Große Aufregung in der Sigmund-Freud-Nervenklinik in Graz: Einer der Hoffnungslosen, ein Selbstmörder, ist aus dem Koma noch einmal zum Leben erwacht.
Doch warum weigert sich dieser Simon Brenner, ein Privatdetektiv, so stur, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen? Warum behauptet er steif und fest, die Kripo wollte ihn ermorden? Und das, obwohl die Tage vor dem Kopfschuss restlos aus seinem Gedächtnis gestrichen sind?
Für den Psychiater liegt der Fall ganz klar: akute Depressionen, ausgelöst durch die Rückkehr in die Heimatstadt Graz. Als sich Brenner am Faschingsdienstag aus dem Hospital stiehlt, um seinen eigenen Fall aufzuklären, hält man ihn für vollends verrückt. Doch Brenner hat eine wichtige Spur aus seinem Gedächtnis gefischt. Diese führt ihn nicht nur zu einer Jugendsünde aus seiner Vergangenheit: einem kleinen Banküberfall mit Polizeischulfreunden, sondern auch direkt zum Arnold-Schwarzenegger-Stadion.
Vielleicht kann ihm der Stadionwart, ein ehemaliger Polizeischulfreund, helfen, den Mordanschlag aufzuklären. Und er könnte das tatsächlich - läge er nicht mit einem sauberen Kopfschuss tot auf dem Boden. Wird Brenner nun der Nächste sein?
Doch warum weigert sich dieser Simon Brenner, ein Privatdetektiv, so stur, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen? Warum behauptet er steif und fest, die Kripo wollte ihn ermorden? Und das, obwohl die Tage vor dem Kopfschuss restlos aus seinem Gedächtnis gestrichen sind?
Für den Psychiater liegt der Fall ganz klar: akute Depressionen, ausgelöst durch die Rückkehr in die Heimatstadt Graz. Als sich Brenner am Faschingsdienstag aus dem Hospital stiehlt, um seinen eigenen Fall aufzuklären, hält man ihn für vollends verrückt. Doch Brenner hat eine wichtige Spur aus seinem Gedächtnis gefischt. Diese führt ihn nicht nur zu einer Jugendsünde aus seiner Vergangenheit: einem kleinen Banküberfall mit Polizeischulfreunden, sondern auch direkt zum Arnold-Schwarzenegger-Stadion.
Vielleicht kann ihm der Stadionwart, ein ehemaliger Polizeischulfreund, helfen, den Mordanschlag aufzuklären. Und er könnte das tatsächlich - läge er nicht mit einem sauberen Kopfschuss tot auf dem Boden. Wird Brenner nun der Nächste sein?
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.07.2015Du, glückliches Österreich, morde
Inschpektor gibt's kaan! Mag Wolf Haas in einer eigenen Liga spielen, andere Autoren haben auch seltsame Ermittler. Und mit Abgründen kennen sich Autoren unseres Nachbarlandes seit jeher gut aus.
In Österreich gibt es zwar Polizeikommissariate, aber der Dienstgrad "Kommissar" existiert nicht. Spätestens seit der satirischen Fernsehserie "Kottan ermittelt" (Buch: Helmut Zenker, Regie: Peter Patzak; ausgestrahlt zwischen 1976 und 1983) dürfte das allgemein bekannt sein. Der titelgebende Serienheld, der Kriminalbeamte Adolf Kottan, bekleidete den Rang eines Majors. Schreibt jemand eine Geschichte, die in Österreich spielt und in welcher der Polizei auch irgendeine Rolle zugedacht ist, sollten diese Dienstgrade eventuell berücksichtigt werden. Zumindest die Leser könnten daraus Schlüsse ziehen, wie ernst es der Autor oder die in geringerer Zahl vertretene Autorin mit dem Sujet meint, ob und wie sorgfältig recherchiert wurde und Ähnliches. Über die Qualität sagt das freilich noch nicht viel aus.
Der Detektivroman mit einem Profi-Ermittler, egal ob "hardboiled" oder "Gentleman", ist in Österreich zwar auffallend unterrepräsentiert, viel häufiger sind Polizisten die Hauptfiguren der Kriminalgeschichten. Aber dann tauchen da so Typen wie "der Brenner", "der Lemming" oder "der Metzger" auf. Simon Brenner ist der Protagonist in mittlerweile acht Romanen von Wolf Haas. Eben erhielt der Autor für sein Gesamtwerk den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (F.A.Z. vom 7. Juli). Drei seiner Krimis, darunter gleich der erste Auftritt Brenners in "Auferstehung der Toten" von 1997, wurden mit dem Deutschen Krimi-Preis, wenn auch nur einmal mit dem ersten Platz ("Komm süßer Tod", 1999), ausgezeichnet.
Vier Bücher um den ehemaligen Polizeiinspektor, Sanitätswagenfahrer, Gelegenheitsprivatdetektiv und seit "Brennerova" (2014) Pensionisten wurden, jeweils mit Josef Hader in der Titelrolle, verfilmt, fünf Brenner-Krimis als Hörspiel inszeniert. Die Filme finden sich unter den fünfzehn erfolgreichsten Österreichs. Das im gesamten deutschen Sprachraum anhaltende Interesse konnte man am Anfang mit dem Reiz des Exotischen erklären. Simon Brenner wirkt nicht besonders sympathisch, gewiss nicht überragend intelligent, verfügt aber über Intuition und brutale Entschlossenheit. Haas lässt die Geschichten von einem auktorialen Erzähler kommentieren, der den Leser wiederholt direkt anspricht - "frage nicht!" In "Das ewige Leben" (in diesem Frühjahr in den Kinos) stirbt der Protagonist überraschend, nur um sechs Jahre später in "Der Brenner und der liebe Gott" unbeirrt weiterzumachen.
