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Ein Fremder kommt in Domenicos Dorf und weckt in dem jungen Mann den Wunsch, die Welt kennenzulernen. Zuerst kommt er nach Feinstadt, ein Ort der guten Sitten; doch ist wirklich "alles in Oo-ordnung", wie der Nachtwächter ruft? Als Domenico seine große Liebe auf tragische Weise verliert, will er fort, nach Kamora. Dort regieren Willkür und Verbrechen - bis eine Gruppe Hirten aufbegehrt. Sie errichten Canudos, eine Stadt der Freiheit. Doch der Kampf gegen Kamora steht ihnen bevor. Das meistgelesene Buch in Georgien und - zur Zeit sowjetischer Herrschaft geschrieben - eine aufrüttelnde Parabel…mehr

Produktbeschreibung
Ein Fremder kommt in Domenicos Dorf und weckt in dem jungen Mann den Wunsch, die Welt kennenzulernen. Zuerst kommt er nach Feinstadt, ein Ort der guten Sitten; doch ist wirklich "alles in Oo-ordnung", wie der Nachtwächter ruft? Als Domenico seine große Liebe auf tragische Weise verliert, will er fort, nach Kamora. Dort regieren Willkür und Verbrechen - bis eine Gruppe Hirten aufbegehrt. Sie errichten Canudos, eine Stadt der Freiheit. Doch der Kampf gegen Kamora steht ihnen bevor.
Das meistgelesene Buch in Georgien und - zur Zeit sowjetischer Herrschaft geschrieben - eine aufrüttelnde Parabel über das menschliche Dasein in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Tyrannei. "Eine wunderschöne Fabel über die Liebe und die Freundschaft, über das Leben und die Identität, und allem voran eine Einladung zu einem Fest der Phantasie." Nino Haratischwili
Autorenporträt
Guram Dotschanaschwili, 1939 in Tbilissi geboren und 2021 gestorben, studierte Geschichte und Archäologie. Bereits 1966 begann er mit der Arbeit an seinem ersten Roman Das erste Gewand (Hanser, 2018), den er 1978 beendete. Bei einer Umfrage im Rahmen der Sendung Chemi zigni (Mein Buch), bei der - nach dem Vorbild von BBC Big Read - nach dem Lieblingsbuch der Georgier gefragt wurde, kam der Roman mit großem Abstand auf den ersten Platz. 1985 erhielt Dotschanaschwili den Staatspreis für das literarische Gesamtwerk und 2010 den renommiertesten georgischen Literaturpreis, den SABA-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2018

Im Dienst zu sein ist keine Entschuldigung, mein Herr!

Georgiens Kultbuch: Der Dissident Guram Dotschanaschwili führt einen Jüngling durch Himmel und Hölle und lässt ihn zum Dichter werden.

Dass Domenico wegwill, das stille Dorf verlassen, in dem sein Vater das Oberhaupt, die letzte Instanz für alle diesseitigen und jenseitigen Fragen ist, weiß er wohl selbst noch nicht. Erst als ein namenloser Flüchtling ins Dorf kommt, Unterschlupf findet und seine Geschichten von der Löwenjagd, den fleischfressenden Pflanzen und den Kronen, die es da draußen zu erringen gibt, seinem staunenden Zuhörer erzählt, erst jetzt kommt diese idyllische Kindheit an ihr Ende. Domenico jedenfalls nimmt all seinen Mut zusammen, stellt sich vor den allmächtigen Vater hin und verlangt Reisegeld. Und der zahlt ihm anstandslos sein Erbe aus.

Nicht zufällig erinnert das Handlungsgerüst von Guram Dotschanaschwilis Roman "Das erste Gewand" an das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn, und auch sonst finden sich immer wieder Anklänge an tradierte religiöse Bilder, wenn etwa eine Gruppentaufe im gelobten Land durchgeführt oder mit dem Nachwuchs von ein paar Fischen eine vieltausendköpfige Menschenmenge gespeist wird. Dezent, aber deutlich sind diese Zitate in den Text eingefügt, deutlich genug zumindest, dass der georgische Roman, erschienen vor gut vierzig Jahren als Zeitschriftenvorabdruck und als Buch, deswegen Schwierigkeiten mit der sowjetischen Zensur bekam. Eduard Schewardnadse, damals Parteichef in Georgien, soll sich persönlich für den Text eingesetzt haben. Und ermöglichte so die Publikation eines Kultbuchs, gefeiert, ja geliebt von Dotschanaschwilis Kollegen ebenso wie vom Publikum. "Das erste Gewand" gilt als das meistgelesene georgische Buch der Gegenwartsliteratur.

