Unheimlich und leise rollt eine der Perlen dieses Buches heran: bleierne Zeit, Mai 1970, Berlin kurz nach der gewaltsamen Befreiung Andreas Baders aus der Haft. Der Erzähler und seine Freundin bekommen unerwarteten Besuch von drei Frauen, die Unterschlupf suchen. Mit wenigen Strichen zeichnet Gert Loschütz hier die paranoide Situation, in der die RAF bis zu ihrer Auflösung existieren wird. Denn unschwer ist zu erkennen, es handelt sich bei den Frauen um Terroristinnen, die abtauchen müssen, um Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof.Gert Loschütz ist, der jetzt vorliegende Band beweist es, ein großartiger Erzähler. Ein Vergleich mit seinen Lebensdaten legt es nahe, die eigene Biographie ist Ausgangsbasis der Geschichten; und doch geht das literarische Ergebnis weit darüber hinaus. Mit wenigen Strichen skizziert er überraschende Begebenheiten, fängt meisterhaft scheinbar alltägliche Momente und grotesk-humorvolle Situationen ein und schafft dabei durch unerwartete Wendepunkte Spannung. Loschütz schafft in seinem Werk einen Raum des Unheimlichen, Unerwarteten und rätselhaft Dunklen. Nicht die lauten und offensichtlichen Gefahren lauern seinen Protagonisten auf, sondern vielmehr jene des Alltags: Geschichten mit unerwartetem Ausgang.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2007Das Licht des Dunklen
Gert Loschütz im Hessischen Literaturforum
Es war schön, ihn wieder zu sehen und wieder zu hören. Das fanden vermutlich auch seine anderen Leser, sonst hätten sie sich, dem strömenden Regen zu Trotz, nicht so zahlreich im Hessischen Literaturforum eingefunden. Im dritten Stockwerk des Frankfurter Künstlerhauses Mousonturm stellte Gert Loschütz sein neues Buch vor, achtzehn Erzählungen in drei Abteilungen, die unter dem Titel "Das erleuchtete Fenster" bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen sind. Schon der Umschlag zeigt, dass dem einladenden Titel nicht zu trauen ist. Jedes Licht wirft Schatten, und auch ein helles Fenster kann sich auf schwarze Gespenster reimen, auf Lemuren wie jenes unbehauste erzählende Ich, das mit Stühlen und Kleiderhaken streitet und die harmonische Atmosphäre jenseits einer fremden Fensterscheibe mit einem Stein zertrümmert, weil es an ihr nicht teilhaben kann.
Ebenso unheimlich und detailbesessen waren auch die beiden anderen Texte, die Loschütz, der einstige Wahl-Frankfurter und jetzige Wahl-Berliner, vortrug. In "Die Sache mit Roswitha", einer äußerst beklemmenden längeren Erzählung, baut Loschütz meisterhaft die sexuelle Spannung zwischen einem Pubertierenden und dessen geistig zurückgebliebenem Kindermädchen auf und variiert Heines berühmtes Diktum "Ich bin die Tat von deinen Gedanken" in einer ländlich klaustrophoben "Woyzeck"-Welt. Drei boshafte Frauenporträts versammelt schließlich die Erzählung "Nach der Regatta": Eine fragile Teetrinkerin, eine nervöse Weintrinkerin und eine üppige Kaffeetrinkerin geben sich ein kurioses Stelldichein.
Nach der Lesung machte die Kunsthistorikerin Christine Jung das Publikum mit der Künstlerin bekannt, deren Bilder jetzt das Büro des Literaturforums zieren. Mehr als 50 farbige Köpfe hat die Darmstädter Malerin und Bildhauerin Angelika Gilberg für ihre Serie "Leser" geschaffen, Bücherfreunde aus aller Herren Ländern und unterschiedlichen Alters verschmelzen in Gilbergs Arbeiten mit ihren Büchern zu inniger Einheit. Die Künstlerin, die an der Städelschule studiert hat, arbeitet auch sonst seriell, wie ihre "Buddhas", "Mütter" und "Schwimmer" belegen.
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gert Loschütz im Hessischen Literaturforum
Es war schön, ihn wieder zu sehen und wieder zu hören. Das fanden vermutlich auch seine anderen Leser, sonst hätten sie sich, dem strömenden Regen zu Trotz, nicht so zahlreich im Hessischen Literaturforum eingefunden. Im dritten Stockwerk des Frankfurter Künstlerhauses Mousonturm stellte Gert Loschütz sein neues Buch vor, achtzehn Erzählungen in drei Abteilungen, die unter dem Titel "Das erleuchtete Fenster" bei der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen sind. Schon der Umschlag zeigt, dass dem einladenden Titel nicht zu trauen ist. Jedes Licht wirft Schatten, und auch ein helles Fenster kann sich auf schwarze Gespenster reimen, auf Lemuren wie jenes unbehauste erzählende Ich, das mit Stühlen und Kleiderhaken streitet und die harmonische Atmosphäre jenseits einer fremden Fensterscheibe mit einem Stein zertrümmert, weil es an ihr nicht teilhaben kann.
Ebenso unheimlich und detailbesessen waren auch die beiden anderen Texte, die Loschütz, der einstige Wahl-Frankfurter und jetzige Wahl-Berliner, vortrug. In "Die Sache mit Roswitha", einer äußerst beklemmenden längeren Erzählung, baut Loschütz meisterhaft die sexuelle Spannung zwischen einem Pubertierenden und dessen geistig zurückgebliebenem Kindermädchen auf und variiert Heines berühmtes Diktum "Ich bin die Tat von deinen Gedanken" in einer ländlich klaustrophoben "Woyzeck"-Welt. Drei boshafte Frauenporträts versammelt schließlich die Erzählung "Nach der Regatta": Eine fragile Teetrinkerin, eine nervöse Weintrinkerin und eine üppige Kaffeetrinkerin geben sich ein kurioses Stelldichein.
Nach der Lesung machte die Kunsthistorikerin Christine Jung das Publikum mit der Künstlerin bekannt, deren Bilder jetzt das Büro des Literaturforums zieren. Mehr als 50 farbige Köpfe hat die Darmstädter Malerin und Bildhauerin Angelika Gilberg für ihre Serie "Leser" geschaffen, Bücherfreunde aus aller Herren Ländern und unterschiedlichen Alters verschmelzen in Gilbergs Arbeiten mit ihren Büchern zu inniger Einheit. Die Künstlerin, die an der Städelschule studiert hat, arbeitet auch sonst seriell, wie ihre "Buddhas", "Mütter" und "Schwimmer" belegen.
CLAUDIA SCHÜLKE
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass Gert Loschütz in seinen Erzählungen von Eindeutigkeit nichts wissen will, gefällt Ulrich Baron ganz gut. In ihrem Oszillieren zwischen Wirklichkeit und gedanklicher Unschärfe, zwischen verschiedenen Perspektiven und zwischen "schmerzhafter Intensität" und Dunkelheit erscheinen die Texte ihm als "erzählerisches Pendant zum Helldunkel" bei Rembrandt. Für Baron eine Gelegenheit, das Alltagsbewusstsein in Richtung Traum zu erweitern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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