Der ebenfalls unangepasste Ermittler Leopold Wallisch, genannt "Lemming", wird, wie weiland Brenner, aus dem Polizeidienst gemobbt, forscht aber auch weiterhin Verbrechen und anderen Kleinigkeiten nach. Erst als Angestellter einer Detektivagentur, bald, karrieretechnisch immer weiter absteigend, eher zufällig und zuletzt in eigener Sache. Die Reihe um den Wiener Detektiv wider Willen begann 2004 mit "Der Fall des Lemming", der im folgenden Jahr mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman geehrt wurde.
Nach lediglich vier Krimis versetzte Stefan Slupetzky, der auch Kinderbücher und Theaterstücke verfasst und als Illustrator tätig ist, seinen Wallisch derart in Rage, dass nach "Lemmings Zorn" (2009) eigentlich nichts mehr für diese Figur folgen kann. Slupetzky wechselt das Genre insofern, als sein bislang jüngstes Werk "Polivka hat einen Traum" von den unorthodoxen Nachforschungen eines Bezirksinspektors, also eines Polizeibeamten, handelt.
Mit einer Laufbahn bei der Polizei hat Willibald Adrian Metzger gar nichts am Hut. Der von Thomas Raab geschaffene Restaurator ist tatsächlich Hobbydetektiv und wird seit seiner ersten Mission in "Der Metzger muss nachsitzen" (2007) eher von den Verbrechen in seiner geliebten Arbeit gestört. Nach mittlerweile sechs Fällen und einer auf offenbar zu wenig Interesse gestoßenen und daher gestoppten Fernsehserie ist ungewiss, wann es mit ihm weitergeht. Aufgeben will Raab seine Lieblingsfigur aber keineswegs, wie er auch in einem Interview versicherte. Jedoch: "Die Metzger-Frequenz wird möglicherweise kein Jahresrhythmus mehr sein."
Raab ist wagemutig genug, innerhalb der einzelnen Bände mit Stil und Blickwechsel zu experimentieren. Während die Fälle von tristen Milieustudien bis zu kaltblütigen Komplotten ein breites Feld des Genres abdecken, trifft man sonst eher selten auf ganze Kapitel, die von Fischen in einem Aquarium, das sich allerdings an einem Tatort befindet, will sagen, zum Tatort wird, erzählt werden.
Ähnlich wie der Schwede Håkan Nesser, der seine Van-Veeteren-Krimis in einem fiktiven Skandinavien ansiedelt, legt sich auch Raab nicht auf geographisch genau Bestimmbares fest. Im südlichen deutschsprachigen Raum wohl, mit starken slawischen Einsprengseln, wenn man etwa an Metzgers Freundin Djurkovic denkt, aber ob Wien oder eventuell sogar München, bleibt in der Schwebe.
Da ist Martin Mucha schon sehr viel eindeutiger. Der gebürtige Grazer verbreitet über seinen Serienhelden, den kiffenden, teinabhängigen Philologen und Ich-Erzähler Arno Linder, eine Hassliebe zur österreichischen Hauptstadt, die ihresgleichen sucht. Dieser Tage erschien mit "Liebessiegel" der fünfte Band um Linder, der nun endlich eine Professorenstelle an der Universität Wien erlangt hat. Die etwas unsauberen Umstände, die dazu geführt haben, erfährt man aus dem Vorgängerroman. Mit der Polizei kriegt es der nie an Minderwertigkeitskomplexen leidende Linder meist als Verdächtiger zu tun, kommt aber immer und oft mit nicht nur einem sprichwörtlichen blauen Auge davon. Man liest die Reihe am besten als Satire.
Die Unterabteilung des historischen Krimis bedient seit "Die Naschmarktmorde" (2009) der Wiener Gerhard Loibelsberger, allerdings aus gleichsam amtlicher Sicht. Er lässt seinen Polizeiinspector Nechyba in der Hauptstadt der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Gewaltverbrechen aufklären, sondern zeichnet mit diesem ebenfalls nicht völlig angepassten Beamten (böhmische Wurzeln, kocht leidenschaftlich - Loibelsberger verfasst nebenbei Gourmetführer und Kochbücher) auch ein gut recherchiertes Bild der damaligen tristen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Aber, pass auf, weil: interessant! Bisher begegneten wir in diesem Österreich-Rundblick nur Männern, sowohl bei den Autoren als auch bei den Ermittlern. Dorothea Zanon, verantwortlich für Lektorat und Programm des Innsbrucker Haymon Verlages, relativiert: "Es gibt - generell - weniger Autorinnen als Autoren. Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Schriftstellerleben auf Dauer durchzuhalten schwierig ist. Dieser Beruf ist, wenn er ernst genommen wird, mit einem Familienleben schwer bis kaum zu vereinbaren." Bleibt unausgesprochen, dass die Hauptlast zumindest eines traditionellen Familienlebens nach wie vor von der Frau getragen wird.
Dem entspricht auch, so Zanon weiter, "dass es neuerdings zwar mehr Neueinsteigerinnen gibt, aber wesentlich weniger arrivierte Krimiautorinnen". Sie hat da einen guten Überblick, landen doch wöchentlich bis zu zwei Dutzend Manuskripte, darunter "natürlich auch zahlreiche Kriminalromane", hoffnungsvoller Jungautorinnen und -autoren auf den Schreibtischen im Lektorat. Immerhin verweist sie darauf, dass gerade bei Haymon mit Edith Kneifl die erste Friedrich-Glauser-Preisträgerin (1992 für "Zwischen zwei Nächten", Milena Verlag 1991) unter Vertrag steht. Kneifls Produktivität ist beinahe erschreckend: kaum ein Jahr seither ohne Kriminalroman oder zumindest mehrere Kurzgeschichten.
