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Als Europas Herrscher eine große Familie waren - das schwungvoll erzählte Panorama einer Zeit, die sich uns faszinierend fremd und doch seltsam vertraut darstellt. Ein eigenartiger Kontinent ist das Europa der Könige: Hier kann ein König von England, der kein Englisch spricht, auf die Idee kommen, die Pläne eines kein Spanisch sprechenden Königs von Spanien zu durchkreuzen, indem er dem kein Polnisch sprechenden König von Polen anbietet, König von Sizilien zu werden. Hier residiert die Macht in überfüllten Schlössern, deren Höflings-Bewohner sich den ganzen Winter über um das Recht streiten,…mehr

Produktbeschreibung
Als Europas Herrscher eine große Familie waren - das schwungvoll erzählte Panorama einer Zeit, die sich uns faszinierend fremd und doch seltsam vertraut darstellt.
Ein eigenartiger Kontinent ist das Europa der Könige: Hier kann ein König von England, der kein Englisch spricht, auf die Idee kommen, die Pläne eines kein Spanisch sprechenden Königs von Spanien zu durchkreuzen, indem er dem kein Polnisch sprechenden König von Polen anbietet, König von Sizilien zu werden. Hier residiert die Macht in überfüllten Schlössern, deren Höflings-Bewohner sich den ganzen Winter über um das Recht streiten, in Gegenwart der Königin auf einem Hocker sitzen zu dürfen, bevor sie im Sommer losziehen, um an der Spitze knallbunt uniformierter Truppen direkt in das Musketenfeuer der Kriegsgegner hineinzumarschieren. Hier lebt eine Gesellschaft, in der ein Edelmann, der erst mit dreiundzwanzig Jahren feststellt, keinen Vornamen zu haben, weniger auffällt als einer, der seine Frau mit ihrem Vornamen anredet. Hier schart sich der höfische Adel um Herrscher, die in einem dichten Netz aus diplomatischen Beziehungen, Intrigen und Verschwörungen gefangen sind: Nationalität und Ideologie sind ihnen nichts, die eigene Dynastie dagegen alles.
Leonhard Horowski führt uns kenntnisreich und unterhaltsam durch untergegangeneWelten, deren Bewohner er auf die Schlachtfelder des Krieges wie auf die der Heiratspolitik begleitet; er folgt Edelleuten und Prinzessinnen durch labyrinthische Palast-Korridore und sieht zu, wie mit Duellen und Zeremonien Politik gemacht wurde. Er zeichnet ein schillerndes Porträt des Adels in jener Epoche, als er noch keine natürlichen Feinde kannte - im Europa der Könige, das an sich und seinem dynastischem Denken schließlich gescheitert ist.
Autorenporträt
Horowski, LeonhardLeonhard Horowski, 1972 geboren, studierte Geschichte, Anglistik und Politologie an der Freien Universität Berlin und der University of Durham. Nachdem er mit einer Doktorarbeit zum Hof von Versailles promoviert wurde, schließt er zur Zeit eine Habilitation über brandenburg-preußische Staatsminister ab. Neben der universitären Lehrtätigkeit arbeitete er in der Diplomatenfortbildung sowie als historischer Berater für Dokumentarserien, u.a. «Mätressen. Die Geheime Macht der Frauen» (2005) und «Die Deutschen» (2010).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als Jugendlicher hat Micha Brumlik die "Angélique"-Romane mit heißen Ohren unter der Bettdecke verschlungen, heute stürzt er sich mit größter Neugier auf Leonhard Horowskis Prachtband über das "Europa der Könige". Mit 1.200 Seiten unterhaltsamster Monarchiegeschichte kommt der Rezensent auch auf seine Kosten: Er lernt, dass Mätressen für den Monarchen nicht nur als erotische Gespielinnen von Bedeutung waren, sondern auch als Sündenböcke bei eventuellen Legitimationskrisen. (Wer hatte keine? Ludwig XVI!) Auch dass die Autobiografie nicht unbedingt eine bürgerliche Gattung war, sondern auch von den Damen am Hof eifrig betrieben wurde, erfährt Brumlik von Horowski. Aber natürlich macht er sich nichts vor. So glänzend diese Geschichte auch erzählt wird, sie ist eine "volle Artilleriesalve" auf jede Form heutiger und soziologisch fundierter Geschichtsschreibung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2017

Im Königreich der tausend Schmankerl
So viele unerhörte Geschichten: Leonhard Horowski erzählt vom europäischen Hochadel vor der Revolution

Ein kleiner, bärtiger Mann klettert an einem Februarmorgen des Jahres 1676 an einer Strickleiter aus dem durchgesägten Fenstergitter seiner Zelle in der französischen Alpenfestung Pignerol. "Einmal blickte er noch zurück, um zu sehen, ob sein Brief an den König auch gut sichtbar auf dem Tisch lag." Zwölf Jahre später steht derselbe Mann am Themseufer in London und hilft der englischen Königin und dem neugeborenen Thronfolger bei der Flucht aus ihrer Hauptstadt. "In Versailles würde er von diesem seltsamen Land erzählen, alle würden ihm dazu gratulieren, dass er nicht mehr dort war, und er hätte eine unglaubliche Geschichte mehr in seinem Repertoire."

