Alain Badiou stellt seine Theorien über das Ereignis und die Idee des Kommunismus anhand der jüngsten Ereignisse in der arabischen Welt und in Europa auf die Probe und beschreibt eine "Zeit der Aufstände", die ein "Erwachen der Geschichte" ankündigt. Mittels genauer Analysen des Arabischen Frühlings sowie der Unruhen in England legt Alain Badiou die Struktur des Aufstands frei und stürzt somit die These vom Ende der Geschichte, von der Endgültigkeit der "liberalen" kapitalistischen Demokratie. Es ist vielmehr ein Erwachen der Geschichte im Gange, in dem ein Ereignis, etwas Neues, eine bahnbrechende, philosophische Idee zukunftsweisend wird und so eine kommende Politik organisieren und strukturieren muss. Badiou rekapituliert und geht in diesem Buch konkret auf seine politische Philosophie ein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2013Lies doch: Da ist das Glück
Peter Engelmanns Passagen-Verlag war immer eine Zumutung für die westdeutsche Linke: zu französisch, zu modern, zu gefährlich. Jetzt feiert der Verlag 25. Geburtstag - mit einem wunderbaren Buch
Als Giorgio Agamben kürzlich das "lateinische Reich" gegen die deutsche Wirtschaftsmacht in Europa anrief, gingen die Reaktionen weiter, als der Vorschlag reichte. Agamben hatte einen gebildeten, katholischen Witz gemacht, der in vierzehn Sprachen auch verstanden wurde. Nur in Deutschland war den meisten Kommentatoren nicht zum Lachen zumute, wie man an jenem beleidigten Leitartikel ablesen konnte, der meinte, sich darauf berufen zu müssen, dass die Klassenbesten schon immer Opfer des Spottes der Zukurzgekommenen gewesen seien. Was den Schluss nahelegt, dass unter den deutschen Eliten von Europa tatsächlich nur die Strebergeste des ewigen Klassenbesten übriggeblieben ist. Von Helmut Kohls tiefer Überlegung, Europa sei eine Frage von Krieg und Frieden, war in den Reaktionen auf Agamben jedenfalls nichts mehr zu lesen.
Gegen die Gedanken- und Ideenlosigkeit, Europa betreffend, ist jetzt im Wiener Passagen-Verlag ein kleiner Band erschienen. "Philosophie und die Idee des Kommunismus" heißt das Buch und dokumentiert ein Gespräch zwischen Peter Engelmann und Alain Badiou. Es ist der erste Band einer Reihe von Gesprächen, die Engelmann anlässlich des 25. Geburtstags seines 1987 gegründeten Verlags mit seinen wichtigsten Autoren führt. Engelmann ist dabei so etwas wie der Körper, durch den die Versprechen des deutschen Geistes hindurchgegangen sind, ohne ihm den Glauben an die Funktion der Wahrheit zu rauben.
Engelmann, 1947 geboren, studierte in Ost-Berlin Philosophie, bis er aus politischen Gründen 1972 in Stasihaft geriet und ein Jahr im Gefängnis verbrachte. 1973 freigekauft und nach Westdeutschland übergesiedelt, machte er dort eine philosophisch einschneidende Erfahrung. Im sich marxistisch gebenden Humanismus der DDR aufgewachsen und geprägt, konnte im Westen kaum jemand etwas mit seiner Erfahrung der Wirklichkeit dieses sogenannten DDR-Sozialismus anfangen. Die meisten westdeutschen Linken, einschließlich Jürgen Habermas, hatten mit der DDR weder ein praktisches noch ein theoretisches Problem. Sie fanden es "irgendwie" gut, dass dieser "Scheißstaat" (Rainald Goetz) da war.
So mit seiner Erfahrung allein gelassen, aber trotzdem überglücklich, die Chance bekommen zu haben, sein Leben noch einmal neu zu beginnen, ging Engelmann zum Philosophiestudium, das er im Westen wiederholen musste, nach Paris. Dort lernte er bald die damals noch nicht weltberühmten Köpfe des neuen französischen Denkens wie Michel Foucault, Jacques Derrida und Gilles Deleuze kennen. Und dort macht Engelmann die erstaunliche Erfahrung, dass die Heroen des universitären Diskurses ein echtes Interesse an seiner Gefängniszeit in der DDR haben. Bei Foucault, der während seiner Arbeit für das französische Institut in Polen selbst mit dem dortigen Geheimdienst in Konflikt geriet und in Frankreich eine Gefängnisgruppe gegründet hatte, in der es darum ging, die Gefangenen selbst zum Sprechen zu bringen, war das kein Wunder. Das Neue war, dass auch jene Denker, die nicht professionell mit Überwachungs- und Strafsystemen befasst waren, Engelmanns Erfahrungen ihr Gehör schenkten.