Mit Alfred Komarek und seiner Reihe um den spröden Gendarmerieinspektor Simon Polt, die im niederösterreichischen Waldviertel an der tschechischen Grenze spielt, ist Haymon das Stammhaus des Regionalkrimis, Komarek wohl dessen erster und wichtigster Erzähler. Seine meist bedrückenden, wenig kriminalistischen, aber stark an den Menschen interessierten Geschichten bedienen kein für die Tourismuswirtschaft verwertbares Klischee. In der Fülle der zahlreichen Salzburger-Festspiel-, Narzissenfest- oder sonstigen ländlichen Brauchtumsmordberichte sucht man nach einer würdigen Polt-Nachfolge bislang vergeblich.
MARTIN LHOTZKY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Inschpektor gibt's kaan! Mag Wolf Haas in einer eigenen Liga spielen, andere Autoren haben auch seltsame Ermittler. Und mit Abgründen kennen sich Autoren unseres Nachbarlandes seit jeher gut aus.
In Österreich gibt es zwar Polizeikommissariate, aber der Dienstgrad "Kommissar" existiert nicht. Spätestens seit der satirischen Fernsehserie "Kottan ermittelt" (Buch: Helmut Zenker, Regie: Peter Patzak; ausgestrahlt zwischen 1976 und 1983) dürfte das allgemein bekannt sein. Der titelgebende Serienheld, der Kriminalbeamte Adolf Kottan, bekleidete den Rang eines Majors. Schreibt jemand eine Geschichte, die in Österreich spielt und in welcher der Polizei auch irgendeine Rolle zugedacht ist, sollten diese Dienstgrade eventuell berücksichtigt werden. Zumindest die Leser könnten daraus Schlüsse ziehen, wie ernst es der Autor oder die in geringerer Zahl vertretene Autorin mit dem Sujet meint, ob und wie sorgfältig recherchiert wurde und Ähnliches. Über die Qualität sagt das freilich noch nicht viel aus.
Der Detektivroman mit einem Profi-Ermittler, egal ob "hardboiled" oder "Gentleman", ist in Österreich zwar auffallend unterrepräsentiert, viel häufiger sind Polizisten die Hauptfiguren der Kriminalgeschichten. Aber dann tauchen da so Typen wie "der Brenner", "der Lemming" oder "der Metzger" auf. Simon Brenner ist der Protagonist in mittlerweile acht Romanen von Wolf Haas. Eben erhielt der Autor für sein Gesamtwerk den Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (F.A.Z. vom 7. Juli). Drei seiner Krimis, darunter gleich der erste Auftritt Brenners in "Auferstehung der Toten" von 1997, wurden mit dem Deutschen Krimi-Preis, wenn auch nur einmal mit dem ersten Platz ("Komm süßer Tod", 1999), ausgezeichnet.
Vier Bücher um den ehemaligen Polizeiinspektor, Sanitätswagenfahrer, Gelegenheitsprivatdetektiv und seit "Brennerova" (2014) Pensionisten wurden, jeweils mit Josef Hader in der Titelrolle, verfilmt, fünf Brenner-Krimis als Hörspiel inszeniert. Die Filme finden sich unter den fünfzehn erfolgreichsten Österreichs. Das im gesamten deutschen Sprachraum anhaltende Interesse konnte man am Anfang mit dem Reiz des Exotischen erklären. Simon Brenner wirkt nicht besonders sympathisch, gewiss nicht überragend intelligent, verfügt aber über Intuition und brutale Entschlossenheit. Haas lässt die Geschichten von einem auktorialen Erzähler kommentieren, der den Leser wiederholt direkt anspricht - "frage nicht!" In "Das ewige Leben" (in diesem Frühjahr in den Kinos) stirbt der Protagonist überraschend, nur um sechs Jahre später in "Der Brenner und der liebe Gott" unbeirrt weiterzumachen.
Der ebenfalls unangepasste Ermittler Leopold Wallisch, genannt "Lemming", wird, wie weiland Brenner, aus dem Polizeidienst gemobbt, forscht aber auch weiterhin Verbrechen und anderen Kleinigkeiten nach. Erst als Angestellter einer Detektivagentur, bald, karrieretechnisch immer weiter absteigend, eher zufällig und zuletzt in eigener Sache. Die Reihe um den Wiener Detektiv wider Willen begann 2004 mit "Der Fall des Lemming", der im folgenden Jahr mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Erstlingsroman geehrt wurde.
Nach lediglich vier Krimis versetzte Stefan Slupetzky, der auch Kinderbücher und Theaterstücke verfasst und als Illustrator tätig ist, seinen Wallisch derart in Rage, dass nach "Lemmings Zorn" (2009) eigentlich nichts mehr für diese Figur folgen kann. Slupetzky wechselt das Genre insofern, als sein bislang jüngstes Werk "Polivka hat einen Traum" von den unorthodoxen Nachforschungen eines Bezirksinspektors, also eines Polizeibeamten, handelt.
Mit einer Laufbahn bei der Polizei hat Willibald Adrian Metzger gar nichts am Hut. Der von Thomas Raab geschaffene Restaurator ist tatsächlich Hobbydetektiv und wird seit seiner ersten Mission in "Der Metzger muss nachsitzen" (2007) eher von den Verbrechen in seiner geliebten Arbeit gestört. Nach mittlerweile sechs Fällen und einer auf offenbar zu wenig Interesse gestoßenen und daher gestoppten Fernsehserie ist ungewiss, wann es mit ihm weitergeht. Aufgeben will Raab seine Lieblingsfigur aber keineswegs, wie er auch in einem Interview versicherte. Jedoch: "Die Metzger-Frequenz wird möglicherweise kein Jahresrhythmus mehr sein."