Abermals zwölf Jahre später, im Sommer 1700, feiert ein anderer Mann, ein brandenburgischer Höfling, im Lustgarten des Berliner Schlosses seine Vermählung mit einer hugenottischen Kleinadligen: "Beinahe geblendet blickte Grumbkow auf die Tausende von Lichtern, die einen zum Himmel offenen achteckigen Saal aus bemaltem Stuck, Pappmaché, falschem Blätterwerk und echtem Holz erleuchteten." Und nur ein knappes Jahrzehnt danach besichtigt derselbe Friedrich Wilhelm von Grumbkow im Gefolge des preußischen Kronprinzen die Feldschanzen der französischen Armee beim belgischen Dorf Malplaquet: "Der ganze Wald war durch seltsame Farbtupfer verfremdet, die auch das links angrenzende Stoppelfeld zierten, dunkelblaue, weißgoldene und scharlachrote Röcke, dazu blonde, weiße, dunkelbraune Perücken, die sich im Regen garantiert auflösten." Am folgenden Tag, dem 11. September 1709, findet hier die blutigste Schlacht des Jahrhunderts statt, der Höhepunkt des Spanischen Erbfolgekriegs.

Von solcher Art sind die Geschichten, die Leonhard Horowski in seinem Buch über das "Europa der Könige" erzählt, von dem wir vorab eine Kostprobe in dieser Zeitung präsentierten (F.A.Z. vom 4. März). Und mit solchen Sätzen schildert er das Geschehen an den Höfen und in den Gefängnissen, in den Parks und auf den Schlachtfeldern der frühen Neuzeit. Normalerweise kann man die Frage des Stils, in dem historiographische Neuerscheinungen geschrieben sind, am Ende einer Besprechung abhandeln. Diesmal nicht. Denn der Ton, der in diesem Buch angeschlagen wird, ist von seinem Inhalt nicht zu trennen; ja, er ist über weite Strecken der Inhalt selbst.

Die Alternative, vor der der Autor bei der Zusammenfassung seiner Studien zur höfischen Gesellschaft im Absolutismus gestanden hat, stellt er im zweiten der zwanzig Kapitel des Buches zur Diskussion. Man könne sich, so Horowski, "begeistert ins Triviale stürzen" und den Boulevardreporter von Versailles, Petersburg und Kensington geben - oder aber den ausgetretenen Pfaden der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft folgen und das Spektakel der europäischen Fürstenhöfe zum sinnlosen Glasperlenspiel erklären, das nur von der eigentlichen Entwicklung abgelenkt habe, dem Aufstieg des merkantilen Bürgertums.

Es ist ein doppelter Popanz, der hier aufgebaut wird: einerseits die verblendete akademische Forschung, die alles Gewesene teleologisch auf ihre eigene Gegenwart bezieht, andererseits die naive Schwärmerei des historischen Amateurs. Interessanterweise tritt Horowski jedoch nur einen seiner beiden kunstvoll drapierten Buhmänner in die Tonne: Die "große Erzählung" der Sozialgeschichtler - Namen nennt er leider nicht -, nach der in Versailles bloß Kinkerlitzchen verhandelt wurden, sei "schlichtweg" falsch. Die Mantel-und-Degen-Variante findet der Autor dagegen weniger falsch: Historische Salonmalerei in Buchform sei "natürlich erlaubt", wenn auch nach dreihundertjähriger Übung "nicht unbedingt interessanter geworden".

