"Seit nun schon zwei Jahren verhielt er sich, als durchlebe er eine zweite Pubertät. Ich hatte ihm diese Phase damals erspart, es war nicht fair."
Ist es ein vom Wunsch nach Nähe angeregter Wochenendausflug zum Vater oder ein Kontrollbesuch? Als der Sohn, der Icherzähler in Björn Kerns neuem Roman, aus Berlin an den Bodensee kommt, um nach längerer Zeit einmal wieder nach dem Vater zu sehen, holt dieser ihn nicht vom Zug ab. Vergessen, verschusselt, egal? Der Vater Jakob, hoch in den Sechzigern, aber von fast schon erschreckender Virilität, durchtrainiert und mit einer beeindruckenden schwarzen Lockenpracht gesegnet, stellt den Sohn, der als Pfleger arbeitet, vor nicht wenige Rätsel. Welche Rolle spielen die beiden Frauen, die den Vater zu belagern scheinen und von denen er sich angeblich belästigt fühlt, tatsächlich? Was finden sie an ihm und was am Sohn? Wieso ist der Vater so fit und wo treibt er sich eigentlich nachts herum? Nimmt er gar Drogen?
Farbig und unterhaltsam, spannend und mit einigem Augenzwinkern erzählt Björn Kern von der neuen, verkehrten Welt, in der die Kinder bürgerlicher sind als ihre freizügigen, sich um ihre Selbstverwirklichung sorgenden Eltern. Komisch und melancholisch zugleich bietet der Roman eine höchst zeitgemäße Variante des uralten Vater-Sohn-Konfliktes.
Ist es ein vom Wunsch nach Nähe angeregter Wochenendausflug zum Vater oder ein Kontrollbesuch? Als der Sohn, der Icherzähler in Björn Kerns neuem Roman, aus Berlin an den Bodensee kommt, um nach längerer Zeit einmal wieder nach dem Vater zu sehen, holt dieser ihn nicht vom Zug ab. Vergessen, verschusselt, egal? Der Vater Jakob, hoch in den Sechzigern, aber von fast schon erschreckender Virilität, durchtrainiert und mit einer beeindruckenden schwarzen Lockenpracht gesegnet, stellt den Sohn, der als Pfleger arbeitet, vor nicht wenige Rätsel. Welche Rolle spielen die beiden Frauen, die den Vater zu belagern scheinen und von denen er sich angeblich belästigt fühlt, tatsächlich? Was finden sie an ihm und was am Sohn? Wieso ist der Vater so fit und wo treibt er sich eigentlich nachts herum? Nimmt er gar Drogen?
Farbig und unterhaltsam, spannend und mit einigem Augenzwinkern erzählt Björn Kern von der neuen, verkehrten Welt, in der die Kinder bürgerlicher sind als ihre freizügigen, sich um ihre Selbstverwirklichung sorgenden Eltern. Komisch und melancholisch zugleich bietet der Roman eine höchst zeitgemäße Variante des uralten Vater-Sohn-Konfliktes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2010Entspann dich, Junge
Fliehende Pferde in der Familie: Björn Kerns Roman "Das erotische Talent meines Vaters" kommt der Kunst der Verführung nicht auf die Schliche.
Der Titel von Björn Kerns viertem Roman führt in die Irre: Das besondere erotische Talent von Philipps Vater Jakob besteht weniger in der Eroberung als im Abwimmeln der Frauen. Mindestens zwei umschwirren den gut erhaltenen Mittsechziger derzeit in seiner verwahrlosten Villa am Bodensee. Alma, die kokette, dunkelhäutige Geliebte, die von der mediterranen Leichtigkeit des Seins mit Jakob so angetan ist ("Es ist alles leicht mit ihm. Wo andere keine Lösung finden, sieht er nicht einmal ein Problem"), hat gerade bessere Karten als Karen, aber eigentlich hängt der lebens- und liebeslustige Altachtundsechziger immer noch an Iris. Die unkonventionelle Metallkünstlerin verließ ihn, um mit wechselnden "Kunstklempnern" noch einmal "durchzustarten", und das steckt selbst ein barocker Hedonist nicht ohne weiteres weg.
Aber als Philipp, gerade selbst von seiner Freundin Marie verlassen, bei einem Besuch im Elternhaus die Chancen einer Familienzusammenführung ausloten will, wimmelt Jakob seinen verlorenen Sohn ab. Der Pfleger in einem Berliner Heim, erfahren im Umgang mit wunderlichen Greisen, erwartet einen gebrochenen alten Mann, Reue, Trauer, vielleicht sogar Mitgefühl oder eine zärtliche Geste. Aber sein Vater hält mit theatralischer Jovialität Hof, verplaudert seine Nächte bei spanischen Nierchen und Barbera mit seinem Freund, dem Dottore, stürzt sich frisch und kühn wie Martin Walser in den aufgewühlten Bodensee und tanzt wie ein junger Gott auf Almas Partys. Verkehrte Welt: Der Sohn, schon als Kind tolpatschig, altklug und "dackelgleich" brav, putzt die Spuren der väterlichen Gelage weg, schnüffelt in seinem Leben herum - und muss sich gefallen lassen, dass seine Ermahnungen, bohrenden Fragen und Kindheitserinnerungen mit nachsichtiger Ironie vom Tisch gewischt werden.