Warum das so ist, versteht man rasch, setzt man sich nur ein paar Seiten dieser ruhigen, funkelnden, mitunter abgründig bebenden Prosa aus, die Susanne Kihm und Nikolos Lomtadse nun ins Deutsche gebracht haben: "Die Stadt erstarb, saugte sich voll, keine Rufe waren mehr zu hören, selbst die Kutscher trieben ihre Pferde nicht mehr lautstark an, die triefend nassen Äste der Bäume wurden schwer, und vor lauter Langeweile krähten die Hähne noch öfter."

Dotschanaschwili, 1939 geboren und als Jugendlicher wegen des Verteilens antisowjetischer Flugblätter zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, erzählt in seinem 1966 begonnenen Roman von Domenicos Reise, die ihn nach dem Verlassen des Heimatdorfs nacheinander ins vornehme "Feinstadt" führt, dann in die finstere Stadt Kamora und schließlich in die Lehmsiedlung Canudos, gegründet und bewohnt von Hirten, die nicht mehr länger die Willkür der Kamoraner erleiden wollen, deshalb fortziehen und im Brachland neu siedeln, obwohl sie wissen, dass ihr Freiheitsdrang mit aller militärischen Härte bekämpft werden wird, dass sie dieser Gewalt unterliegen werden. Kein Wunder, dass auch dieser Aspekt der Publikation des Romans in der Sowjetunion hinderlich war, dass freiheitstrunkene Sätze wie "Im Dienst sein ist keine Entschuldigung!" wenig gelitten waren. Und dass dies dem Roman umgekehrt bei den zeitgenössischen Lesern den Weg bereitet hat.

Dennoch ist der Roman alles andere als von lediglich zeithistorischem Interesse oder gar eine Parabel auf den Widerstand gegen politische Unterdrückung. Viel eher ist es ein Roman, dessen Hauptfigur die Möglichkeit einer individuellen Entwicklung verkörpert, ein Jedermann im Werden, der sich naiv und unwissend in unterschiedliche Gesellschaften finden muss, was ihm das große, vom Vater mitgegebene Vermögen zugleich erleichtert und erschwert. Er genießt die Annehmlichkeiten von Feinstadt und nimmt erst sehr spät das Unheil war, die kleinen Betrügereien und faulen Kompromisse mit dem mächtigen Nachbarn Kamora, die das Wohlleben ermöglichen, und wenn der Nachtwächter zu jeder Stunde laut verkündet, alles wäre "in Ordnung", dann erweist sich das bald als Hohn.

Auch in der Nachbarstadt Kamora, wo die Willkürherrschaft offenliegt, wo alles falsch ist, niemand niemandem trauen kann, die Milch nach Blut schmeckt und in neue Kleidung serienmäßig fünf Messer eingenäht werden, um bei Bedarf als Mordwerkzeug zu dienen, gibt es einen Nachtwächter. Dieser verkündet gar, alles dort wäre "grandios", und das mag aus der Perspektive der Herrscherclique um einen Marschall Betancourt sogar richtig sein. Für die Übrigen aber, den Neuling Domenico eingeschlossen, ist Kamora ein Ort des Schreckens und der Willkür, mit unverständlichen Regeln, die sich jederzeit ändern können und über Leben und Tod des Einzelnen entscheiden.

Tatsächlich lebt auch der Roman nicht zuletzt von einer Vielzahl jäher Wendungen, von Geheimnissen und Enthüllungen, von Guten, die sich wie Böse verhalten, und Bösen, die ungewollt das Gute bewirken, und kaum zufällig berichtet der Vagabund, der anfangs in Domenicos Dorf kommt, dem staunenden Jungen von den fleischfressenden Pflanzen mit den verlockend schönen Blüten, die es draußen in der Welt gibt - nur dass der Vagabund für deren Tücke bei der Jagd nach lebender Nahrung eine ungewöhnliche Erklärung findet. Schuld seien nicht die Pflanzen, sondern "der schlechte Boden".