Das will Horowski ändern. Auf 1047 nur selten durch Absätze aufgelockerten Textseiten setzt er seine ganze Beredsamkeit ein, um die interessantesten High-Society-Schmankerl, die das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert uns hinterlassen haben, noch interessanter zu machen. So lesen wir von Antonin de Caumont, Marquis de Puyguilhem, dem Häftling von Pignerol, Fluchthelfer von London und späteren Herzog von Lauzun, der das Stelldichein Ludwigs XIV. mit Madame de Montespan unter dem Bett belauschte; von der unglücklichen Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, die nach der Ermordung ihres Liebhabers in ein einsames Wasserschloss gesperrt wurde, während ihr geschiedener Mann Georg von Hannover auf den englischen Thron gelangte; von Ferdinand III. von Neapel, der so rüpelhaft war, dass er die Makkaroni mit Händen aß und beim Hofball seinem Habsburger-Schwager Joseph II. auf den Rücken sprang; von der Fürstin Orsini, die zwanzig Jahre lang die Geschicke Spaniens lenkt, bevor sie in einer eisigen Winternacht in einer Kutsche mit zerstoßener Scheibe zur französischen Grenze eskortiert wird; vom Sohn des Sonnenkönigs, der an den Pocken, und seinem Enkel, der an den Röteln stirbt, und vielen anderen mehr.

Das alles breitet Horowski mit der Detailfuchsigkeit eines "Bunte"-Klatschreporters und der peniblen Quellenkenntnis eines wilhelminischen Professors aus; er zieht sozusagen die kürzeste Linie zwischen Michael Graeter und Leopold von Ranke. Und weil die bunten Anekdoten über Günstlinge und Mätressen, geglückte und gescheiterte Intrigen und Karrieren nicht beliebig hingestreut, sondern chronologisch-geographisch sortiert sind, entsteht aus den vielen kleinen Pinselstrichen tatsächlich das Porträt einer Herrschaftselite, die in der Kulturgeschichte einzigartig dasteht, eines Netzwerks von Clans und Dynastien, in dem Politik nur die Fortsetzung des Familienlebens mit anderen Mitteln war. Für Freunde erzählter Geschichte ist "Das Europa der Könige" die schärfste Droge, die in diesem Frühjahr auf dem Buchmarkt angeboten wird.

Die Pointe dieses tausendseitigen Halluzinogens liegt freilich darin, dass es die Bastionen und Festungsgräben der heutigen Geschichtswissenschaft, die es mit anekdotischer Evidenz überschüttet, nicht im mindesten anzutasten vermag. Die geschmähten Begrifflichkeiten der Sozialhistoriker gehen unbeschädigt aus Leonhard Horowskis Prosa-Bombardement hervor, eben weil es Begriffe und keine bloßen - wenn auch noch so virtuosen - Beschreibungen sind. Bei Horowski dagegen beschränkt sich die analytische Durchdringung des Geschehens nicht selten auf das Nachzeichnen von Stammbäumen und die Aufzählung von Gleichzeitigkeiten.

Natürlich ist es hübsch, dem entmachteten Zarinnengünstling Platon Subow dabei zuzusehen, wie er im Berliner Dom die Leichenfeier für den gestorbenen Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. absitzt, während in Neapel die für ihre antikischen Schleierposen bekannte Diplomatengattin Emma Hamilton ihrem nächsten Rendezvous mit dem britischen Admiral Nelson entgegenfiebert - oder ein paar hundert Seiten früher zu erfahren, dass Prince Charles und seine zweite Frau Camilla Nachfahren von Günstlingen Wilhelms III. von Oranien sind. Aber eine Galerie farbenfroher Skizzen ergibt am Ende doch kein Epochenpanorama. Von der Aufklärung, von Klassizismus und Frühromantik ist bei Horowski praktisch nicht die Rede. Sie hätten das Genrebild womöglich durch Gedankenblässe eingetrübt.

Eine der schönsten Episoden des Bandes handelt davon, wie der erwähnte preußische Höfling und Staatsminister Grumbkow mehrere Wagenladungen Champagner mühsam in die Provinzstadt Crossen schaffen ließ, um August den Starken bei einem Trinkgelage über seine Pläne als polnischer König auszuhorchen. Aus Augusts Plänen und Preußens Gegenplänen wurde nichts, weil der Sachsenfürst kurz darauf starb. Übrig blieb die Erinnerung an eine prächtige Sauferei ohne Folgen. So ähnlich geht es einem mit diesem Buch. Während man es liest, kann man kaum genug davon bekommen. Wenn aber die Party vorbei ist, fragt man sich, ob es nicht bessere Möglichkeiten gegeben hätte, den Abend zu verbringen.

ANDREAS KILB

Leonhard Horowski: "Das Europa der Könige".

Macht und Spiel an den

Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts.

Rowohlt Verlag, Reinbek 2017. 1120 S., geb., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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«Der Ton, den dieser Historiker anschlägt, ist etwas Neues: Leonhard Horowski hat über 'Das Europa der Könige' ein erstaunliches Buch verfasst.» Stephan Speicher Die Zeit
Der Ton, den dieser Historiker anschlägt, ist etwas Neues: Leonhard Horowski hat über Das Europa der Könige ein erstaunliches Buch verfasst. Stephan Speicher Die Zeit