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In der ehemals reichen Kaufmannsmetropole Hamburg werden Kirchen in Eventagenturen umgebaut. Die legendäre Kammfabrik im Süden Hamburgs wird von chinesischen Investoren übernommen und von Bürokraten abgewickelt. Skrupellose Manager des Verfalls frönen ihrer Überspanntheit in elitären Salons, vereinsamte Individualisten suchen nach Sinn und Wert. Christian Schüle erzählt die Geschichte zweier Männer, die in dieser Welt treiben und von ihr getrieben werden: Charlie Spengler, ein gefeuerter Fabrikdirektor, der zur Gallionsfigur einer Arbeiterrebellion wird. Und JanPhilipp Hertz, ein…mehr

Produktbeschreibung
In der ehemals reichen Kaufmannsmetropole Hamburg werden Kirchen in Eventagenturen umgebaut. Die legendäre Kammfabrik im Süden Hamburgs wird von chinesischen Investoren übernommen und von Bürokraten abgewickelt. Skrupellose Manager des Verfalls frönen ihrer Überspanntheit in elitären Salons, vereinsamte Individualisten suchen nach Sinn und Wert. Christian Schüle erzählt die Geschichte zweier Männer, die in dieser Welt treiben und von ihr getrieben werden: Charlie Spengler, ein gefeuerter Fabrikdirektor, der zur Gallionsfigur einer Arbeiterrebellion wird. Und JanPhilipp Hertz, ein Jungunternehmer, der auf den Stoßwellen des Umbruchs dem allgemeinen Verhängnis seiner Stadt entgegensurft.
Autorenporträt
Christian Schüle, 1970 geboren, hat in München und Wien Philosophie und Politische Wissenschaft studiert und ist Autor der Wochenzeitung »Die Zeit«. Seine Reportagen, Essays und Feuilletons wurden mehrfach preisgekrönt. Er hat ausgiebig fremde Länder wie China, Rußland und die Türkei bereist und lebt in Hamburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Christian Metz lässt kaum ein gutes Haar an Christian Schüles Roman "Das Ende unserer Tage", in dem er den Prototypen eines neuen belletristischen Genres erkennt, mit dem er wenig anfangen kann: "Event-Literatur". Entscheidend für diesen neuen Typ Buch ist die Orientierung an einem massenwirksamen Ereignis und eine "perfekte Schreib- und Veröffentlichungsökonomie", die Vorträge, Artikel und Sachbücher umfasst, glaubt Metz und fände das alles halb so schlimm, wenn dabei gute Literatur herauskäme. Schüle bleibt diese aber schuldig, urteilt er. Im Mittelpunkt des Romans steht der Logistikfachmann Jan Philipp Hertz, der sowohl die Hamburger Banken-Klientel wie auch einen katholisch-sozialistischen Aktivisten bedient. Aber dem Rezensenten scheint wirklich gar nichts gefallen zu haben: die Sprache sieht er zwischen dem "Informationsduktus von mittleren Verwaltungsangestellten" und heftigstem Kitsch hin und her schwanken, die Orte und Charaktere sind ihm zu überzeichnet, die Geschichte zu flach. Bissig stellt sich Metz am Ende nur noch die Frage, ob bald ein Drama folgt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.2012

Noch ein Vortänzer beim Apokalypso

Auch Christian Schüles Debütroman "Das Ende unserer Tage" setzt auf den Weltuntergang. Ernst kann er das nicht meinen, denn wer läse sonst sein jetzt erschienenes Buch?

Auf dem Buchmarkt erblüht gegenwärtig ein neues belletristisches Genre. Es trägt noch keinen Namen, aber probehalber nennen wir es Event-Literatur. Seine Eigenschaften lassen sich gebündelt an Christian Schüles Roman "Das Ende unserer Tage" beobachten. Dieses Debüt des in Hamburg lebenden Journalisten hat das Zeug, zum Musterexemplar der neuen Art zu werden.

Am Anfang der Event-Literatur steht die Kalenderarbeit. Der Autor sucht nach einem Ereignis, das mit größter Wahrscheinlichkeit öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Schüle hat sich für einen Dauerbrenner entschieden, auf dessen regelmäßige Konjunktur sich jede Wette lohnt: den Weltuntergang. Die Apokalypse liegt irgendwie und sowieso ständig in der Luft. Aber es gibt da noch diesen Maya-Kalender aus Tortuguero, der vermeintlich für den 21. Dezember 2012 den Weltuntergang vorhersagt. Wenn Sie diese Zeilen hier noch lesen, hat er sich geirrt. Na ja, buchstäblich prophezeit hat er das Ende zwar nicht, aber mit ein bisschen gutem Willen ließ es sich da hineingeheimnissen.