Es ist genau dieser Moment, der damals und in der Folge das französische Denken zu einem universellen Ereignis werden lässt: das Wissen, dass man den Unterdrückten und Ausgebeuteten ihre Lage nicht erklären muss, die kennen sie selber gut genug - sondern dass es darum gehen muss, den Schrecken nicht über den Mut zum Kampf siegen zu lassen. Es war dieser antidepressive Kern der nichtmarxistischen, linken Kritik der Franzosen, der Engelmann zu der Überzeugung brachte, deren Denken auch in deutscher Sprache zugänglich zu machen.
Das war in West-Deutschland in den achtziger Jahren nicht einfach. Die dominierenden Denker der Frankfurter Schule um Jürgen Habermas, mit machtbewussten Wissenschaftspolitikern wie Peter Glotz im Gefolge, hatten früh erkannt, dass ihnen in Frankreich eine Konkurrenz erwuchs, der man mit Habermas' berühmtem "herrschaftsfreien Diskurs" nicht beikommen konnte. Es brauchte härtere Bandagen, und so schreckten die deutschen Professoren auch vor dem Vorwurf nicht zurück, die Franzosen seien irrational und faschistisch. Die Franzosenkritik bewegte sich dabei sehr nah am Habitus des deutschen Geistes von 1914. Und sie tut es noch immer, wenn es um Alain Badiou geht. Er sei der "gefährlichste Denker Frankreichs", war in der vergangenen Woche in einer Berliner Zeitung zu lesen, die zu DDR-Zeiten nicht durch Kritik am System auffiel und es heute im Unterschied zu Peter Engelmann immer noch nicht tut. Insofern ist Wien heute wie gestern der angemessene Ort, darüber nachzudenken, warum es sich lohnt, die Idee des Kommunismus trotz Stalin, DDR und der kommunistischen Partei Frankreichs aufrechtzuerhalten. Für Badiou ist die Idee des Kommunismus nichts anderes als die voraussetzungslose, nie naturalisierbare Idee der Gleichheit, wie sie Paulus in die Welt setzte, als er mit einem Satz die Unterschiede zwischen Griechen, Juden und Heiden, zwischen Mann und Frau sowie Herren und Sklaven durchstrich: Paulus, Thomas von Aquin und Franz von Assisi gehören genauso zur Geschichte der Idee der Gleichheit wie Hegel oder Marx. Die Idee der radikalen Egalität, vor zweitausend Jahren erfunden und immer noch nicht wirklich geworden, ist es, die die Geschichte immer wieder gegen alle gegenteiligen Vorhersagen erwachen lässt und die Menschen auf Straßen und Plätze treibt wie in Kairo oder aktuell in Istanbul, meint Badiou. Wobei Badiou die Kraft der Widerstände in der arabischen Welt nicht an irgendeinem zu erwartenden Erfolg misst. Es geht ihm um die Erfahrung von Menschen, denen im Aufstand eine Kraft zufällt, von der sie gestern noch nicht wussten, dass sie zu ihr fähig sind. Eine Kraft, vor der jeder Geschichts- und Kulturpessimismus zu dem wird, was er ist: schale Depression, das Gegenteil von Engelmanns Glück, als er sein Leben noch einmal neu beginnen konnte. Wichtig ist in diesem Fall aber, dass für Badiou wie für Engelmann der Anstoß zum Handeln von außen kommt, aus einer Idee, die man annimmt, und nicht aus einem selbst. Mit der Selbstschau und dem sogenannten Selber-Denken kommt man nicht viel weiter als bis zur eigenen Endlichkeit. Die aber gilt es, nach der Weisheit, nach der wir etwas Besseres als den Tod allemal finden, nicht überzubewerten. Ideen wie Wahrheiten sind schließlich, alles in allem, unendlich, und sie können unvorhersehbar überall auftauchen, selbst im altgewordenen Europa. Wovon der Passagen-Verlag und dieses Gespräch auch zeugen: letztlich von der Überwindung des deutschen und französischen Provinzialismus in der Idee.