Der andauernde Wechsel bei einer zugleich kaum gewandelten Diktion prägt auch die Erzählperspektive. Das betrifft nicht nur die Schauplätze, sondern auch einzelne Szenen, die so gegeneinandergeschnitten sind, dass auf eine Frage am Ende der einen die Antwort aus einem ganz anderen Zusammenhang folgt, dass sich die Zeitebenen auf irritierende Weise durchdringen und vorwegnehmen, was noch gar nicht geschehen ist, oder dass schließlich der Erzähler selbst auftritt, aber mit dem Leser im Gepäck, an der Hand oder auf den Schultern, und dass dieser Leser abwechselnd mit "du" oder "Sie" angesprochen wird, weil sich die Unsicherheit des Erzählers auch auf das Verhältnis zum Publikum erstreckt: "Wir aber", sagt er, "wir stehen uns die ganze Zeit gegenüber, und ich breite bunte Geschichten wie einen Teppich zu Ihren Füßen aus - bitte, laufen Sie darüber; doch Sie, so gehorsam wie stur, schauen in meine Seele hinein."

Was damit gewonnen ist, erschließt sich rasch: Die Äußerungen, die Urteile gar des Erzählers zu einzelnen Figuren erscheinen so als Vorschläge, denen man rezipierend folgen kann oder auch nicht, Freiheitsdrang auch hier. Vor allem aber entspricht dem auf der Ebene des Inhalts die schiere Vielfalt von Erzählsträngen, die ineinander verwoben sind wie die Goldfäden des titelgebenden "Ersten Gewands". Jahr für Jahr, kurz vor dem Fortgang Domenicos und kurz nach seiner Rückkehr, wird im Dorf ein Ritual abgehalten, bei dem die Bevölkerung Fetzen ihrer Kleidung in ein großes Feuer wirft und damit das während der letzten zwölf Monate Erlebte buchstäblich in den Rauch schreibt - die Nachrichten von Geburten, Missernten oder unverhofftem Segen sollen so zu den Ahnen im Himmel aufsteigen. Am Ende des Romans, in einer fulminanten Szene, übergibt auch Domenico seine Kleidung dem Feuer, und der Erzähler beschreibt noch einmal, welche Erlebnisse, welche Begegnungen damit übermittelt werden.

Dabei belässt er es nicht. Domenico, der im Verlauf des Romans immer wieder versucht hat, sich das, was ihm widerfährt, die Menschen, die er trifft, durch das Kneten von Lehmfiguren bewusst zu machen, trifft nun ein letztes Mal auf seinen Vater, der ihn zu einem weiteren Schritt ermutigt, zum Erzählen. Das tut Domenico nun auch, mit denselben Worten, mit denen der Roman "Das erste Gewand" anfängt. Dass der Leser diesen Zirkel nur zu gern nachvollzieht, dass er am Ende seiner Lektüre zum Anfang zurückkehrt, um diesen Verbindungslinien nachzugehen, ist sehr wahrscheinlich.

TILMAN SPRECKELSEN

Guram Dotschanaschwili: "Das erste Gewand". Roman. Aus dem Georgischen von Susanne Kihm und Nikolos Lomtadse. Hanser Verlag, München 2018. 672 S., geb., 32,- [Euro].

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"'Ein zugleich tieftraditionelles und hochavantgardistisches Buch. [...] Man kann in der modernen Literatur lange suchen nach einer Welterzählung vergleichbarer Fülle, literarischer Komplexität, spiritueller Tiefe, metaphysischer Komik und prophetischer Ernsthaftigkeit. [...] Es gibt eigentlich keinen besseren Einstieg in die Mentalität und in den kulturellen Kosmos des diesjährigen Gastlands der Frankfurter Buchmesse als die Lektüre dieses von Susanne Kihm und Nikolos Lomtadse in ein sehr plausibles Deutsch übertragenen Klassikers der georgischen Moderne." Stephan Wackwitz, DIE ZEIT, 27.09.18

"Ein Meisterwerk der Erzählkunst mit völlig neuem Vokabular." Cornelia Zetzsche, BR 2 Diwan, 23.09.18

"Was Dotschanaschwili in seinem weit ausgreifenden, stilistisch vielseitig schillernden Epos darbietet, ist getragen von einer unerschöpflichen Fülle an Einfallsreichtum und Virtuosität. Wie der Autor mit sicherer Hand den allegorischen Bogen der Lebensreise eines verlorenen Sohns zwischen Aufbruch und Rückkunft zu spannen weiß, das setzt den Leser einem dauerhaften Sprühregen mitreißender Beredsamkeit und unbändiger Erzähllust aus." Oliver vom Hove, Wiener Zeitung, 06.10.18