Raab ist wagemutig genug, innerhalb der einzelnen Bände mit Stil und Blickwechsel zu experimentieren. Während die Fälle von tristen Milieustudien bis zu kaltblütigen Komplotten ein breites Feld des Genres abdecken, trifft man sonst eher selten auf ganze Kapitel, die von Fischen in einem Aquarium, das sich allerdings an einem Tatort befindet, will sagen, zum Tatort wird, erzählt werden.
Ähnlich wie der Schwede Håkan Nesser, der seine Van-Veeteren-Krimis in einem fiktiven Skandinavien ansiedelt, legt sich auch Raab nicht auf geographisch genau Bestimmbares fest. Im südlichen deutschsprachigen Raum wohl, mit starken slawischen Einsprengseln, wenn man etwa an Metzgers Freundin Djurkovic denkt, aber ob Wien oder eventuell sogar München, bleibt in der Schwebe.
Da ist Martin Mucha schon sehr viel eindeutiger. Der gebürtige Grazer verbreitet über seinen Serienhelden, den kiffenden, teinabhängigen Philologen und Ich-Erzähler Arno Linder, eine Hassliebe zur österreichischen Hauptstadt, die ihresgleichen sucht. Dieser Tage erschien mit "Liebessiegel" der fünfte Band um Linder, der nun endlich eine Professorenstelle an der Universität Wien erlangt hat. Die etwas unsauberen Umstände, die dazu geführt haben, erfährt man aus dem Vorgängerroman. Mit der Polizei kriegt es der nie an Minderwertigkeitskomplexen leidende Linder meist als Verdächtiger zu tun, kommt aber immer und oft mit nicht nur einem sprichwörtlichen blauen Auge davon. Man liest die Reihe am besten als Satire.
Die Unterabteilung des historischen Krimis bedient seit "Die Naschmarktmorde" (2009) der Wiener Gerhard Loibelsberger, allerdings aus gleichsam amtlicher Sicht. Er lässt seinen Polizeiinspector Nechyba in der Hauptstadt der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Gewaltverbrechen aufklären, sondern zeichnet mit diesem ebenfalls nicht völlig angepassten Beamten (böhmische Wurzeln, kocht leidenschaftlich - Loibelsberger verfasst nebenbei Gourmetführer und Kochbücher) auch ein gut recherchiertes Bild der damaligen tristen gesellschaftlichen Verhältnisse.
Aber, pass auf, weil: interessant! Bisher begegneten wir in diesem Österreich-Rundblick nur Männern, sowohl bei den Autoren als auch bei den Ermittlern. Dorothea Zanon, verantwortlich für Lektorat und Programm des Innsbrucker Haymon Verlages, relativiert: "Es gibt - generell - weniger Autorinnen als Autoren. Das mag auch damit zu tun haben, dass ein Schriftstellerleben auf Dauer durchzuhalten schwierig ist. Dieser Beruf ist, wenn er ernst genommen wird, mit einem Familienleben schwer bis kaum zu vereinbaren." Bleibt unausgesprochen, dass die Hauptlast zumindest eines traditionellen Familienlebens nach wie vor von der Frau getragen wird.
Dem entspricht auch, so Zanon weiter, "dass es neuerdings zwar mehr Neueinsteigerinnen gibt, aber wesentlich weniger arrivierte Krimiautorinnen". Sie hat da einen guten Überblick, landen doch wöchentlich bis zu zwei Dutzend Manuskripte, darunter "natürlich auch zahlreiche Kriminalromane", hoffnungsvoller Jungautorinnen und -autoren auf den Schreibtischen im Lektorat. Immerhin verweist sie darauf, dass gerade bei Haymon mit Edith Kneifl die erste Friedrich-Glauser-Preisträgerin (1992 für "Zwischen zwei Nächten", Milena Verlag 1991) unter Vertrag steht. Kneifls Produktivität ist beinahe erschreckend: kaum ein Jahr seither ohne Kriminalroman oder zumindest mehrere Kurzgeschichten.
Mit Alfred Komarek und seiner Reihe um den spröden Gendarmerieinspektor Simon Polt, die im niederösterreichischen Waldviertel an der tschechischen Grenze spielt, ist Haymon das Stammhaus des Regionalkrimis, Komarek wohl dessen erster und wichtigster Erzähler. Seine meist bedrückenden, wenig kriminalistischen, aber stark an den Menschen interessierten Geschichten bedienen kein für die Tourismuswirtschaft verwertbares Klischee. In der Fülle der zahlreichen Salzburger-Festspiel-, Narzissenfest- oder sonstigen ländlichen Brauchtumsmordberichte sucht man nach einer würdigen Polt-Nachfolge bislang vergeblich.