Die aufreizende Nachlässigkeit, das empörende Getändel und die merkwürdigen Spielchen mit seinen Geliebten, vor allem aber die provozierende Virilität und Vitalität des Alten machen den Jungen immer ratloser und gereizter, und dass Alma ihn zum Nacktbaden einlädt oder ihm mit offenem Morgenmantel entgegenkommt, macht Philipp auch nicht eben lockerer. Was für eine Demütigung: Der ödipal verklemmte Sohn muss mit seinem frei- und großzügigen Vater um eine Frau konkurrieren (und dabei den Kürzeren ziehen). Der aufopfernd idealistische Sozialarbeiter steht wie ein kleiner, neidischer Spießer da, während sein Vater, einst ein Kämpfer für ökologische und soziale Nachhaltigkeit, sich schamlos zu seinem sinnenfrohen Egoismus bekennt.
Mit welchen geheimen Tricks und soft skills, fragt sich Philipp verbittert, bringt er seine Schuldgefühle zum Schweigen und die Frauen in sein Lotterbett? Hält er sie aus? Färbt er sich die Haare? Nimmt er gar Drogen? Ist es seine Kaffeemaschine, sein gutsortierter Kleiderschrank oder doch die üppig strotzende Natur? Wie man es dreht und wendet: Neben diesem Vater mit seinem vollen Haar, seinem durchtrainierten Körper, den Wildschweinen im Garten und dem Harem im Haus sieht der Sohn alt aus, arm, grau und schäbig wie eine Berliner Kirchenmaus.
Kern beschreibt den umgekehrten Vater-Sohn-Konflikt mit pedantischer Sorgfalt, vorbildlichem Feingefühl und gelegentlich mit leiser Ironie. Er beschwört bedächtig und poetisch beflissen die Nebel über dem See, vertieft sich hingebungsvoll in die handwerklichen und technischen Details von Kreuzbartschlüsseln und Felgenmuttern, baut bedeutungsvoll kleine Irritationen und Iris' allgegenwärtige Schrottplastiken auf und weist nicht ohne Genugtuung auf Haarrisse, blätternden Putz und Falten in der väterlichen Fassade hin. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der Autor, vor drei Jahren in Klagenfurt für seinen steifen Sozialrealismus abgewatscht, noch eine Rechnung mit den Übervätern offen hat.
Dabei hat er seit damals durchaus dazugelernt; nicht umsonst studiert Marie in Germanistik "Montage und Simultanität bei Alfred Döblin". Kern montiert starke Bilder und dunkle Geheimnisse in seinen Roman, aber er verschraubt sie oft so mechanisch und angestrengt. Kann sein, dass in Vaters Haus nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Aber mit erzählerischem Putzzwang, verdruckster Eifersucht und künstlich arrangierten Stillleben kommt man der Kunst der Verführung nicht auf die Schliche.
MARTIN HALTER
Björn Kern: "Das erotische Talent meines Vaters". Roman. C.H.Beck Verlag, München 2010. 190 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fliehende Pferde in der Familie: Björn Kerns Roman "Das erotische Talent meines Vaters" kommt der Kunst der Verführung nicht auf die Schliche.
Der Titel von Björn Kerns viertem Roman führt in die Irre: Das besondere erotische Talent von Philipps Vater Jakob besteht weniger in der Eroberung als im Abwimmeln der Frauen. Mindestens zwei umschwirren den gut erhaltenen Mittsechziger derzeit in seiner verwahrlosten Villa am Bodensee. Alma, die kokette, dunkelhäutige Geliebte, die von der mediterranen Leichtigkeit des Seins mit Jakob so angetan ist ("Es ist alles leicht mit ihm. Wo andere keine Lösung finden, sieht er nicht einmal ein Problem"), hat gerade bessere Karten als Karen, aber eigentlich hängt der lebens- und liebeslustige Altachtundsechziger immer noch an Iris. Die unkonventionelle Metallkünstlerin verließ ihn, um mit wechselnden "Kunstklempnern" noch einmal "durchzustarten", und das steckt selbst ein barocker Hedonist nicht ohne weiteres weg.