Das reicht dem Event-Autor aus, um mit Hilfe zahlreicher Publikationen das öffentliche Interesse zu schüren. Erst im "National Geographic", dann im "Spiegel", nicht zuletzt in der "Zeit". Dort gab Schüle als einer von fünf Autoren Auskunft darüber, wo er am liebsten hinreisen möchte, bevor - Achtung! - laut Maya-Kalender am 21. Dezember die Welt untergehe. Wohin will Schüle? Nach Jerusalem. Warum? Weil Johannes der Evangelist einst von dort aus auf die griechische Insel Patmos aufbrach, auf der er seine Apokalypse verfasste. Weltuntergangstourismus zum Weltuntergang, so schließt sich der Kreis. Was bleibt noch? Vorträge zur "Denkfigur Apokalypse"? Kein Problem, Schüle hält sie. Wie wäre es mit einem populären Sachbuch zum Thema? Ist im September unter dem Titel "Das Ende der Welt" erschienen. Fehlt nur noch der Roman, der ein sicheres Gespür für dieses Gegenwartsphänomen aufweist und zugleich den eigenen publizistischen Reigen künstlerisch veredelt.

Diese perfekte Schreib- und Veröffentlichungsökonomie wäre schlichtweg zu bewundern, wenn sie großartige Romane hervorbringen würde. Aber in Schüles Fall löst sich das nicht ein - trotz oder wegen des atemberaubenden Arbeitspensums. Der Roman leimt provisorisch zwei holzschnittartige Gegenwelten aneinander. Auf der einen Seite Hamburg. Dort verprassen Medienmanager und Banker alles, was sie noch nicht an chinesische Konsortien verkauft haben. Allesamt extrem überzeichnete Typen, deren Leben in der Langeweile des täglichen Exzesses erstarrt ist. Ihr dümmliches, pseudophilosophisches Motivations- und Investmentgeplapper aber nimmt im Roman einen viel zu großen Raum ein. Ihren Gegenspieler finden sie in Harburg, in der Person Charly Spenglers. Als der als Chef einer Kammfabrik schnöde entlassen wird, avanciert er zum politischen Vorkämpfer. Seine Pamphlete atmen den Geist des katholischen Sozialismus. Er selbst verströmt die Aura von "Auch mal ein Schnaps am Mittag". Frauen haben in diesen Arbeitswelten nichts zu melden. In ein esoterisch verbrämtes Zwischenreich verbannt, jagen sie in Spürsalons ihrem eigenen Lebensglück nach. Wer sich für eine der erzählten Welten entscheiden müsste, würde die Apokalypse wählen.

Aber das muss man nicht. Denn es gibt ja noch den Mann, der die entgegengesetzten Welten miteinander verwebt. Er heißt Jan Philipp Hertz und verdient sein Geld als Netzwerker und Logistikfachmann. Der erschreckend emotionslose und gedankenfreie Protagonist ist ein Zögling der Hamburger Banker und Manager. Gewohnt, dass ihm jemand in verächtlicher Anerkennung die Backe tätschelt, sieht der so genannte "Jungfuchs" die Erfüllung aller Wünsche in seinem beruflichen Erfolg. Der Höhepunkt der Handlung besteht deshalb darin, als Hertz sowohl für die Harburger als auch für die Hamburger arbeitet. Hertz verkörpert nicht nur das Wissen, dass es in einer vernetzten Welt keine Revolution geben kann, weil die vermeintlich feindlichen Lager längst miteinander verwoben sind. Mit seinem Namen steht er zugleich für eines der bevorzugten Stilmittel seines Autors ein: den Kalauer. Noch schlimmer trifft es im Buch nur den Anwalt DiAboli.

Wenn Schüle sich nicht in solchen Witzen verliert, pendelt seine Sprache zwischen zwei Extremen. Mit irritierender Leidenschaft gibt sie sich dem Informationsduktus von mittleren Verwaltungsangestellten hin: "Der Antrag zur Aufnahme bei den Wirtschaftsjunioren war per Einschreiben rausgegangen, der Termin mit dem Berater der Handelskammer auf kommende Woche festgesetzt. Der Antrag auf Gründungszuschuss gestellt, das Geschäftskonto bei der Commerzbank eröffnet. Die Mitgliedschaften im Business Club Hamburg und im Bund Junger Unternehmer angemeldet und die Teilnahme am Seminar des Enigma-Gründungszentrums in zwölf Tagen rückbestätigt." Das geht so lange weiter, bis der Duktus unvermittelt in sein anderes Extrem kippt und ihn ein metaphysisches Raunen durchweht: "Die Sonne hing wie eine blutige Hostie am Himmel, kurz vor ihrem Versinken im diffusen Westen, als würde sie von einer gigantischen Daumenspitze langsam ausgedrückt, ehe das Reich der Dunkelheit aufsteigen und über die Stadt kommen würde."

Das ist noch nicht der Weltuntergang, sondern nur ein normaler Sommerabend. Die angekündigte Apokalypse nämlich bleibt aus. Trotz Aufruhr, Sturmflut, Explosion und Verwüstung, obwohl Hamburg plötzlich ein "amphibisches Land" umgibt, ändert sich eigentlich nichts. Die Stadt bekommt mit Spengler einen neuen Oberbürgermeister, der hat jetzt eine Frau an seiner Seite, und dann geht man gemeinsam ins Theater, um der Premiere von "Das Ende unserer Zeit" zuzujubeln. Geht alles von vorne los? Will Schüle jetzt ein Drama schreiben? Fragen, die besser offenbleiben.

CHRISTIAN METZ

Christian Schüle: "Das Ende unserer Tage".

Roman. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012. 457 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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