MARTIN LHOTZKY
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Statt eine Inhaltsangabe von Wolf Haas neuen Krimi "Das ewige Leben" zu liefern, führt Rezensent Ijoma Mangold lieber einige "technische Daten" an, um den Kennern vor Augen zu führen, warum "der neue Wolf Haas" wieder von "so ausgezeichneter Markenqualität" sei. Nicht weniger als vierzehn Gründe fallen dem Rezensenten ein, die für "Das ewige Leben" sprechen. Hier in geraffter Form: 1.) Serie. Auch in Haas' sechstem Krimi spielt Simon Brenner, der Ex-Polizist, die Hauptrolle. 2.) Lokalkolorit. Alle typisch österreichische Motive wie Weltschmerz, Selbstmord und Sigmund Freud sind präsent. 3.) Todesbewusstsein (vgl. auch Lokalkolorit). 4.) Vertrauen. Obwohl erst zum Schluss aufgelöst wird, wer sich hinter der Stimme des Ich- Erzählers verbirgt, stehe der Leser mit dieser Phantomstimme, die ihn ständig mit "du" anspricht, von Anfang an auf vertrautem Fuß. 5.) Soziologie. Haas erweist sich als ein "Empiriker der feinen, aber auch der groben Unterschiede". 6.) Weisheit. Fast immer in der Form von Lebensweisheit, denn Brenner sei "quasi Philosoph". 7.) Bildverarbeitung. Der Rezensent würdigt hier die "absolute Präzisionsarbeit - gerade im extravaganten Manierismus". 8.) Stil. Einerseits von schwelgerischem Selbstgenuss, andererseits auch von großer Prägnanz. 9.) Logik. Sie ist immer verschoben, aber systematisch verschoben. 10.) Spannung. 11.) Lektorat. "Eins a". 12.) Gesellschaftskritik: "absolut vorhanden". 13.) Lektüre-Verhalten. "Überaus geschmeidig", freut sich Mangold, "doch weder ölig noch von konfektionierter, widerstandsloser Glätte." 14.) Kultstatus. Haas ist in Österreich ein Kultautor, in Deutschland noch ein Geheimtipp. Vierzehn Gründe also, warum man das Buch lesen muss.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Kultiger Protagonist bei seinem letzten Auftritt
Simon Brenner, altbekannter Ex-Polizist, Privatdetektiv und inzwischen schon kultige Hauptfigur seines Schöpfers Wolf Haas, kehrt in seinem letzten Buchauftritt („Sag niemals nie“) in seine Heimatstadt Graz zurück. Genauer gesagt nach Puntigam, wo auch das Arnold-Schwarzenegger-Stadion liegt, Heimatstätte der Grazer Traditionsklubs Sturm Graz und GAK. Nun seine Rückkehr ist alles andere als glücklich, was eingefleischte Brennerfans nicht schrecken würde, aber dieses Mal bekommt er eine Kugel direkt in den Kopf verpasst.
Alles sieht dabei nach Selbstmord, Abgang aus einem unerfüllten Leben aus, wenn nicht dieser Brenner wie durch ein Wunder überlebt hätte. Aus dem Koma am Neujahrsmorgen erwacht, verlässt er viel zu früh das Krankenhaus und begibt sich auf die Suche seines vermeintlichen Mörders.
Dass ihm niemand seine Geschichte glaubt, muss eigentlich gar nicht erwähnt werden. Und dass gerade die Grazer Kripo ihn aus den Weg räumen wollte, macht seine Geschichte auch nicht glaubwürdiger.
Flüche der Vergangenheit und Sümpfe der Gegenwart
Die Begegnung mit seinen alten Polizeischulfreunden, mit denen er vor 30 Jahren eine Bank überfallen hatte, lässt ihn immer tiefer in eine Mischung aus den Flüchen der Vergangenheit und den Sümpfen der Gegenwart eintauchen.
Er gerät an eine Zigeunerin, die ihm nichts Gutes aus der Hand liest, zwei Mordzeugen, die längst selbst unter den Toten weilen, und an quicklebendige, selbsternannte Privatpolizisten der Grazer Bürgerwehr (klingt nach Realsatire, wenn man das politische Scheitern der FPÖ-Bürgerwehr in Graz betrachtet), die allerdings nach der Begegnung mit Brenner ziemlich indisponiert wirken.
Haas in Hochform
Im Finale, das wie die ganze Geschichte, von einem Ich-Erzähler witzig, pointenstark und mit einer sprachverstümmelten Dings-Komik bruchstückhaft aber ausgesprochen unterhaltsam geschildert wird, setzt Wolf Haas zur Hochform an.
Nahezu durch den Schusskanal in Brenners Kopf wird diese Szene empfunden, wobei das Innere dieses durch und durch verletzten und hochsensiblen Kerns gleichzeitig als Grazer Stadtführer dient, und muss nicht der heldenhafte Sieger Brenner heißen: Loch in Kopf und Hand, von Splittern gekennzeichnet, halb gelähmt und blind und seit Tagen ohne Schlaf.
Wenn es nicht das definitive Ende wäre, müsste man meinen, alles Gründe für ein grandioses Comeback.
(Rudolf Kraus, www.krimi-forum.de)
Simon Brenner, altbekannter Ex-Polizist, Privatdetektiv und inzwischen schon kultige Hauptfigur seines Schöpfers Wolf Haas, kehrt in seinem letzten Buchauftritt („Sag niemals nie“) in seine Heimatstadt Graz zurück. Genauer gesagt nach Puntigam, wo auch das Arnold-Schwarzenegger-Stadion liegt, Heimatstätte der Grazer Traditionsklubs Sturm Graz und GAK. Nun seine Rückkehr ist alles andere als glücklich, was eingefleischte Brennerfans nicht schrecken würde, aber dieses Mal bekommt er eine Kugel direkt in den Kopf verpasst.
Alles sieht dabei nach Selbstmord, Abgang aus einem unerfüllten Leben aus, wenn nicht dieser Brenner wie durch ein Wunder überlebt hätte. Aus dem Koma am Neujahrsmorgen erwacht, verlässt er viel zu früh das Krankenhaus und begibt sich auf die Suche seines vermeintlichen Mörders.
Dass ihm niemand seine Geschichte glaubt, muss eigentlich gar nicht erwähnt werden. Und dass gerade die Grazer Kripo ihn aus den Weg räumen wollte, macht seine Geschichte auch nicht glaubwürdiger.
