Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.1995Diese Krankenschwestern
Penelope Fitzgerald ist freundlich zu schrägen Vögeln
Penelope Fitzgeralds Roman "Das Engelstor" ist gepflegt wie ein frischgeschnittener englischer Rasen, außerdem intelligent, sympathisch, ohne undurchdringliche Tiefen. Da wuchert kein Wort wild, keine Idee schlägt über die Stränge. Alles wächst, von souveräner Hand geordnet, fein säuberlich zusammen. Der Einband zeigt ein altes Gemäuer mit einer Tür, die auf einen Kiesweg führt. Der grasgesäumte Kiesweg schimmert leicht violett. Von solch kalenderblattartigem Idyll freundlich umworben, betritt die Leserin den Roman.
Er führt zurück ins Jahr 1912 und beginnt mit einem Sturm, der Bäume biegt und die Schafe auf der Weide umwirft. Ein paar mühsam strampelnde Fahrradfahrer sind auf dem Weg zum Schauplatz, einem winzigen College in Cambridge. Das College ist eine Festung ernster Gelehrsamkeit und zugleich Nährboden blühender Kauzigkeit. Aber auch die umzäunte Welt von St. Angelicus, sorgsam befreit von jedem störenden, insbesondere weiblichen Element, bleibt von den Umbrüchen des jungen Jahrhunderts nicht verschont.
Vor allem Fred Fairly, Fellow-Tutor in St. Angelicus, sieht sich mit der neuen Zeit konfrontiert; am College wird die entstehende Nuklearforschung diskutiert, in der Pfarrersfamilie, der er entstammt, das Frauenwahlrecht. Über seinen Abfall vom kirchlichen Glauben spricht Fred Fairly zwar gern, aber niemand läßt sich davon provozieren, nicht einmal sein Vater. Die Nichtexistenz Gottes und der Dinge im Himmel und auf Erden, die über Schulweisheit hinausgehen, redet er sich vor allem selbst ein. Aus Furcht, wie der Leser schließen darf. Fairlys materialistisches Weltbild gerät nach einem Fahrradunfall ins Wanken: Er stößt mit der Londoner Krankenschwester Daisy Saunders, einem Mädchen aus der Unterschicht, zusammen. Er verliebt sich in sie, ignoriert hartnäckig die Klassenschranken und lernt, daß Physik und Vernunft nicht alles sind.
Der Einbruch der Gefühle in die Ordnung des Verstandes wird als verjüngend empfunden, die Herausforderung des wissenschaftlich Neuen an das festgefügte Alte angenommen, der Zusammenprall verschiedener Klassen-Welten harmonisch aufgelöst. Penelope Fitzgeralds Buch ist optimistisch, aber es verkündet keine aufdringliche Botschaft. Die Autorin mag ihre Figuren; am liebsten sind ihr die schrägen Vögel, der blinde Master des Colleges mit seinen umständlichen Billetts, der Arzt Dr. Sage, der Provost eines benachbarten Colleges mit seinem Hang zum Abgründigen und zu Schauergeschichten.
Die Fäden der in mehreren Strängen gewobenen Geschichte hält Penelope Fitzgerald straff und umsichtig in der Hand. Überflüssige Beschreibungen vermeidet sie; ihr Stil ist knapp und pointiert. Auch die Liebesgeschichte gibt keinen Anlaß zu ausschweifender Rührseligkeit. So sagt Fred an entscheidender Stelle: "Weißt du denn nicht, was du für mich bedeutest?" Und Daisy antwortet: "Doch, das weiß ich schon, Fred. Ehrlich gesagt: Das würde ein sechsjähriges Kind merken." MARION LÖHNDORF
Penelope Fitzgerald: "Das Engelstor". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1994. 191 S., geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Penelope Fitzgerald ist freundlich zu schrägen Vögeln
Penelope Fitzgeralds Roman "Das Engelstor" ist gepflegt wie ein frischgeschnittener englischer Rasen, außerdem intelligent, sympathisch, ohne undurchdringliche Tiefen. Da wuchert kein Wort wild, keine Idee schlägt über die Stränge. Alles wächst, von souveräner Hand geordnet, fein säuberlich zusammen. Der Einband zeigt ein altes Gemäuer mit einer Tür, die auf einen Kiesweg führt. Der grasgesäumte Kiesweg schimmert leicht violett. Von solch kalenderblattartigem Idyll freundlich umworben, betritt die Leserin den Roman.
Er führt zurück ins Jahr 1912 und beginnt mit einem Sturm, der Bäume biegt und die Schafe auf der Weide umwirft. Ein paar mühsam strampelnde Fahrradfahrer sind auf dem Weg zum Schauplatz, einem winzigen College in Cambridge. Das College ist eine Festung ernster Gelehrsamkeit und zugleich Nährboden blühender Kauzigkeit. Aber auch die umzäunte Welt von St. Angelicus, sorgsam befreit von jedem störenden, insbesondere weiblichen Element, bleibt von den Umbrüchen des jungen Jahrhunderts nicht verschont.
Vor allem Fred Fairly, Fellow-Tutor in St. Angelicus, sieht sich mit der neuen Zeit konfrontiert; am College wird die entstehende Nuklearforschung diskutiert, in der Pfarrersfamilie, der er entstammt, das Frauenwahlrecht. Über seinen Abfall vom kirchlichen Glauben spricht Fred Fairly zwar gern, aber niemand läßt sich davon provozieren, nicht einmal sein Vater. Die Nichtexistenz Gottes und der Dinge im Himmel und auf Erden, die über Schulweisheit hinausgehen, redet er sich vor allem selbst ein. Aus Furcht, wie der Leser schließen darf. Fairlys materialistisches Weltbild gerät nach einem Fahrradunfall ins Wanken: Er stößt mit der Londoner Krankenschwester Daisy Saunders, einem Mädchen aus der Unterschicht, zusammen. Er verliebt sich in sie, ignoriert hartnäckig die Klassenschranken und lernt, daß Physik und Vernunft nicht alles sind.
Der Einbruch der Gefühle in die Ordnung des Verstandes wird als verjüngend empfunden, die Herausforderung des wissenschaftlich Neuen an das festgefügte Alte angenommen, der Zusammenprall verschiedener Klassen-Welten harmonisch aufgelöst. Penelope Fitzgeralds Buch ist optimistisch, aber es verkündet keine aufdringliche Botschaft. Die Autorin mag ihre Figuren; am liebsten sind ihr die schrägen Vögel, der blinde Master des Colleges mit seinen umständlichen Billetts, der Arzt Dr. Sage, der Provost eines benachbarten Colleges mit seinem Hang zum Abgründigen und zu Schauergeschichten.
Die Fäden der in mehreren Strängen gewobenen Geschichte hält Penelope Fitzgerald straff und umsichtig in der Hand. Überflüssige Beschreibungen vermeidet sie; ihr Stil ist knapp und pointiert. Auch die Liebesgeschichte gibt keinen Anlaß zu ausschweifender Rührseligkeit. So sagt Fred an entscheidender Stelle: "Weißt du denn nicht, was du für mich bedeutest?" Und Daisy antwortet: "Doch, das weiß ich schon, Fred. Ehrlich gesagt: Das würde ein sechsjähriges Kind merken." MARION LÖHNDORF
Penelope Fitzgerald: "Das Engelstor". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1994. 191 S., geb., 32,- DM.
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