Aber als Philipp, gerade selbst von seiner Freundin Marie verlassen, bei einem Besuch im Elternhaus die Chancen einer Familienzusammenführung ausloten will, wimmelt Jakob seinen verlorenen Sohn ab. Der Pfleger in einem Berliner Heim, erfahren im Umgang mit wunderlichen Greisen, erwartet einen gebrochenen alten Mann, Reue, Trauer, vielleicht sogar Mitgefühl oder eine zärtliche Geste. Aber sein Vater hält mit theatralischer Jovialität Hof, verplaudert seine Nächte bei spanischen Nierchen und Barbera mit seinem Freund, dem Dottore, stürzt sich frisch und kühn wie Martin Walser in den aufgewühlten Bodensee und tanzt wie ein junger Gott auf Almas Partys. Verkehrte Welt: Der Sohn, schon als Kind tolpatschig, altklug und "dackelgleich" brav, putzt die Spuren der väterlichen Gelage weg, schnüffelt in seinem Leben herum - und muss sich gefallen lassen, dass seine Ermahnungen, bohrenden Fragen und Kindheitserinnerungen mit nachsichtiger Ironie vom Tisch gewischt werden.
Die aufreizende Nachlässigkeit, das empörende Getändel und die merkwürdigen Spielchen mit seinen Geliebten, vor allem aber die provozierende Virilität und Vitalität des Alten machen den Jungen immer ratloser und gereizter, und dass Alma ihn zum Nacktbaden einlädt oder ihm mit offenem Morgenmantel entgegenkommt, macht Philipp auch nicht eben lockerer. Was für eine Demütigung: Der ödipal verklemmte Sohn muss mit seinem frei- und großzügigen Vater um eine Frau konkurrieren (und dabei den Kürzeren ziehen). Der aufopfernd idealistische Sozialarbeiter steht wie ein kleiner, neidischer Spießer da, während sein Vater, einst ein Kämpfer für ökologische und soziale Nachhaltigkeit, sich schamlos zu seinem sinnenfrohen Egoismus bekennt.
Mit welchen geheimen Tricks und soft skills, fragt sich Philipp verbittert, bringt er seine Schuldgefühle zum Schweigen und die Frauen in sein Lotterbett? Hält er sie aus? Färbt er sich die Haare? Nimmt er gar Drogen? Ist es seine Kaffeemaschine, sein gutsortierter Kleiderschrank oder doch die üppig strotzende Natur? Wie man es dreht und wendet: Neben diesem Vater mit seinem vollen Haar, seinem durchtrainierten Körper, den Wildschweinen im Garten und dem Harem im Haus sieht der Sohn alt aus, arm, grau und schäbig wie eine Berliner Kirchenmaus.
Kern beschreibt den umgekehrten Vater-Sohn-Konflikt mit pedantischer Sorgfalt, vorbildlichem Feingefühl und gelegentlich mit leiser Ironie. Er beschwört bedächtig und poetisch beflissen die Nebel über dem See, vertieft sich hingebungsvoll in die handwerklichen und technischen Details von Kreuzbartschlüsseln und Felgenmuttern, baut bedeutungsvoll kleine Irritationen und Iris' allgegenwärtige Schrottplastiken auf und weist nicht ohne Genugtuung auf Haarrisse, blätternden Putz und Falten in der väterlichen Fassade hin. Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der Autor, vor drei Jahren in Klagenfurt für seinen steifen Sozialrealismus abgewatscht, noch eine Rechnung mit den Übervätern offen hat.
Dabei hat er seit damals durchaus dazugelernt; nicht umsonst studiert Marie in Germanistik "Montage und Simultanität bei Alfred Döblin". Kern montiert starke Bilder und dunkle Geheimnisse in seinen Roman, aber er verschraubt sie oft so mechanisch und angestrengt. Kann sein, dass in Vaters Haus nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Aber mit erzählerischem Putzzwang, verdruckster Eifersucht und künstlich arrangierten Stillleben kommt man der Kunst der Verführung nicht auf die Schliche.
MARTIN HALTER
Björn Kern: "Das erotische Talent meines Vaters". Roman. C.H.Beck Verlag, München 2010. 190 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nach seinem überzeugenden zweiten und einem "halbguten" dritten Roman kann Björn Kern mit seinem vierten Buch bei Rezensentin Barbara Gärtner nicht punkten. Der Autor erzählt von der Rückkehr eines Sohnes zum Alt-68er-Vater in die langsam verfallende Bodenseevilla, um die Chancen für eine Versöhnung der getrennten Eltern auszuloten, erfahren wir. Es entspinnt sich ein "Kammerspiel", in der sich der Vater als ein von alten Weltverbesserungsfantasien befreiter "Geronto-Gigolo" geriert und der Sohn von Erinnerungsblitzen heimgesucht wird - die Rezensentin zeigt sich zunehmend angeödet. In diesem Roman wird viel geredet und diese wörtliche Rede wird seitenweise nacherzählt, beschwert sich Gärtner, die es schon von Anfang an misstrauisch gemacht hat, dass sich der Autor mitunter auf kursiv gedruckte Wörter zurückzieht und damit ja wohl deutlich zu verstehen gebe, dass er "der eigenen Sprache nicht traut", wie sie meint. Die findet die Rezensentin dann auch vor allem "lahm" und schwunglos, weshalb sie diesem Roman auch wenig abgewinnen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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