Flüche der Vergangenheit und Sümpfe der Gegenwart
Die Begegnung mit seinen alten Polizeischulfreunden, mit denen er vor 30 Jahren eine Bank überfallen hatte, lässt ihn immer tiefer in eine Mischung aus den Flüchen der Vergangenheit und den Sümpfen der Gegenwart eintauchen.
Er gerät an eine Zigeunerin, die ihm nichts Gutes aus der Hand liest, zwei Mordzeugen, die längst selbst unter den Toten weilen, und an quicklebendige, selbsternannte Privatpolizisten der Grazer Bürgerwehr (klingt nach Realsatire, wenn man das politische Scheitern der FPÖ-Bürgerwehr in Graz betrachtet), die allerdings nach der Begegnung mit Brenner ziemlich indisponiert wirken.
Haas in Hochform
Im Finale, das wie die ganze Geschichte, von einem Ich-Erzähler witzig, pointenstark und mit einer sprachverstümmelten Dings-Komik bruchstückhaft aber ausgesprochen unterhaltsam geschildert wird, setzt Wolf Haas zur Hochform an.
Nahezu durch den Schusskanal in Brenners Kopf wird diese Szene empfunden, wobei das Innere dieses durch und durch verletzten und hochsensiblen Kerns gleichzeitig als Grazer Stadtführer dient, und muss nicht der heldenhafte Sieger Brenner heißen: Loch in Kopf und Hand, von Splittern gekennzeichnet, halb gelähmt und blind und seit Tagen ohne Schlaf.
Wenn es nicht das definitive Ende wäre, müsste man meinen, alles Gründe für ein grandioses Comeback.
(Rudolf Kraus, www.krimi-forum.de)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.02.2003Für den Ingenieur im Kopf des Lesers
Vierzehn Gründe, warum man den neuen Krimi von Wolf Haas „Das ewige Leben” lesen muss
Ein theoretisch wenig ausgearbeitetes, praktisch aber gut funktionierendes Kriterium, was ein Krimi ist, könnte lauten: Krimi ist immer dann, wenn es jammerschade wäre, vorneweg den Plot zu verraten. Der neue Roman des österreichischen Schriftstellers Wolf Haas ist ein Krimi. Deshalb wollen wir hier keine Inhaltsangabe (obwohl auch das sehr köstlich wäre) liefern, sondern einige technische Daten, die dem Kenner rasch vor Augen führen, warum „der neue Wolf Haas” wieder von so ausgezeichneter Markenqualität ist.
Erstens: Serie. Auch in Haas’ sechstem Krimi spielt Simon Brenner, der Ex-Polizist, die Hauptrolle. Diesmal ist er in seine Heimatstadt Graz zurückgekehrt. Dort scheinen einige seiner früheren Freunde und Kollegen von der Polizeischule nicht sehr glücklich über seine Rückkehr zu sein.
Zweitens: Lokalkolorit. Es ist vor allem durch typisch österreichische Motive präsent, als da sind: Weltschmerz, Selbstmord, Sigmund Freud. Aber auch ganz konkret: Das Fußballstadion in Graz ist ein zentraler Schauplatz des Krimis. Es heißt Arnold-Schwarzenegger-Stadion. In echt. Brenner hat dreizehnjährig dem späteren Weltstar als damals Sechzehnjährigem eine gescheuert – was dann die Biografie Schwarzeneggers in die bekannte Richtung gebogen hat.
Drittens: Todesbewusstsein (siehe auch Lokalkolorit ). Die Ärzte sagen, ganz klar, ein Selbstmordversuch. Brenner meint, nachdem er aus seinem Koma erwacht: eine Inszenierung durch die Grazer Kripo. Wie auch immer. Brenners Psyche pendelt zwischen Lebensüberdruss, Todessehnsucht und immer wieder eruptiv aufbrechendem Vitalismus. Ein Pessimismus nicht ohne Schmelz angesichts des ewigen Lebens. Zum Glück verliebt er sich am Ende, und seine Liebe wird erwidert (Happy End).
Viertens: Vertrauen. Wer sich hinter der Stimme des Ich- Erzählers verbirgt, wird erst zum Schluss aufgelöst. Trotzdem steht der Leser, der von dieser Phantomstimme mit „du” angesprochen wird, mit ihr von allem Anfang auf vertrautem Fuß. Schon weil diese Stimme trotz ihrer Anonymität durch ihre sehr idiosynkratische Ausdrucksweise einen hohen Grad an Individualität gewinnt und für sich einnimmt. Dazu gehören wiederkehrende Formulierungen wie „frage nicht”, „eins a”, „sprich”, „weil Motto, grob bin ich selber” und „dings” – der verbale Joker, der überall dort eingesetzt wird, wo die Kniffligkeit und Komplexität der Welt durch kein Duden-verbürgtes Lexem zu fassen wäre. Eine schöne Reverenz an die österreichische Tradition der Sprachkrise, sprich Chandos-dings.
Fünftens: Soziologie. Wolf Haas ist ein Empiriker der feinen, aber auch der groben Unterschiede. Beispiel: Brenner will sich bei der atemberaubend schönen Soili interessant machen und erklärt, er sei ein großer Kinogänger und „quasi mit dem Pasolini auf du und du”. Klingt erstmal kontraproduktiv. Aber – erläutert der Erzähler: „Du musst wissen, er ist irgendwann als junger Mann draufgekommen, dass bei den Frauen, also bei den damaligen Frauen muss ich sagen, ein Problemfilm eine weitaus bessere Wirkung gehabt hat als zum Beispiel ein richtiger Film. Manche waren nach einem dreistündigen Problemfilm sogar zugänglicher als nach einem dreistündigen Barbesuch, und da ist die Kinokarte ja wesentlich billiger gekommen. Einziger Nachteil, dass der Brenner oft nach einem Problemfilm selber keine rechte Lust mehr gehabt hat und noch einen doppelt so langen Barbesuch gebraucht hat, um den Problemfilm zu vergessen.”
