggressive Missionierung durch Islam-Bruderschaften war, ebenso wie die Bildung unabhängiger afrikanischer Kirchen, eher eine Reaktion der Bevölkerung auf die Krise der kolonialen Ordnung in den Kriegshandlungen. Pesek legt in dieser Studie eine beeindruckende Fülle von Details und neuen Erkenntnissen vor; eine straffere Lektorierung hätte Gewinn und Lesbarkeit der Arbeit gutgetan.
HANS JOCHEN PRETSCH
Michael Pesek: Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2010. 419 S., 39,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die stilistische Struppigkeit missfällt Hans Jochen Pretsch an Michael Peseks Studie "Das Ende des Kolonialreichs", die er ansonsten sehr interessant findet und für ihre detailreiche Darstellung ausdrücklich lobt. Heldensagen aus dem Dschungel Ostafrikas prägten in der Weimarer Republik die Erinnerungen an die Kolonialgeschichte, so Peseks These, die er selbst als "Entstehung eines heroischen Narrativs" bezeichnet, in der sich die "Krise des europäischen Subjekts" auf den Schlachtfeldern der Kolonialkriege spiegele. Eine interessante These, die Pesek gut ausgearbeitet hat, findet Pretsch. Eine "straffere Lektorierung" hätte er sich allerdings gewünscht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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