CORD RIECHELMANN.
Alain Badiou / Peter Engelmann: "Philosophie und die Idee des Kommunismus". Passagen-Verlag, 108 S., 14,90.
Euro Alain Badiou: "Das Erwachen der Geschichte". Passagen-Verlag, 135 S., 17,50 Euro
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Peter Engelmanns Passagen-Verlag war immer eine Zumutung für die westdeutsche Linke: zu französisch, zu modern, zu gefährlich. Jetzt feiert der Verlag 25. Geburtstag - mit einem wunderbaren Buch
Als Giorgio Agamben kürzlich das "lateinische Reich" gegen die deutsche Wirtschaftsmacht in Europa anrief, gingen die Reaktionen weiter, als der Vorschlag reichte. Agamben hatte einen gebildeten, katholischen Witz gemacht, der in vierzehn Sprachen auch verstanden wurde. Nur in Deutschland war den meisten Kommentatoren nicht zum Lachen zumute, wie man an jenem beleidigten Leitartikel ablesen konnte, der meinte, sich darauf berufen zu müssen, dass die Klassenbesten schon immer Opfer des Spottes der Zukurzgekommenen gewesen seien. Was den Schluss nahelegt, dass unter den deutschen Eliten von Europa tatsächlich nur die Strebergeste des ewigen Klassenbesten übriggeblieben ist. Von Helmut Kohls tiefer Überlegung, Europa sei eine Frage von Krieg und Frieden, war in den Reaktionen auf Agamben jedenfalls nichts mehr zu lesen.
Gegen die Gedanken- und Ideenlosigkeit, Europa betreffend, ist jetzt im Wiener Passagen-Verlag ein kleiner Band erschienen. "Philosophie und die Idee des Kommunismus" heißt das Buch und dokumentiert ein Gespräch zwischen Peter Engelmann und Alain Badiou. Es ist der erste Band einer Reihe von Gesprächen, die Engelmann anlässlich des 25. Geburtstags seines 1987 gegründeten Verlags mit seinen wichtigsten Autoren führt. Engelmann ist dabei so etwas wie der Körper, durch den die Versprechen des deutschen Geistes hindurchgegangen sind, ohne ihm den Glauben an die Funktion der Wahrheit zu rauben.
Engelmann, 1947 geboren, studierte in Ost-Berlin Philosophie, bis er aus politischen Gründen 1972 in Stasihaft geriet und ein Jahr im Gefängnis verbrachte. 1973 freigekauft und nach Westdeutschland übergesiedelt, machte er dort eine philosophisch einschneidende Erfahrung. Im sich marxistisch gebenden Humanismus der DDR aufgewachsen und geprägt, konnte im Westen kaum jemand etwas mit seiner Erfahrung der Wirklichkeit dieses sogenannten DDR-Sozialismus anfangen. Die meisten westdeutschen Linken, einschließlich Jürgen Habermas, hatten mit der DDR weder ein praktisches noch ein theoretisches Problem. Sie fanden es "irgendwie" gut, dass dieser "Scheißstaat" (Rainald Goetz) da war.
So mit seiner Erfahrung allein gelassen, aber trotzdem überglücklich, die Chance bekommen zu haben, sein Leben noch einmal neu zu beginnen, ging Engelmann zum Philosophiestudium, das er im Westen wiederholen musste, nach Paris. Dort lernte er bald die damals noch nicht weltberühmten Köpfe des neuen französischen Denkens wie Michel Foucault, Jacques Derrida und Gilles Deleuze kennen. Und dort macht Engelmann die erstaunliche Erfahrung, dass die Heroen des universitären Diskurses ein echtes Interesse an seiner Gefängniszeit in der DDR haben. Bei Foucault, der während seiner Arbeit für das französische Institut in Polen selbst mit dem dortigen Geheimdienst in Konflikt geriet und in Frankreich eine Gefängnisgruppe gegründet hatte, in der es darum ging, die Gefangenen selbst zum Sprechen zu bringen, war das kein Wunder. Das Neue war, dass auch jene Denker, die nicht professionell mit Überwachungs- und Strafsystemen befasst waren, Engelmanns Erfahrungen ihr Gehör schenkten.