Sechstens: Weisheit. Fast immer in der Form von Lebensweisheit. Denn Brenner ist „quasi Philosoph”.
Siebtens: Bildverarbeitung. Absolute Präzisionsarbeit – gerade im extravaganten Manierismus. Beispiel: Brenner soll (als Polizei- Spitzel) neues Mitglied der Hobbypolizisten werden – einer gleichsam Haider- inspirierten, fremdenfeindlichen Bürgerwehr. Dafür muss er mit seiner Hand auf eine Bibel schwören und seine Baseballkappe abnehmen, was dazu führt, dass Oberst Weblinger ihn wiedererkennt und ihm „mit seinem Militärmesser derart an die Bibel” nietet, „dass dem Brenner beim Davonrennen noch ein paar Schritte lang das heilige Buch an der Hand geklebt ist wie einem vergoldeten Evangelisten.” Noch Fragen?
Achtens: Stil. Einerseits von schwelgerischem Selbstgenuss. Andererseits auch von großer Prägnanz. Besonders bei den vielen Definitionen: „Jetzt wo fängt das Private an? Das Private kann man ganz leicht daran erkennen, dass einem meistens schlecht davon wird.”
Neuntens: Logik. Ein wichtiger Punkt für das Schreiben des Wolf Haas. Weil: Seine Logik ist immer verschoben, aber systematisch verschoben. Um das ein wenig auszuführen: Haas bildet (in fast Borges-hafter Manier) gerne Reihen, nur wechselt er dabei die Ebenen, mit dem Ergebnis von komischen Kategorienfehlern. (Man muss das nicht so nennen, man muss es auch nicht durchschauen, aber für den quasi Ingenieur im Kopf des Lesers ist es ein noch einmal gesteigerter Genuss, wenn er erkennt, wie es funktioniert.) Beispiel: „Du musst wissen, wie der Brenner jung war, hat es in den Zeitungen noch weitaus nicht so viele ekelerregende Fotos gegeben, sprich Krieg oder Unfall oder Amputation oder Manager des Jahres.” Und weiter: „Ich sage es nur, weil es oft heißt, früher alles besser, Gras grüner, Luft reiner, Mensch ganzer.”
Zehntens: Spannung. In der Kurve darf man bei hoher Geschwindigkeit nie auf die Bremse treten, verrät der Erzähler während einer halsbrecherischen Fahrt durch einen Tunnel. Verstehst Du, Leser? Diese Tunnelfahrt ist der Plot, und Haas tritt nicht auf die Bremse.
Elftens: Lektorat. Eins a.
Zwölftens: Gesellschaftskritik. Absolut vorhanden. Wenn auch durch Bonhomie auf so leise gedämpft, dass es nie zu zeigefingerähnlichen Pegelausschlägen kommt, sondern die Gesellschaftskritik stets leise, aber um so zuverlässiger im Hintergrund mitsummt. (Siehe auch Bildverarbeitung/ Hobbypolizisten.)
Dreizehntens: Lektüre-Verhalten. Überaus geschmeidig, doch weder ölig noch von konfektionierter, widerstandsloser Glätte.
Vierzehntens: Kultstatus. Der 42-jährige ehemalige Werbetexter Wolf Haas ist in seiner österreichischen Heimat ein Kultautor. In Deutschland hingegen ein Geheimtipp – einer aber, den die Spatzen von den Dächern pfeifen. Seine Bücher haben sich bisher 600000 mal verkauft. IJOMA MANGOLD
WOLF HAAS: Das ewige Leben. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003. 222 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Vierzehn Gründe, warum man den neuen Krimi von Wolf Haas „Das ewige Leben” lesen muss
Ein theoretisch wenig ausgearbeitetes, praktisch aber gut funktionierendes Kriterium, was ein Krimi ist, könnte lauten: Krimi ist immer dann, wenn es jammerschade wäre, vorneweg den Plot zu verraten. Der neue Roman des österreichischen Schriftstellers Wolf Haas ist ein Krimi. Deshalb wollen wir hier keine Inhaltsangabe (obwohl auch das sehr köstlich wäre) liefern, sondern einige technische Daten, die dem Kenner rasch vor Augen führen, warum „der neue Wolf Haas” wieder von so ausgezeichneter Markenqualität ist.
Erstens: Serie. Auch in Haas’ sechstem Krimi spielt Simon Brenner, der Ex-Polizist, die Hauptrolle. Diesmal ist er in seine Heimatstadt Graz zurückgekehrt. Dort scheinen einige seiner früheren Freunde und Kollegen von der Polizeischule nicht sehr glücklich über seine Rückkehr zu sein.
Zweitens: Lokalkolorit. Es ist vor allem durch typisch österreichische Motive präsent, als da sind: Weltschmerz, Selbstmord, Sigmund Freud. Aber auch ganz konkret: Das Fußballstadion in Graz ist ein zentraler Schauplatz des Krimis. Es heißt Arnold-Schwarzenegger-Stadion. In echt. Brenner hat dreizehnjährig dem späteren Weltstar als damals Sechzehnjährigem eine gescheuert – was dann die Biografie Schwarzeneggers in die bekannte Richtung gebogen hat.
Drittens: Todesbewusstsein (siehe auch Lokalkolorit ). Die Ärzte sagen, ganz klar, ein Selbstmordversuch. Brenner meint, nachdem er aus seinem Koma erwacht: eine Inszenierung durch die Grazer Kripo. Wie auch immer. Brenners Psyche pendelt zwischen Lebensüberdruss, Todessehnsucht und immer wieder eruptiv aufbrechendem Vitalismus. Ein Pessimismus nicht ohne Schmelz angesichts des ewigen Lebens. Zum Glück verliebt er sich am Ende, und seine Liebe wird erwidert (Happy End).
