Jahrtausendelang war der Atlantik für die Menschen an seinen Ufern das Ende der Welt. Ein mythischer Ort, bevölkert von Ungeheuern und Göttern, schien er den Menschen für alle Zeit versperrt. Aber seit dem Zeitalter der Entdeckungen wurde der Atlantik zu einer Bühne, auf der Weltgeschichte spielt. Holger Afflerbach schildert die atemberaubenden Entdeckungsfahrten, erzählt von Abenteurern und Piraten, von Seekriegen und Schatzsuchen, von Auswanderern und Ozeanriesen. Und er macht deutlich, wie der Atlantik sich von einer Grenze zum Transitmeer entwickelt, durch das die Welt zusammenwächst. Weil er die Geschichte des Atlantiks von See her erzählt, ergeben sich völlig neue Perspektiven. Unterstützt von zahlreichen eindrucksvollen historischen Bildern und Landkarten, beschreibt der Autor den Atlantischen Ozean als eine "Brücke aus Wasser". Holger Afflerbach zeigt, daß mit dieser Entwicklung ein neues Zeitalter begann, das noch lange nicht beendet ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.10.2003Für die Tasche Die Wandlung des Atlantik vom Ende der Welt zum Weltmeer hat der Historiker Holger Afflerbach untersucht. Durch die Befahrung dieses Ozeans, beschreibt er, konnte die europäisch-mediterrane Kultur überhaupt erst zur Weltkultur werden.
Warum aber wurde der Atlantik nicht schon früher überquert, seetaugliche Schiffe hat es doch gegeben? Weil für die Fahrt über den Atlantik keine zwingenden ökonomischen Interessen bestanden. In der Antike gelangte man nach Indien über die Seidenstraße und auf dem Schiffsweg durch das Rote Meer. So blieben zunächst Vorstöße wie die der Wikinger, die mit Vinland den neuen Kontinent längst entdeckt hatten, ohne Folgen. Allerdings irrt Afflerbach, wenn er schreibt, Grönland sei "menschenleer" gewesen, als die skandinavischen Atlantikfahrer dort siedelten. Irgendwo lebten auf der Rieseninsel seit 3000 vor Christus immer Inuit. Das Aufeinandertreffen beider Kulturen beweist eine von einem Eskimo geschnitzte Holzfigur, auf 1350 datiert und im Nationalmuseum in Kopenhagen ausgestellt; sie stellt einen nordischen Mann dar.
Afflerbach nähert sich dem Atlantik chronologisch. Das ist sinnvoll, näherte sich Europa den jenseitigen Küsten des Riesenmeers doch auch erst im Laufe der Jahrhunderte, zunächst noch als Idee, mit den antiken Wissenschaften, dann konkreter mit den Vinlandfahrten der Normannen, dann wieder nur in der Theorie, in den Mythen des Mittelalters - bis schließlich das Zeitalter der Entdeckungen anbrach.
In der Mitte des Buches läßt Afflerbach Kolumbus den Atlantik überqueren. Ausführlich widmet sich der Autor zunächst Heinrich dem Seefahrer und den portugiesischen Entdeckungsfahrten, hatte doch Kolumbus sein Begehr erst am dortigen Hofe vorgeschlagen, bevor er bei den Spaniern anklopfte. Der portugiesische König wies ihn ab - und raufte sich später die Haare: "O Mensch von elendem Verstand! Warum hast du deinen Händen ein Unternehmen von so großer Bedeutung entschlüpfen lassen?"
Der Autor stellt sich entschieden gegen Mystik wie die Atlantis-Erzählung, läßt Märchen keinen Raum. Er tut recht daran. Wer über Wissenschaftsgeschichte so euphorisch und zugleich sachlich schreiben kann wie Afflerbach, beweist: Nichts ist erregender als die Wahrheit.
Barbara Schaefer
Holger Afflerbach: Das entfesselte Meer. Die Geschichte des Atlantik, Malik Piper Verlag, zahlreiche zum Teil farbige Abbildungen. 357 Seiten, 20,50 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum aber wurde der Atlantik nicht schon früher überquert, seetaugliche Schiffe hat es doch gegeben? Weil für die Fahrt über den Atlantik keine zwingenden ökonomischen Interessen bestanden. In der Antike gelangte man nach Indien über die Seidenstraße und auf dem Schiffsweg durch das Rote Meer. So blieben zunächst Vorstöße wie die der Wikinger, die mit Vinland den neuen Kontinent längst entdeckt hatten, ohne Folgen. Allerdings irrt Afflerbach, wenn er schreibt, Grönland sei "menschenleer" gewesen, als die skandinavischen Atlantikfahrer dort siedelten. Irgendwo lebten auf der Rieseninsel seit 3000 vor Christus immer Inuit. Das Aufeinandertreffen beider Kulturen beweist eine von einem Eskimo geschnitzte Holzfigur, auf 1350 datiert und im Nationalmuseum in Kopenhagen ausgestellt; sie stellt einen nordischen Mann dar.
Afflerbach nähert sich dem Atlantik chronologisch. Das ist sinnvoll, näherte sich Europa den jenseitigen Küsten des Riesenmeers doch auch erst im Laufe der Jahrhunderte, zunächst noch als Idee, mit den antiken Wissenschaften, dann konkreter mit den Vinlandfahrten der Normannen, dann wieder nur in der Theorie, in den Mythen des Mittelalters - bis schließlich das Zeitalter der Entdeckungen anbrach.
In der Mitte des Buches läßt Afflerbach Kolumbus den Atlantik überqueren. Ausführlich widmet sich der Autor zunächst Heinrich dem Seefahrer und den portugiesischen Entdeckungsfahrten, hatte doch Kolumbus sein Begehr erst am dortigen Hofe vorgeschlagen, bevor er bei den Spaniern anklopfte. Der portugiesische König wies ihn ab - und raufte sich später die Haare: "O Mensch von elendem Verstand! Warum hast du deinen Händen ein Unternehmen von so großer Bedeutung entschlüpfen lassen?"
Der Autor stellt sich entschieden gegen Mystik wie die Atlantis-Erzählung, läßt Märchen keinen Raum. Er tut recht daran. Wer über Wissenschaftsgeschichte so euphorisch und zugleich sachlich schreiben kann wie Afflerbach, beweist: Nichts ist erregender als die Wahrheit.
Barbara Schaefer
Holger Afflerbach: Das entfesselte Meer. Die Geschichte des Atlantik, Malik Piper Verlag, zahlreiche zum Teil farbige Abbildungen. 357 Seiten, 20,50 Euro.
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