Es ist genau dieser Moment, der damals und in der Folge das französische Denken zu einem universellen Ereignis werden lässt: das Wissen, dass man den Unterdrückten und Ausgebeuteten ihre Lage nicht erklären muss, die kennen sie selber gut genug - sondern dass es darum gehen muss, den Schrecken nicht über den Mut zum Kampf siegen zu lassen. Es war dieser antidepressive Kern der nichtmarxistischen, linken Kritik der Franzosen, der Engelmann zu der Überzeugung brachte, deren Denken auch in deutscher Sprache zugänglich zu machen.
Das war in West-Deutschland in den achtziger Jahren nicht einfach. Die dominierenden Denker der Frankfurter Schule um Jürgen Habermas, mit machtbewussten Wissenschaftspolitikern wie Peter Glotz im Gefolge, hatten früh erkannt, dass ihnen in Frankreich eine Konkurrenz erwuchs, der man mit Habermas' berühmtem "herrschaftsfreien Diskurs" nicht beikommen konnte. Es brauchte härtere Bandagen, und so schreckten die deutschen Professoren auch vor dem Vorwurf nicht zurück, die Franzosen seien irrational und faschistisch. Die Franzosenkritik bewegte sich dabei sehr nah am Habitus des deutschen Geistes von 1914. Und sie tut es noch immer, wenn es um Alain Badiou geht. Er sei der "gefährlichste Denker Frankreichs", war in der vergangenen Woche in einer Berliner Zeitung zu lesen, die zu DDR-Zeiten nicht durch Kritik am System auffiel und es heute im Unterschied zu Peter Engelmann immer noch nicht tut. Insofern ist Wien heute wie gestern der angemessene Ort, darüber nachzudenken, warum es sich lohnt, die Idee des Kommunismus trotz Stalin, DDR und der kommunistischen Partei Frankreichs aufrechtzuerhalten. Für Badiou ist die Idee des Kommunismus nichts anderes als die voraussetzungslose, nie naturalisierbare Idee der Gleichheit, wie sie Paulus in die Welt setzte, als er mit einem Satz die Unterschiede zwischen Griechen, Juden und Heiden, zwischen Mann und Frau sowie Herren und Sklaven durchstrich: Paulus, Thomas von Aquin und Franz von Assisi gehören genauso zur Geschichte der Idee der Gleichheit wie Hegel oder Marx. Die Idee der radikalen Egalität, vor zweitausend Jahren erfunden und immer noch nicht wirklich geworden, ist es, die die Geschichte immer wieder gegen alle gegenteiligen Vorhersagen erwachen lässt und die Menschen auf Straßen und Plätze treibt wie in Kairo oder aktuell in Istanbul, meint Badiou. Wobei Badiou die Kraft der Widerstände in der arabischen Welt nicht an irgendeinem zu erwartenden Erfolg misst. Es geht ihm um die Erfahrung von Menschen, denen im Aufstand eine Kraft zufällt, von der sie gestern noch nicht wussten, dass sie zu ihr fähig sind. Eine Kraft, vor der jeder Geschichts- und Kulturpessimismus zu dem wird, was er ist: schale Depression, das Gegenteil von Engelmanns Glück, als er sein Leben noch einmal neu beginnen konnte. Wichtig ist in diesem Fall aber, dass für Badiou wie für Engelmann der Anstoß zum Handeln von außen kommt, aus einer Idee, die man annimmt, und nicht aus einem selbst. Mit der Selbstschau und dem sogenannten Selber-Denken kommt man nicht viel weiter als bis zur eigenen Endlichkeit. Die aber gilt es, nach der Weisheit, nach der wir etwas Besseres als den Tod allemal finden, nicht überzubewerten. Ideen wie Wahrheiten sind schließlich, alles in allem, unendlich, und sie können unvorhersehbar überall auftauchen, selbst im altgewordenen Europa. Wovon der Passagen-Verlag und dieses Gespräch auch zeugen: letztlich von der Überwindung des deutschen und französischen Provinzialismus in der Idee.
CORD RIECHELMANN.
Alain Badiou / Peter Engelmann: "Philosophie und die Idee des Kommunismus". Passagen-Verlag, 108 S., 14,90.
Euro Alain Badiou: "Das Erwachen der Geschichte". Passagen-Verlag, 135 S., 17,50 Euro
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