Viertens: Vertrauen. Wer sich hinter der Stimme des Ich- Erzählers verbirgt, wird erst zum Schluss aufgelöst. Trotzdem steht der Leser, der von dieser Phantomstimme mit „du” angesprochen wird, mit ihr von allem Anfang auf vertrautem Fuß. Schon weil diese Stimme trotz ihrer Anonymität durch ihre sehr idiosynkratische Ausdrucksweise einen hohen Grad an Individualität gewinnt und für sich einnimmt. Dazu gehören wiederkehrende Formulierungen wie „frage nicht”, „eins a”, „sprich”, „weil Motto, grob bin ich selber” und „dings” – der verbale Joker, der überall dort eingesetzt wird, wo die Kniffligkeit und Komplexität der Welt durch kein Duden-verbürgtes Lexem zu fassen wäre. Eine schöne Reverenz an die österreichische Tradition der Sprachkrise, sprich Chandos-dings.
Fünftens: Soziologie. Wolf Haas ist ein Empiriker der feinen, aber auch der groben Unterschiede. Beispiel: Brenner will sich bei der atemberaubend schönen Soili interessant machen und erklärt, er sei ein großer Kinogänger und „quasi mit dem Pasolini auf du und du”. Klingt erstmal kontraproduktiv. Aber – erläutert der Erzähler: „Du musst wissen, er ist irgendwann als junger Mann draufgekommen, dass bei den Frauen, also bei den damaligen Frauen muss ich sagen, ein Problemfilm eine weitaus bessere Wirkung gehabt hat als zum Beispiel ein richtiger Film. Manche waren nach einem dreistündigen Problemfilm sogar zugänglicher als nach einem dreistündigen Barbesuch, und da ist die Kinokarte ja wesentlich billiger gekommen. Einziger Nachteil, dass der Brenner oft nach einem Problemfilm selber keine rechte Lust mehr gehabt hat und noch einen doppelt so langen Barbesuch gebraucht hat, um den Problemfilm zu vergessen.”
Sechstens: Weisheit. Fast immer in der Form von Lebensweisheit. Denn Brenner ist „quasi Philosoph”.
Siebtens: Bildverarbeitung. Absolute Präzisionsarbeit – gerade im extravaganten Manierismus. Beispiel: Brenner soll (als Polizei- Spitzel) neues Mitglied der Hobbypolizisten werden – einer gleichsam Haider- inspirierten, fremdenfeindlichen Bürgerwehr. Dafür muss er mit seiner Hand auf eine Bibel schwören und seine Baseballkappe abnehmen, was dazu führt, dass Oberst Weblinger ihn wiedererkennt und ihm „mit seinem Militärmesser derart an die Bibel” nietet, „dass dem Brenner beim Davonrennen noch ein paar Schritte lang das heilige Buch an der Hand geklebt ist wie einem vergoldeten Evangelisten.” Noch Fragen?
Achtens: Stil. Einerseits von schwelgerischem Selbstgenuss. Andererseits auch von großer Prägnanz. Besonders bei den vielen Definitionen: „Jetzt wo fängt das Private an? Das Private kann man ganz leicht daran erkennen, dass einem meistens schlecht davon wird.”
Neuntens: Logik. Ein wichtiger Punkt für das Schreiben des Wolf Haas. Weil: Seine Logik ist immer verschoben, aber systematisch verschoben. Um das ein wenig auszuführen: Haas bildet (in fast Borges-hafter Manier) gerne Reihen, nur wechselt er dabei die Ebenen, mit dem Ergebnis von komischen Kategorienfehlern. (Man muss das nicht so nennen, man muss es auch nicht durchschauen, aber für den quasi Ingenieur im Kopf des Lesers ist es ein noch einmal gesteigerter Genuss, wenn er erkennt, wie es funktioniert.) Beispiel: „Du musst wissen, wie der Brenner jung war, hat es in den Zeitungen noch weitaus nicht so viele ekelerregende Fotos gegeben, sprich Krieg oder Unfall oder Amputation oder Manager des Jahres.” Und weiter: „Ich sage es nur, weil es oft heißt, früher alles besser, Gras grüner, Luft reiner, Mensch ganzer.”
Zehntens: Spannung. In der Kurve darf man bei hoher Geschwindigkeit nie auf die Bremse treten, verrät der Erzähler während einer halsbrecherischen Fahrt durch einen Tunnel. Verstehst Du, Leser? Diese Tunnelfahrt ist der Plot, und Haas tritt nicht auf die Bremse.
Elftens: Lektorat. Eins a.
Zwölftens: Gesellschaftskritik. Absolut vorhanden. Wenn auch durch Bonhomie auf so leise gedämpft, dass es nie zu zeigefingerähnlichen Pegelausschlägen kommt, sondern die Gesellschaftskritik stets leise, aber um so zuverlässiger im Hintergrund mitsummt. (Siehe auch Bildverarbeitung/ Hobbypolizisten.)
Dreizehntens: Lektüre-Verhalten. Überaus geschmeidig, doch weder ölig noch von konfektionierter, widerstandsloser Glätte.
Vierzehntens: Kultstatus. Der 42-jährige ehemalige Werbetexter Wolf Haas ist in seiner österreichischen Heimat ein Kultautor. In Deutschland hingegen ein Geheimtipp – einer aber, den die Spatzen von den Dächern pfeifen. Seine Bücher haben sich bisher 600000 mal verkauft. IJOMA MANGOLD
WOLF HAAS: Das ewige Leben. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003. 222 Seiten, 17,90 Euro.
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